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[109] Die Stellung, welche die Frau, – nicht die Frau als Gattin und Mutter, sondern als Typus überhaupt – bei einem Kulturvolk einnimmt, gilt bekanntlich als Maßstab für dessen geistige und soziale Entwickelung und ist Gradmesser der Civilisation, auf welcher es steht. In Deutschland, dem Lande der Aufklärung, ist man in dieser Beziehung zur Zeit etwas zurückgeblieben und im Nachtrab hinter England und Amerika, Schweden und Norwegen, der Schweiz und selbst dem als barbarisch verschrieenen Rußland. Aber auch bei uns weht in letzter Zeit ein freierer Hauch und es steht zu hoffen, daß derselbe sich allmählich kräftiger entfache und befreiend von alten, unberechtigten Vorurteilen über uns dahinbrause.
Um aber allem Mißverstehen von vornherein zu begegnen, sei hier erklärt, daß wir nicht Anhänger jener Frauenemancipation sind, wie man sie im landläufigen Sinne, und zwar falsch, versteht. Was ist[109] überhaupt Emancipation? Es ist wichtig, den Begriff erst einmal klar zu legen dessen einfache Übertragung »Entknechtung« lautet. Die Frauenemancipation erstrebt nicht gleiches Recht für Mann und Weib, sondern nur gleiches Menschenrecht für beide. Sie will weder staatliche Machtstellungen, noch politische Führerschaft, noch sonst andere, den Männern gebührende Ausnahmezustände für die Frauen erlangen, sondern ihnen innerhalb ihrer Sphäre Gelegenheit verschaffen, menschenwürdig, das heißt, in menschlich berechtigter Freiheit zu leben und zu wirken.
Daß dies durchaus auf Kosten edler Weiblichkeit, die allezeit der Frauen höchster Schmuck sein wird, geschehen muß, ist eine ebenso weitverbreitete, als falsche Ansicht. Der Frau war nie echte Weiblichkeit zu eigen, welche dieselbe nicht in jeder Lebenslage und unter allen Verhältnissen bewahrt!
Jede Zeitepoche hat ihren bestimmten Charakter, ihre besonderen Strömungen und Forderungen. Die unsere hat neben vielen anderen auch die Frauenfrage geschaffen und zwar nicht aus Freiheitsdrang und Emancipationsgelüsten der Frau heraus, sondern aus zwingender Notwendigkeit, welche eben diese Zeitverhältnisse erzeugten. Gewiß ist es der Frauen höchster und schönster Beruf, ihr Wirken und Schaffen dem Wohl der Familie zu weihen, als Hüterin edler Sitte im Hause zu walten und die Kinder zu tüchtigen Staats bürgern und nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft heranzuziehen. Nicht jeder Frau aber[110] wird dieser schöne und natürliche Wirkungskreis eröffnet und eine leider sehr bedeutende Zahl darauf angewiesen sein, allein durchs Leben zu gehen und – die Mittel zum Unterhalt desselben auch selbst zu erwerben. Wir haben zur Zeit in Deutschland allein – in manchen anderen Ländern, England z.B. ist diese Zahl noch größer – eine Million mehr Frauen als Männer. Da außerdem bei letzteren auch das Junggesellentum und die Ehescheu beständig zunehmen, besonders in der Großstadt, da bei weitem nicht alle Männer heiraten, welche im stande wären, eine Familie zu erhalten, so wird die Zahl der alleinbleibenden Frauen dadurch noch bedeutend erhöht. Für neun Zehntel derselben fällt aber mit der Ehe auch zugleich die Versorgung fort – wobei wir uns entschieden dagegen verwahren müssen, die Ehe nur als Versorgungsanstalt betrachten zu wollen – und da ist es denn eine der dringendsten sozialen Aufgaben unserer Zeit und sollte von der Staatsregierung als ernste Pflicht betrachtet werden, den Frauen neue Gebiete der Berufsthätigkeit zu erschließen, da die vorhandenen für den ungeheuren Andrang längst nicht mehr genügen. Diese Überfüllung ist leider nur in den Berufszweigen vorhanden, welchen sich die gebildeten, die Frauen der besseren Stände zuwenden und zuwenden können. In den niederen Berufsarten herrscht geradezu Mangel an weiblicher Arbeitskraft und halbwegs tüchtige Dienstmädchen werden ebensowenig je in Verlegenheit um Stellen sein, als etwa leistungsfähige[111] Schneiderinnen über Arbeitslosigkeit zu klagen haben. Ganz im Gegenteil sind letztere überbürdet und erstere immer schwerer zu haben.
Aber die höheren Berufszweige – da liegts! Wie beängstigend die Überzahl von Lehrerinnen, Erzieherinnen, Gesellschaftsdamen und solchen, die sich ähnlichen Gebieten zuwenden, ist, weiß jeder, der sich auch nur annähernd mit der Frauenfrage oder richtiger, der Not der Frauen beschäftigt. Künstlerische Veranlagung hat nicht jeder und auch in diesen Zweigen herrscht unheimliche Überfüllung – wir brauchen hier nur an die Klaviervirtuosen und Lehrer sowie an die Überproduktion auf litterarischem Gebiet zu erinnern! Daß die Beschäftigung mit seinen, ja künstlerisch ausgeführten Handarbeiten auch bei angestrengtester Thätigkeit eine menschenwürdige Existenz nicht ermöglicht, ist bekannt und darum bleibt, was uns not thut, immer wieder: Erweiterung weiblicher Berufsthätigkeit, Freigebung der gelehrten Fächer an Frauen und für solche – es werden deren nicht allzuviel sein! – welche Kraft und Fähigkeit zur Ausübung eines solchen Berufs in sich fühlen, Mittel und Wege, die Kenntnisse dazu zu erlangen – also Frauengymnasien und Zulassung zu den Fachschulen!
Über die Befähigung der Frau zu gelehrter Berufsthätigkeit, zu amtlichen Stellungen, die Büreaudienst erfordern und andern, bisher nicht üblichen Beschäftigungen ist soviel für und wider gestritten und geschrieben worden, daß eine ganze Litteratur daraus[112] entstanden ist, welche sich täglich erweitert. Es steht für jeden Klardenkenden und unparteiisch Urteilenden fest, daß an dieser Befähigung nicht zu zweifeln – eine Begründung solcher Annahme ist leider an dieser Stelle nicht möglich, da es ein Buch für sich füllen würde, all die intellektuellen, psychologischen und physiologischen Beweise anzuführen, welche hier zu Gunsten der Frau sprechen. Wir müssen uns also mit flüchtigen Andeutungen begnügen, die ihren Zweck erfüllen, wenn sie zum Nachdenken über das beregte Thema anregen. Jeder, der demselben tieferes Interesse entgegenbringt und sich über die hier kaum gestreiften Fragen näher zu unterrichten wünscht, wird in der einschlägigen Litteratur klar und verständlich geschriebene Werke finden, die seinem Wissensdrang genügen.1
Aber das eine möchten wir doch hier aussprechen, da es nicht oft genug betont werden kann: nämlich, daß es unter obwaltenden Zeitverhältnissen Pflicht aller, auch vermögender Eltern geworden, ihren Töchtern neben der Erziehung fürs Haus, die immer in erster Linie berücksichtigt werden muß, irgend eine berufliche Ausbildung, je nach Neigung und Befähigung, zu teil werden zu lassen. Das Heiraten, welches sonst als selbstverständlich für jedes junge Mädchen angenommen wurde – Ausnahmen bestätigen eben nur die Regel[113] – ist heutzutage problematisch geworden, wie die oben angeführten Zahlen beweisen. Vermögen, das die Zukunft der Töchter sicher stellt, kann durch unglückliche Zufälle verloren gehen, denn irdisch Gut ist kein eiserner Bestand und verflüchtet sich oft nur gar zu schnell. Was sich aber nie verflüchtigen und verlieren kann, ist das geistige Vermögen, der Schatz erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten, die auch der Frau ermöglichen, sich im Notfall auf eigene Füße zu stellen und selbst für ihre Existenz Sorge zu tragen. Das traumhafte Blumenleben, das die sorgsam behüteten Töchter wohlhabender Eltern bisher führten und meist wohl noch führen, wird freilich zerstört, wenn sie bei planmäßig verteilter, zielbewußter Arbeit lernen werden, den Ernst des Lebens zu erkennen oder doch vorahnend zu begreifen. Aber auch viel ungesunde Sentimentalität wird dadurch in die Flucht geschlagen, falsche Vorstellungen vom Leben berichtigt, übermäßige Ansprüche und Erwartungen auf das rechte Maß zurückgeführt werden und dadurch die jungen Mädchen vor vielen bitteren Enttäuschungen bewahrt bleiben.
Daß ihnen ernste Arbeit die erste frische Jugendfreude stört, ist eine falsche Ansicht. Es braucht ja nicht gleich nach Beendigung der Schuljahre an diese wünschenswerte Vorbereitung fürs spätere Leben gegangen, sondern einige Jahre ungetrübter Jugendlust können da wohl jedem jungen Mädchen gegönnt werden, falls die Verhältnisse nicht gebieterisch das Gegenteil fordern. Aber sind denn selbst während einer beruflichen[114] Ausbildung, Jugendfreude und Lebensgenuß verpönt? Doch gewiß nicht! Uns scheint vielmehr, jedes Vergnügen müßte viel mehr als solches empfunden und bewußter ausgekostet werden, wenn es Erholung und Belohnung nach ernster Thätigkeit bildet und nicht zum einzigen Lebensinhalt der Jugendzeit gemacht wird. Mit solcher verständigen Töchtererziehung aber würde zugleich alles, was man unsern heutigen jungen Mädchen zum Vorwurf macht – der doch in jedem Fall die Eltern treffen sollte! – und was so viele Männer vom Heiraten abhält, nämlich die Oberflächlichkeit, Vergnügungssucht und unmäßigen Lebensansprüche der ersteren, völlig in Wegfall kommen. Möchten doch alle Eltern, Erzieher und unsere weibliche Jugend selbst diese ernste Mahnung beherzigen!
Obgleich nur dieser Abschnitt der alleinstehenden Frau und deren Verhalten in den verschiedenen Lebenslagen gewidmet ist, gehören die vorangeschickten allgemeinen Ausführungen doch durchaus zur Sache. Es wird jedem einleuchten, daß unter den veränderten Verhältnissen auch die Stellung der alleinstehenden Frau eine andere geworden, als sie es noch vor zehn und zwanzig Jahren war. Nicht mehr vereinzelt, als Ausnahme wird uns die alleinlebende Dame – ob nun Frau oder Mädchen – entgegentreten, sondern die Gesamtzahl derselben einen sehr bedeutenden Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ergeben. Die Frauen aber, die verurteilt sind, auf den schönen Wirkungskreis im eignen Haus und das Glück der Familie[115] zu verzichten, werden bei reiferer Erkenntnis nicht gesonnen sein, auch noch andere Lebensfreuden zu entbehren, die man sonst der alleinstehenden Dame versagte oder doch beschränkte. Sie werden z.B. nicht gewillt sein, auf Kunstgenuß, Theater- und Konzertbesuch, Spaziergänge und Reisen zu verzichten, nur weil sie nicht passende Begleitung zur Verfügung haben, die nach hergebrachter Anschauung für sie unerläßlich. Und sollte eine Frau, die allein den Kampf mit dem Leben aufzunehmen hat, nicht auch berechtigt sein, allein dessen erlaubte Freuden zu genießen?
»O ja – in reiferen Jahren gewiß«, wirst da wohl mancher Leser ein. »Aber die junge Frau soll auch den Schein meiden und sich allem dem unterwerfen, was für sie höchste Instanz sein muß – dem Urteil der Welt.«
Veraltetes Vorurteil, widersinnige Logik! Giebt die Welt der Frau Würde und sittliches Bewußtsein oder erringt sie solches durch das eigne verantwortliche Handeln? Und darum kann nicht die Welt und der Schein höchste Instanz sein, sondern das eigne Gewissen. Für sittlich veranlagte Menschen wird letzteres allein Richter und Richtschnur aller Handlungen sein. Immer nur an die Welt und an den Schein denken muß zur Lüge und Heuchelei führen, das Recht der Persönlichkeit schmälern und mit der eignen Verantwortlichkeit die eigne Würde untergraben.
Noch ist freilich diese Auffassung nicht allgemein,[116] aber sie sollte es werden. Und Pflicht aller großangelegten und sittlich hochstrebenden Naturen muß es sein, durch Wort und Beispiel darauf hinzuweisen. Nicht dem Scheine nachjagen, sondern so würdig und sittlich leben, daß man auch den Schein nicht zu scheuen hat – das sollte das hohe Ziel aller, auch der Frauen und namentlich der alleinstehenden sein, – wie viel knechtischer Beschränkung würden sie dadurch entgehen!
Und wieder berühren sich, hier enger als je, Sittlichkeit und Sitte. Jede Frau, die strenger Sittlichkeit nachlebt, wird garnicht anders können und mögen, als auch in allen Äußerlichkeiten sich bester Sitte befleißigen – was bei anderen vielleicht nur angelernte Form, wird ihr zur zweiten, von innen heraus entwickelten Natur geworden sein: Und von diesem Gesichtspunkt ausgehend und das Recht der Persönlichkeit gelten lassend, möchten wir nun etwas näher darauf eingehen, was sich für die alleinstehende Dame schickt und auf welche Punkte sie in erster Linie ihr Augenmerk zu richten hat.
Nicht was sie thut, sondern wie sie es thut, wird das Urteil der Welt, das ja bekanntlich ungerechterweise der alleinlebenden Frau gegenüber strenger als sonst ist, bestimmen. Sie darf sich schon herausnehmen, hier und da ein altes Vorurteil über den Haufen zu werfen oder die allzu enggezogenen Schranken ein wenig zu erweitern, wenn es nur nicht in unweiblicher, würdeloser Weise geschieht und das[117] höchste Gebot strenger Sittlichkeit gewahrt bleibt. Die Frau, von der wir wissen, daß sie es ernst mit letzterem nimmt und tadellos lebt, darf schon etwas freier und selbstbewußter auftreten als diejenige, welche den äußeren Heiligenschein braucht, um über die Lockerheit ihrer Sitten hinwegzutäuschen. Ohne sich streng an das Hergebrachte und die Schablone zu halten und das Lexikon der äußeren seinen Sitten auswendig hersagen zu können, wird die wahrhaft gebildete und feinfühlige Frau doch nie etwas thun, was den Anstand verletzt, da ihr eignes Empfinden und das Bewußtsein weiblicher Würde ihr stets das Richtige vorschreibt. Ist die Welt nicht immer einverstanden mit dieser oder jener Auffassung, mit mancher Freiheit, die zu nehmen die zielbewußte, ernstdenkende Frau sich gestattet, so wird es Sache der letzteren sein, für ihre Überzeugung einzutreten und durch Wort und Handeln darzuthun, daß echte Weiblichkeit auch gewahrt werden kann bei erweiterten Begriffen vom Recht der Frau. –
Wir möchten uns nun zuerst mit der unverheirateten, alleinstehenden Dame näher beschäftigen und da von vornherein gegen den Mißbrauch, ja die Grausamkeit eisern, welche man schon durch die übliche Bezeichnung dieses Standes gegen sie begeht. Denn der Name »alte Jungfer« umschließt doch Spott und Mißachtung in jeder Form und wird nie ohne Achselzucken oder vieldeutiges Lächeln ausgesprochen. Schrullige Verschrobenheit wird das Mindeste sein, was jeder, der gedankenlos die Bezeichnung »alte Jungfer«[118] braucht, ebenso gedankenlos mit dem Begriff verbindet. Wie man aber in heutiger Zeit allmählich gelernt, mit manchen anderen Vorurteilen aufzuräumen und zum Beispiel die Schriftstellerin sich nicht mehr notwendig mit wirrem Lockenhaar, Hornbrille und vernachlässigter Kleidung vorzustellen, ebenso sollte man endlich einsehen, daß auch eine ältere unverheiratete Dame ohne Mops auf dem Arm und ohne Strickbeutel, ohne verschrobenen Anzug und lächerlich verzierte Manieren in die Erscheinung treten kann. Soll man den unvermählt Gebliebenen als Zugabe zu dem schweren, nicht freiwillig erwählten Schicksal noch Spott und Ungerechtigkeit gesellen? Es wäre das ebenso unwürdig unserer vorgeschrittenen Civilisation, als es den Geboten der Menschlichkeit entspräche und doch wird gar zu oft, meist gedankenlos, gegen beide gesündigt!
Freilich wird die unverheiratete Dame einen doppelt schweren Stand haben und mehr als ihre glücklicheren Mitschwestern auf sich achten müssen, um jenes alte Vorurteil mehr und mehr zu entkräften. Ängstlich soll sie sich hüten, in jene Fehler zu verfallen, die, obwohl sie menschlich begreiflich für eine Unvermählte, dieser doch den bösen Ruf der Lächerlichkeit und Verschrobenheit gebracht haben. Feindselige Verbitterung oder verzierte Prüderie, Nachäfferei entschwundener Jugend oder verschrobene Kleidung, auffällige Bevorzugung der Männer oder übertriebene Liebhaberei für Tiere – eins wie das andere wird ihr unweigerlich die achselzuckende Bezeichnung »alte Jungfer«[119] einbringen. Wenn sie aber bestrebt ist, sich in nichts von andern, verheirateten Damen zu unterscheiden, wenn sie auf ihre äußere Erscheinung ebensoviel verständige Sorgfalt verwendet als auf Entwickelung persönlicher liebenswürdiger Eigenschaften oder Fähigkeiten, wird es gewiß niemandem einfallen, diesen Namen ihr zu geben. Wer es aber dennoch thut, sollte vor sich selbst erröten. Nicht das Unvermähltsein bedingt notwendig Altjüngferlichkeit im schlimmeren Sinne, sondern die Art, wie das Unvermähltsein ertragen wird.
In ähnlicher Lage befinden sich die geschiedenen Frauen. Auch ihnen wird ein böses Vorurteil entgegengebracht, oft ebenso ungerecht und grausam wie den unverheiratet Gebliebenen. In manchen Fällen mag ja die Frau schuld sein an dem Unglück der Ehe – ob sie es immer sein muß, ist eine Frage, die selbst die verbittertsten Weiberfeinde sich scheuen werden, mit einem Ja zu beantworten. Jeder Mensch und jede Frau hat nur ein Leben zu durchleben; gewinnt sie nun die feste Überzeugung, daß trotz aller gegenteiligen Bestrebungen und alles Opfermutes ihrerseits dies Leben an der Seite des Gatten, mit dem sie freie Wahl oder zwingende Verhältnisse zusammenführten, zerstört und elend sein wird bis zum Ende – ist es dann nicht Pflicht gegen sich selber, die Lösung solcher Ehe anzustreben? Ost aber kommen Pflichten gegen die Kinder hinzu; so gewissenhaft jede pflichtgetreue Mutter es vermeiden wird, ihren[120] Kindern ohne zwingende Notwendigkeit den Vater zu rauben, können doch Fälle eintreten, wo dies zum Besten derselben geschehen muß. Wir können derartige traurige Ausnahmefälle ja hier nur andeutend streifen, aber es dürfte genügen, zum Nachdenken darüber anzuregen, ob es menschlich gerecht, der geschiedenen Frau unter allen Umständen ein Vorurteil entgegenzubringen. Als ein Beispiel für viele, das allerdings den Gipfel der Ungerechtigkeit erreicht, möchten wir da z.B. das englische Hofgesetz anführen, das wohl dem geschiedenen Mann, nicht aber der geschiedenen Frau gestattet, ferner bei Hofe zu erscheinen. Die Stellung derselben ist damit klar gekennzeichnet – ob sie nun schuldig oder ein beklagenswertes Opfer – thut nichts, die Frau wird verbannt, oder doch verfehmt!
Auch gegen solche Grausamkeiten sollten alle gerecht und human denkenden Menschen energisch Front machen und durch Wort und Beispiel dagegen ankämpfen. Die Geschiedene wird ja durch ihren Frauentitel immer noch – wenigstens nach landläufigen Anschauungen – ein Übergewicht über die unverheiratete Frau erringen, aber wie diese dem Spott, so wird sie überall der Bosheit begegnen und dagegen anzukämpfen haben.
Wie viel besser hat es dagegen die Witwe. Sie hat das Schicksal zur alleinstehenden Frau gemacht und weder spöttisches Lächeln über das »Sitzengeblieben« noch Mißdeutung und Bosheit wegen des[121] »Davonlaufens« kann sie treffen. Auch besitzt sie in den meisten Fällen Kinder, die sie das Alleinsein weniger empfinden und die, selbst wenn sie noch jung, die Mutter wie eine Art Schutzwall den Angriffen der Welt gegenüber umgeben.
Ob nun aber unverheiratete, geschiedene oder verwitwete Frau, wird ihre Stellung doch bei aller persönlichen Freiheit, die wir ihr nach den vorhergehen den Ausführungen als ihr gutes Recht zugestehen, eine ganz andere sein als derjenigen, die an der Seite und im Schutz des Gatten lebt. Sie wird mehr Rück sichten zu nehmen, mehr Selbstbeschränkung zu üben haben. Nicht sklavisch unterordnen mag sie sich dem Urteil der Welt, aber es auch nicht herausfordern, und so wenig sie dem Schein allein nachleben soll, darf sie ihn auch nicht ganz verachten. Es wird ja schwer sein, da die rechte Grenze zu finden, aber der denkenden, feinfühligen Frau wird es gelingen. Sie darf allein reisen, allein spazieren gehen, allein Konzert und Theater besuchen und überall wird sie ein gemessenes würdevolles Wesen, die Art ihres Aufretens vor Mißdeutung schützen. Ist es aber möglich, vermeide sie es! Wenn das stete Alleinerscheinen auch ihrem Ruf nicht schaden könnte, fordert es doch allerlei Schlußfolgerungen über die Persönlichkeit als solche heraus. Wer keine Freunde und keinen freundschaftlichen Verkehr hat, stellt sich selber damit eben kein günstiges Zeugnis aus und schon deshalb sollten alleinstehende Damen danach streben, bei öffentlichem[122] Erscheinen stets passenden Anschluß zu finden, es wäre dies in jedem Falle angenehmer für sie, wenn auch nicht schicklicher an sich.
Damit soll nun aber durchaus nicht gesagt sein, daß man lieber unangenehme und störende Gesellschaft ertragen als allein erscheinen möge. Hier haben wir gleich einen Beleg dafür, daß Zugeständnisse an den äußeren Schein und das Urteil der Welt nicht das Recht der Persönlichkeit, also des eignen Wohlbehagens, beeinträchtigen dürfen. Es wäre jedenfalls völlig zweckloses Heldentum, sich einen schönen Spaziergang, Kunstgenuß oder gar eine vielleicht lang ersehnte Reise durch verständnislose und mithin störende Gesellschaft vergällen zu lassen – lieber tapfer das Alleinsein ertragen.
Zu beleuchten ist auch die weitere Frage, ob die Gesellschaft oder Begleitung der alleinstehenden Frau aus Herren oder doch einem Herrn bestehen darf. Mit klarem Ja oder Nein läßt sich das nicht beantworten, jeder Fall wird hier für sich selbst entscheiden oder durch Taktgefühl der Dame entschieden werden. Zweifellos ist es auch der alleinstehenden Frau gestattet, mit Herren zu verkehren und solche bei sich zu empfangen – es dürfen nur nicht ausschließlich Herren sein, die ihren Verkehr bilden. Sie bestimme Freunden die Besuchszeit am Tage und nicht spät abends, und sieht sie dieselben zu Abendgesellschaften bei sich, wird sie Sorge tragen müssen, ihnen weibliche Gäste, möglichst Familien, beizugesellen. Ebenso sollte[123] sie vermeiden, bei größeren Vergnügungen allein mit Herren zu erscheinen, – es müßten denn ganz alte oder verwandtschaftlich nahestehende Männer sein. Weniger gewagt ist es, in Begleitung eines Herrn auf öffentlichen Spaziergängen sich zu zeigen. Denn seien wir ehrlich – wo ist ein Zusammensein zu Zweien besser behütet als vor den Augen der Welt? Auch die kleinste Ungehörigkeit verbietet sich doch da von selber. Der landläufige und oft so widersinnige Anstandskodex der Welt aber gestattet das Alleinsein zwischen Dame und Herrn in der Stille verschwiegener Gemächer viel skrupelloser als ein öffentliches Beisammensein, und gerade von derlei Verkehrtheiten muß man energisch Emancipation, also Entknechtung, anstreben.
Ein anderer Beleg dafür, wie jeder Fall sich selber bestimmt und das sittliche Verhalten der Beteiligten demselben sein Gepräge geben muß, ist folgender: Die liebe Welt würde Zeter schreien und auch für ein freieres Anstandsempfinden erschiene es als höchst unschicklich, wenn ein Herr und Dame, die keinerlei Verwandtschaft verbindet, zusammen eine weite Reise planen und unternehmen würden. Der letzteren Ruf hätte in jedem Fall schwere Schädigung dadurch erlitten wenn er nicht ganz zerstört würde. Nun fügt es sich aber ganz ohne menschliches Zuthun daß sich Fräulein X. und Herr Z., die einander bekannt sind, auf dem Bahnhof oder im Coupé zusammenfinden. Ein Vergleich der Fahrkarten ergiebt, daß beide genau[124] dieselbe Reise mit demselben Zielpunkt vorhaben; sie sind sich gegenseitig nicht unsympatisch und haben auch sonst keine Veranlassung, sich zu fliehen – wird es da nicht ganz einfach und natürlich sein, daß sie sich als Reisegefährten aneinanderschließen, das Schöne, was die Reise bietet, vereint genießen und harmlos fröhlich als gute Kameraden miteinander verkehren, sich so den Reisegenuß erhöhend? Da die alleinstehende Dame es nicht vermeiden kann, mit ganz fremden Herren im Coupé, bei Ausflügen nach berühmten landschaftlichen Punkten, in Kunstsammlungen und an der Gasthofstafel zusammenzutreffen, sollte sie die Begleitung eines bekannten Herrn doch viel weniger zu scheuen haben, und doch wird man geneigt sein, ihr gerade aus und wegen der Bekanntschaft einen Vorwurf zu machen. Merkwürdige Welt!
Noch verkehrter aber wäre es, ein derartiges zufälliges Zusammentreffen aus Furcht vor dem Urteil der Welt zu verheimlichen – es würde damit zugegeben, daß eben etwas vorhanden, was totzuschweigen. Reines Empfinden und gutes Gewissen können und sollen überall der Wahrheit die Ehre geben, auch wenn diese Wahrheit der Welt nicht genehm und sie daran zu deuteln und zu spötteln hat.
Bei längerem Verweilen in einem Badeort wird es ja für die alleinstehende Dame wünschenswert sein, Anschluß an Familien zu finden, was indes nicht so leicht, als man für gewöhnlich annimmt. Gerade die bessere Gesellschaft ist argwöhnisch und mißtrauisch[125] in Bezug auf das Anknüpfen von Bekanntschaften, und einzelnen Damen gegenüber wird sie noch vorsichtiger sein. Aber Persönlichkeit und Betragen werden auch hier wie überall Mißtrauen und Vorurteil besiegen. Sicherer ist es jedenfalls, sich schon vorher nach passender Gesellschaft umzusehen und mit näheren Bekannten einen gemeinsamen Aufenthalt zu verabreden.
Es ist natürlich, daß die zunehmenden Jahre jeder Frau mehr Freiheit der Bewegung und des Handelns verstatten. Wer indes stets sittlich frei und doch sittenstreng gelebt, wird von dieser größeren Freiheit des Alters kaum Gebrauch machen, da auch in der Jugend die Mahnung guter Sitte und seiner Lebensformen ihm Bedürfnis, nicht Zwang war. Das Einzige, was bei reiferen und reifsten Jahren etwa fortfallen könnte, ist der Verdacht des Geheiratetseinwollens, den jeder ledige Mann heutzutage von vornherein jeder ledigen Frau entgegenbringt und sie deshalb zu peinlicher Zurückhaltung zwingt. Sobald diese thörichte Furcht bei älteren Damen und Herren fortfällt, wird sich der Verkehr zwischen beiden viel angenehmer und ungezwungener gestalten und gerade diese Ungezwungenheit wird wieder der Welt den Beweis geben, daß sie ruhig sein und nicht mehr auf der Wacht zu sein braucht. Wir kennen manche Dame, die, der ewigen Rücksichtnahme und des Überwachtwerdens der Welt müde, sehnsüchtig das weiße Haar erwartet, um endlich Mensch und nicht mehr Frau zu sein. Ihnen allen empfehlen wir die eingangs dieses Abschnitts berührte, ebenso verständige[126] und berechtigte Emancipation von lächerlichen Vorurteilen.
Wir werden später, gelegentlich der Besprechung seiner Lebensformen im gesellschaftlichen und öffentlichen Verkehr, noch oft auf das zurückkommen müssen, was sich für die Frau der guten Gesellschaft schickt. Alles das aber gilt gleicherweise – in manchen Dingen noch etwas verschärft – für die alleinstehende Dame, das heißt die immer und überall Beargwöhnte und Bewachte, deren Stellung und Verhalten im allgemeinen wir mit diesen Ausführungen nur klarlegen wollten.
1 Zu empfehlen: Frau I. Kettler: Gleiche Bildung für Mann und Frau. Dieselbe: Was wird aus unsern Töchtern? Dieselbe: Was ist Frauenemancipation?
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