Nachwort.

[514] Wir haben in vorliegendem Werk versucht, das Wesen des guten Tons und der seinen Sitte, wie sie in deutschen Landen Geltung haben, in ihrem innigen Zusammenhang mit wahrer Sittlichkeit zu beleuchten. Es hieß da hundert und aberhundert formeller Nichtigkeiten gedenken, welche allen, denen sie geläufig, als unwesentlich erscheinen wüssen und doch nicht übergangen werden durften, da sie in ihrer Vereinigung eben die Gesamtheit dessen ergeben, was wir als seine Lebensformen bezeichnen. Wir haben ferner nachzuweisen versucht, wie sehr letztere nicht nur den Verkehr mit Menschen erleichtern, sondern je nachdem das Leben angenehm machen können oder zu verbittern im stande sind, denn genau genommen, setzt sich das Menschenleben aus Kleinigkeiten zusammen und fortgesetzte Nadelstiche vermögen den Genuß desselben ebenso zu trüben als große Schmerzen und Kämpfe. Ja, es giebt Menschen, die letztere leichter überwinden[514] und lieber ein ernstes Hindernis bewältigen, als ewig mit Windmühlenflügeln kämpfen. In diesem Sinne genommen ist die Kenntnis und Bethätigung seiner Lebensformen eben eine Lebenskunst.

Wenn nun aber die Grundsätze des guten Tons auch überall in der guten Gesellschaft dieselben, wird doch deren Erfassen und Anwenden im einzelnen Falle stets individueller Beschränkung unterliegen, wie auch dies Buch nur aus subjektiver Anschauung und Erfahrung heraus geschrieben werden konnte. Dies mögen Andersmeinende berücksichtigen. Und doch werden selbst sie sich mit uns vereinen müssen in dem ehrlichen Wunsch und Streben nach:

Allgemeinheit der seinen Sitte, der guten Sitte![515]

Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 514-517.
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