Dieselben Worte, welche soeben bei Schluß der Abhandlung über den Verkehr in der Gesellschaft ausgesprochen wurden, können mit Fug und Recht auch der folgenden vorangesetzt werden, nämlich, daß es für den Leser keiner Sonderregeln mehr bedarf, welcher den bisherigen Ausführungen mit Aufmerksamkeit folgte. Dennoch mögen der Vollständigkeit wegen auch für den Verkehr im öffentlichen Leben noch kurz zusammengefaßte Winke hier ihren Platz finden, obgleich sich Wiederholungen des bereits Gesagten nicht vermeiden lassen werden.

Der wohlerzogene und gebildete Mensch wird sich auch auf der Straße eines gesitteten Benehmens befleißigen und zwar sollten Kinder von frühester Jugend an dazu angehalten werden. Schon bei ihren Spielen dürfen sie nicht unverständig lärmen und toben, so sehr ihnen jede freie Bewegung und das sogenannte Austoben auch vergönnt sei. Später dann, auf dem Schulweg, ist ihnen gleichmäßig ruhiger Gang, ohne überstürztes Hasten oder nachlässiges Schlendern,[431] zur Pflicht zu machen, ebenso, Eltern, Lehrer, Verwandte und Bekannte beim Begegnen sehr höflich zu grüßen, was Mädchen durch Knix. Knaben durch Ab ziehen des Huts zu thun haben. Überlautes Sprechen, Lachen oder heftiges Gestikulieren auf der Straße ist durchaus unschicklich – nicht nur für Kinder, sondern für Erwachsene noch in verschärftem Maße. Das Gleiche gilt vom Essen auf der Straße, so überflüssig es erscheinen mag, dies zu erwägen; auch nicht kleine Näschereien machen in dieser Beziehung eine Ausnahme. Die Dame, ganz besonders aber das junge Mädchen hat ruhig des Weges zu gehen, ohne die Blicke allzu frei umherschweifen zu lassen, sich umzuschauen oder sonst unpassend zu betragen. Auch breite Rinnsale oder Wasserlachen darf man nicht burschikos überspringen, sondern den kleinen Umweg nicht scheuen, solche zu umgehen. Strenge Anstandsrichter halten es sogar für unpassend, wenn Damen an Schauläden stehen bleiben, die Auslagen in Augenschein zu nehmen. Das scheint nun indes übertrieben! Welchen Zweck hätte überhaupt ein derartiges, doch überall übliches Zurschaustellen der Waren, wenn niemand davon Notiz nehmen dürfte? Da Herren selten Zeit und Sinn dafür haben, ist es doch in erster Linie für den weiblichen Teil der Bevölkerung berechnet und die Kaufleute könnten es sich sparen, auszustellen wenn unseren Damen Stehenbleiben und Besichtigung versagt würde. Auch hier mag daher der oft wiederholte Ausspruch Platz finden, daß nicht das Was, sondern das Wie[432] entscheidet. Wenn eine Dame, selbst ein junges Mädchen einzig und allein stehen bleibt, ausgelegte Gegenstände zu mustern und darauf ruhig den Weg weiter fortsetzt, wird niemand daran etwas zu tadeln haben können.

Für Herren gilt im Grunde das Gleiche; nur fallen ihnen noch einige Pflichten mehr zu, z.B. bekannte Damen höflich zu grüßen, allen Damen den Vortritt zu lassen oder den Weg frei zu geben, wo solcher beengt, keiner Dame durch scharfes Hinschauen oder gar Verfolgen lästig zu werden und jede Art von Bemerkung über eine vorüberschreitende Dame zu unterdrücken – auch solche schmeichelhafter Art. Begleitet ein Herr Damen, so hat er stets an ihrer Linken daherzuschreiten, – wie überhaupt, auch bei Herren und Damen untereinander, der Platz an der Rechten stets der älteren oder vornehmeren Persönlichkeit gebührt – ferner ihnen abzunehmen, was sie etwa an Päckchen oder Mänteln zu tragen haben – jedenfalls aber das Anerbieten solcher Höflichkeit nicht zu unterlassen. Für Offiziere in Uniform gilt dies nur in beschränktem Maße, wie schon früher betont. Über die Pflicht, Damen abends nach Haus zu geleiten oder sich doch ihres sichern Heimkommens zu vergewissern, ist bereits ausführlich gesprochen worden. In kleinen Städten gilt die Regel, daß Herren Damen abends in der Dunkelheit nicht grüßen, in großen, wo Gas- und elektrische Beleuchtung den Abend zum Tage machen, hätte sie keinen Sinn. Bekannte Herren unterlassen den gegenseitigen Gruß überall in Fällen,[433] welche annehmen lassen, daß der Betreffende nicht gesehen zu werden wünscht. So z.B. werden Offiziere in Uniform vermeiden, Kameraden zu grüßen, welche ihnen in Civilkleidung begegnen – man sieht dann einander eben nicht. –

Beim Besuch von Kaufgeschäften wird der Gebildete nicht in Verlegenheit über die rechte Art sein, mit der den bedienenden jungen Leuten oder Mädchen zu begegnen. Gleichstellende Vertraulichkeit wäre da ebenso unpassend, wie hochmütige Herablassung, als ob man etwa Dienende vor sich habe. Das Personal eines Kaufgeschäftes ist dazu da, den Kauf in entgegenkommender Weise zu vermitteln und wenn dies in gewissem Sinne auch ein Bedienen der Kaufenden einschließt, haben letztere doch nicht persönliche Diener vor sich. Man hat sich also durchaus einer gemessenen Höflichkeit zu befleißigen, auch jede überflüssige Bemühung des Personals zu vermeiden. Anderseits darf diese Rücksicht nicht so weit getrieben werden, daß sich jeder, der einen Kaufladen betritt, verpflichtet fühlt, auch zu kaufen, selbst wenn die besichtigten Waren den Wünschen nicht entsprechen. Mit höflicher Entschuldigung über vergebliches Bemühen mag man in solchen Fällen ruhig den Laden verlassen und besonders zartfühlige Gemüter mögen sich zur Beruhigung sagen, daß uns selber doch in keiner Lebenslage dann und wann vergebliche Mühwaltung erspart bleibt.

Die Verkäufer anderseits haben nie zu vergessen, daß sie einzig und allein des Publikums wegen da[434] sind und dies also in erster Reihe zu berücksichtigen, sowie allen berechtigten Wünschen desselben entgegenzukommen haben. Da ein Verkaufsabschluß stets in ihrem Interesse liegt, dürfen sie sich keine Mühe verdrießen lassen, einen solchen zu erzielen, ebensowenig aber Mißmut zeigen, wenn alles Bemühen vergeblich. Zu vermeiden ist auch allzu drängendes Überreden und dürfte in den meisten Fällen die entgegengesetzte Wirkung haben, da es den Käufer stutzig und mißtrauisch macht. Jeder verständige Kaufherr wird es daher für Pflicht erachten, seinem Personal ausführliche Verhaltungsregeln für den Verkehr mit dem Publikum zu geben, denn die Art, wie dasselbe bedient wird, trägt ebensoviel dazu bei, es heranzuziehen oder je nachdem fernzuhalten, als gute oder schlechte Ware oder unangemessene Preise dies thun werden. Das bessere Publikum kauft schon deshalb lieber in großen Geschäften, weil dort die Bedienung eine höflichere und zahlt letzteren Umstandes wegen gern einen etwas höheren Preis.

In der Regel sind es die Verkäuferinnen und zwar in Geschäften zweiten und dritten Ranges, welche am meisten gegen die Höflichkeitsformen, die auch beim Kaufen und Verkaufen gelten, verstoßen. Ost bedienen sie lässig, mißmutig, oder gar nur so nebenbei das Publikum, indem sie während des Vorlegens der Waren ein Gespräch mit den Genossinnen führen, wobei die Käufer die unglaublichsten Dinge zu hören bekommen – vom letzten Tanzvergnügen oder dem[435] neuesten Anbeter, von Schuhen, die nicht passen und Kleidern, die nicht nach Wunsch u.s.w. In großen und seinen Geschäften wird dergleichen ja unmöglich sein, aber überall, wo es dem Publikum in kleineren begegnet, sollten derartig ungeschulte Verkäufer streng zurecht gewiesen oder sofort der Laden verlassen werden. –

Daß in der Kirche ein besonderes würdiges Benehmen Pflicht eines jeden – und nicht nur die der Höflichkeit, sondern auch der Sittlichkeit –, bedarf kaum des Hinweisens. Schon der Anzug ist mit Sorgfalt zu wählen, denn wenn er auch ein festlicher sein soll, darf er doch nicht auffallend oder sonst irgendwie unangemessen erscheinen. Allzu grelle Farben sollte man meiden, da es etwas wesentlich anderes, zum Gottesdienst als etwa zu Tanze zu gehen. Auch auf dem Hin- und Rückweg wird jeder, dem Kirchen besuch keine leere Formalität, sich eines ruhig ernsten Wesens befleißigen, in der Kirche aber in erhöhtem Maße. Verspätung ist ebenso streng zu vermeiden als früheres Aufbrechen, da beides stören würde und Störung hier doch mehr oder minder Entheiligung bedeutet. Ganz unthunlich aber wäre, wenn erstere sich dennoch durch irgend welche unvorgesehene Zwischenfälle ergiebt, etwa geräuschvoll einen Platz suchen oder andere aufstehen lassen, um zu dem eignen Kirchenstuhl zu gelangen. Man hat in solchen Fällen eine geeignete Pause abzuwarten und es in dieser möglichst unbemerkt zu bewerkstelligen. Unnötiges Umherblicken[436] ist in der Kirche ebenso ungehörig als etwa Aufstehen oder Flüstern mit den Nachbarn während der Predigt oder sonst einer heiligen Handlung.

Wer dem Gottesdienst Andersgläubiger beiwohnt, wird gut thun, sich den äußeren Formen, auch wenn sein eigner Kultus dieselben nicht kennt, anstandslos zu fügen. So z.B. wäre es auffallend und verletzend für die Andächtigen zugleich, wenn ein Protestant während des Hochamts in katholischer Kirche allein aufrecht stehen bliebe, wenn alle Übrigen auf die Kniee sinken. Da die Kniebeugung nicht der Glaubensform, sondern dem höchsten Wesen, vor dem wir uns alle zu beugen haben, gilt, weshalb sich ausschließen? Dasselbe wäre etwa, beim Vorüberführen einer Prozession (in katholischen Ländern) den Hut aufzubehalten, wenn alle das Haupt entblößt haben. Auch hier gilt die Ehrfurchtsbezeugung nicht dem Ritus, sondern dem höchsten Gotte.

Überhaupt soll man weder über rituelle Gebräuche noch über Glaubenssachen im allgemeinen spotten – nicht einmal streiten. Es hat jeder das vollste Recht, es mit religiösen Dingen zu halten, wie es seiner Überzeugung gemäß. –

Das Verhalten auf Kirchhöfen ward bereits bei Besprechung der Trauerfälle in Familien gekennzeichnet. Hinzugefügt mag nur noch werden, daß hier es auch für alle diejenigen, welche nicht zur Trauerversammlung gehören und nur aus müßiger Neugierde zu einem Leichenbegängnis erscheinen, Pflicht der Wohlanständigkeit,[437] in schwarzen, mindestens aber dunkeln Anzügen zu erscheinen. Es erscheint dann doch wie reiner Hohn, dazu rote, grellblaue oder grüne Kleider und buntfarbige Blumenhüte anzulegen – in Deutschland wenigstens. Und wir haben uns eben mit deutscher Sitte und Wohlanständigkeit zu beschäftigen. Auch neugieriges Hinstarren und Hervordrängen, sowie laute Bemerkungen über den Verstorbenen oder die Verhältnisse der Hinterbliebenen wirken verletzend, ja oft roh auf Unbeteiligte und sind deshalb streng zu meiden. Ferner sei bei diesem Anlaß noch erwähnt, daß niemand bei Begegnen eines Leichenzuges auf Kirchhöfen unterlassen sollte, das Haupt zu entblößen, wenn die Leiche vorübergetragen wird. Es gilt der Majestät des Todes! –

Beim Besuch von Kunstsammlungen und öffentlichen Ausstellungen soll man, besonders Damen, schon durch äußeres Wesen darthun, daß es wirklich nur Kunstinteresse ist, welches uns hergeführt. Derartige Besuche gewähren Anregung, Genuß – zuweilen freilich auch das Gegenteil davon – heiterem Vergnügen aber dienen sie nicht. Man legt dazu eleganten Straßenanzug an. Lautes Lachen, Spotten und auffällig geführte Kunstgespräche machen einen schlechten Eindruck auf wohlerzogene Menschen und berufene Kunstkritiker werden es nie sein, die sich dergleichen gestatten. Überhaupt gilt auch hier wie überall im öffentlichen Verkehr: Alles Auffällige vermeiden!

Eine heikle Sache ist es für Damen und namentlich[438] für junge Mädchen, gegenüber dem »Nackten« im wahren Sinne des Worts, wie es in künstlerischer Darstellung so häufig und mit Recht vorkommt, sich passend zu verhalten. Davonlaufen wäre hier ebenso lächerlich, als etwa schamhafte Verlegenheit zur Schau tragen – höchst unschicklich aber ein ruhiges Mustern solcher Nacktheit oder gar andeutungsvolles Flüstern und Kichern untereinander. Taktvolle Damen gehen an dergleichen Gemälden oder Bildwerken nach flüchtigem Blick ruhig vorüber, als hätten sie nichts Anstößiges bemerkt. Stehen bleiben oder darüber Erörterungen anknüpfen, vielleicht sogar wenn Herren zugegen, wird jeder keuschen Frauennatur unmöglich sein, selbst wenn es sich um ein hervorragendes Kunstwerk handelt. Echte Weiblichkeit wird in solchen Fällen lieber auf den ästhetischen Genuß desselben verzichten. Daher sollten junge Mädchen nie in Begleitung von Herren z.B. eine Skulpturengalerie besuchen. –

Für das Verhalten im Konzert und Theater kommen fast dieselben Vorschriften des guten Tons in Anwendung wie für den Salon. Auch hier ist während der Vorträge jedes störende Geräusch und Gespräch zu vermeiden und die Strick-, Stick- und Häkelarbeiten, welche manche Damen für unerläßlich beim Anhören von Musikstücken halten, fallen jetzt ebenfalls mehr und mehr fort – für große und künstlerische Konzerte waren sie stets verpönt. Welche Verachtung hervorragende Künstler für »Strick- und Kaffeekonzerte« haben, ist bekannt. Aber auch kein[439] Musikverständiger wird sich durch das Geklapper der Nadeln und Hochziehen der Wollfäden stören lassen mögen. Für Konzerte im Freien, die ja mehr oder weniger nur zur beiläufigen Unterhaltung angehört werden, mag die Handarbeit passieren, wie auch bei längerem Aufenthalt in öffentlichen Gärten. Es giebt Herren, welche die Handarbeit in schönen Händen hassen, da sie den vollen Anblick des Gesichts hindert und beim Plaudern stört; andere wieder werden solchen Bienenfleiß sehr hausmütterlich finden – wie gut, daß der Geschmack eben verschieden!

Im Theater kann ja nun von Handarbeit keine Rede sein, aber auch hier sind allerlei Winke für passendes Verhalten zu geben. Zuerst heißt es da wieder: Verspäten und früheres Aufbrechen nach Möglichkeit vermeiden! Welch' eine Störung das Auf und Niederklappen der Sitze verursacht, hat gewiß jeder von uns schon voll Mißmut empfunden; letztere wird noch beträchtlich gesteigert, wenn die Verspäteten verlangen, daß eine ganze Reihe Theaterbesucher sich von den Sitzen erhebt, damit sie zu ihrem Platz gelangen können. Wo bleibt da die Achtung vor der Kunst, wo die Rücksichtnahme auf unsere Mitmenschen! Noch ärger aber ist, wenn – wie es auch in großen Theatern geschieht – wenige Minuten vor Schluß des Stücks die Mehrzahl des Publikums hinausstürmt, um rechtzeitig die Garderobe zu erlangen und dadurch nicht nur andächtigen Hörern den Schluß verkürzt, sondern auch die darstellenden Künstler um den wohlverdienten[440] Beifall bringt. Und das nur, um wenige Minuten Zeit zu sparen, während man vorher doch einen ganzen Abend für die Aufführung übrig hatte! Es kann nicht dringlich genug auf das Unpassende, Störende und schließlich auch Thörichte solchen Beginnens hingewiesen werden.

Eine andere Unsitte, die leider nur in Deutschland Verbreitung gewann, ist, für das Theater nicht sorgfältigen Anzug zu wählen, sondern zu erscheinen, wie man eben ging und stand – volkstümlich ausgedrückt Diese Lässigkeit und Geschmacksverirrung erscheint geradezu unbegreiflich; der Besuch des Theaters kommt doch durchaus dem einer Gesellschaft gleich und zwar einer großen, von vielen Menschen gebildeten Gesellschaft – weshalb da im Hauskleid erscheinen? In England, Italien und fast in allen anderen Ländern wird für den Besuch großer, sowie der Hoftheater – in Paris für die Große Oper – nicht nur eleganter Gesellschafts-, sondern sogar für die Logen Ballanzug angelegt und welch einen festlichen, ja berauschenden Anblick dies im Verein mit strahlender Beleuchtung des gewöhnlich auch architektonisch schönen und reich ausgestatteten Theatergebäudes macht, ist bekannt. Dagegen komme man in unsere deutschen Hoftheater – Ausländer staunen und spotten geradezu über den düsteren oder nüchternen Eindruck, den ihnen unser weibliches Theaterpublikum in den einfachen dunkeln oder gar schwarzen Anzügen macht. Selbst der deutsche Kaiser mag dies herabstimmend empfunden und darum allwöchentlich[441] einmal während der Wintermonate das theatre paré, d.h. eine Festvorstellung angeordnet haben, in denen Herren und Damen im Gesellschaftsanzug zu erscheinen haben und das trauermäßige schwarze Kleid streng verbannt ist. Nur mehrere solcher Verordnungen von allerhöchster Stelle und auch die schwerfälligen Nordländer werden allmählich lernen, was guter Ton bei solcher Kleiderfrage vorschreibt!

Daß Damen den Hut nicht aufbehalten dürfen, ist in neuerer Zeit mit vollem Recht in jedem Theater zum Hausgesetz erhoben. Nur in den Logen solcher zweiten und dritten Ranges pflegen Damen denselben nicht abzulegen, es gilt dies als sein. Handschuhe sind während des ganzen Abends, zu tragen. Auch haben Damen sich im Theater und Konzert überlauter Beifallsbezeugungen zu enthalten. Es genügt, wenn sie, ihre Zustimmung auszudrücken, die Bewegung des Händeklatschens andeuten – dies mit lautem Schall zu thun, mag Herren überlassen bleiben. In Gegenwart des Hofes klatscht man im Hoftheater nicht, es sei denn, daß die hohen Herrschaften selbst das Zeichen zum Beifall geben

Ähnliches Verhalten gilt bei Vorlesungen und Vorträgen, ganz gleich, ob dieselben in geschlossener Gesellschaft oder öffentlich, d.h. jedermann zugänglich, stattfinden. Die Cigarre für den Herrn ist dabei ebenso unstatthaft als die Handarbeit für Damen, welche, so unglaublich es scheint, selbst hier zuweilen eingeschmuggelt[442] wird. Wie schmeichelhaft und ermutigend für den Vortragenden, wenn die Aufmerksamkeit des Hörers zwischen ihm und der Häkelei oder gar dem Strickstrumpf geteilt wird! Einen vornehmen Eindruck wird jedenfalls ein Auditorium nie machen, in dessen Reihen Garn gewickelt wird oder der bläuliche Dampf der Cigarre aufsteigt. Durchaus unstatthaft ist auch, den Vortragenden oder die Mitanwesenden durch ein Opernglas in Augenschein zu nehmen, wie es häufig geschieht. Für schwache Augen genügt wohl auch ein Augenglas, entfernt Sitzende zu erkennen oder das Mienenspiel des Redners zu beobachten – oder vielmehr, es muß genügen. Auch im Theater sollte das Opernglas nur zur Betrachtung der Darsteller, nicht des Publikums benutzt werden, letzteres wenigstens nicht in auffälliger Weise.

Vom öffentlichen Erscheinen in geschlossenen Räumen wenden wir uns nun dem im Freien zu und gedenken da zunächst der Landpartie. Wenn ja nun schon bei allen Verabredungen pünktliches Einhalten derselben oder bei eingetretener Verhinderung rechtzeitiges Absagen Pflicht ist, so gilt dies bei Ausflügen ins Freie in doppeltem Maße. Das Warten in der Bahnhofshalle oder an sonst bestimmtem Sammelplatz gehört wahrlich nicht zu den Annehmlichkeiten und wird als um so größere Rücksichtslosigkeit von den Beteiligten empfunden, wenn es viele sind, die auf einen – gewöhnlich ist's ja ein Femininum! – warten müssen. Da aber, falls der Ausflug per Bahn stattfindet, der[443] Zug eben nicht wartet, ist es gerechte Strafe für den oder die Unpünktliche, wenn die versammelte Gesellschaft abdampft und dem Säumigen überläßt, in irgend einer Weise Anschluß zu erlangen.

Auf passende Kleidung bei Ausflügen ist besonderes Gewicht zu legen. Helle leichte Anzüge, welche Staub und Regen ertragen können, ohne sofort unbrauchbar zu werden, aber auch Überzieher oder Mantel, sich gegen beide und etwa eintretende Kühle zu schützen, einen Schirm, der zugleich als Schutz gegen Regen als gegen Sonne zu benutzen – bequemes, nicht zu leichtes Schuhwerk und die Ausrüstung ist vollendet. Das heißt, die äußere; denn auch der inneren bedarf es und zwar ist da ein tüchtiger Vorrat von guter Laune und gutem Willen, allenfalls auch etwas Witterungsungunst oder Strapazen zu ertragen, mitzunehmen. Denn nichts störender und unerträglicher für andere, als Klagen über Unbequemlichkeiten und Ermüdung mit anhören oder mißvergnügte Gesichter sehen zu müssen. Wem frische Luft und Sonnenschein nicht lieber sind als Bequemlichkeit, wer zu kleinlich und verwöhnt, auch das Gegenteil mit gutem Mut zu ertragen der bleibe hübsch zu Hause im Lehnstuhl am Ofen, wo Regen ihn nicht treffen kann und den Füßen keinerlei Anstrengung zugemutet wird. Wer aber mitthut, sollte schon aus Stolz nicht hinter den anderen zurückbleiben und sich sagen: Weshalb könnte ich nicht leisten und ertragen, was doch alle übrigen ertragen? Namentlich junge Mädchen mögen sich das merken, da man bei[444] Ausflügen gerade von ihnen so oft Klagen vernimmt, was ebenso unschicklich als unliebenswürdig. Wo bleibt da der Vorzug frischer, kraftvoller Jugend? Allerdings ist es gar so oft gerade diese, die am wenigsten Jugendlichkeit besitzt.

Bei Landpartieen ist es empfehlenswert, die Leitung in eine Hand zu legen. Da jeder Teilnehmer anderen Sinnes über das gemeinsame Ziel und die genußreichste Ausfüllung der Zeit sein wird, kommt man vor lauter Beratungen und Vorschlägen gewöhnlich zu nichts und allgemeine Zerfahrenheit und Mißstimmung wird die Folge sein. Bei Ausflügen ist auch gestattet, was sonst beim Erscheinen an öffentlichen Orten thunlichst vermieden werden sollte – da es einen wenig seinen Eindruck macht – nämlich das Mitbringen von Eßwaren und Speisevorräten. So ein Picknick im Walde, zu dem alle Familien beisteuern – alleinstehende Herren und Damen gelten gewöhnlich als Gäste – verläuft fast ausnahmslos sehr heiter. Nur sollte man für sorgfältige Verpackung der Speisen Sorge tragen, auch möglichst einen dienstbaren Geist mitbringen, der sich damit beladet. Wenn die Herren oder gar Damen der Gesellschaft abwechselnd die Körbe und Körbchen tragen müssen, ist das weder schön noch bequem. Empfehlenswert ist auch, da ein Mitführen des nötigen Geschirrs zu schwierig sein würde – falls man nicht zu Wagen – die bekannten leichten Papptellerchen mitzunehmen, auf denen sich die Speisen ganz sauber und appetitlich ordnen lassen. Jeder aber, der im Walde gelagert und[445] und getafelt, sollte nie versäumen sorgfältig Umschau zu halten, ob nicht Hüllenpapiere oder sonstige unschöne Überreste auf der »Wahlstatt« zurückbleiben. Den Großstädtern und Residenzlern gilt diese Mahnung in erster Linie, da in die Umgegend der Kleinstadt die Menschen eben nicht scharenweis hinausziehn, wie es bei ersteren der Fall. Wenn aber so ein vielbesungener deutscher Wald – oft ist's ja kaum die Andeutung eines solchen, der das Ziel der Ausflügler bildet – statt des ohnehin fehlenden moosigen Grundes eine Pflasterung von unsauberen Fettpapieren und verbogenen Blechbüchsen aufweist, wo bleibt da Waldespoesie und Illusion! Darum bitte, meine jungen Damen und Herren, die sie an einem Picknick im Walde teilgenommen – wenn wir Ihnen auch nicht zumuten, die Verpackungsüberreste sorglich nach Haus zu tragen, möchten wir doch freundlich mahnen, sie zusammenzulegen und unter einem Strauch, in einer Erdvertiefung oder sonst irgendwie wenig bemerkbar zu bergen. Jeder Festordner einer Landpartie aber sollte vor dem Scheiden mit Feldherrnblick den Tummel- und Lagerplatz im Walde oder auf der Wiese übersehen, ob auch nichts zurückgeblieben das die Stätte verunziert und Nachkommenden den Anblick schöner Natur stört.

Wenn nun aber der Verkehr im Freien und auf Ausflügen im allgemeinen zwangloser ist als bei häuslicher Geselligkeit, darf doch auch hier gute Sitte und seine Lebensform nicht außer acht gelassen werden.[446] Die Grundzüge derselben bleiben eben überall dieselben, wo und wie gebildete Menschen miteinander zusammen verkehren. So ist es z.B. selbstverständlich, daß Herren den Damen all jene kleinen Ritterdienste erweisen, zu welchen sich gerade auf Partieen die verschiedenste Gelegenheit ergiebt. Es heißt da, bei abschüssigen Wegstellen vorangehen und die Hand zur Stütze bieten, ebenso beim Überschreiten von Bächen und sonstigen Hindernissen. Auf unebenen oder ansteigenden Pfaden ist der Arm zu reichen, wie es auch kaum der Betonung bedarf, daß die Damen von allem Ballast als Plaids, Tücher u.s.w. zu befreien sind. Es heißt da eben Selbstverleugnung üben, so schwer diese auch oft werden mag.

Die Landpartie aber bildet den passenden Übergang


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 429,447.
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