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Bevor wir nun den Leser aus Haus und Familie in die Welt, das heißt in die Gesellschaft, welche ja die Welt bedeutet, führen, möchten wir uns vorher ein wenig mit dem beschäftigen, was dort eine so große Rolle spielt und oft ausschlaggebend wirkt, nämlich dem Äußeren der Persönlichkeit. Es wäre ein großer Irrtum, anzunehmen, daß es einzig und allein Sache des Schneiders, dies als ein wohlgefälliges darzustellen. Wir selbst können jedenfalls am meisten dazu thun, es so vorteilhaft als möglich zu gestalten, und dazu gehört vor allen Dingen vernunftgemäße Pflege und Erhaltung des Leibes. Bereits an anderer Stelle wurde betont, daß auch der kostbarste und geschmackvollste Anzug einen vernachlässigten Körper nicht zu schmücken vermöge, sondern nur einen um so schärferen Gegensatz zu demselben bilden müsse. Harmonie der äußeren Erscheinung ist das erste und höchste Gesetz, dem wir uns unterzuordnen haben, da der erste vom Auge vermittelte Eindruck, den eine Persönlichkeit auf uns macht, gewöhnlich[227] auch den Grad des Wohlgefallens – oder Gegenteils! – bestimmt, den wir für sie empfinden. Nähere Bekanntschaft wird ja oft das erste Urteil berichtigen und ein Mensch uns durch seelische oder geistige Vorzüge sein unvorteilhaftes Äußere vollständig vergessen machen. Häufig kommt es jedoch garnicht zu weiterer Berührung und der erste Eindruck wird also als maßgebender haften bleiben.
In erster Linie aber sind wir jedenfalls es uns selber schuldig, den Körper in keiner Weise zu vernachlässigen. Gesundheit und Wohlbefinden erzeugt Gleichmaß der seelischen Empfindungen, also Heiterkeit und frohe Launen; letztere wiederum beleben und verschönen auch das häßlichste Gesicht, wie umgekehrt Trübsinn und mürrische Miene ein schönes Antlitz entstellen oder doch wenig anziehend machen werden. So Wechselbeziehungen, die wie Räder der Maschine ineinandergreifen, überall im Leben und Sein des Menschen!
Gesundheits- und Schönheitspflege ist daher im Grunde dasselbe; Schönheitsmittel äußerlich angewandt, können mithin nur verderblich, oft entstellend wirken. Gewiß ist es gestattet, der Natur durch Kunst nachzuhelfen, wo diese allzu stiefmütterlich verfuhr, doch darf dies nie in aufdringlicher Weise geschehen. Wir kommen später noch darauf zurück
Der vielgestaltige, das ganze Menschenleben berührende Inhalt vorliegenden Buches gestattet allerdings nicht, Themata, die nur bedingt in seinen[228] Rahmen gehören, mit gründlicher Ausführlichkeit zu behandeln. Gesundheitspflege ist eine Wissenschaft für sich, wie jeder weiß. Es gilt also nur, in großen Zügen ihrer Bedeutung zu gedenken und Winke für angemessene Ausübung zu geben. Haus und Schule sowie ärztliche Anweisung werden in dieser Beziehung ja auch schon ihre Schuldigkeit gethan haben.
Die erste Bedingung guter Gesundheit und kräftiger Körperbeschaffenheit ist frische Luft – so viel und so gute Luft, wie jeder irgendwie seinem Organismus zuzuführen vermag. Genügende Lüftung der Wohn-, hauptsächlich der Schlafräume – über das Schlafen bei offenen Fenstern siehe Schlafzimmer – tägliche Spaziergänge und zwar nicht abends bei eingetretener Dunkelheit oder in staubigen Straßen, sondern möglichst im Sonnenlicht und auf freien Wegen in Wald und Flur. Wie Bäume und Pflanzen zu kräftiger Entwickelung nicht des Sonnenscheins entbehren können, so bedarf der viel höher und zarter veranlagte, menschliche Organismus desselben noch viel mehr. Das sei besonders all' denen gesagt, welche meinen, durch einen abendlichen Spaziergang den sanitären Vorschriften vollauf genügt zu haben. Auch die Sommerreise, als prahlerische Modethorheit jetzt so oft verspottet, sollte jeder unternehmen, dem die Verhältnisse es irgend gestatten; nicht Luxussache ist dieselbe, sondern zum Bedürfnis geworden in einer Zeit, die wie die unsre erhöhte Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des Menschen stellt und die Nerven in einer Weise angreift, wie vor[229] uns lebende Generationen es nicht kannten. Namentlich der Geistesarbeiter wird dieser Sommererholung dringend bedürfen. Und die beste Kur ist da, wenn nicht besondere Krankheitsfälle vorliegen, immer nur ein Baden in frischer, besonders Wald- oder Gebirgsluft, im Meer- oder Flußwasser, und im Sonnenlicht. Selbst aber, wenn die Reise nur von Stadt zu Stadt führen kann, wird allein die Veränderung der Luft einen wohlthätigen Einfluß auf das Körperbefinden ausüben.
Nach der Luft aber ist Reinlichkeit der beste Gesundheitsförderer. Den Segen häufigen, am besten täglichen Badens haben wir gleichfalls schon an anderer Stelle betont und wo dieses sich nicht so leicht ermöglichen läßt, sollten Waschungen des ganzen Körpers an seine Stelle treten. Die vielgerühmte Schönheit der Engländerinnen und namentlich deren zarte Hautfarbe dürften hauptsächlich auf Anwendung dieses einfachsten aller Schönheitsmittel zurückzuführen sein. Zu empfehlen ist dabei noch, nicht eiskaltes, sondern leicht angewärmtes oder mindestens abgestandenes Wasser für diese Waschungen zu verwenden. Auch mit Gebrauch der Seife muß man vorsichtig sein und nur anerkannt gute und unschädliche Präparate benutzen.
Freilich, wie bequem hatten es unsere Großmütter in dieser Beziehung! Da ward nicht viel Federlesens gemacht und die in jedem größeren Haushalt von allerlei Fettabfällen selbst zubereitete Seife gleicherweise[230] für Hauswäsche als zur Verschönerung von Gesicht und Händen benutzt. Badestuben nun gar gab's nur in sehr großen und reichen Häusern, die Waschbecken waren aber dafür – um so kleiner! Als bester Beleg für die Anspruchslosigkeit jener Zeit gilt wohl Se. Excellenz des Staatsministers von Goethe einstmaliger Waschtisch, der uns noch heut im Goethehause zu Weimar gezeigt wird. Ein einfacher, sehr niederer und kleiner Holztisch und darauf ein Schüsselchen, von dem es rätselhaft bleibt, wie eine Jupitergestalt wie Goethe sich darin auch nur die Hände ordentlich naß zu machen vermochte. Und doch ist's gegangen – ja mehr, der große Goethe ist trotz so bescheidenen Wasserverbrauchs in körperlicher und geistiger Gesundheit über achtzig Jahre alt geworden!
Wir führen das hier natürlich nicht zur Nachahmung, sondern als Kuriosität und zur Kennzeichnung der Genügsamkeit jener Zeit an, die dennoch Geistesheroen erzog. Die stets vorwärts schreitende Kultur hat indes auf allen Lebensgebieten größere Ansprüche gezeitigt und unsre nervöse fin de siècle-Generation bedarf auch dringend einer sorgfältigeren Gesundheitspflege als die kraftvolleren Naturen vor hundert Jahren. Jedenfalls ist gerade der steigende Verbrauch von Wasser und Seife ein Kulturfortschritt, dessen sich jede Nation nur erfreuen kann.
Einer besonderen Sorgfalt bedürfen die Hände – nichts unfeiner, als eine grobe, ungepflegte Hand! Schöne Form derselben läßt sich nicht erzwingen, auch[231] nicht immer Weiße und Zartheit; aber eine wohlgepflegte, stets saubere Hand kann jeder haben und man verlangt einfach von gebildeten Menschen, daß sie darauf achten. Namentlich gilt dies für die Fingernägel – nur keinen Trauerrand unter denselben, was der Engländer mit dreimal shocking bezeichnen würde, aber auch wir in Deutschland ebenso entsetzlich finden. Dazu dürfen die Nägel nie so kurz geschnitten sein, daß das Fleisch womöglich überquillt, niemals aber auch Krallen gleichen – eins ist so unschön und unpassend als das andere. An den Seiten schmal, oben sorgfältig rund beschnitten, soll der Nagel möglichst einem Oval gleichen, den man glatt zu polieren und die übertretende Haut täglich zurückzuschieben hat, damit die Form nicht leidet. Nagelbürste und Feile werden dazu unerläßlich sein. Rosige Nägel gelten bekanntlich als Schönheit; da nicht jeder diesen Vorzug besitzt, suchen manche durch Schminke nachzuhelfen, was natürlich nicht zu billigen ist. Nur ja so wenig als möglich der überflüssigen Finessen; es bleibt soviel des Notwendigen für Körperpflege zu thun, daß nur Müßiggänger noch Zeit für das Unnütze haben.
Auch der Fuß muß von Jugend auf vernunftgemäß behandelt werden. Zu kleines Schuhzeug wirkt ebenso schädlich als zu großes auf Formentwickelung des Fußes und den Gang des Menschen. In zu kurzen Stiefeln wird man humpeln, zu enge erzeugen Ballen und die ebenso schmerzhaften als entstellenden[232] Hühneraugen, zu weite ein breites, flaches Fußblatt und plumpen Gang. Allzu hohe Hacken, die jetzt glücklicherweise in Wegfall kommen, sind schädlich, weil halsbrecherisch und unbequem; gar keine lassen den Fuß übergroß und ungeschickt erscheinen. Also auch hier wie fast überall gilt es, weises Mittelmaß einzuhalten.
Die Versuche einiger Natur- und Bequemlichkeitsfanatiker, die Fußbekleidung streng der natürlichen Form des Fußes anzupassen, haben bis jetzt wenig Erfolg gehabt und dürften auch in Zukunft nicht weite Verbreitung erlangen. Er sieht doch gar zu plump und ungeschickt aus, so ein breiter, kurzer, schiefwinkliger, das heißt, seiner natürlichen Form nach bekleideter Menschenfuß!
Daß der Gang des Menschen durch unbequemes oder ungemessenes Schuhzeug wesentlich beeinträchtigt wird, deuteten wir bereits oben an. Wieviel aber ein leichter und anmutiger Gang zur Schönheit der Erscheinung beiträgt, weiß jeder zu würdigen, dem das Gegenteil oft störend ins Auge fiel. Man hat daher schon die Kinder zu gewöhnen, nicht mit dem ganzen Fuß, sondern mit der Spitze – nie aber mit den Hacken zuerst, aufzutreten. Ebenso müssen schwere, polternde Tritte, oder Schleifen mit den Füßen gerügt werden. Bei Kraft und Gewandtheit wird sich dann ganz von selbst das leichte Wiegen der Hüften ergeben, das man als schwebenden Gang bezeichnet und als besonderen Vorzug der Gangart gelten läßt.[233] Nicht allgemein bekannt aber, oder doch nur von wenigen beachtet ist die Thatsache, daß man aus der Gangart des Menschen, ebenso wie aus Schriftzügen und Schädelbildung, auf dessen seelische Eigenschaften schließen kann. Es fehlt hier der Raum und ist auch nicht Aufgabe dieses Werkes, des näheren darauf einzugehn; doch genügt vielleicht die Andeutung, manchen Leser, der bisher auf seinen Gang wenig geachtet, anzuspornen, es von nun an zu thun und sich störende Lässigkeiten desselben abzugewöhnen.
Den Zähnen und ihrer Behandlung und Erhaltung hat man die peinlichste Fürsorge zuzuwenden. Nicht allein, daß deren gute oder schlechte Beschaffenheit den Menschen je nachdem verschönen oder entstellen kann, ist Gesundheit derselben auch Bedingung für Wohlbefinden und Körperhaltung. Zahnleiden sind bekanntlich die schmerzhaftesten und peinvollsten; sie werden aber die weitere Folge haben, daß wir die Speisen nur ungenügend zermalmt dem Magen zuführen, was wiederum ein Magenleiden erzeugen kann. Zudem ist ein sehr unangenehmer Begleiter kranker Zähne der üble Geruch des Mundes – von allen körperlichen Schäden der störendste. Es kann daher nicht dringend genug empfohlen werden, bei den ersten Anzeichen von Zahnleiden sofort einen tüchtigen Zahnarzt zu Rate zu ziehen. Man scheut da in den meisten Fällen den Schmerz, den eine Untersuchung oder etwa nötige operative Eingriffe verursachen und sollte doch bedenken, daß er nach Minuten zählt, während ein[234] einziger kranker Zahn uns tage-, ja wochenlang um Lebensgenuß und den Schlaf der Nächte bringen kann und mithin unsere Gesundheit ernstlich gefährdet. Auch bei heftigstem Zahnschmerz wird die Einsicht des Arztes stets sofortige Linderung schaffen können, man sollte nur die allen Menschen mehr oder weniger anhaftende physische Feigheit mutig bekämpfen, die meist jenen kurzen herben Schmerz scheut, der doch Heilung im Gefolge hat.
Am besten freilich ist, nicht erst zu warten, bis peinigende Schmerzen uns zum Zahnarzt treiben. Man soll auch gesunde Zähne von Zeit zu Zeit, etwa alle halbe Jahre einmal untersuchen lassen, ob alles in gutem Bestande und nicht vielleicht durch rechtzeitiges Vorbeugen Störungen zu verhindern wären. Auch bei Kindern muß man diese Vorsicht üben, die ihnen vielleicht für Lebenszeit gesunde Zähne schafft. Denn wenn der Arzt selbst nichts zum Heilen vorfindet, wird er doch Ratschläge für angemessene Behandlung geben und auch geeignete Zusammensetzung des Wassers zum Spülen der Mundhöhle – was täglich, ebenso das Putzen der Zähne – mehrere Male zu geschehen hat – empfehlen. Ein vorzügliches, außerdem sehr leicht und billig herzustellendes Mundwasser läßt sich erzielen, indem man dem klaren, nicht zu kalten Wasser ein paar Tropfen aufgelösten übermangsauren Kalis hinzusetzt und zwar so viel, daß ersteres eine rosa Färbung erhält.
Hat man aber trotz aller Sorgfalt und rechtzeitigem[235] Eingreifen des Arztes das Unglück, einen oder mehrere Zähne zu verlieren, ist durchaus zu raten, künstlichen Ersatz dafür zu wählen. Die natürlichen sind ja durch nichts voll zu ersetzen, aber von zwei Übeln gilt es doch stets das kleinere erwählen, und nichts entstellt auch das schönste Antlitz mehr als sichtbare Zahnlücken. Damen werden ja schon aus Eitelkeit, die in solchem Falle wahrlich gerechtfertigt erscheint, zu diesem Aushilfsmittel greifen. Herren sollten es aus Gesundheitsrücksichten und zur Vermeidung des oben angedeuteten Magenleidens thun.
Ein ebenso wichtiger und schöner Schmuck des äußeren Menschen ist das Haar. Auch ihm ist viel Pflege und Sorgfalt zuzuwenden, die einfachste und zweckentsprechendste aber wird stets sorgliches Kämmen und Bürsten abends und morgens sein. Die Kaiserin Elisabeth von Öfterreich, deren vielgerühmte Schönheit durch eine seltene Fülle wundervoll schwarzer Haarmassen noch erhöht wurde, hat sich diesen Schmuck bis ins Alter hinein – Alter? Die Kaiserin hat jedenfalls die siebenundfünfzig Jahre noch nicht erreicht, die Ernst von Wildenbruch als »jung« bezeichnet! – nur dadurch erhalten, daß sie ihr Haar täglich stundenlang bürsten ließ
Auch die Kopfhaut muß öfter gereinigt werden; geschieht dies, ohne die Haare ganz zu durchnässen, um so besser. Letzteres ist leicht zu erreichen, wenn man die Haut mit wollenem, in Franzbranntwein getauchten Läppchen abreibt, oder auch mit Eigelb. Beides reinigt[236] und stärkt zugleich Kopfnerven und Haarwurzeln. Das Salben und Olen des Haars, das im Altertum eine so bedeutende Rolle spielte, ist gegenwärtig ganz aus der Mode; da manches Haar dieser glättenden Zuthat aber schwer entbehren kann und ohne dieselbe rauh und struppig erscheint, darf man in solchen Fällen nicht versäumen, demselben ab und zu ein klein wenig gereinigten Fettgehalt zuzusetzen. Es wird dies dem Auge Dritter kaum bemerkbar werden und nur das ermöglichen, was von jeder Haartracht als zweite Bedingung nach der Kleidsamkeit verlangt wird, nämlich Weichheit und gefälliges Anschmiegen der einzelnen Strähnen. Die Anordnung des Haars wird von der herrschenden Mode bedingt, doch werden Menschen von Geschmack und ästhetisch entwickeltem Sinn die Vorschriften derselben stets mit der Kleidsamkeit zu vereinen wissen. Letztere ist so sehr abhängig von der Form des Kopfes und Gesichts, daß es fast in jedem einzelnen Fall kleiner Abweichungen von dem allgemein Üblichen bedarf, um den gewünschten Einklang zu erzielen, und nie rächt sich ein sklavisches Festhalten an der Mode bitterer als gerade bei der Frisur, da eine unangemessene geradezu entstellen kann. Das Haar aber ist eine Zierde und soll nicht durch geschmacklose Anordnung zur Unzier gemacht werden. Wie manche Menschen indes sich freiwillig dieses schönsten Schmucks berauben können, was jetzt seitens der Herren geschieht, die mit abgeschorenem Kopf, der schauderhaften »Pschütt«-Mode[237] gemäß, umherlaufen, wird jedem Menschen, der Schönheitsgefühl besitzt, durchaus unverständlich bleiben. Hoffentlich trägt diese bizarre Modelaune den Todeskeim bereits in sich.
Ergänzung des eigenen Haars durch falsches sollte nur da vorgenommen werden, wo dringende Notwendigkeit vorliegt, wie etwa bei gänzlichem Ausfall der Haare nach schwerer Krankheit. Schön ist eine Perücke ja nie, aber doch der Kahlköpfigkeit vorzuziehen – es geht damit eben genau wie mit künstlichem Zahnersatz. Die geschmacklose Mode der siebziger Jahre, den Frauenköpfen durch falsche Flechten turmhohen Aufbau zuzusetzen, gewinnt hoffentlich nie wieder Macht.
Was nun das Färben früh ergrauten Haares betrifft, so ist das Sache des Geschmacks. Allzu frühes Ergrauen des Haupthaares greift immer mehr um sich und scheint zu den Kennzeichen des scheidenden Jahrhunderts zu gehören. Ob es vor hundert Jahren ebenso war und man nur deshalb zum Puder griff? Wer weiß es! Die übergroße Nervosität unsrer haftenden und abgehetzten Generation mag allerdings den Hauptgrund dieser Erscheinung bilden, welcher nachzuspüren den Ärzten, Physiologen und Psychologen vorbehalten bleibt. Gewöhnlich nimmt man an, daß viel Geistesarbeit, also Überanstrengung der Kopfnerven, frühes Ergrauen verschulde und doch trifft dies nicht immer zu. Gerade Gelehrte erhalten sich häufig bis ins späte Alter hinein dichten Haarwuchs[238] von natürlicher Farbe. Als ein Beispiel möchten wir hier die berühmte George Sand anführen, deren üppiges tiefschwarzes Haupthaar, das sich bis über die Siebzig hinaus unverändert gleich blieb, allgemein für falsch gehalten wurde. Als sie mit zweiundsiebenzig Jahren gestorben war, ergab es sich, wie unrecht man der Verblichenen gethan, denn das herrliche Haar der Greisin erwies sich als echt und ungefärbt. Und George Sand war doch fast fünfzig Jahre hindurch angestrengt, meist ganze Nächte zu Hilfe nehmend, schriftstellerisch thätig gewesen und hatte wahrlich Werke geschaffen, die ernste Geistesarbeit erforderten! Es ist also keineswegs zu behaupten, daß letztere notwendig frühes Ergrauen des Haares im Gefolge haben müsse. Tritt solches aber aus irgend einer Veranlassung, – welche, ist ja gleichgültig – ein, und hat der Betroffene den Mut und das Selbstbewußtsein, dies in keiner Weise störend zu empfinden – alle Achtung! Ost ist graues und selbst weißes Haar, besonders bei frischen Hautfarben, ja auch ganz kleidsam – älter wird es die betreffende Persönlichkeit jedoch stets erscheinen lassen und darum allein ist die Laune der Rokokozeit, das Haar zu pudern, schwer zu begreifen.
Daß Haarfärbemittel schädlich seien, wird gewöhnlich behauptet, trifft aber nicht immer zu. Wir kennen Fälle, in denen in jungen Jahren ergraute Damen seit länger als dreißig Jahren solche anwendeten und sich trotzdem bester Gesundheit und[239] wohlerhaltener Schönheit erfreuen. Es gilt also wohl nur die nötige Vorsicht anwenden und nicht Kurpfuschern in die Hände zu fallen oder aufs Gerate wohl hin vielangepriesene, aber nicht erprobte Färbe mittel zu brauchen. Wo aber solche überhaupt angewendet werden, sollte man stets rechtzeitig für Erneuerung sorgen, damit das ungenügend mit Farbstoff getränkte Haar nicht nacheinander alle sieben Regenbogenfarben annimmt – was nicht nur schauderhaft aussieht sondern doch auch jedem die Thatsache des Haarfärbens verrät.
Die gegenwärtige Mode gestattet ja, auch damit Sport, zu treiben. Wem es eines Tages langweilig erscheint, sich immer mit demselben schwarzen Haar im Spiegel zu sehen, färbt es flugs hochrot – der Blonde schwarz u.s.w. und stellt sich so in veränderter Gestalt den Blicken dar. Und auch bei der gewählten Haarfarbe braucht es nicht einmal zu bleiben – wer nacheinander braun und blond und rot und schwarz zur Schau trägt, gilt den Gesinnungsgenossen jedenfalls als äußerst »chic«. Ernsthafte Menschen werden derlei Narrheiten ebenso abgeschmackt als lächerlich finden und nur Thoren sich dazu verstehen.
Um aber noch einmal auf das frühe Ergrauen zurückzukommen, sei allen, die sich mit dem grauen Haupt nicht sobald befreunden und sich ebensowenig zum Färben entschließen können, zum Trost mitgeteilt, daß es vorzügliche Haarwasser giebt, die, rechtzeitig angewandt dem Haar seine natürliche Farbe[240] erhalten, ohne irgendwie schädlich oder umständlich in der Anwendung zu sein. Als ein oft erprobtes und merkwürdigerweise nicht allgemein bekanntes möchten wir da Rosetter's Haar-Generator nennen und sind überzeugt, dadurch viele Leser zu Dank zu verpflichten.
Ebenso aber, wie mit dem Färben des Haars, ist es mit allen künstlichen Schönheitsmitteln zur Erzielung einer zarten Hautfarbe oder der Vertreibung gewisser, von schönen Damen so gefürchteten Linien und Fältchen, die den manchem Ohr so häßlich klingenden Namen »Runzeln« führen: Erhaltung der Gesundheit und natürliche Hautpflege durch Waschen und Baden ist, wie schon oben angedeutet, das beste Schönheitsmittel. Allenfalls mag man das Gesicht noch abends vor dem Schlafengehn mit gutem Goldcream ein- und morgens nach dem Waschen leicht mit Reispulver – unsern Damen unter dem Namen poudre de riz bekannt – abreiben. Dem Auge sichtbar darf dies jedoch nicht werden und sorgfältig sind mit einem Tuch alle Spuren zu entfernen. Am besten und gesündesten ist ja, auch dies zu unterlassen, da Puder die Poren verstopft und somit die Hautthätigkeit hemmt; für unfein und unerlaubt gilt das Pudern der Haut indes nicht. Die meisten Damen wenden es an und betrachten es als zur Toilette gehörig, junge Mädchen sollten es aber unter allen Umständen unterlassen, da sie nicht nötig haben, zu solchen Aushilfsmitteln zu greifen. Unverfälschte Jugend bleibt immer die beste Schönheit.[241]
Durchaus unstatthaft aber ist das Schminken des Gesichts und keine wirklich seine Dame wird je dies Mittel anwenden, um ihre Haut zart und rosig erscheinen zu lassen. Hat doch jeder das Recht und wird sicherlich auch davon Gebrauch machen, eine geschminkte Dame mit kritischen Blicken zu mustern und sie zu den Zweifelhaften zu zählen. Dazu kommt noch, daß der Zweck des Verschönens, den das Schminken anstrebt, in den seltensten Fällen erreicht wird, da dazu ein kundiger Blick, eine geübte Hand und – eine sehr teure Schminke gehört die in Deutschland nicht zu haben und erst aus Paris verschrieben werden muß. Daß die Franzosen uns darin über, brauchen wir ihnen sicherlich nicht zu neiden! Die deutsche Schminke, selbst die besseren Sorten, aber besitzt die Eigentümlichkeit – fast hätten wir gesagt den Vorzug – beim Hinzutreten der frischen Luft einen bläulichen Schein anzunehmen, somit ihre Anwendung weithin sichtbar zu machen und als eine Art Kainszeichen zu gelten, dessen sich jede deutsche Frau herzlich schämen sollte.
Daß sich auch Männer schminken kommt leider, wenn auch vereinzelt, vor und erscheint da natürlich noch widerlicher und geckenhafter als bei Frauen. Wie sehr aber der Gebrauch von Schminken die Haut auf immer zerstört und sie grau, schlaff und ruinenhaft erscheinen läßt, beweißt das Aussehen der meisten Bühnenkünstler, welche zur Anwendung derselben während Ausübung ihres Berufs gezwungen sind, da im Lampenlicht die natürliche Gesichtsfarbe fahl erscheint.[242] Das sollten alle bedenken, die ohne zwingenden Grund zum Schminken greifen.
Wir gedenken bei dieser Gelegenheit zugleich einer anderen Unsitte, die allerdings nur dem weiblichen Geschlechte – denn daß manche Herren sie üben sollen, ist wohl ins Gebiet der Fabel zu verweisen – eigen und weniger unfein, als gesundheitsgefährlich ist, deshalb aber auch bei den Ausführungen über Gesundheitspflege erwähnt werden muß. Wir meinen das unvernünftige Schnüren, um eine Wespentaille zu erzielen, welche noch obendrein kein verständiger Mensch schön finden wird, denn wie kann Unnatur je schön sein! Man sollte sich da doch einfach das ewiggültige Vorbild vollendeter weiblicher Schönheit, die Venus von Milo, zum Muster nehmen, deren Umfang über den Hüften genau den übrigen Körperverhältnissen entspricht. Wie sehr aber gerade die edelsten inneren Organe durch allzufestes Schnüren leiden, wie Krankheit und langes Siechtum die Folge sein, ja, bei allzusehr gehemmtem Blutumlauf sogar der Tod auf der Stelle eintreten kann, ist bekannt und deshalb nur umsomehr zu verwundern, daß unsere Frauen es nicht beherzigen. Und sie sollten sich doch sagen, wie wenig der Mann bei Wahl seiner Lebensgefährtin auf Überschlankheit, dafür aber um so mehr auf Anmut und Harmonie der Gesamterscheinung, auf Kraft und Gesundheit sieht – letztere aber sind unmöglich bei fest eingeschnürten Taillen. »Vor allem eine gesunde Frau« – das ist nicht nur berechtigte Forderung[243] des Gatten, sondern eine allgemeine menschliche überhaupt, da die Gesundheit der Mutter die des neu heranwachsenden Geschlechts bedingt. Hat man je vernommen, daß ein Mann sich einzig und allein in die überschlanke Taille eines jungen Mädchens verliebte? Gewiß nicht! Ost aber hörten wir von Männerlippen: »Wie unnatürlich – zum Zerbrechen!« Namentlich die Ärzte hassen förmlich derlei zerbrechliche Gestalten, weil sie bei deren Anblick unwillkürlich an die Zukunft denken und da ein kraftloses, bleichsüchtiges Geschlecht erstehen sehen, das zum Leben nicht taugt und doch zum Sterben nicht kommen kann. Das alles sollten vernünftige Frauen bedenken!
Nachdem wir so den einzelnen Körperteilen unsere Aufmerksamkeit zuwendeten, mögen noch einige Worte der Gesamterscheinung gewidmet sein. Die einzelnen Vorzüge derselben kommen durch eine gute Haltung nicht nur zur vollen Geltung, sondern werden durch eine solche noch erhöht. Man hat daher Kinder von frühster Jugend auf dazu anzuhalten, sich straff und gerade zu halten, den Kopf hoch zu tragen, die Brust vor und die Schultern zurückzubeugen. Nach der Haltung – vom Gange sprachen wir bereits früher – bilden leichte und gefällige Bewegungen einen besonderen Reiz der Erscheinung und können jedenfalls mehr als eine Wespentaille hohen Grad des Wohlgefallens erregen. Denn was sind weiche und schmiegsame Bewegungen anders als jene vielgepriesene Anmut, die der Sage nach den göttlichen Grazien zu[244] eigen war und der Menschen Herzen im Sturm eroberte? Und so ist körperliche Anmut auch noch heut und wird zu allen Zeiten ein köstlich Ding, sowohl bei Männern als bei Frauen, sein, die sehr wohl ein unschönes Gesicht vergessen machen kann. Da aber nicht jedem Menschen der Anmut Zaubergürtel als Feengeschenk in die Wiege gelegt wurde, müssen Minderbegnadete trachten, sich durch ernstes Wollen soviel als immer möglich davon anzueignen. Als bestes Mittel hierzu sind körperliche, also turnerische Übungen der verschiedenen Stadien zu empfehlen, welche Gewandtheit und Kraft und in deren weiterer Entwickelung gute Haltung, sowie Anmut der Bewegungen – zu denen ja auch der Gang gehört – erzeugen. Nichts verletzender für ästhetisches Feingefühl als plumpe, hastige, eckige Bewegungen, namentlich bei der Frau – wie wohlthuend dagegen ein schönes Gleichmaß derselben! Nun soll man sich hüten ins Gegenteil zu verfallen und natürliche Anmut in Ziererei, ruhige Stetigkeit in würdevolle Feierlichkeit zu wandeln. Man denke sich – um nur ein Beispiel anzuführen – eine Dame, die uns bei Tisch etwa den Brotkorb zierlich mit zwei Fingern, die übrigen unnatürlich gespreizt, mit süßem Lächeln und verrenktem Hals hinreicht oder eine andere, die ihn mit tragödienhaft feierlichem Armschwung herübergiebt, als wollte sie dabei sagen: »Hier ist der Dolch – nun thue, was dir gefällt!«
Nein Anmut, aber natürliche, wenn schon nicht[245] angeborne, so doch durch Körpergewandtheit erlangte, von Schönheitssinn getragene Anmut; nicht verzierte, vor dem Spiegel einstudierte! Letztere muß immer lächerlich wirken und nichts wird ein feinfühliger Mensch so scheuen als den Fluch der Lächerlichkeit. Lieber Neid und Bosheit, selbst Haß ertragen – nur nicht der Lächerlichkeit anheimfallen!
Und nachdem wir so in großen Zügen angedeutet haben, wieviel jeder Mensch selbst dazu beitragen kann, das Äußere seiner Persönlichkeit so angenehm und dem Auge wohlgefällig als möglich darzustellen, nachdem mit andern Worten die natürlichen Hilfsmittel, die jedem zu Gebote stehen, angedeutet wurden, möchten wir den folgenden Abschnitt jener Kunst widmen, die berufen, körperliche Vorzüge ins rechte Licht zu stellen oder, je nachdem, körperliche Mängel zu verdecken – der Bekleidungskunst.[246]
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