die Haustiere,

[100] welche in manchem Haushalt, namentlich bei kinderlosen Leuten oder einzelnen Damen, eine sehr gewichtige Rolle spielen, was sehr begreiflich. Denn wem Kinder versagt blieben oder vom Geschick auferlegt wurde, ganz einsam durchs Leben zu gehen, der wird, seinem natürlichen Liebedürfnis Nahrung zu geben, gern Haustiere[100] um sich sammeln, um lebende Geschöpfe zu haben und auf sie die liebende Fürsorge zu übertragen, welche sonst keine Bethätigung fände.

Für Liebe und Fürsorge keine Verwendung? fragt da vielleicht mancher. »Giebt es nicht Arme und Kranke in der Welt und Elend und Not zu lindern überall?« Gewiß! Und wir nehmen auch zur Ehre unserer Mitmenschen an, daß jeder nach Kräften bestrebt sein wird, helfend und lindernd einzugreifen, wo sich nur Gelegenheit dazu ergiebt. Aber einsam im eigenen Haus bleibt der Einsame deshalb doch, auch wenn sein Herz von edelster Menschenliebe erfüllt und Werke der Barmherzigkeit ihm die liebsten; etwas Lebendiges, Anschmiegendes, ihm selbst Zugehöriges will jeder gemütvolle Mensch um sich haben. Und Tiere sind so treu und dankbar für ein wenig Liebe und Pflege!

Aber nicht Einsamkeit oder der Wunsch nach Zeitvertreib allein veranlassen zum Halten der Haustiere, sondern oft auch ausgesprochene Liebhaberei, die wahrlich nicht zu den schlechten gezählt, in ihrer Übertreibung aber doch ausarten und lästig für andere werden kann. Gerade mit letzterem Punkt möchten wir uns ein wenig beschäftigen.

Die meisten leidenschaftlichen Hunde-, Katzen-oder Vögelliebhaber – von der Passion für Pferde ist hier nichts zu sagen, da sich dazu der edle Rennsport gesellt – setzen nämlich bei ihren lieben Mitmenschen a priori dieselben Neigungen voraus und vermeinen, auch bei anderen drehe sich alles um die genannten[101] Haustiere. Und wo deren garnicht vorhanden, wird doch ohne weiteres angenommen, der liebe Nächste müsse für die Tierlein, die man selber hält und ganz ins Herz geschlossen, dasselbe hochgradige, oft krankhafte Interesse bekunden. Es mag ja nun jeder seinen eigenen Passionen nach Belieben fröhnen, nur andere soll man nicht damit belästigen und so viel verständige Überlegung und Beschränkung besitzen, sich selber nicht lächerlich zu machen. Wenn Damen ihren Hund auf öffentlichen Promenadenwegen liebevoll an der Leine spazieren führen, von ihm fortgezerrt werden oder ihn fortzerren müssen und ihre ganze Aufmerksamkeit dem Tier zuzuwenden haben, so wirkt dies sicherlich nicht schön. Oder wenn man im Sommer in öffentlichen Gärten, oft in größerer Gesellschaft, Damen sitzen sieht, die sorglich ihren Pinscher auf dem Schoß halten, von jedem Ankommenden verlangen, daß er denselben zärtlich begrüße und dann abends bei eintretender Kühle das liebe Tier ängstlich in den eigenen Shawl hüllen, damit es sich nicht erkälte – der Komik solchen Gebarens wird sich kein Unbefangener verschließen können und es in Zukunft vermeiden, mit solchen Damen öffentlich zu erscheinen.

Nichts aber illustriert übertriebene und andere belästigende Tierliebhaberei treffender als nachstehende wahrheitsgetreue Schilderung einer Gratulationscour, die eine alleinstehende Dame anläßlich ihres Geburtstages empfing und die hierher zu setzen wir uns nicht versagen können.[102]

Frau von S. ist junge Witwe, im Besitz eines ansehnlichen Vermögens, einer prachtvollen Dogge, die das Entzücken auch von Nichtliebhabern erregt, ferner eines sprechenden Papageis und eines Dompfaffen, der »Hinaus in die Weite« zu singen vermag. Die genannten drei Tiere sind ihr Stolz, ihr Glück und ihre Welt und weshalb nicht? Niemand wird daran denken, ihr dies Vergnügen zu stören. Zum Geburtstag der Dame haben sich verschiedene Freundinnen glückwünschend eingefunden und sitzen nun, den Torten und süßen Speisen alle Ehre erweisend, um den zierlich gedeckten Tisch, mitten unter ihnen Pluto, die Dogge. Das prächtige Tier ist so groß, daß es sitzend mit dem klugen Kopf über die Tischplatte emporragt und, sich rechts und links wendend, bald den einen oder anderen Teller der Damen beschnüffeln kann, die zu thun haben, ihre Leckerbissen vor ihm zu retten. Die Herrin verweist ihm zwar ab und zu dies Betragen, jedoch in einem so zärtlichen Ton, daß Pluto dies eher als eine Aufforderung denn als ein Verbot auffassen muß – und das liebe Tier ist klug und weiß dabei Unterschiede zu würdigen!

Die dunkeln Sammet-, Seiden- und Spitzenkleider der Damen sind sämtlich mit hellen Haaren übersäet – Pluto ist nämlich eben im angenehmen Stadium des »Haarens« und hat die Spuren davon bei zärtlichem Anschmiegen an die Gäste überall zurückgelassen. Dann und wann gähnt er nicht eben sehr ästhetisch oder er brummt, daß es wie heraufziehendes Gewitter[103] grollt – die Herrin stört das durchaus nicht in ihrer liebenswürdigen Unterhaltung. Das heißt, soweit eine Unterhaltung überhaupt zu stande kommen kann, denn alle Augenblick ruft Lora, der Papagei, aus dem offenen Nebenzimmer: »Frau Anna, Frau Anna!« was von der genannten jedesmal mit einem zärtlich gerührten: »Was denn, mein Liebling?« beantwortet wird. Dann pfeift der Dompfaff, was ja gewiß sehr niedlich und drollig klingt, aber auch die Anwesenden, allen voran die Hausfrau, in andachtsvolles Entzücken versetzt.

Es kommen neue Gäste. Pluto muß jedem die Hand, d.h. die Pfote reichen, wozu er sich auch gnädig versteht. Die Glückwünsche der Ankommenden aber werden vom Geburtstagskinde alle mit der Bemerkung unterbrochen: »Wie schade, Verehrteste, daß Sie nicht etwas früher kamen – eben pfiff mein Dompfaff und das liebe Lorchen ist auch heut so aufgelegt, – recht, mir eine Geburtstagsfreude zu machen!«

Abermals ein Gast – diesmal eine zarte, schlanke Dame, augenscheinlich noch fremd in diesem Kreise: Pluto, der auch seine Sym- und Antipathien hat und solche sehr energisch zu bethätigen pflegt, scheint dieser Dame besonders gewogen, denn er erhebt sich, schreitet würdevoll auf sie zu, stellt sich auf die Hinterbeine, in welcher Haltung er über mannshohe Größe erreicht und legt die Vorderpfoten zur Begrüßung auf die Schultern der Eingetretenen. Die Dame weicht, blaß vor Schreck, zurück aber Frau von S. ruft ganz beglückt: »Nein, wie Ihnen Pluto zugethan, Baronin,[104] er ist aber auch heut zu lieb, zu lieb!« Währenddem beschnüffelt das liebe Vieh, an Größe die Dame weit überragend, eingehend von oben herab die Hutblumen der Baronin, die verängstigt und zitternd all' diese Auszeichnungen über sich ergehen läßt, bis die Hausfrau endlich den Gast zum Sitzen nötigt und Pluto zu sich ruft.

Da Lorchen und der Dompfaff augenblicklich schweigen, kommt endlich eine Unterhaltung in Fluß. Frau Direktor M. erzählt von der Klugheit ihres Spitzes, der leidenschaftlich gern mit einer Klingel spiele und dabei einen Heidenlärm vollführe und fragt dann die Rätin T., ob sie vielleicht den Mops der Frau X. kenne? Natürlich kennt die Rätin ihn – wer von den Damen des Kreises, die Baronin ausgenommen, kennt ihn nicht? Kugelrund vor Fett, sehr asthmatisch und rheumatisch, auch mit allerlei schlechten Angewohnheiten behaftet, aber sonst ein liebes Vieh, ein Original! –

Die Baronin stellt sich mit ihrer lebhaften Fantasie sofort diesen fetten, kugelrunden, asthmatischen Mops vor und kann vor Unbehagen keinen Bissen essen. Außerdem zerrt Pluto fortwährend an ihrem Spitzenkleid, ahnungsvoll schaut sie nieder, da richtig – drei große Risse! Die Hausfrau hat es bemerkt und lächelt ihr beruhigend zu: »O, wie schade – aber Pluto hat Sie nun einmal in sein Herz geschlossen! Ich schaffe mir nie mehr Spitzenkleider an, da er bereits mehrere derselben total zerfetzte – die paar[105] Risse aber wird Ihre Jungfer sehr schön ausbessern können. Was denn, Lorchen, mein Liebling?«

Ein schwarzumränderter Brief wird gebracht, Frau von S. greift mit leichtem Schreck danach. »Von Marie – doch keine Trauerbotschaft?« Auch Frau Rätin hat sich erhoben: »Der Joko unserer Freundin war recht krank, sollte er« –

»Aber mein Gott,« fragt die Baronin naiv, »ist es denn auch üblich, Papier mit Trauerrand zu benutzen, wenn ein Papagei gestorben?« Die Rätin sieht sie streng an: »Das ist Gefühlssache, meine Liebe!«

Inzwischen hat die Hausfrau den Brief der Freundin gelesen und berichtet, daß diese ihren Glückwunsch schriftlich sende, da Jokos Krankheit sie verhindere, persönlich zu erscheinen. Auch mache sie vom Ableben einer Schwägerin Mitteilung.

Die Rätin sieht sehr beruhigt aus. »Also darum das Trauerpapier;« meint sie. »Ich fürchtete schon, Joko« – –

Die Baronin erhebt sich hier etwas hastig und scheu, um nicht Plutos erneute Liebesbeweise herauszufordern.

»Ach, Sie wollen schon fort?« »Bedaure, habe noch andere Besuchspflichten heut Vormittag« – »Wie schade – mein Dompfaff hätte vielleicht noch gepfiffen.« »Habe vielleicht ein ander Mal den Genuß. Aber« – »Sie suchen etwas?« »Nur meine langen dänischen Handschuh – ich hatte sie doch hier neben meinen Teller gelegt« –[106]

Frau von S. ergreift eine Ahnung. »Pluto – wo bist du?« Ein Knurren aus der Ecke her antwortet. Sie tritt näher, sieht den Fußboden mit gelben Lederfetzen bestreut – nun wird ihr Lächeln doch etwas verlegen.

»Himmel, Pluto! Verzeihen Sie nur, Baronin, aber er ist nun einmal versessen auf Handschuhe. Darf ich mit einem Paar der meinigen aushelfen? Es sind zwar nicht dänische und Ihnen auch wohl etwas zu groß, aber in der Not, wissen Sie – was denn, Lorchen, mein Liebling?«

Die Baronin lächelt sauersüß, empfiehlt sich aber voll Haltung. Als sie die Thür öffnet, pfeift der Dompfaff hell: »Hinaus in die Weite« – alles lauscht entzückt und Frau von S. flüstert gerührt: »Nein, das liebe Vieh – welch' einen schönen Abschied Sie haben, Baronin!« – – –

Das wird wie eine boshafte Satire klingen und ist doch getreu nach dem Leben gezeichnet. Zum großen Glück wird eine derartige sklavische Tierliebhaberei – man könnte fast sagen »Vergötterung« – zu den Ausnahmen gehören, aber der Abstufungen dieser Passion bis zur verständigen, berechtigten Tierfreundlichkeit zurück sind gar mannigfache. Und die Moral der obigen Schilderung läßt sich in kurze Worte zusammenfassen: Man hege, pflege und erfreue sich je nach Neigung an Haustieren, aber man erziehe sie auch, soviel sie bei größerem oder geringerem Intellekt der Erziehung zugänglich.[107]

Die Passionen, die man selber hegt, setze man nicht ohne weiteres bei anderen voraus und vermeide, sie mit Dingen zu langweilen oder gar zu belästigen, die ihnen fern liegen.

Haustiere gehören unter keinen Umständen ins Empfangszimmer![108]

Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 100-109.
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