Die Kleidung des Menschen.

[247] Nachstehender Plauderei über Toilettenfragen – da ist es schon heraus, das undeutsche Wort, von dem es leider keine Übersetzung giebt, welche seinen vollen Sinn erschöpfte! – müssen wir einige Worte der Entschuldigung voranschicken, wenn es sich nicht vermeiden lassen wird, ab und zu eine weitere französische Bezeichnung anzuwenden, die bei uns Bürgerrecht erworben und sich nur schwer oder ungenügend, jedenfalls aber nur durch Umschreibungen, verdeutschen läßt. Als Beispiel diene da gleich das Wort »Taille«, das im vorigen Abschnitt wiederholt angewendet wurde. Als Bestandteil der Kleidung gedacht, läßt es sich ja allenfalls durch »Mieder« ersetzen, wie aber bezeichnete man wohl auf gut Deutsch den Körperteil, den wir gewöhnlich Taille nennen? »Gestalt« träfe nicht zu, da es die ganze Figur bezeichnet, auch nicht »Wuchs« – man müßte also sagen: »Der Teil zwischen Hüften und Brust.« Das[247] wäre aber ungefähr eine Übersetzung, wie sie die Verdeutschungsfanatiker der romantischen Litteraturperiode anwendeten, die bekanntlich Nase – als von nez abgeleitet – durch »Gesichtsvorsprung« verdeutschten – wodurch dann eigentlich unser gutes deutsches Taschentuch zum »Gesichtsvorsprungsreiniger« umgewandelt würde!

Bleiben wir also ruhig bei Taille, Toilette und manchem anderen Wort, das gerade bei Ausführungen über Kleidung schwer zu vermeiden sein wird, weil es sich in Deutschland allgemein eingebürgert und dies durch seine erschöpfende Bezeichnung auch verdient. Gut deutsches Fühlen wird dadurch weder beeinträchtigt noch verletzt werden und wer klug und lebensweise, entlehnt nicht allein von den Franzosen, sondern von allen Völkern, was uns gut, anwendbar, oder richtiger besser als das Heimische erscheint.

Die Kleidung des Menschen hat zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine hervorragende Rolle gespielt und ist Grund des Studiums, des Neides, der Übertreibung und oft des Vermögenverfalls gewesen. Keine Mode, und erschiene sie uns noch so lächerlich und übertrieben, die nicht schon dagewesen und noch übertrumpft worden wäre – keine alberne Geschmacklosigkeit, die nicht zu allen Zeiten Anhänger gefunden hätte! Und zwar waren es durchaus nicht die Frauen allein, welche die tollsten Allotria trieben – wir möchten da nur an die Mode der Pluderhosen in der Reformationszeit erinnern. In jener Zeit, da[248] sich die gewaltigste und einschneidendste Umwälzung auf kirchlichem Gebiet, die auch auf das staatliche Leben ihren Einfluß übte, vollzog, gab es doch Männer und wahrlich ihrer nicht wenige, die dem Studium der Pluderhose und den Geheimnissen ihres Faltenwurfs Nächte opferten und den Stoff nicht kostbar, die Ellenzahl desselben nicht groß genug bekommen konnten. Wie mancher arme Rittersmann verkaufte ein Stück Land oder einen Teil des väterlichen Erbes, nur um in weitbauschiger, die Figur möglichst entstellender Bekleidung seines untern Menschen vor der Angebeteten zu erscheinen und vielleicht so »geschmückt« als Freiersmann um das väterliche Ja werben zu können; wie mancher wanderte auf ungemessene Zeit in den Schuldturm, weil er das glücklich eroberte, ein kleines Vermögen kostende Kleidungsstück nicht bezahlen konnte! Es ist bekannt, daß gesetzliche Verordnungen gegen das Unwesen der Pluderhosen erlassen werden mußten, welche zugleich Preis des Stoffes und Zahl der Ellen festsetzten, die bei Strafe nicht überschritten werden durften.

Und da schilt man unsre modernen »Gigerln!«

Gesetzliche Erlasse gegen Kleiderluxus, der sich natürlich in den meisten Fällen auch auf die Frauen bezog, sind übrigens zu allen Zeiten notwendig gewesen und in Kraft getreten. Hausfrauen, welche über die allzu große Putzsucht der heutigen Dienstmädchen klagen und dabei seufzend der sogenannten guten alten Zeit gedenken, in der das Gesinde doch[249] so anspruchslos gewesen sein soll – dürfte es interessieren, daß zu Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts amtliche Vorschriften veröffentlicht wurden, welche gerade diesen Punkt regelten. Wir müssen uns versagen, einige daran im Wortlaut herzusetzen, möchten aber doch so viel verraten, daß es laut dieser »denen Dienstmägden« verboten wurde, gestickte seidene Zwickelstrümpfe zu tragen. Die seidenen Strümpfe waren also erlaubt, nur die Stickerei fand eine hohe Obrigkeit daran überflüssig – und unsre Leser jedenfalls auch. Ferner wurden die Preise für Spitzen und Bänder pro Elle festgesetzt, über welche hinaus Dienstmädchen nicht gehen durften – sollten die Mägde der guten alten Zeit etwa Vorliebe für echte Spitzen gehabt haben? Und woher sie bezahlen – von dem damals so niedern Lohn? Das giebt zu denken und steht zweifellos in Verbindung mit der Sittengeschichte damaliger Zeit. Wie dem aber auch sei, uns mag es als Beleg gelten, das es Neues unter der Sonne eben nicht mehr giebt.

Wollte man aber annehmen, daß mit der intellektuellen Entwickelung des Menschengeschlechts und der von Jahrhundert zu Jahrhundert steigenden Kultur sich auch der Geschmack stets geläutert und fortentwickelt habe, so ist das ein Irrtum – in Bezug auf die Bekleidungskunst gewiß Wenn das Neuere auch immer das Bessere wäre, müßten wir allerdings bereits eine sehr hohe Stufe der Vollkommenheit darin erreicht haben – leider ist das nicht der Fall. Auf keinem Gebiet wie[250] auf dem der Mode wechselt das Schöne und Kleidsame beständig mit dem Geschmack losen und Entstellenden und wirklich neu ist nichts mehr, kann es auch nicht sein. Da alles dagewesen, gilt es immer wieder, Anleihen bei den Moden früherer Zeiten zu machen, und leider ist es selten das Gute, was man der Vergessenheit entreißt. Und doch haben wir Modeepochen gehabt, die das Schöne mit dem Einfachen, das Geschmackvolle mit dem Kleidsamen innig verbanden und darum unverändert und mustergültig für alle Zeiten hätten bleiben sollen, – wir denken da an die deutsche Gretchentracht des Mittelalters oder an die wundervollen italienischen Trachten des Medizäischen Zeitalters. Wie farbenprächtig, wie wahrhaft vornehm bei aller Einfachheit und sich – namentlich beim weiblichen Geschlecht – den natürlichen Körperformen wundersam anschmiegend! Und auch die Männer kamen bei jener Mode nicht zu kurz, wie es doch bei der heutigen in jedem Fall geschieht Denn nicht allein, daß die moderne Herrentracht unschön, steif und nüchtern ist, sie unterscheidet die Träger auch so wenig voneinander, daß man in jeder Gesellschaft in Gefahr kommt, den Lohndiener für einen Baron zu halten oder umgekehrt. Daß da in absehbarer Zeit Änderung und Besserung eintritt, ist leider nicht zu erwarten! –

Jede Mode aber wird man in ihren bizarren Auswüchsen beschneiden und so schöner und geschmackvoller gestalten können, ohne ihr dadurch den zeitgemäßen, modernen Charakter zu nehmen. Und ersinnt[251] die Fantasie der tonangebenden Modekünstler etwas gar zu Ungeheuerliches – braucht man es denn anzunehmen? Sobald die Frauen – oder auch die Männer – in geschlossenen Reihen vorgehen und einmütig ablehnen, indem sie einfach die Neuerung nicht mitmachen, wer wollte sie zwingen! Aber eben, daran fehlt's! Die Sucht nach dem Neuen, die Eitelkeit, als hochmodern zu erscheinen, verschafft auch der abgeschmacktesten und entstellendsten Mode Eingang, denn wer wollte zurückbleiben und als altmodisch gelten, wenn einige Schwestern oder Brüder als Muster modernster Eleganz heldenmütig vorangehen? Die einzelne Frau, der einzelne Herr können da nichts ausrichten; denn von einer allgemein angenommenen Mode sich ausschließen heißt sich auffällig machen und das ist von der guten Sitte am meisten verpönt. Aber Frauen und Männer in hervorragenden Lebensstellungen können es wagen, fürstliche Personen mit noch viel mehr Aussicht auf Erfolg. Folgte doch einst ganz Europa oder vielmehr die gesamte civilisierte Welt allen, oft sehr bizarren Modelaunen der schönen Kaiserin Eugenie – sollte nicht eine deutsche Kaiserin ebensogut und vielleicht noch besser den Ton angeben können? Freilich pflegen deutsche Fürstinnen Macht und Einfluß ihrer hohen Stellung besser zu erkennen und ihre Zeit mit edleren und segensvolleren Beschäftigungen zu füllen als der, neue Moden zu ersinnen. Wir haben gerade im jungen deutschen Reich – um in der Gegenwart zu bleiben und nur der[252] ersten drei Kaiserinnen zu gedenken – ein hervorragendes, alle Deutschen mit Stolz erfüllendes Beispiel, wie die erste Frau im Reiche allen andern in Wahrheit ein leuchtendes Vorbild darin war und ist, ihren Lebensinhalt in ernstem Thun zu finden. Die edle, hochsinnige Kaiserin Augusta hat auf dem Gebiete höchster menschlicher Barmherzigkeit, der Krankenpflege, für alle Zeiten Mustergiltiges geschaffen und ihr ganzes Leben diesen Bestrebungen geweiht. Kaiserin Friedrich mit ihrem scharfen hochfliegenden Geist, ihrem umfassenden Wissen und Können war und ist Förderin jeglichen Strebens, das Kunst, Wissenschaft und Kunstgewerbe berührt. Unsere junge Kaiserin Augusta Viktoria aber vereinigt die edlen Vorzüge ihrer hohen Vorgängerinnen und hat daraus, getragen von Mutterglück, Herzensgüte und wahrhafter Frömmigkeit, jenes Frauenideal geschaffen, für das es keinen stolzeren Namen giebt als den: Die echte deutsche Frau!

Und wenn die hohe kaiserliche Frau in den weiten Bannkreis ihrer Pflichten und Bestrebungen auch noch die untergeordnet erscheinende und doch weittragender Bedeutung fähige Regelung der Kleidertrachten – nicht deren Ersinnen, sondern nur deren Bestimmen – hinzufügen wollte – sollten wir da nicht eine gut deutsche, das heißt geschmackvolle Mode erhalten können, die allmählich tonangebend auch für das Ausland würde? Gewiß doch! Man sagt, die kürzlich auftauchende Mode des Empire habe nur deshalb keine weitere Verbreitung errungen, weil Kaiserin[253] Augusta Viktoria dieselbe geschmacklos fand, sie selber nicht annahm und auch den Hofdamen Weisung zugehen ließ, in dieser Tracht nicht zu erscheinen. Und wahrlich, keinen glänzenderen Beweis ihres seinen Geschmacks und hochentwickelten ästhetischen Sinns hätte die hohe Frau geben können, denn die Empirekostüme sind weder schön, noch kleidsam, noch den natürlichen Reiz der Frauengestalt erhöhend. Ebenso schlagend aber zeigt auch dies Beispiel, wie leicht es für die deutsche Kaiserin sein müßte, die Gesetze der Mode zu bestimmen, auf diesem Gebiet veredelnd und segensreich zu wirken und auch hier Deutschland eine führende Stellung anzuweisen. Sollte besonders letzteres kein erstrebenswertes, auch der Anteilnahme einer Kaiserin würdiges Ziel sein? –

Wenn wir aber das Unschöne und Geschmack lose in der Mode unbedingt verwerfen sollten, so ist auch das Schöne nur bedingt anzunehmen und auf die persönliche Zweckmäßigkeit hin zu prüfen. Nirgends mehr als hier gilt des großen Goethe Wort, daß eins sich nicht für alle schicke; denn was den einen reizend kleidet, vermag den andern zu entstellen. Längst hat man gelernt, bei der Wahl der Farben auf die Kleidsamkeit Rücksicht zu nehmen, weshalb nicht auch Form und Schnitt der Kleidung individuell gestalten und der einzelnen Persönlichkeit anpassen? Was z.B. die Vorzüge einer großen, schlanken Gestalt nur um so mehr hervorhebt und derselben an Stattlichkeit zusetzt – also etwa faltige Ärmel und bauschiger Taillenbesatz –[254] wird die kleine gedrungene Gestalt doch nur um so unförmlicher erscheinen lassen. Dies eine Beispiel mag hier genügen; es ließe sich auf alle die zahllosen Gegenstände übertragen, die in ihrer Gesamtheit die Toilette bilden. Das erste und höchste in der Kleidung anzustrebende Gesetz ist demnach, dieselbe möglichst in Harmonie mit der Persönlichkeit zu bringen – alles Übrige ist danach leicht zu regeln.

Vorstehende allgemeine Ausführungen über die Kleidung des Menschen hatten nun allerdings mit dem guten Ton weniger zu thun, als mit den persönlichen Interessen des einzelnen und gaben Winke, wie Lebenskunst auch auf die Toilette anzuwenden sei. Wir möchten uns nun auch ein wenig mit den Vorschriften der guten Sitte beschäftigen, soweit diese ihr allumfassendes Reich auch auf Bekleidungsfragen ausdehnt. Da gebietet sie nun in erster Linie, alles Hervorragende und Auffällige, besonders beim Straßenanzug, streng zu vermeiden. Manche Damen sind ja freilich stolz darauf, wenn sich alle Welt nach ihnen umschaut – die wahrhaft seine, das heißt feinfühlige Frau wird das peinigen und sie es unter allen Umständen zu vermeiden suchen. Zwar macht auch hier die Mode, der wir uns nie ganz entziehen können, Sprünge, die oft zum Gegenteil des bisher Üblichen führen und gedenken wir da nur der Jahrzehnte hindurch herrschenden Sitte, für den Straßenanzug nur dunkle, unauffällige Farben, wie Schwarz, Grau, Braun in den verschiedenen Abstufungen und Zusammensetzungen[255] zu tragen, während der gegenwärtige Geschmack die leuchtenden, ja selbst schreienden Farben duldet. Und weshalb nicht, möchten wir da fragen? Soll es nur den Blumen und der Natur überhaupt erlaubt sein, sich in leuchtende Farbenpracht zu kleiden? Im farbenfrohen Süden hat man nie der Sitte gehuldigt, welche den Frauen gebot, auf der Straße wie licht- und farblose Motten einherzuwandeln. Wenn man aber auch in nordischen Landen jetzt zu dieser Einsicht gekommen, so ist doch selbstverständlich, daß die hellen und bunten Farben für den Straßenanzug der Jugend gehören Das reifere Alter wird die in matten, gedämpften Farbentönen gehaltenen Promenadenkleider immer vorziehen, weil sie würdiger und vornehmer erscheinen.

Eine weitere Vorschrift seiner Lebensformen ist, den Anzug stets dem jeweiligen Zweck anzupassen. Im Hause einfache, wenn auch geschmackvolle Kleidung bei der sogar ein klein wenig Koketterie gestattet ist – nie aber hier abgelegte Ball oder Gesellschaftskleider mit Schleppe, Spitzen und Schleifen auftragen! Es wird dies stets einen schlechten Eindruck machen und als Gegenteil von Ordnung und Gediegenheit gelten. Die Frau hat jedenfalls am besten das Geheimnis der Bekleidungskunst ergründet, von der man nach einer Begegnung sagen kann: »Sie war gut angezogen – was sie anhatte, weiß ich nicht.« Das selbe gilt auch für den Straßenanzug.

Man wählt dafür am besten ein schleppenloses,[256] in jedem Fall bis zum Hals geschlossenes Kleid, das möglichst mehr durch Stoff und Schnitt als reichen Ausputz den Eindruck der Eleganz hervorbringt. Ob nun aber einfach oder kostbar, tadellos sauber und ordentlich muß der Anzug stets erscheinen, was mehr noch als vom Kleid in Bezug auf Hand- und Fußbekleidung gilt. Daß man gerade an letzterem die Dame oder je nachdem das Gegenteil erkennt, ist allgemein bekannt. Genau dasselbe gilt bei Herren; die Mehrzahl scheut, wie jeder weiß, das Tragen von Handschuhen und empfindet dies als Unbequemlichkeit, nicht bedenkend, daß gerade dies so unwesentlich erscheinende Bekleidungsstück den Anzug erst vollständig macht und ihm einen Anstrich von Eleganz verleiht. In Begleitung von Damen aber dürfen Herren nie dieser Schwäche oder vielmehr dem Hang zur Bequemlichkeit nachgeben und es genügend erachten, die Handschuhe in der Hand oder Tasche zu tragen – es wäre das ebenso unschicklich als rücksichtslos gegen die betreffenden Damen.

Übrigens kann jeder, der nur irgendwie darauf achtet, sich täglich davon überzeugen, daß die Herren der besseren Gesellschaftsklassen ausschließlich Handschuhe auf der Straße tragen. Wir müssen übrigens noch einmal zu den Damen zurückkehren, um ihnen den Rat zu geben, sich, falls es einmal in besonderen Fällen nicht zu vermeiden, für den Weg durch die Straßen Gesellschaftsanzug anzulegen, lieber eines Wagens zu bedienen. Beim Fahren, auch im offenen[257] Wagen ist überhaupt elegantere, oder auch auffallende Kleidung viel eher gestattet als beim Gehen.

Über angemessene Kleidung für Konzert und Theater, für große und kleine Gesellschaften sowie Bälle werden wir noch Winke bei den betreffenden Abschnitten geben, die sich mit den gesellschaftlichen Regeln bei Besuch solcher Vergnügungen beschäftigen. Daß aber die Kostbarkeit eines Anzugs nicht zugleich dessen Schönheit und Kleidsamkeit bestimmt, ist eine allgemein bekannte Thatsache – zum großen Glück für alle, die nicht mit reichen Mitteln zu rechnen haben. Dies wird die Mehrzahl sein – immerhin! Es ist das nicht zu beklagen, solange ein leichtes weißes Mullkleid unsere jungen Mädchen genau so lieblich schmückt als ein mit Gold aufgewogenes Spitzengewebe, und die reifere Frau im gut sitzenden geschmackvoll gewählten Wollenkleid ebenso »chic« erscheint als im schweren seidenen Gewande. Wer aber die Mittel besitzt, um kostbare Spitzen und teure Stoffe kaufen zu können, soll es in jedem Fall thun und sich nicht durch Neigung zur Einfachheit oder aus unangebrachter Sparsamkeit davon abhalten lassen, denn Handel und Gewerbe müssen Einnahmen haben, um bestehen zu können und die Waren und Gewebe, deren Herstellung Abertausenden Brot giebt, bedürfen der Käufer. Auch Spitzen, recht viel Spitzen und Stickereien sollten alle Damen tragen, die sie bezahlen können – sie sind nicht nur der schönste Ausputz jeden Anzugs, sondern ihre Anfertigung giebt der meist sehr armen[258] Bevölkerung ganzer Landesdistrikte Lebensunterhalt und lohnenden Erwerb. Wir brauchen hier nur an die schlesische Spitzenindustrie zu erinnern. Nie soll man daher den Luxus der Reichen verdammen, denn die Armen leben davon und wem große Einnahmen zufließen, der hat geradezu die Pflicht, auch viel auszugeben, eins treibt eben das andere. Die Geschäftsleute jeder Residenzstadt wissen davon zu erzählen, welch' einen Ausfall sie zu tragen haben, wenn z.B. der Hoftrauer wegen einmal die üblichen großen Hoffestlichkeiten abgesagt werden. Luxus und Vergnügen sind eben genau so treibende Faktoren im geschäftlichen Leben als die Deckung des notwendigen Bedarfs – das sollten all die weisen Reformer und Mäßigkeitsapostel bedenken, welche alles, was nicht notwendig zur Fristung des Lebens gehört, vom Jahresetat des einzelnen streichen möchten und namentlich den Reichen große Ausgaben und gesteigerte Lebensansprüche zum Vorwurf machen.

Aber noch eine andre Rücksicht sind wir unsern Industriellen schuldig – nämlich das Geld hübsch im eigenen Lande zu lassen und nicht vom Ausland unsere Waren, besonders Stoffe und Bekleidungsgegenstände, zu beziehen. Man mag ja hier und da auf der Reise an Ort und Stelle kaufen, schon, um sich Andenken mitzubringen, auch vielleicht kunstgewerbliche Gegenstände, deren Herstellung in irgend einem außerdeutschen Ort ungewöhnliche Vollendung errang – wir gedenken hier nur der venetianischen[259] Glaswunderwerke – erwerben. In der Kunst hat das Internationale seine Berechtigung und Erwerbungen auf diesem Gebiet sollten unabhängig vom Nationalgefühl sein, da echte Kunst überall ihre Heimat findet. Aber den ständigen Bedarf für alles, was zum Lebensbedarf gehört, den soll man bei heimischen Fabrikanten decken – das mögen sich insonderheit unsere Damen gesagt sein, die ihre Garderobe so gern aus Paris beziehen und sich einbilden, kein deutscher Industrieller, kein heimischer Kleiderhändler könne das leisten, was die Franzosen bieten. Ob ebenso gut – darüber sind wir keinen Augenblick im Zweifel; nur der Preis wird sich niedriger stellen – sollte das in Wahrheit ein so großer Fehler sein?

Daß übrigens viele deutsche Fabrikate auf dem Umweg über Paris oder London bezogen werden und mit deutschem Geld als ausländische Waren weit über den Wert bezahlt werden, ist zwar bekannt, aber doch nicht so allgemein, um es nicht immer wieder in Erinnerung zu bringen. Und darum, ihr bevorzugten Reichen, laßt deutsches Geld in deutschen Landen und entzieht es nicht den armen Arbeitern, die von der Herstellung eures Luxusbedarfs leben!

Bevor wir nun diese Kleiderplauderei beenden, mag noch die Frage zur Erörterung kommen, die allerdings hauptsächlich die Frauenwelt berührt, aber auch auf manchen Herrn Anwendung finden könnte, nämlich die, nach welchen bestimmten Vorschriften die Kleidung dem jeweiligen Lebensalter anzupassen? Für[260] Militärs besteht diese Frage ja nun nicht, da sie in der glücklichen Lage sind, stets dieselbe Uniform zu tragen, bei der es wohl Unterschiede der verschiedenen Rang-, nicht aber der Altersstufe giebt. Auch die Jugend kennt kein Bedenken, ihr ist eben alles erlaubt und sollte hier und da der Fall eintreten – es wird selten genug geschehen! – daß ein junger Mann oder ein kaum dem Backfischalter entwachsenes Mädchen sich zu alt kleidet, so wird das zwar den Reiz der Erscheinung etwas beeinträchtigen, keineswegs aber dieselbe wirklich alt erscheinen lassen. Es können also nur Personen in reiferen Lebensjahren, welche, besorgt, man könnte sie lächerlicher Eitelkeit oder gar der Koketterie zeihen, ängstlich fragen: Wie lange dürfen wir uns jugendlich kleiden, ohne zum Gespött zu werden?

Heikle Frage – schwierige Antwort! Die Jugendlichkeit der Kleidung ist ebenso schwer bestimmbar als die Altersgrenze, bis zu welcher sie getragen werden darf. Es kommt hier eben alles auf die Persönlichkeit an; mancher Mensch altert früh und besitzt dann hoffentlich Selbstkritik genug, seine Kleidung danach einzurichten, bedenkend, daß allein die Harmonie der Erscheinung einen wohlgefälligen und würdigen Eindruck hervorzubringen vermag. Andere haben wieder den Vorzug, sich über ihre Jahre hinaus den Schein der Jugend zu erhalten – sollten sie ängstlich bedacht sein, matronenhafte Kleidung anzulegen, nur weil sie eben ein bestimmtes Alter erreicht haben? Das wäre[261] doch sehr engherzig! Da aber namentlich Frauen stets so jung sind, als sie aussehen, mögen sie sich ruhig diesem Aussehen gemäß kleiden – niemand wird es ihnen verdenken. Erst wenn der Anzug nicht mehr zu Gestalt und Gesicht paßt und den Eindruck gesuchter Jugendlichkeit macht, wird er lächerlich wirken und Grund zu verdienten Spöttereien geben, und darum mögen besonders unverheiratete ältere Damen recht vorsichtig in dieser Beziehung sein – auch manche Herren, die da vermeinen, ewig die Don Juansrolle spielen zu können und sich im Greisenalter noch wie Jünglinge oder vielmehr wie Gecken kleiden. Das Alter soll nun einmal seine Würde haben und letztere schließt ja zum Glück weder Verehrung noch Liebe aus.

Aber auch nach der entgegengesetzten Seite hin wird oft gesündigt, namentlich von Damen in kleineren Städten. Dort gilt meist als scharfgezogene Grenze zwischen jung und alt – die erwachsene Tochter. Sobald eine solche vorhanden, betrachtet die Mutter sich – und wäre sie erst vier- oder fünfunddreißig Jahr – gestrichen aus der Liste der Frau, um fortan nur noch Anstandsdame für die Tochter, das heißt Folie, geistiger Schleppenträger derselben oder vielleicht noch weniger zu sein. Sie kleidet sich matronenhaft, besucht nur noch Vergnügungen, welche dem Töchterlein begehrenswert erscheinen, stellt dieses bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund und begnügt sich mit schattenhafter Nebenrolle – kurz, verleugnet ihre[262] ganze Individualität, das Recht der Persönlichkeit, um nur fortan noch Mutter zu sein.

Ist das recht und in der Ordnung? Kann sie bei solchem Gebaren der Tochter gegenüber ihre mütterliche Autorität behaupten und die Stellung ausfüllen, welche ihr als Mittelpunkt der Familie, als Vorsteherin des Hauses zukommt? Sicherlich nicht!

Dies eine Beispiel wird genügen darzuthun, daß es ebenso gefährlich, sich vor der Zeit alt zu machen und über Jahre und Aussehen hinaus alt zu kleiden, als durch übergroße, der Persönlichkeit nicht mehr entsprechende Jugendlichkeit des Anzugs eine Jugend zur Schau tragen zu wollen, die man längst nicht mehr besitzt. Weise Selbsterkenntnis und Feingefühl aber werden auch hier stets das Richtige treffen. –

Aber nicht nur Auge und ästhetischer Sinn sollen durch das Äußere einer Persönlichkeit befriedigt werden, auch die Geruchsnerven verlangen ihr Teil an Wohlgefallen. Nichts unangenehmer, als wenn Kleider einen dumpfen, stockigen oder sonst irgendwie störenden Dunst ausströmen – noch widerwärtiger aber und wenig sein, diesen durch allzu starken und aufdringlichen Wohlgeruch zu betäuben. Also kein durchdringendes Parfüm – auch hier sei das Fremdwort gestattet – wählen, noch auch gar zu verschwenderisch damit umgehen. Moschus und Patschuli ist deshalb längst verpönt, keine seine Dame gebraucht es. Ebenso soll man nicht nur das eine oder andere Stück der Garderoben, wie es meist mit dem Taschentuch[263] geschieht – mit Wohlgeruch durchtränken, sondern die ganze Kleidung muß einen seinen, kaum bemerkbaren Duft ausströmen. Man erreicht dies leicht wenn man kleine, mit wohlriechendem Pulver gefüllte Kissen zwischen Wäsche und Garderobe legt. Die Wahl dieser Wohlgerüche ist Sache des Geschmacks, doch thut man gut, bei einmal gewähltem Parfüm zu bleiben. Veilchen, Reseda, Maiglöckchen werden stets angenehmen, nicht zu aufdringlichen Duft ergeben, weniger sind Heliotrop und fast alle französischen und englischen Parfüms zu empfehlen, da sie stark und streng duften.

Zum Schluß noch ein paar Worte über den Schmuck Daß junge Mädchen so wenig als möglich davon und nie Brillanten tragen sollten, wurde bereits an anderer Stelle hervorgehoben, ebenso auch ältere Damen gewarnt, sich übermäßig und zu unpassender Gelegenheit damit zu behängen. Zum Hausanzug am besten nur eine mehr oder minder wertvolle Nadel zum Zusammenhalten des Kragens, Armbänder garnicht, goldene Ketten gelten überhaupt nicht mehr als sein und werden von eleganten Damen nicht einmal mehr zur Uhr getragen. Für die Straße gilt dasselbe und die Armbänder, die man sonst mehrfach übereinander gestreift über der Handschuhstülpe trug, sind auch längst in Wegfall gekommen. Die Hand bis zu halber Fingerhöhe mit Ringen zu beladen, galt stets als unfein und protzenhaft; ein kostbarer Reif, zu dem bei Vermählten der Trauring kommt, genügt durchaus, den Zweck zu erfüllen, das heißt,[264] die Hand zu schmücken. Denn geschmückt, nicht beladen soll sie werden. Sehr häßlich sind auch die Riesensiegelringe, welche manche Herren stolz zur Schau tragen – die Daumen mit Ringen zu schmücken gilt als der Gipfel lächerlicher Geschmacklosigkeit. Auch die schwere goldene Uhrkette bei Herren entbehren wir gern – zum Gesellschaftsanzug, d.h. Frack und ausgeschnittener Weste paßt sie keinenfalls.

Zu Gesellschaften und bei allen größeren Festlichkeiten können indes Damen ihrer Vorliebe für schimmerndes Geschmeide und kostbare Steine in vollstem Maße Rechnung tragen und so viel davon anlegen, als sie irgend mögen. Nur müssen die einzelnen Stücke zu einander passen, das heißt Steine und Fassung übereinstimmen. Brillantohrringe, Amethystencollier, Rubinbrosche und Opalagraffen oder ähnliches Durcheinander ist nie gestattet – lieber nur ein einziges Schmuckstück, als verschiedenartige zusammengewürfelt! Perlenschnüre können allerdings auch zu anderm Schmuck getragen werden. Auch Schmuck und edle Steine sind der Mode unterworfen. So gelten jetzt Korallen nicht mehr als sein, weil sie eben in ihren billigen Sorten zu allgemein geworden sind, ebenso sind Granaten weniger beliebt als früher. Da beide aber sehr schön und Korallen namentlich die Jugend reizend schmücken, ist anzunehmen, daß sie bald wieder die alte Beliebtheit zurückerobern werden. Auch Gemmen und Kameen müssen es sich gefallen lassen, von vielen für altmodisch gehalten zu werden, obgleich sie doch neben[265] natürlicher Schönheit den Wert kunstvoller Arbeit aufweisen und darum Kennern immer begehrenswert erscheinen werden. Auch hier heißt's eben wie überall: Nur nicht sklavisch der herrschenden Mode huldigen!

Im Gegensatz dazu haben in letzter Zeit gerade altertümliche Schmucksachen sehr an Wert und Beliebtheit gewonnen und wer alten Familienschmuck besitzt, läßt ihn jetzt sicher nicht modern fassen. Endlich hat das Auf- und Niederwogen der Mode seit einigen Jahren etwas an die Oberfläche geworfen, was noch zu unsrer Mütter, geschweige von Großmutter Zeiten verpönt war und als non plus ultra an Armseligkeit und schlechtem Geschmack galt – die unechten Schmucksachen. Sie werden jetzt in hundertfachen, oft reizend gelungenen Variationen hergestellt und haben sich längst, auch in der guten Gesellschaft den Platz im Salon erobert – natürlich betrachtet das jeder nur als Modelaune und man trägt einen Schmuck, der vielleicht zu einer eigenartigen Gesellschafsrobe passend gekauft wurde, eben nur so oft, als man das Kleid trägt. Da halten wir es doch lieber – obgleich sonst jeglichem Fortschritt hold! – mit der Großmutter Mode und meinen, wenn nun schon einmal Schmuck, dann solchen, der immer Wert behält und Generationen überdauert.[266]

Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 247-267.
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