Freundschaftsbriefe

[497] zu gestalten, dürfte nach den gegebenen Winken auch dem ungeübten Briefschreiber nicht zweifelhaft sein.[497] Es giebt zwar Menschen, welche nie wissen, was sie einander schreiben und vor allem nicht, wie sie den Brief beginnen sollen, und doch kann man um beides kaum in Verlegenheit geraten. Es sollte nie versäumt werden, vor dem Schreiben den letztempfangenen Brief des Betreffenden, welchem die Antwort zukommen soll, noch einmal durchzulesen – die Persönlichkeit wird uns dadurch nicht nur sofort nahe gerückt, sondern es werden sich auch mancherlei Anknüpfungspunkte ergeben, verschiedene Anfragen zu beantworten sein. Und dann denke man sich etwa, der liebe Verwandte oder Freund säße uns zu gemütlichem Plaudern gegenüber und beginne den Brief genau so, wie man die Unterhaltung mit ihm einleiten würde – zwanglos, ohne feierlichen Eingang – das Geschriebene wird dann als unmittelbarer Ausdruck des Empfindens wirken und dem mündlichen Plaudern nur um so näher kommen. Und stellt man gar beim Schreiben das Bild eines lieben Menschen vor sich hin – den Briefschreiber wollten wir sehen, dem sich alsdann nicht im Fluge Seite um Seite füllte und es brauchen nicht einmal besonders fantasiebegabte Menschen zu sein, bei denen sich derlei Reizmittel als unfehlbar erweisen werden!

Zu erwähnen sei noch, daß, wie man sich eines einleitenden Eingangs befleißigen wird, auch der Schluß eines Briefes vorbereitet und irgend eine Übergangsformel vom Inhalt zur Unterschrift gefunden werden muß. Ob ein Schreiben nun harmonisch[498] ausklinge oder mit geräuschvollen Akkorden ende – der Vergleich mit einem Musikstück liegt hier so nahe! – jedenfalls ist ein sogenannter Abgang nötig. Ein unvermittelter Abbruch wirkt eben wie das jähe Zerreißen einer Melodie und kein gewandter Briefschreiber wird sich dessen schuldig machen, da es den guten Eindruck eines Schreibens abschwächt. Wie hart und gewaltsam klingt es z.B., wenn den ausführlichen Schilderungen eines freundschaftlichen Briefes, in dem sich der Schreiber eingehend über Reise-, Kunst- oder andere Eindrücke verbreitete, Stimmungen und Gefühle kennzeichnete, dann unvermittelt ohne eine Überleitung zum Persönlichen abbricht, um kurz zu unterzeichnen:


»Herzlichen Gruß!«

Wilhelm.


Derartiges ist mithin zu vermeiden. Der Schluß eines Briefes soll freundlich nachklingen in der Seele des Empfängers.


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 497-499.
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