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[38] Wie eng Sitte und Sittlichkeit zusammenhängen und wie erstere eigentlich nur zusammengezogener Begriff und äußere Form der letzteren ist, zeigt sich nirgends klarer als in der Familie und im Verhalten der einzelnen Familienmitglieder zu einander. Gewiß kann sich auch hinter feinsten Lebensformen niedere Gesinnung und Erbärmlichkeit bergen, aber nur im gesellschaftlichen Verkehr wird es möglich sein, durch diese Maske zu täuschen. Daheim in der Familie behält niemand diese Maske vor, sicher nicht immer vor. So bricht die wahre Natur eines jeden durch und nur der sittlich gute Mensch wird sich stets und unter allen UUmständen der guten Sitte befleißigen, weil sie eben ein Ausfluß seines geistigen Seins und ihm demnach zur zweiten Natur geworden. Aber auch im umgekehrten Fall kann strenge Aufrechterhaltung der guten Sitte veredelnd auf das sittliche Empfinden des Menschen wirken und was anfangs[38] lästig empfundener Zwang war, wird alsbald zum Bedürfnis und zum wesentlichen Faktor körperlichen und seelischen Wohlbefindens werden.
Der Schoß der Familie ist die Pflanzstätte aller guten und edlen Keime im Menschen, der Nährboden aller Civilisation. Und darum sollte man gerade in der Familie die gute Sitte hochhalten, und die äußere Form zum Gefäß werden lassen für den köstlicheren Inhalt: Sittlichkeit.
Leider begegnet man oft der entgegengesetzten Ansicht. Es giebt Menschen, welche die seine Form vollständig beherrschen, sie aber nur im Verkehr mit Fremden anwenden und meinen, zu Haus in der Familie könne man ihrer entraten. Nichts so verkehrt, als diese Ansicht. Was uns bei fremden Leuten nötig erscheint, sollten wir unseren Angehörigen, also den liebsten und nächsten Menschen, vorenthalten? Gute Sitten erleichtern und verschönern das Miteinanderleben und gerade da, wo es sich am innigsten gestalten soll, also in der Familie, sollte man dieses große Hilfsmittel für entbehrlich halten? Wie wenige geben sich Mühe, diesen ebenso einfachen als natürlichen Schlußfolgerungen nachzudenken und nachzuleben!
Es gehört nur ein wenig Selbsterziehung dazu, sich stets guter Lebensformen zu befleißigen und jedes Familienmitglied muß solche an sich üben. Allen voran selbstverständlich der Hausherr. Wie dieser die erste und gewichtigste Stimme in der Familie hat, so wird auch sein Beispiel bestimmend auf das Verhalten[39] der Übrigen wirken. Gleichmäßig freundliches Wesen, ein energisches Niederzwingen von Launenhaftigkeit oder auch der Sorgen und Unruhen, welche Beruf und der Kampf mit der Welt mit sich bringen, wird ein zwar schwer zu erringendes aber darum um so größeres Verdienst des Mannes sein. Auch in Ordnung und Pünktlichkeit diesen Grundpfeilern der guten Sitte in der Familie gebe er ein leuchtendes Beispiel. Ordnung und Pünktlichkeit im Kommen und Gehen bei den Mahlzeiten, im Beruf, bei Einnahmen und Ausgaben, wird das alte goldene Sprichwort, daß Ordnung das halbe Leben sei, immer wieder wahr machen; das Leben erleichtern werden diese Tugenden gewiß. Pünktlichkeit ist nur erweiterter Begriff für Ordnung; ein Außerachtlassen derselben kann die Behaglichkeit der ganzen Familie stören und in das musterhafteste Hauswesen Unruhe und Verwirrung bringen. Nur ein Fall für viele. Die meisten Herren halten es durchaus nicht für ein schweres Vergehen, dann oder wann später zu den Mahlzeiten zu erscheinen – was schadet es denn, wenn das Essen ein halbes oder auch ein Stündchen später eingenommen wird? O nein, ein Verbrechen ist's gewiß nicht! Daß Frau und Kinder, an bestimmte Speisezeit gewöhnt, einen recht plebejischen Hunger empfinden, das Essen erkaltet oder verbrennt, die Köchin unthätig umhersteht und nachher mit der Küchenarbeit um so viel später fertig wird, wodurch wieder andere Arbeiten liegen bleiben, – alles das schadet eben weiter nichts![40] Was aber der Herr und Gebieter selbst als Schaden empfinden dürfte, ist das verdorbene Essen und die verdorbene Stimmung der Hausfrau. Denn so wenig die kluge und wohlerzogene Frau um solcher Unpünktlichkeit willen gleich eine Scene machen wird, so wenig dürfte sie trotz aller Selbstbeherrschung verhindern können, daß der Ärger darüber sich irgendwie äußert und sei es in weniger freundlicher Miene oder verminderter Gesprächigkeit als sonst. Und das ist menschlich und begreiflich, denn die eine Stunde Verspätung kann die Hausordnung und Arbeitseinteilung eines ganzen Tages über den Haufen werfen.
Aber nicht nur höfliches und freundliches Wesen, Ordnung und Pünktlichkeit lasse sich der Hausherr, wes Standes er immer sei, angelegen sein, sondern auch Würdigkeit der äußeren Erscheinung. Niemals zeige er sich in unvollkommenem oder vernachlässigtem Anzug. Bequem, bis zu den Schuhen herab kann die Hauskleidung ja sein, aber Schlafrock und Pantoffeln sind eigentlich nur Greisen gestattet und auch diese verzichten oft freiwillig darauf, wie Kaiser Wilhelm der Erste bewies, welcher dergleichen nie gekannt.
»Ja, ein Kaiser!« sagt da vielleicht mancher. »Ein solcher hat sich eben immer dem Zwang der Etiquette zu fügen.« O nein. Auch Fürsten haben ihre Mußestunden, in denen sie Mensch sein dürfen; aber strenge Gewöhnung von Jugend auf, ein Unterordnen der eigenen Neigungen – zu welchen ja auch der Wunsch nach Bequemlichkeit und Sichgehenlassen gehört –[41] den Anforderungen der Pflicht gegenüber, lassen bevorzugte Sterbliche garnicht als Zwang empfinden, was doch jedem anderen Menschen als solcher erscheinen würde. Gewöhnung und Selbsterziehung oder auch Selbstbeschränkung sind aber sehr bedeutende Faktoren weiser Lebenskunst und die Grundlage aller guten Sitte. Und darum übe gerade der Hausherr diese Tugenden täglich neu, schon um des guten Beispiels willen. Gelegenheit dazu ergiebt sich übergenug; wir brauchen nur den einen Fall anzuführen, der unter hundert Fällen bei neunzig zutreffen wird: daß der Herr eben ein leidenschaftlicher Raucher ist. Da während der Berufsthätigkeit gewöhnlich auf dies Vergnügen verzichtet werden muß, ist es sehr naheliegend, sich in den häuslichen Mußestunden zu entschädigen, dort Cigarren oder gar Pfeife nicht aus dem Munde zu lassen und die ganze Wohnung in jenen angenehmen beißenden Dampf zu hüllen, dessen Dichtigkeit sich unter Umständen bis zum Zerschneiden steigert. Hier weise Selbstbeschränkung zu üben, ist eine Forderung der Billigkeit; denn wenn auch keine verständige Frau das Rauchen des Gemahls nur auf dessen eigenes Zimmer beschränken wird und gern die Cigarre im Wohn- und selbst in ihrem Zimmer gestattet, so darf doch diese Duldsamkeit nicht allzuweit ausgenutzt werden, schon aus sanitären Rücksichten, denn zuträglich ist Rauch und Qualm weder Kindern noch Erwachsenen.
Noch schwerwiegender in ihren Folgen ist die Pflicht des Gatten und Vaters, darauf zu verzichten, in den[42] abendlichen oder festtäglichen Mußestunden ausschließlich sich selbst gehören, das heißt, ungestört ruhen zu wollen. Es scheint so durchaus natürlich und berechtigt, daß der Hausherr, müde und abgespannt von angestrengter Tagesarbeit, sich abends bequem auf sein Sofa legt, zu Buch und Cigarre greift und es seinen Angehörigen überläßt, die Erholungsstunden auf ihre Art und nach den Neigungen eines jeden zu verbringen. Solange die Kinder klein sind und früh zu Bett gebracht werden, hat ja nur die Gattin unter diesem absoluten Ruhebedürfnis des Gatten zu leiden. Die deutsche Frau wird da nun in den meisten Fällen sich in anregender oder nützlicher Thätigkeit Ersatz für die entzogenen Plauderstunden zu schaffen wissen, viele aber werden der Versuchung nicht widerstehen können, diese Abende nach und nach bei einer guten Freundin, im Theater oder sonst irgendwo zuzubringen und der Gemahl darf sich nicht wundern, wenn durch seine Bequemlichkeitsliebe der erste Riß in das bisher glückliche Familienleben kommt.
Wachsen aber die Kinder heran, so wird die Pflicht des Vaters, sich täglich einige Stunden der Familie zu widmen, noch ernster und weittragender. Hier im zwanglosen Sichgeben kann er am besten die Geheimnisse der Kinderseele erforschen, die Anlagen und Neigungen seiner Kinder kennen lernen, sowie durch Wort und Beispiel auf sie wirken. Und werden die Söhne älter, wie viel Gefahren, die namentlich in der Großstadt überall lauern, können sie einfach durch die Gewohnheit[43] und die bestimmte Forderung des Vaters, die Abende mit ihm vereint in der Familie zu verbringen entzogen werden. Selbstverständlich können und müssen Ausnahmen eintreten, durch Vergnügen, gesellige Pflichten oder andere Abhaltung bedingt denn niemand soll sich zum Sklaven seiner Familie oder Erziehungspflichten machen. Aber an allen freien Abenden – und man hat dafür zu sorgen, daß deren nicht zu wenige werden, – sollte der Familientisch vollzählig von den Familienmitgliedern besetzt sein und selbst dringende Arbeiten dürften nicht als Entschuldigung für Fern bleiben des einen oder anderen gelten. Sie mögen auf andere Tagesstunden verteilt werden, die Zeit nach dem Abendessen muß dem Familienleben, der Pflege von Herz und Gemüt gehören. Wenn aber Ruhebedürfnis des Mannes schon nicht Grund sein darf, die Abende den Seinen zu entziehen so gilt dies viel mehr noch von der Gewohnheit vieler Herren, die abendlichen Mußestunden ständig außer dem Hause, sei es nun in der Bier-oder Weinstube, beim Zeitungslesen oder am Skattisch zu verbringen. Wer ein Heim und eine Familie hat, sollte der ernsten Pflichten gegen beide nimmer vergessen.
Wir schreiben kein Erziehungsbuch und wollten an diesem einen Hinweis nur zeigen, wie bedeutsamen Einfluß Aufrechterhaltung der guten Sitte auf Entwickelung der Sittlichkeit zu üben vermag.
Wie aber der Mann das Haupt der Familie, so ist die Frau das Herz derselben. Der Mann hat die[44] Vertretung nach außen hin, die – oft sehr schwere – Sorge für Erhaltung der Familie und des ganzen Hauswesens – die Frau für das innere Gedeihen zu haften. Welch' ein kleines und doch so großes Reich, das da ihrer Oberhoheit unterstellt, welch ein schweres und doch so segensvolles Amt, das auf ihre Schultern gelegt!
Leider haben nur sehr wenige Frauen eine Ahnung von der schweren Verantwortung, der hohen sittlichen und selbst sozialen Tragweite, welche die Schließung eines Ehebündnisses nach sich zieht. Die meisten wiegen sich in rosenroten Illusionen und vermeinen, der Besitz eines geliebten Gatten gebe die Anwartschaft, schon hier auf Erden im Paradiese zu leben – eines Paradieses allerdings, in dem nicht völlige Gleichheit herrscht. Denn Engel soll es darin geben – die Frauen. Und Anbetung und Lobgesang darf auch nicht fehlen – das haben die Eheherren zu besorgen. Im übrigen aber sollen dieselben Sklaven sein, die dem Pantoffel Ehrerbietung zu erweisen haben.
Es ist ein schwerer Fehler bei Erziehung unserer Töchter, daß diese nicht genügend auf den einstigen Beruf der Gattin und Mutter vorbereitet, ihnen die schwere Verantwortung desselben nicht genügend klar gemacht wird. Da nimmt man tausend Dinge in den Lehrplan auf, die vergessen und verflogen sind, sobald der Unterricht ein Ende – für das Leben aber mit seinen vielfältigen Anforderungen werden sie so gut wie garnicht vorbereitet.[45]
Gewiß wird nicht jedes Mädchen Gelegenheit haben ihre Schulung für die Hausfrau und Mutter zu bethätigen. Aber auch wenn es unvermählt bleibt, kann diese Kenntnis höchster Frauentugenden, als da sind Geduld, Pflichttreue, Selbstverleugnung, Opferwilligkeit, ihm nie zum Schaden, sondern nur zum Nutzen gereichen.
Denn all diese genannten Tugenden und noch einige weitere mehr bilden den Nährwert des Bodens, auf dem allein eine glückliche Ehe gedeihen kann. Und liegen die Verhältnisse noch so günstig, sind sowohl materielle Sorgen als andere Kümmernisse ausgeschlossen – nie wird die Ehe ein leichtes, tändelndes Dahinleben sein, wie unsere Jungfrauen es träumen.
Sie darf es auch nicht sein, falls alle hohen sittlichen Forderungen, welche man an die echte, rechte Ehe zu stellen berechtigt ist, erfüllt werden sollen. Als höchste sittliche Vereinigung von Mann und Weib bei Kulturvölkern, soll diese Gemeinsamkeit zu Zweien nicht nur das eigne, sondern auch das Gemeinwohl im Auge haben und schon durch gutes Beispiel sittlich wirken. Jede rechte Ehe ist ein kleiner Staat, in dem der Mann König, die Frau erster Minister ist und die in ihrer Gesamtheit die Stützen des Staats bilden, da sie als Pflanzstätten der Sittlichkeit und aller menschlichen Tugenden zu betrachten sind.
Das wäre nun allerdings die eheliche Gemeinschaft in ihrer idealsten Vollendung und wir wissen leider nur zu genau, daß nur ein verschwindend kleiner[46] Bruchteil je eine solche erreicht. Aber diese hohe Bedeutsamkeit der Ehe sollte doch immer wieder betont und namentlich der Frau als höchstes Ziel vor Augen gehalten werden, da ihr selber eine so gewichtige Rolle bei Erreichung desselben zufällt. Der Frau liegt es ob, Hüterin der guten Sitte in der Familie zu sein, da der Mann meist durch Berufsthätigkeit den größten Teil des Tages vom Hause fern gehalten sein wird. Wie in allen Dingen aber ist auch hier gutes Beispiel die beste Erziehungsmethode für Kinder und Dienstleute. Ein ruhig freundliches, besonnenes Wesen, eine treue Pflichterfüllung, Ordnung und Pünktlichkeit soll die Frau vor allen anderen auszeichnen und alles, was mit Bezug darauf für den Hausherrn gesagt worden, gilt für sie in geschärftem Maße. Zu jeder Tageszeit sauber und kleidsam, wenn auch häuslich einfach gekleidet, muß sie auf alle und alles im Haushalt acht haben, ohne viel Wesens davon zu machen. Je weniger es für andere bemerkbar, um so besser. Natürlich haben wir hier nicht die große Dame im Auge, die über ein Haus und eine Schar von Dienern gebietet, sondern die deutsche Hausfrau in gut bürgerlichen Verhältnissen. Wo das Hauswesen auf größeren Zuschnitt berechnet, werden sich auf der Basis hier gegebener Andeutungen leicht erweiterte Bestimmungen feststellen lassen.
Wenn Kinder und Dienstboten wissen, daß unsichtbar ein helles Auge über ihnen wacht, werden sie von selber vermeiden, sich Unregelmäßigkeiten zu schulden[47] kommen zu lassen. Gerecht in allen Dingen, im Haushalt sparsam, ohne geizig zu sein, selber thätig, soweit Neigung oder Notwendigkeit es erheischen, beherrscht und geduldig – so soll eine Hausfrau die es ernst mit ihrer Aufgabe nimmt, sich schon äußerlich dar stellen, denn nur äußere Wirkung haben alle diese Vorzüge. Die höchste und edelste Aufgabe der Frau bleibt doch, den Kindern eine fürsorgliche Mutter dem Gatten eine seelische Gefährtin zu sein, die nicht nur seinem Hauswesen in gedeihlicher Weise vorsteht, sondern auch an seinem Innenleben seinen Sorgen und Freuden, seinen Erfolgen und Kümmernissen teil nimmt. Nicht sie soll stete Rücksichtnahme auf sich verlangen, sondern solche dem Gatten entgegenbringen. Der Kampf ums Dasein, um die äußere Existenz, den doch die meisten Männer zu kämpfen haben, ist schwer gewesen zu allen Zeiten und ist in der Gegenwart vielleicht schwerer als je. Die Frau der besseren Stände bleibt davon verschont, die der niederen hat leider ihr Teil daran; das sollte erstere nie vergessen und dem Gatten, der abgehetzt von des Tages Last heimkehrt, stets liebevoll und freundlich entgegentreten, ihm unangenehme Mitteilungen nach Möglichkeit ersparen oder sie doch schonend und zu rechter Zeit machen. Friede und Behaglichkeit des eigenen Heims umfange den Gatten täglich aufs neue in herzerfrischender Weise. Pünktlich sei das Mahl, das bei aller Einfachheit doch gut bereitet sein kann, fertig, heitere Unterhaltung belebe dasselbe und nie sollte[48] es unter mürrischem Schweigen oder gar bei unliebsamen Erörterungen eingenommen werden. Wünscht der Gatte ihre Gesellschaft, eine beratende Besprechung oder einen Ausgang zu einer Zeit, die sonst häuslicher Thätigkeit oder den Kindern gewidmet, mag sie ohne Scrupel die gewohnte Tagesordnung einmal verlegen – Unmögliches wird ein verständiger Mann ja nicht verlangen. Jedenfalls darf die Frau nie vergessen, daß der Gemahl die ersten und höchsten Ansprüche an sie hat, seine Wünsche allen andern vorangehen, immer vorausgesetzt, daß diese nicht zu unberechtigten werden.
Nicht leicht ist hier die Grenze zu halten; eine derartig pflichttreue und aufopferungsfähige Gattin, wie sie das Ideal der deutschen Hausfrau, wird nur allzuhäufig in den Fehler verfallen, das eigne Sein ganz dran zu geben und sklavisch selbst den Launen und unberechtigten Wünschen des Gatten nachzuleben. Ein Zuviel aber kann hier ebenso verderblich wirken und vielleicht noch weittragender in seinen Folgen sein, als ein Zuwenig. Nie soll die Frau der eigenen Würde vergessen, nie auch, daß sie die gleichberechtigte Gefährtin des Mannes und nicht seine Sklavin ist. Allen zu weit gehenden Ansprüchen, wie verwöhnte Hausherren sie oft zu stellen belieben, sollte ein ruhiger aber unerschütterlicher Widerstand entgegengesetzt werden. Wenn dies einigemal geschehen, wird der Gatte die Nutzlosigkeit seines Bemühens einsehen und sich fügen. Zu lauten Auseinandersetzungen,[49] vielleicht gar vor Kindern, Dienstboten oder Fremden, darf es in gebildeten Familien nie kommen. Meinungsverschiedenheiten, die auch in der glücklichsten Ehe nicht zu vermeiden sein werden, sind unter vier Augen auszutragen, daran haftende Verstimmungen aber niemals anderen kenntlich zu machen.
Gewöhnlich wird es ja nur die Frau sein, die in solchen Fällen durch Duldung und Selbstverleugnung das äußere Gleichgewicht herzustellen hat – ebenso das viel schwerer zu erlangende innere. Das Bewußtsein erfüllter Pflicht aber wird auch hier ihr schönster Lohn sein.
Mit gleicher Liebe und Fürsorge wie den Gatten wird die echte deutsche Frau auch die Kinder umfangen. Nie überlasse sie dieselben fremden Leuten allein, selbst wenn ihre Mittel erlauben, sich in ausgiebigster Weise höheres und niederes Dienstpersonal für dieselben zu halten. Mutterliebe und Muttersorge wird nie ganz durch Fremde ersetzt werden können. Sie prüfe und überwache alles, was die Kleinen angeht, stets selbst wie sie wenigstens einige Stunden des Tages für den Verkehr mit ihnen übrig haben muß, und sei sie noch so überbürdet mit Pflichten aller Art. Nur in persönlichem Verkehr kann sie die Seelen der Kinder, ihre verschiedene Beanlagung und Neigungen kennen lernen, nur dadurch die Kleinen in Liebe an sich ketten. Aber auch ihnen gegenüber sei sie, genau wie beim Gatten: mild, gütig, gerecht, dazu fest und streng, wo solches geboten.[50]
Was nun die Thätigkeit der Frau im Hauswesen betrifft, so sind dafür natürlich bestimmte Regeln nicht aufzustellen, da sich dies ganz nach der Größe desselben sowie nach den Verhältnissen richtet. Wenn die Hausfrau nicht selber Hand anzulegen braucht, um so besser; sie wird sich den höheren Pflichten der Gattin und Mutter desto ausschließlicher widmen können.
Wenn wir nun aber in flüchtigen Zügen das Bild der deutschen Frau gezeichnet haben, wie sie sein soll, so könnten zur Verschärfung desselben wohl einige Andeutungen beitragen, wie sie nicht sein soll. Wir haben an anderer Stelle, als von Sauberkeit und Behaglichkeit der Wohnräume die Rede war, bereits mit wenigen Strichen gekennzeichnet, welch' eine Plage für die Familie eine vom Reinmacheteufel besessene Frau zu werden vermag und wie Glück und Behagen einer Ehe dadurch völlig zerstört werden können. Die umgekehrte Nutzanwendung ergiebt sich von selbst, denn Unordnung und mangelnde Reinlichkeit der Wohnung können dem Gatten ebenso das Heim verleiden, als eine stets nachlässig gekleidete Frau. Es ist nicht nur Pflicht, sondern einfach Gebot der Klugheit für dieselbe, ihre äußere Erscheinung nie zu vernachlässigen. Jugend und Schönheit gehen ohnehin nur zu schnell dahin und wenn mit dem Verlust dieser, dem Auge des Mannes wohlgefälligen Eigenschaften auch noch Mangel an sorgfältiger Körperpflege und gefälliger Kleidung sich einstellen, darf keine Frau sich wundern, wenn der sonst zärtliche Gatte gleichgültig und unfreundlich[51] wird und seine Liebe allmählich zu erkalten beginnt. So wenig ja echte Liebe von äußeren Sinneseindrücken und ästhetischem Gefühl allein bestimmt wird, ebensowenig kann sie dieser Attribute ganz entbehren. Die Frau soll sich schmücken, sich nicht nur für den Gatten schmücken, sondern auch für andere; denn darin ist auch der geistesgrößte Mann klein, daß er sozusagen Staat machen möchte mit seiner Erkorenen und selbst ein Schwärmer wird ernüchtert, wenn er sich der äußeren Erscheinung der Gattin zu schämen hat. Nicht alle Frauen können schön sein oder vielmehr, nur wenige sind es; ewig jung bleiben ist ebenso unmöglich. Stets aber schon durch sorgfältige Kleidung einen äußerlich angenehmen Eindruck hervorzubringen wird auch der Häßlichsten gelingen, wenn sie sich dies Bestreben angelegen sein läßt.
Ebenso aber hüte sie sich ins Extrem zu verfallen und eine putzsüchtige Modenärrin zu werden, die Zeit und Geld und ihre besten Interessen dem Kultus ihrer Schönheit und eleganten Erscheinung weiht. Vormittags in den Magazinen, um einzukaufen, nachmittags endlose Verhandlungen mit der Schneiderin, abends stundenlanges Liebäugeln mit dem Spiegel, um dann allerdings herrlich geschmückt und in strahlender Schöne an des Gatten Arm in Gesellschaft oder im Theater zu erscheinen – welches Hauswesen könnte dabei bestehen, welches Familienleben glücklich werden, ganz zu schweigen von den übertriebenen Anforderungen an die Kasse? Und es giebt solche Frauen – leider;[52] es giebt deren mehr, als man gewöhnlich annimmt!
Eine Schwester der Putzsucht aber ist die Gier nach Vergnügungen und beide gehen immer Hand in Hand. Denn wenn nun einmal die Wunderwerke an Toiletten da sind, muß doch auch Gelegenheit gegeben werden, sie zu zeigen; da sie die wohlgepflegte oder auch mit künstlichen Mitteln hervorgebrachte Schönheit der Trägerin erhöhen, so genügt es doch nicht, diese Schönheit vom Gatten allein bewundern zu lassen. Und wie überall, treibt auch hier eins das andere; so wie Eitelkeit die Führerin von Putz- und Genußsucht ist, werden Leichtsinn, Verschwendung und Gewissenlosigkeit deren Gefolge sein und alle diese Sünden nähren sich vom eignen Herzensfrieden der Befallenen, wie vom Glück der Ehe und dem Gedeihen der Familie. –
Oder aber die launenhafte, hypochondrische, kränkliche – mit einem Wort die nervöse Frau, der Typus unserer Zeit, die das fin de siècle gezüchtet. Des Morgens kann sie nicht aufstehen, um mit der Familie das Frühmahl zu nehmen, weil überreizte Nerven sie des Nachts nicht schlafen ließen; am Vormittag muß der versäumte Schlaf nachgeholt werden und erhebt sie sich endlich gegen Mittag vom Lager, so ist die Gnädige doch äußerster Ruhe und Schonung bedürftig. Alles im Hause muß auf Zehen schleichen, die Kleinen werden nach flüchtigem Gruß wieder auf ihr Zimmer geschickt, weil ihre kindlichen Spiele die[53] Mama »töten«; dem mittags heimkehrenden Gemahl tritt sie mit Duldermiene entgegen und erwartet natürlich, von demselben in zärtlichster Weise über ihr Befinden befragt und umständlich bedauert zu werden. Bei Tisch greift sie schon die Anwesenheit der Kinder an und auch die angenehmste Unterhaltung würde ihre Nervosität nur steigern. Nach der Mahlzeit stundenlange Ruhe und dann – ist die gnädige Frau gewöhnlich ganz frisch und gesund, rüstet zum Spaziergang oder Freundinbesuch und ist abends meist aufgelegt. Gesellschaft oder Theater zu besuchen.
Hier nur die bedeutungsvolle Frage: Und Familie und Hauswesen?
Gewiß, es giebt Frauen, die schwächlich und schonungsbedürftig sind und niemand verlangt, daß sie über ihre Kraft leisten oder gar gegen ihre Gesundheit wüten. Mit ein wenig Energie aber wird mancher Schwächezustand überwunden und alle Pflicht und Berufsthätigkeit bei vollkommenem körperlichen Wohlsein zu erfüllen, ist wohl nur wenigen vergönnt. Die meisten müssen lernen, auch ab und zu mit »schiefem Köpfchen« zu arbeiten und der Hausfrau Pflicht ist es, auch darin mit gutem Beispiel allen voran zu gehen.
Aber auch wenn es höheren und edleren Dingen gilt als den hier angeführten, wenn Ausübung eines künstlerischen Berufs oder ausgedehnte Teilnahme an humanen und wohlthätigen Werken es sind, welche die Frau ihrem Familienkreis entziehen, so ist auch[54] das nur bedingt entschuldbar. Jedenfalls müssen die Pflichten als Gattin, Mutter und Hausfrau allen anderen vorangehen, ohne das letztere ganz aufgegeben werden brauchen. Beides läßt sich sehr wohl vereinigen, nur muß man guten Willen, Pflichtgefühl und weise Zeiteinteilung besitzen, um den verdoppelten Ansprüchen genügen zu können.
Wenn so Mann und Frau, jedes in seiner Weise, aus der Tiefe sittlichen Pflichtgefühls heraus in vollem Umfang und nach besten Kräften ihre Schuldigkeit der Familie gegenüber erfüllen, so ergiebt sich aus dem harmonischen Zusammenklang alles dessen der gute Ton, die seine Sitte ganz von selbst. Und zwar nicht der gute Ton, der äußerlich und schematisch aus einem Lexikon angelernt wurde, sondern welcher aus der Seele strömt und der Ausfluß sittlichen Handelns ist. Und wieder haben wir hier den innigen Zusammenhang von Sitte und Sittlichkeit!
Ebenso aber entwickle man auch bei den Kindern von innen heraus das Gefühl für gute Sitte. Das erste und beste, was die kleinen Weltbürger in den ersten Lebensjahren zur gedeihlichen Entwickelung brauchen, ist sorgende Liebe – als Gegengabe dafür aber fordere man, sobald sich nur das leiseste Unterscheidungsvermögen in ihnen regt, Gehorsam. Eltern, welche reichlich Liebe geben, um dafür strengen Gehorsam zu fordern, wird das Erziehungswerk leicht werden. Später, wenn der Verstand sich mehr entwickelt, pflanze man in die jungen Herzen neben der[55] natürlichen Liebe zu den Eltern auch noch Ehrerbietung für dieselben und wenn diese beiden Gefühle vereint im Kindesherzen wohnen, wird der Gehorsam sich ihnen von selbst verstehen. Willig und gern werden sie alles thun, was man von ihnen verlangt, willig und gern sich zu guten Menschen heranziehen lassen.
Und früh fange man mit der Erziehung an. Früh lehre man sie Ordnung und Sauberkeit und gewöhne sie, auf Haar und Anzug, Gesicht und Hände zu achten, namentlich letztere ja jederzeit tadellos rein zu halten. Man schärfe ihnen schonendes Umgehen mit allen Gegenständen, ebenso das Vermeiden unnützen Geräusches ein. Kinder haben sich gegen Eltern, Fremde und Dienstboten stets höflich und freundlich zu benehmen und jeder Weisung ohne Murren und ohne Widerrede Folge zu leisten. Sind sie Trotzköpfchen, die selbst nach freundlicher wiederholter Ermahnung nicht gehorchen wollen, gehe man zu ernsten Strafen über, die in solchen Fällen Pflicht sind.
Sind die ersten goldnen Freiheitsjahre der Kleinen verüber und beginnt das schulpflichtige Alter, müssen verständige Eltern bestrebt sein, möglichst mit der Schule Hand in Hand zu gehen. Nie sollten letztere etwaigen Klagen über die Lehrer beistimmen, zum mindesten aber sich genau über den Sachverhalt unterrichten, bevor sie überhaupt ein Urteil abgeben. Ungehörige Äußerungen über die Lehrer sind niemals zu dulden. Wie die Eltern zu gedeihlichem Erziehungswerk[56] der Ehrerbietung ihrer Kinder nicht entbehren können, so auch nicht die Lehrer.
Eine der äußeren Formen solcher Ehrerbietung, auf die man streng zu halten hat, ist das Begrüßen der Eltern und anderer Familienangehörigen seitens der Kinder. Es hat dies morgens, abends vor dem Schlafengehen und auch zu den anderen Tageszeiten in gegebenem Falle, also beim Kommen und Gehen, zu geschehen: Die Form dieser Begrüßung ist nicht vorzuschreiben, da sie Geschmacks- und Gefühlssache ist und in jeder Familie ihren eignen, individuellen Ausdruck finden wird. In den ersten Lebensjahren ist es so natürlich, daß man die Kleinen herzt und küßt, später fällt das wohl allmählich fort; wenigstens ist das viele Küssen nicht jedermanns Geschmack Eine schöne Sitte, die leider mehr und mehr schwindet und sich jetzt nur noch auf vornehme Kreise beschränkt, ist die Gewöhnung der Kinder, den Eltern und älteren Verwandten bei Begrüßung die Hand zu küssen. Man sollte sie wieder einführen und auch mehr auf bürgerliche Kreise ausdehnen, denn sie ist durchaus geeignet, das Gefühl ehrerbietiger Unterordnung, das Kinder den Eltern schulden, zu befestigen.
Ob nun mit oder ohne Kuß, höflich und freundlich muß der Gruß immer sein, mag es sich nun um kleine oder große Kinder handeln. Geschieht es ja einmal, daß Eltern denselben überhören oder in Eile und Arbeitsdrang flüchtig, oder selbst garnicht erwiedern, so entbindet dies Kinder nicht von ihrer[57] Pflicht noch steht ihnen zu, Empfindlichkeit darüber zu zeigen. Nichts wäre verderblicher, als in ihnen von klein an das Gefühl der Gleichberechtigung großzuziehen und sie an das »so du mir, so ich dir« den Eltern gegenüber zu gewöhnen. Müssen letztere doch von vornherein auf den Gleichheitsstandpunkt verzichten und zwar insofern, als sie stets der gebende, nie der empfangende Teil sein werden.
Auch Fremden gegenüber gewöhne man Kinder schon früh an angemessene Art des Begrüßens. Nichts macht einen schlechteren Eindruck und giebt ein trüberes Bild von der Erziehungskunst der Eltern, als wenn Kinder scheu und verlegen dastehn und nicht zu bewegen sind, dem Gaste mit freundlichem Blick und dem üblichen Knix die Hand zu bieten. Noch schlimmer, wenn sie weinend sich in Mütterchens Kleiderfalten bergen oder gar davonlaufen – wie soll man wohl später auf große Kinder Einfluß gewinnen, wenn schon den kleinen gegenüber die elterliche Macht sich als wirkungslos erweist?
Lästig für den Besucher kann aber auch ein allzu dreistes und vielleicht stürmisch-zärtliches Kind werden, das den fremden »Onkel« oder die niegesehene »Tante« bedrängt und belagert und sich als Hauptperson aufspielt. Daß letzterer Fall nie eintrete, darauf haben Eltern und Erzieher besonders zu achten. Bei formellen Besuchen oder festlichen Veranstaltungen werden ja Kinder, falls sie überhaupt sichtbar werden, nur zur Begrüßung der Gäste auf kurze Zeit anwesend sein[58] dürfen, anders aber verhält es sich bei familiären Besuchen, die sich lange ausdehnen. Solche der Familie nahestehende Besucher nehmen ja auch an den Kindern warmes Interesse und es wird ihnen erwünscht sein, den Familienkreis vollständig versammelt zu sehen. Und da geschieht es bei überzärtlichen Eltern denn oft, daß die kleine Welt zum Mittelpunkt gemacht wird, sich die ganze Unterhaltung um sie dreht und ihnen alle möglichen Ungehörigkeiten erlaubt sind. Gelingt es dem Gaste dann endlich, das Gespräch auf ein anderes Interessengebiet zu lenken, wird er die nicht eben zur Behaglichkeit beitragende und gewiß wenig schmeichelhafte Entdeckung machen, daß ihm nur wenig, ja, fast gar keine Aufmerksamkeit zugewendet wird und die Gastfreunde nur gezwungen zuhören, da Blicke und alle eingestreuten Worte sich um die lieben Sprößlinge drehen.
»Ach, liebe Freundin, das ist ja sehr interessant, was Sie da erzählen,« sagt dann wohl Frau X. zu ihrem Gaste, während sie den Kopf nach der andern Seite wendet und dort ängstlich Hänschens Hantieren am Büffet beobachtet. »Das beste Bild der diesjährigen Ausstellung ist also – aber Hans, wirst du wohl die Hände von dem Krystall lassen!« Und sie fliegt auf und zu dem Jungen hin. »Das ist kein Spielzeug für Kinder – hier, nimm dein Bilderbuch! Verzeihen Sie, Liebste,« – zum Sofa zurückkehrend – »aber man darf Kinder nun einmal nicht aus den Augen lassen.« Wenn das nun so stundenlang fortgeht[59] und weder Gast noch Wirt auch nur minutenlang ungestört sprechen können, so wird auch der nervenstärkste Mensch nervös werden, den kleinen Störenfried hinwegwünschen und die Mutter nicht begreifen, daß sie ihn nicht längst entfernte. Von der Erziehungsmethode derselben aber wird er einen ebenso merk würdigen Begriff mit hinwegnehmen als von ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Bildung – des mangelnden Interesses für den Gast garnicht zu gedenken.
Daß Geschwister einander liebevoll begegnen, nicht neidisch und zänkisch, sondern wohlmeinend und verträglich sind, hat man vom frühesten Alter an sorgsam anzustreben. Lautes Gezänk sei ebenso verpönt wie boshaftes Necken. Die Brüder gewöhne man schon im zarten Alter, den Schwestern gegenüber besonders höflich zu sein und ihnen die kleinen Ritterdienste zu erweisen, die später der erwachsene junge Mann anderen Damen so gern entgegenbringt. Daß die Schwester darauf ein gleiches, ja, das erste Anrecht hat, vergessen die jungen Herren nur gar zu leicht und kann es daher garnicht genug eingeschärft werden.
Auch auf gute Haltung der Kinder ist streng zu achten. Wenn heutzutage auch nicht mehr wie zu Großmütterchens Zeiten – in England noch jetzt – eine kerzengerade Haltung Bedingung und beim Sitzen jedes Anlehnen streng verpönt ist, gilt doch immer noch gute Körperhaltung als ein Zeichen von Wohlerzogenheit, wie es nebenbei auch ein Beweis von Gesundheit und Kraft ist. Also Brust heraus, Schultern[60] zurück und Kopf hoch, meine jungen Damen und Herren! Und niemals rittlings auf dem Stuhl sitzen, mit diesem kippen und wippen oder gar mit den Beinen läuten! Niemals darf die junge Welt sich erlauben, in Gegenwart der Eltern oder anderer Respektspersonen in lässiger Haltung sich zu dehnen und zu strecken, laut zu gähnen oder dem Reiz zu heftigem Niesen nachzugeben – ist letzterer nicht zu unterdrücken und durch ein vorgehaltenes Taschentuch zu dämpfen, verlasse man lieber das Zimmer.
Es kommt ja für die heranwachsenden Söhne und Töchter leider eine Zeit, in der sie zu den genannten und vielen anderen nicht genannten Untugenden ganz besonders geneigt sind – die unvermeidlichen Flegel-und Backfischjahre. In dieser Periode wird das Erziehungswerk ganz besonders schwer sein und die meisten Eltern, deren Mittel es gestatten, wälzen die schwere Pflicht in dieser Zeit gern von ihren Schultern, indem sie die Söhne oder Töchter – letztere zumeist – in eine Erziehungsanstalt geben. Auch abgesehen vom Bequemlichkeitsstandpunkt hat das ja mancherlei für sich und wird nicht nur die Eltern entlasten, sondern auch den Kindern in vielen Dingen zum Nutzen gereichen. Das Erziehungsregiment wird gewöhnlich straffer und strenger geübt als im elterlichen Hause, die jungen Weltbürger lernen andere Verhältnisse kennen und werden nach der Rückkehr in die Familie all das hier empfangene Gute, das vorher als selbstverständlich hingenommen und kaum gewürdigt wurde, besser zu schätzen wissen.[61]
Nur sei man äußerst vorsichtig bei der Wahl der Anstalt. Viele derselben, die großen Ruf haben, nach außen hin vornehmen Eindruck machen und sich glänzender Erziehungsresultate rühmen, sind trotzdem nicht geeignet, segensreich auf Herz und Gemüt der Zöglinge zu wirken, die gerade in diesen Jahren der meisten Fürsorge in Bezug auf seelische Beeinflussung bedürfen. Schon aus diesem Grunde allein würden wir die Wahl eines internationalen Pensionats nicht empfehlen, abgesehen davon, daß es doch wünschenswert, unsere Söhne und Töchter in heimischer Sitte erzogen zu sehen.
Also eine deutsche Erziehungsanstalt! Die wünschenswerte Beherrschung fremder Sprachen werden die Zöglinge auch hier erlangen können, da in jedem größeren Engländerinnen und Französinnen angestellt sind, oft auch noch andre internationale Sprachlehre durch Landesangehörige vermittelt wird.
Bleiben die Kinder aber im Haus, so haben Eltern und Erzieher in diesen Jahren der Unreife und halbvollendeter geistiger und körperlicher Entwickelung besonders scharf darauf zu achten, daß sich nicht der Geist der Auflehnung und des Besserwissens geltend mache, der gerade dann so gern sein Haupt erhebt. Wenn der gute Same, der in die Herzen der Kinder gestreut wurde, aufgegangen, wenn Liebe und Ehrerbietung gegen Eltern und Lehrer darin wohnen, wird es nicht schwer sein, auch dieser Gefahr zu begegnen – traurig aber und unabsehbar in seinen Folgen, wo es anders ist![62]
Aber auch auf Wahrung der äußern guten Lebensformen achte man in dieser Zeit strenger als je. Die Flegeljahre des angehenden »jungen Herrn« sowie die Backfischweisheit des Haustöchterleins sind dann stets geneigt, üppigste Blüten zu treiben, die energisch immer wieder beschnitten werden müssen. Bevor Kinder ganz erwachsen sind, mögen sie gern die Erwachsenen spielen und glauben dies am besten thun zu können, indem sie die Regeln des guten Tons, die doch nicht nur für die Kinderzeit, sondern fürs ganze Leben gelten sollen, rücksichtslos über den Haufen werfen.
Wohl werden manche Eltern hier den Mut verlieren und seufzen: »Soll wieder von vorn mit dem Erziehen angefangen werden, jetzt, da das Ziel bald erreicht zu sein schien?« Aber Geduld, auch diese Zeit der Gährung geht vorüber und mit der wirklich erlangten Reise haben normal veranlagte d.h. nicht aus der Art geschlagene Söhne und Töchter sich gewöhnlich wieder auf sich selbst besonnen und sehen ein, daß »Erwachsensein« eben nicht das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze, sondern gerade das Ablegen von kleinen und großen Unarten bedeutet.
Ist dieser Zeitpunkt erreicht, so wird sich der Sohn dem erwählten Beruf oder Studium widmen und nur die Mußestunden werden noch der Familie gehören können. Und hier gerade soll er am ehesten beweisen, ob aller Liebe und Erziehung Müh' nicht vergeblich gewesen und er sich als wohlerzogner junger Mann zu benehmen weiß. Was ihm als solchem[63] ziemt und nicht ziemt, darauf kommen wir später noch zurück, in diesem Abschnitt handelt es sich nur um sein Verhalten zur Familie und das ist genügend gekennzeichnet.
Bei der Haustochter liegen die Dinge nach Beendigung der Schul- und Lehrzeit anders. Während der Sohn von nun an dem Bann des Hauses und dem Familienkreis mehr entzogen wird, tritt die Tochter ganz in denselben ein, falls nicht die Verhältnisse, Neigung oder auch Erziehungsgrundsätze der Eltern es gebieten, daß auch sie sich irgend einem Beruf zuwendet. In einem späteren, der Frauenfrage gewidmeten Abschnitt sollen auch für weibliche Berufsthätigkeit Winke gegeben werden, hier wollen wir uns nur mit dem erwachsenen jungen Mädchen beschäftigen, das in der Familie bleibt.
Auch in solchem Falle wird ja noch ein großer Teil der Tageszeit der Ausübung mancherlei Studien sowie der Vervollkommnung in einigen Lehrfächern gewidmet sein. Die meisten Töchter aus guten und gebildeten Familien treiben Musik, Gesang, Malerei und kunstvolle Handarbeiten oder wozu Talent und Neigung sie immer befähigen. Nur sollen sie nicht vergessen – was leider in den meisten Fällen geschieht – daß alle diese Liebhabereien nicht getrieben werden, die Zeit angenehm hinzubringen und das eigne Leben zu schmücken, sondern daß die Resultate solcher Studien vor allem denen gehören, welche sie überhaupt ermöglichten, also den Eltern. Musik und Gesang[64] belebe den Familienkreis, Malerei und andre Handfertigkeiten benütze man, liebe Angehörige durch Geschenke zu gegebener Gelegenheit zu erfreuen oder das Heim zu schmücken. Ein junges Mädchen, das aus irgend einem Grunde unterläßt, ihre Kunstfertigkeit in den Dienst der Familie zu stellen, muß sehr herzlos und gemütsarm sein – von Unliebenswürdigkeit und Unerzogenheit garnicht zu reden!
Doch auch, wenn dieser Vorwurf die Haustochter nicht trifft, wenn Fleiß und ernstes Streben ihren Studien Gehalt geben und sich erfreuliche Ergebnisse feststellen lassen, darf doch nicht ihre ganze Zeit denselben gehören. Einige Stunden des Tages müssen, je nach den Verhältnissen, der Thätigkeit im Haushalt, der Unterstützung der Mutter und der Beschäftigung mit jüngeren Geschwistern gehören, wo solche vorhanden. Der Stundenplan, der für die Schule unerläßlich, ist auch im späteren Leben nicht zu entbehren, für die Haustochter gewiß nicht, denn nur so kann sie zu geregelter und ersprießlicher Zeitausnutzung gelangen und der Pflicht genügen, ihrer Mutter eine Stütze zu sein. Des Morgens pünktlich – und nicht zu spät! – verlasse sie das Bett und kleide sich sofort fertig an, wenn auch für die ersten Tagesstunden, besonders wenn im Haushalt Hand angelegt werden muß, ein bequemer, nie aber ein lässiger Morgenanzug gestattet ist. Mit ungeordnetem Haar darf sich ein junges Mädchen niemals zeigen.
Schon am Kaffeetisch kann der Mutter, besonders[65] wenn kleinere Geschwister zu versorgen sind, manche Mühwaltung abgenommen werden. Nach Beendigung des Frühmahls wird es gewöhnlich die Obliegenheit der Haustochter sein, in den vom Gesinde gereinigten Zimmern Ordnung zu machen, sowie Tuch- und Staubwedel energisch walten zu lassen, ohne je zu vergessen, daß die Zeit ein sehr kostbares Gut und nicht alle Tage Generalreinigung nötig – die zahllosen Nippes unsrer modernen Zimmer können und brauchen nicht täglich abgestäubt zu werden, wöchentlich einmal genügt da vollständig.
Ist dies geschehen und nichts weiter im Haushalt oder Küchengebiet zu helfen, auch keine Besorgungen zu machen, mag sich das junge Mädchen seinen Studien oder schöngeistigen Liebhabereien widmen, bis die Zeit des Mittagessens heranrückt. Wo der Haustochter nicht, wie z.B. in großem Haushalt bei beschränkter Dienstbotenzahl, das Amt des Tischdeckens obliegt, sollte sie doch nie versäumen, wenigstens vorher danach zu sehen, ob auch alles in bester Ordnung und nichts auf dem Tische fehlt. Wie unzuverlässig Mädchen, und seien es selbst geschulte Hausmädchen, gerade in Bezug auf das Tischdecken sind, ist bekannt. Wir werden später beim Hinweis auf die einzelnen Mahlzeiten Näheres über die Anordnung des Eßtisches angeben.
Ist das Mittagsmahl eingenommen und haben sich die Eltern, wie es gewöhnlich geschieht, zur Ruhe zurückgezogen, darf das Töchterlein wohl ihre Siesta[66] halten, indem es ein Lieblingsbuch zur Hand nimmt – nicht ohne vorher Sorge getragen zu haben, daß überall Ruhe herrsche und der Eltern Schlaf nicht gestört werde. Selber ein Mittagsschläfchen zu halten, sollte sich ein junges Mädchen nie gestatten – frische Jugend bedarf dessen nicht und die Zeit dafür kann viel angenehmer und nützlicher ausgefüllt werden.
Nach dieser kurzen Erholungspause mag zum Nähzeug oder anderer Hausarbeit gegriffen werden. Falls nicht dringende Arbeiten vorliegen, findet sich in den späteren Nachmittagsstunden gewiß Zeit zu einem Spaziergang in Begleitung der Mutter oder einer älteren Freundin, wenngleich es, besonders in der Großstadt, möglichst vermieden werden sollte, junge Mädchen ohne Begleitung älterer Personen Spaziergänge machen zu lassen. In Deutschland ist die Sitte in dieser Beziehung viel freier, als in anderen Ländern. In England, Frankreich und Italien eine junge Dame aus guter Familie allein auf der Straße – undenkbar! In Italien ist man sogar so weit gekommen, sogenannte Anstandsmütter stundenweis zu mieten, da die eigene Mutter nicht immer Zeit hat, die Tochter zu begleiten und eine Duenna nicht überall im Haushalt vorhanden.
In vornehmen Häusern, bei den Töchtern reicher Familien, die sorgsam vor jedem rauhen Luftzug des Lebens behütet werden, mag das ja auch ganz gut und löblich sein und Berechtigung haben, ebenso wie der Etikettenzwang an Höfen seine Berechtigung hat. Für breitere Volksschichten aber möchten wir doch[67] der Gewöhnung zur Selbständigkeit und freieren Bewegung auch in Bezug auf die jungen Mädchen, mehr das Wort reden und werden dies später noch ausführlicher begründen.
Um nun beim Tagesverlauf in der Familie zu bleiben, so wird die Abendmahlzeit nicht nur dieselben Ansprüche wie das Mittagessen an die Tochter des Hauses stellen, was Hilfeleistung und überwachende Fürsorge betrifft, sondern dieselben vermehren. Es gilt hier den Thee zu bereiten und die Anwesenden damit zu versehen, ein Amt, das jedes junge Mädchen voll freudigen Stolzes übernehmen wird, da es wie kein anderes Gelegenheit giebt, Gewandtheit, Anmut und liebenswürdiges Wesen zu entfalten.
Und dann, nach genossenem Mahl, folgen die schönen Stunden, welche dem Zusammensein der Familie und der Erholung nach des Tages Arbeit geweiht sind. Über die weittragende Bedeutung derselben haben wir bereits an anderer Stelle gesprochen und es gilt hier nur anzudeuten, wie viel gerade die erwachsene Tochter zu Belebung und Verschönerung derselben beitragen kann. Ihr heiteres Geplauder wird die Unterhaltung beleben, ihr frohes Lachen erfrischend ins Ohr der Eltern klingen. Gilt es, allgemein Interessantes vorzulesen, wird sie dies Amt zu übernehmen haben, wie es auch ihr meist zufallen wird – falls nicht mehrere Musikbeflissene in der Familie – durch musikalische Darbietungen die Angehörigen zu erfreuen. Nicht jede oder richtiger nur wenige[68] Haustöchter werden ja so hochbegabt sein, um musikalische oder gesangliche Kunstleistungen zu bieten, aber wie sehr auch ein einfaches Liedchen, ohne viel Kunst und Schulung mit frischer Stimme und Verständnis vorgetragen oder ein gut gespieltes, melodiöses Klavierstück, das auch ohne virtuosenhafte Technik wirken kann, zur Belebung und Anregung im Familienkreise beizutragen vermag, weiß jeder wohl aus eigener Erfahrung. Und wo eine Tochter weiß, daß sie den Eltern und Angehörigen damit Freude bereitet, sollte es Herzenssache für sie sein, garnicht erst die Aufforderung dazu abzuwarten, sondern freiwillig und freudig ihr größeres oder geringeres Können in den Dienst der Liebe zu stellen. Erst wiederholter Aufforderung und dann vielleicht noch mürrisch Folge zu geben, nimmt der Gabe jeden Wert und wirst ein eigenes Licht auf Charakter und Wohlerzogenheit des Haustöchterchens. Denn giebt es eine höhere Pflicht oder größere Freude für Kinder, als die Eltern durch Kunstfertigkeiten zu erfreuen, deren Erlangung doch ihnen in erster Linie zu danken?
Leider kommt es vor – obgleich es unglaublich klingt! – daß ein oder das andere verwöhnte Töchterchen weder Bitte noch Befehl der Eltern berücksichtigt, falls ihm eben nicht die Laune danach steht zu musizieren. Wo dergleichen traurige Zustände Platz greifen konnten, wird auch die Eltern ein Teil der Schuld treffen, weil sie das Erziehungswerk nicht im frühen Kindesalter mit Ernst und Strenge begonnen und[69] durchgeführt haben; ein paar Jahre Erziehungsanstalt thäten hier dem Töchterlein, auch wenn es noch so sehr erwachsen, herzlich Not. Denn wenn es nicht einmal die kleinen Wünsche der Eltern berücksichtigt, läßt sich unschwer übersehen, wie viel weniger es sich ernsteren Anforderungen derselben fügen wird – freilich zu eigenem Schaden. Noch immer gilt es: Ein guter Sohn, eine gute Tochter – ein guter Mensch. Ein guter Mensch aber ein glücklicher Mensch.
Wir müssen es bei diesem kleinen Hinweis bewenden lassen, immer berücksichtigend, daß wir kein pädagogisches, sondern ein Buch über gute Sitte und Lebensformen schreiben.
Das Verhalten in der Familie und der einzelnen Familienmitglieder zu einander wäre somit mit flüchtigen Strichen gezeichnet, weitere Ausführung dieser Andeutungen wird stets von den gegebenen Verhältnissen bedingt und wird in jedem Einzelfalle ihre besondere sein müssen.
Ehe wir jedoch von der Familie zum Hausgesinde übergehen, möchten wir noch mit wenigen Worten jener Zwischenglieder gedenken, welche in großen und weitverzweigten Haushaltungen vorhanden zu sein pflegen und zwar in Gestalt von Gesellschaftsdame, Hauslehrer oder Erzieherin. Gebildete Eltern werden sich diesen gegenüber eines ganz besonders höflichfreundlichen Wesens befleißigen, schon um ihnen Kindern und Dienstboten gegenüber Ansehen und Autorität zu verschaffen. Gerade letztere sind gern geneigt, alle,[70] die im Haushalt überhaupt Sold empfangen, als ihresgleichen anzusehen und leider giebt es auch Herrschaften, welche die Erzieher ihrer Kinder oder Hauspersonal in verwandten Stellungen als eine Art höheren Gesindes ansehen. In wirklich gebildeten Familien wird das niemals geschehen können, denn der wahren Bildung eint sich auch Humanität; sie wird höher als die Vorzüge vornehmer Geburt, höher als Rang und Reichtum den sittlichen Wert des Menschen, sein Wissen und geistiges Streben schätzen. Wo man aber Unterschiede gelten läßt, die für letztere ein Weniger bedeuten, wird echte Bildung zartfühlend genug sein, dies äußerlich in keiner Weise zu kennzeichnen.
Daß in England, bei dem so nüchtern und klar denkenden Volk, welches jede Art von Gelderwerb sonst sehr wohl zu schätzen weiß, Erzieher als höheres Dienstpersonal betrachtet und behandelt werden, ist bekannt; deutsche Erzieherinnen sollten sich das merken und es vermeiden, Stellungen in einem Lande anzunehmen, in dem sie eine nicht würdige Behandlung ertragen müssen.[71]
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