Briefe Tatters

[104] [104] Tatter an Luise.


Rom d. 27. April 1793


Louise, liebe Freundinn, welche Nachricht! Ich erhielt sie gestern und wie ich bin, kann ich Ihnen nicht sagen. Doch kann ich hier meinem Schmerze nicht einmal recht nachhängen. So innig waren wir einst verknüpft, so glücklich lebten wir neben einander, wie viel Augenblicke und Stunden waren wir miteinander so ganz froh unsers Daseyn und unsrer Verbindung! Was sind nun alle die Erinnerungen, wie traurig steigen sie jetzt in meiner Seele auf! Ich entfliehe ihnen so sehr ich kann. Eine kurze Zeit von wenigen Jahren hat uns alle zerstreuet, und nun fehlt sie uns auf ewig, wir können nie in dieser Welt so wieder zusammen kommen. Die arme, arme Mutter! Wie herzlich sie mich daurt! Und ihr Mann, dem das nie ersetzt werden kann! Ganz der Fall meiner armen Schwester, bis auf die kleinen Züge selbst. Ich habe sie noch einen Augenblick gesehn am 4. Aug. sie war so glücklich und beim Abschiede umarmte sie mich so herzlich, ich dachte nicht, das sey das letzte Mal. Ich schreibe ohne Zusamenhang. Ich habe um etwas von ihren Haaren gebeten, man wird doch daran gedacht haben, ich hätte gern dieß Andenken an mir [?], das ich beständig bei mir tragen würde; machen Sie doch, daß ich bald was bekomme, es wäre mir gar zu lieb. Wenn Sie es vermögen, so gehen Sie zuweilen zu ihrem Grabe, und bringen in meinem Namen eine Blume hin, ich werde, wenn ich je in meinem Leben dorthin wieder komme, noch Trähnen ihrer Asche bringen; ich glaube, sie werden dann erst fließen wollen, jetzt sind meine Augen trocken. Schreiben Sie mir fleißiger, damit ich öftrer erfahre, ob die gute Mutter sich trösten kann. Von C[aroline] weiß ich gar nichts, auch nicht, wohin ich ihr schreiben soll; mein letzter Brief an sie lag auch noch bei der Mutter. Ich bin nun wieder nach sechswochenlangem Kränkeln und Leiden, hergestellt. Wenn Sie können, so schreiben Sie mir umständlich alles, was noch auf L[otte] Bezug hat – meine Hand zittert, indem ich ihren Namen schreiben will. Lebe wohl, liebe Louise, ach wenn dus kannst, lebe recht wohl.

Der Prinz August hat mir besonders aufgetragen, Ihrer Mutter seine Theilnehmung zu bezeigen.[105]

Ich habe vergessen in meinem Briefe an Mutter anzuführen, daß Philip mir (17. April) von Mailand aus schrieb, daß er drei Briefe nach einander nach Haus geschrieben, von denen er dächte, daß sie verloren gegangen und damals noch den vierten abgehen lassen wollte. Er hatte darin um Erhöhung des Creditbriefs gebeten.


Rom d. 11. Mai 1793.


Gestern Abend erhielt ich Ihren Brief vom 18. April und las ihn, soll ich Ihnen sagen, mit welchen Empfindungen! Meine Briefe vom 26. Apr. und 4. Mai an Ihre theure Mutter, bei welchem erstern einer an Sie war, werden bei Ihnen angekommen seyn, also Ihnen gesagt haben, daß mein Schmerz über den Verlust unserer unvergeßlich lieben Lotte unaussprechlich ist. Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief aus Florenz von Philip, vom 6. worin der mir seine Furcht über C[aroline] äußerte, auch, daß man ihm geschrieben, eine B[öhmer] sey mit der Wedekinden arretirt worden, wenn erstres nur nicht C[aroline] sey? – Wie mich nun darauf Ihre umständlichen Nachrichten betroffen haben müssen, mögen Sie selbst urtheilen. Ich weiß nichts darauf zu sagen, nichts zu rathen, nichts zu thun. Vielleicht ist jetzt schon geholfen und das würde eine Botschaft vom Himmel für mich seyn. Bei solchen Vorfällen ist es vergebens, sich über seine Empfindungen ausdrücken zu wollen. Auch weiß ich C. selbst in der That nichts zu sagen: Sie kennt mich. Ein Brief von mir käme nur aus fremden Händen zu ihr und da ist es unmöglich, mit Freimüthigkeit zu schreiben. Auch weiß Sie, daß ich nie in die Ideen eingegangen bin, die ihre jetzige Verlegenheit veranlaßt haben; selbst die entfernteste Vermuthung, als könne ich mir einen Vorwurf gegen sie erlauben, würde meinem Herzen abscheulich seyn. Meine ganze Lage erlaubt mir aber nicht, auch nur von weitem den Schein zu haben, als wäre ich im geringsten in diese Angelegenheit verflochten, den freilich mir auch meine Briefe nicht geben können, wenn sie mit andern ihrer Papiere in die Hände der Untersucher fallen sollten, weil ich von Anfang bis zu Ende mich sehr bestimmt gegen das ganze Unternehmen erklärt habe; noch einer der vorlezten meiner Briefe enthält eine Auseinandersetzung der Gründe meines Verhaltens. Es macht mich[106] wehmüthig, den Folgen dieser traurigen Entwicklung nachzudenken, weil ich eben so sehr für sie, als für mich selbst dabei leide.

Glauben Sie mir, liebe Louise, es gehen wenige Augenblicke im Tage hin, in denen ich nicht an die gute Mutter denke, mit einem so gepreßten Herzen, daß ich Trähnen haben möchte, um es zu erleichtern. Thuen Sie doch alles, um Ihr ihr Schicksal erträglicher zu machen; das sey jetzt Ihre einzige Bemühung. Freilich die Todte bedarf unsrer Hülfe nicht weiter; aber das ist das würdigste Opfer, das wir ihrem Andenken bringen, wenn wir denen, die sie liebte, ihre Mutter und ihr Kind, das doppelt geben, was wir bisher unter sie theilten.

Wenn es Ihnen möglich ist, so lassen Sie mich bald das haben, worum ich zu Lottens Andenken bat. Wir gehen Ende dieses Monats von hier um fürs erste in Como oder an sonst einem Orte in der Lombardei zu bleiben; Gen. v. Gmelin besorgt aber immer unsre Briefe, wo wir auch seyn mögen. Meine Gesundheit ist noch nicht wieder fest und sicher, ich habe diese Woche drei Tage am Fieber und Bräune im Bette zugebracht und mein Podagra rührt sich auch wieder; ich gebe jetzt fast die Hoffnung auf, je recht gesund zu werden.

Sagen Sie dem guten Dieterich, den ich herzlich, herzlich bemitleide, viel Freundschaftliches und Teilnehmendes von mir. Grüßen Sie auch seine Eltern, die sehr gebeugt seyn müssen. Nicht immer thut eine solche Zerstreuung gut; mir macht sie wenigstens uebel ärger.

Bleiben Sie mir ferner gut, liebe Louise, unser Haufe schmilzt zusammen, wir müssen desto fester an einander rücken. Wenn nur C. Gesundheit nicht einen unwiderbringlichen Stoß empfängt! Ich fürchte sehr. Sprechen Sie mir umständlich von allem, ich nehme ja so innigen Antheil. Leben Sie recht wohl, ich bleibe ewig wer ich war.

T.


H.v. Hanstein trägt mir ausdrückl. auf Ihnen seine Empfelung zu machen.


Rom d. 30. Mai 95.


Ihren lieben Brief v. 28. Apr. habe ich erst am 22. ds. meinem Geburtstage erhalten und war mir ein sehr angenehmes Angebinde. Mir[107] machts wahre Freude zu sehen, liebe Louise, daß Ihr netter Wohnort Ihnen nicht mißfallen hat. Wir wollen für jetzt dabei stehen bleiben und nicht die Zukunft zu errathen suchen, weil die doch fast nie das wird was wir uns vorstellten und so gern ich auch an Ihrer freundschaftlichen Hand mich in sie einführen lassen möchte, doch so wenig Licht auf meiner Bahn sehe, daß ich fast den Fuß nicht aus der Stelle bringen kann. Geben Sie einliegenden Brief doch Carolinen und Ihrer theuren Mutter meinen warmen Gruß; daß Sie erstre stärker gefunden, als Sie vermutheten, hat mir vielen Trost gegeben. Empfelen Sie mich gelegentlich Marianne; ich werde Heynen bald selbst schreiben. Gustav Ayrer ist noch hier, bei dem mir oft mancherlei Dinge aus unserm vergangnen Leben einfallen; auch durch ihn erfahre ich noch zuweilen göttingische Sachen, da sonst keiner, oder doch nur selten einer an mich schreibt. Wir, scheint es, bleiben diesen Sommer ruhig in Rom; des Prinzen Gesundheit ist vortrefflich; wenn Sie ihn sähen, würden Sie schwerlich glauben, daß es derselbe ist, den Sie ehmals kannten. Wir alle aber gewöhnen uns so sehr an dieß schöne Klima, daß wir fast verzweifeln, in dem unsrigen ohne große Unbequemlichkeit künftig leben zu können und ich besonders habe sehr wenig freudige Vorstellungen davon. Meine Gesundheit ist auch vorzüglich gut, ob ich gleich im Winter am Podagra leide. Wo uns aber auch das Schicksal einst wieder zusamenführt, werden Sie in mir immer den ehmaligen Freund wiederfinden, der wahrlich nicht gewohnt ist, der Zeit oder Entfernung seine Empfindungen für andre zu unterwerfen. Grüßen Sie Philip vielmals, und lassen Sie ihn wegen seines künftigen Schicksals unbesorgt seyn, Philip wird es immer gut gehen, weil er brav und geschickt ist; auch machen die, welche bei Gelegenheiten wie die seinige ist, gebraucht werden, nie eine schlechte Figur in der Welt. Ihre Briefe hieher durch d.H. General v. Gmelin in Frankfurt, oder auch grade zu mit der bloßen Adresse meines Namens: auprès de S.A.R. le Pr. Aug. recommandé à Mr. Jenkins kommen mir immer richtig zu Händen.

Leben Sie recht wohl, ich bin ewig und unveränderlich

Ihr Freund

G.T.

Quelle:
Wiedemann, Luise: Erinnerungen von Luise Wiedemann, geborene Michaelis, der Schwester Carolinens. Nebst Lebensabrissen ihrer Geschwister und Briefen Schellings und anderer, zum ersten Mal herausgegeben von Julius Steinberger, Göttingen 1929, S. 104-108.
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