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Nördlingen, eine kleine freie Reichsstadt in Schwaben, ist mein Geburtsort; daselbst erblickte ich das Licht der Welt am 16. April 1786. Veit Jeremias Adam, mein Vater, war Conditor und Spezereihändler, hatte aber mehr die Natur eines Künstlers als die eines Geschäftsmannes, was wohl Mitursache gewesen sein mag, daß meine Eltern, als später schwierige Zeiten kamen und viel Mißgeschick sie traf, in sehr dürftige Verhältnisse geriethen. Mein Vater besaß einen sehr lebendigen Geist, eine rastlose Thätigkeit und stand im Rufe der strengsten Rechtschaffenheit; er liebte die Lectüre und brachte die meisten Abendstunden, welche ihm sein Beruf frei ließ, mit Lesen guter Bücher zu. Ebenso hatte er Freude an der Kunst, besaß viele Kupferstiche und malte selbst recht artig Blumen und Früchte in Aquarell.
Meine Mutter Margaretha Sibylla Thilo, die Tochter eines sehr geachteten Geistlichen, versäumte als eine fromme Frau nicht leicht den Gottesdienst; dem Vater an Geist untergeordnet und oft etwas eigenwillig, verstand sie nicht immer den heftigen Charakter ihres Gemahls richtig aufzufassen.
Das Talent, oder besser gesagt, der Hang zur Kunst, machte sich bei mir schon sehr früh bemerklich. Eine alte Tante erzählte oft in späteren Jahren, daß ich, wenn sie mich Abends auskleidete, immer einen kleinen Klumpen Wachs auf der Brust hatte, aus welchem ich allerlei Thierchen formte, und[1] daß ich entsetzlich weinte, wenn man mir denselben nehmen wollte. Sehr frühzeitig zeichnete ich auch schon für mich selbst ohne jeglichen Unterricht, wobei mir die Kupferstiche meines Vaters sehr dienlich waren.
In der Schule zählte ich nie zu den guten Schülern; je weiter ich in den Klassen vorrückte, desto geringer wurde meine Aufmerksamkeit. Geographie und Geschichte interessirten mich, aber das Latein wollte mir gar nicht in den Kopf; übrigens lernte ich mit großer Leichtigkeit das, wozu ich Neigung hatte, weil eine rasche Fassungsgabe und ein scharfes Gedächtniß mir hiebei zu Hilfe kam.
Mit neun Jahren trat ich aus der Schule und wurde sofort in dem Geschäfte meines Vaters verwendet. Von dieser Zeit an verlebte ich unter vieler Mühe und Plage in großer Dürftigkeit meine Jugend bis zum sechzehnten Jahr; dennoch aber kann ich sie nur eine glückliche nennen und erinnere mich mit Freuden derselben.
Zu jener Zeit hatten die Kinder, besonders in den kleinen Städten, eine Jugend im wahren Sinne des Wortes; sie bildeten eine eigene Gesellschaft und waren unerschöpflich in Erfindung von Spielen, welche oft größere Schaaren gemeinsam trieben. Was man jetzt unter einem gewissen Zwange systematisch in Turnanstalten lehrt, das lernte damals ein Knabe von dem andern in selbständiger freier Bewegung. Wir übten uns im Schwimmen, Ringen, Laufen, Klettern, Schlittschuhfahren und brachten es darin bis zu großer Virtuosität, weil eben alles aus eigenem Antriebe geschah und einer es dem andern zuvorthun wollte. Die Straße, der Wald und das freie Feld waren die Tummelplätze; auf solche Weise entstand eine kräftige Generation.
In dieser Zeit nahm mein Hang zur Kunst, selbst unter den mißlichsten Verhältnissen im elterlichen Hause, von Tag zu Tag zu; jeder freie Augenblick wurde ihm gewidmet und selbst die Nächte hiezu verwendet. Ich versuchte mich im Aquarellmalen, modellirte in Thon und Wachs, lernte Formschneiden in die Tiefe und schnitzte recht artig Thiere aus Lindenholz.[2] Immer hatte ich Zeichnungsmaterial bei mir, zeichnete Figuren, Thiere, Landschaften und alles, was mir unter die Augen kam, nach der Natur. Kurz, ohne Unterricht erhalten zu haben, trieb ich alles, was in das Gebiet der Kunst einschlägt.1 Mein Vater fand an diesen Bestrebungen großes Wohlgefallen, war aber entschieden dagegen, daß ich die Kunst ausschließlich zu meinem Berufe mache; er meinte, bei der Conditorei würden mir alle diese Fähigkeiten sehr zu statten kommen. Ich aber dachte ganz anders und machte jetzt schon Pläne, wie ich dereinst auf eigene Faust meine Wege gehen könnte. Vor allem fing ich damit an, daß ich mich an Entbehrungen gewöhnte, welche möglicherweise der Körper ertragen muß, um meine Bedürfnisse auf den niedrigsten Grad zurückzuführen. Ebenso suchte ich meinen Körper möglichst abzuhärten, schlief deßhalb im Sommer meistens auf einer hölzernen Bank anstatt im Bette. Alles das kam mir später sehr zu gute, denn es machte mich zum Herrn über mich selbst.
Hiebei förderte mich auch das Lesen guter Biographien; besonders übte Füßli, »Geschichte der besten Künstler in der Schweiz« (Zürich 1769–1779), frühe schon großen Reiz auf mich; ich sah, wie oft die bedeutendsten Talente mit fast unübersteiglichen Hindernissen zu kämpfen hatten, um ihr vorgestecktes Ziel zu erreichen; aus solchen Werken machte ich mir Vieles zu Nutzen.
Durch die Kriege, welche gegen Ende des vorigen Jahrhunderts[3] in Folge der französischen Revolution ausbrachen und auch Deutschland heimsuchten, hatte Nördlingen ebenfalls viel zu leiden, da bald österreichische, bald französische Truppen durch die Stadt zogen oder daselbst lagerten. Von dieser Zeit an kam die freundliche Stadt, welche vordem in großer Wohlhabenheit gestanden, immer tiefer herab und konnte sich nie mehr völlig erholen. Die Kriegslasten, verbunden mit der Stockung der meisten Geschäfte, waren drückend, oft unerschwinglich; ganz besonders zeigten sich die Franzosen zur Zeit der Republik nicht blöde in der Eintreibung von Contributionen und in Erpressungen aller Art. Unter diesen Verhältnissen hatten meine Eltern viel zu leiden und konnten nie mehr so recht emporkommen. Denn damals mußte man schon froh sein, wenn man für sich und seine Familie und die vielen ungebetenen Gäste Brod genug hatte. Leckereien kamen höchstens auf die Tafel irgend eines französischen Generals; zudem gab es der Conditoren und Lebküchler2 in Nördlingen wenigstens ein Dutzend; wer kein Vermögen zum Zusetzen hatte, dem ging es schlecht. Ganz anders wirkte jene Zeit auf mich; was die Eltern niederdrückte, gab meinem strebenden Geist und meiner lebhaften Phantasie einen ganz neuen Aufschwung. Die großen Ereignisse, welche sich so schnell auf einander häuften, rissen mich, so jung ich war, gewaltig mit sich fort und boten mir unerschöpflichen Stoff zum Schaffen und Nachdenken. Die höchst pittoresken, oft zerlumpten Anzüge der republikanischen Armee, der lebendige Geist, selbst die Spiele, die charakteristischen, oft ganz verwilderten Physiognomien, die uns ganz fremde Art der französischen Soldaten, sich zu bewegen, begeisterten mich. Einen recht auffallenden Gegensatz dazu bildeten die österreichischen Heere. Ruhig und ernst, meistens in geregelten, compacten Massen, sahen wir sie einherziehen: in ihrer Kleidung ordentlich, wenn man ihnen auch den Krieg ansah, im Unglücke in ihr Schicksal ergeben, die Subordination selten aus den[4] Augen verlierend, machten sie stets einen gewissen Ehrfurcht gebietenden Eindruck. Daß aber ganz besonders die Charakteristik der so verschiedenen Nationalitäten, aus denen die österreichische Armee zusammengesetzt war, mich interessiren mußte, ist leicht denkbar; für mich gab es nichts Anziehenderes als ein österreichisches Lager.
Kurz, alle diese Erscheinungen, welche sich mir in so früher Jugend darboten, konnten ihre Eindrücke auf mein lebendiges Gefühl nicht verfehlen; ich hätte alles mit einem Male erfassen und festhalten mögen, allein es mangelte mir dazu die Kraft. Doch zeichnete ich, was mir immer möglich war und so gut es eben ging. Aber hier schon reifte der Gedanke zum festen Entschlusse, die Schlachtenmalerei dereinst als Beruf zu wählen, wenn es mir gegönnt sein sollte, ein tüchtiger Künstler zu werden.
Im Jahre 1800 bis 1801 häuften sich die französischen Heeresdurchzüge wieder bei uns. Da geschah es an einem Sonntage, an welchem ich von meiner alten Tante zum Mittagessen eingeladen war, daß mein Weg mich an der Hauptwache, welche damals die Franzosen besetzt hielten, vorüberführte. Ein Grenadier, der mir ganz besonders gefiel, stand auf dem Posten. Der kann nicht weggehen, dachte ich, den muß ich zeichnen. Mein Zeichnungsmaterial trug ich immer mit mir, diesmal auch die Wasserfarben. Ich setzte mich auf eine Bank, fing an zu zeichnen und war bald umringt von Zuschauern, welche große Freude an mir hatten und ihrem Kameraden winkten, stille zu halten. Als ich geendet hatte, wurde ihm die Zeichnung gezeigt; er betrachtete sie mit großem Wohlgefallen, nickte mir freundlich zu und gab zu verstehen, daß er dieselbe kaufen wolle, wenn er abgelöst würde. Als ich vom Kaufen hörte, packte ich meine Farben aus und colorirte die Zeichnung auch noch. Er hatte einen dunkelblauen Frack mit rothen Aufschlägen und Epauletten, auf dem Hute, welcher gegen das rechte Auge herabgedrückt war, saß ein großer rother, weit herabwallender Busch aus gefärbten Roßhaaren; weit über das Kinn herauf reichte die weiße Halsbinde; er trug ganz grasgrüne[5] Pantalons, welche bis in die spitzschnäbelig zulaufenden Schuhe hineingingen. Das Gilet war von gleicher Farbe. Dergleichen wunderliche Anzüge sah man, besonders bei der Infanterie, sehr viele. Denn nur der Hut und der Rock bezeichneten damals den Soldaten und das Regiment, welchem er angehörte. Sonst trugen sie das originellste Zeug, meist buntfärbig gestreift oder quadrillirte Hosen aus Bettüberzügen, deren Inhalt sie der Luft preisgegeben hatten. Auch die Halsbinden bestanden aus den verschiedenartigsten Stoffen.
Kaum war ich zu Ende, als ein Zweiter sich in Positur setzte, um gezeichnet zu werden; diesem folgte ein Dritter, Vierter, und so ging es fort bis zum Abend. An ein Wegkommen war gar nicht zu denken. Zuletzt wurde mir noch eine ganz hübsche Donna vorgeführt, welche auch gezeichnet werden sollte; sie war im größten Sonntagsstaate in papageigrüner Amazonenkleidung, scharlachrothem Gilet mit zwei großen heraushängenden Uhrketten und einem runden Castorhute, reich geschmückt mit vielen Straußenfedern. Ein prachtvolles schwarzes Haar umfloß das Oval ihres Gesichtes, welches ziemlich feine Züge hatte. Diese Person gefiel mir auch, die Wahrheit zu gestehen, gar nicht übel. Es war das letzte Conterfei dieses Tages; ich nahm mich recht zusammen, und man schien mit dieser Leistung ziemlich zufrieden, denn es wurde von allen am besten bezahlt, ich erhielt vierundzwanzig Kreuzer dafür.
Es verdient wohl besonderer Erwähnung, wie diese zum Theil doch etwas verwilderten Krieger ihre Freude an mir hatten und mich mit französischer Artigkeit behandelten. Ich war damals vierzehn Jahre alt, sah aber noch jünger aus; doch eben meine Jugend interessirte sie; mir zuzusehen, gewährte ihnen den ganzen Tag die größte Unterhaltung; immer war die Wachtstube, welche mir als Atelier diente, voll Soldaten. Wenn die Franzosen auf solche oder ähnliche Weise angeregt werden, so kommt das geistige Leben, welches in ihrer Nation steckt, auf angenehme Weise zum Vorschein.
Das war mein erstes Debüt in der Soldaten- und Portraitmalerei und überhaupt mein erster Erwerb. Wunderlich genug[6] wiederholte sich eine ähnliche Situation neun Jahre später zu Wien, nur daß ich diesmal gemeine Soldaten und höchstens einen Sergeanten zu zeichnen die Ehre hatte und mit Kreuzern und Groschen belohnt wurde, neun Jahre später aber die Generäle und Marschälle des großen Kaisers Napoleon sich bemühten, Bilder mit ihren Portraiten, verbunden mit kleinen Episoden aus ihrem Kriegsleben von mir zu erhalten, und daß es Louisd'ors und Napoleond'ors regnete. Wir werden später darauf zurückkommen.
Der Abend machte dem Treiben in der Wachtstube ein Ende, ich wurde in Gnaden entlassen und hatte eine ganze Tasche voll kleines Geld. Es war ein eigenes Gefühl von stolzer Freude, denn ich hatte noch nie so viel besessen, obwohl die Summe nicht groß war. Aber ich hatte sie mit Bleistift und Pinsel verdient! Darin lag für mich ein besonderes Wohlbehagen.
Oft während des Tages hatte ich an meine Tante gedacht, welche vielleicht lange mit dem Essen auf mich wartete und sich meinetwegen auch Sorgen machte, denn sie war so gut und hielt große Stücke auf mich; aber wenn ich auch versucht hätte, von den Franzosen früher fortzukommen, es wäre nicht gelungen: ich war in dieser Wachtstube wie ein Arrestant. Auch meine Eltern waren sehr in Sorge um mich, da niemand wußte, wo ich hingekommen sei. In der Stadt erfuhr man nichts davon, weil kein Bürgerlicher sich der Wachtstube nähern durfte. Mein Vater allein vermuthete, daß ich irgend wohin gerathen sei, wo ich etwas zu zeichnen gefunden und darüber Essen und alles vergessen hatte, da es nicht das erste Mal war, daß dies geschah; hätte er aber gewußt, daß ich den ganzen Tag von französischen Soldaten umringt verlebt, so würde es ihn aufs höchste bekümmert haben, denn er fürchtete die Soldaten in demselben Grade, als ich sie liebte.
Man war etwas ungehalten, als ich mich zu Hause einfand, dennoch aber froh, daß ich nur wieder zum Vorschein kam, und nebenbei nicht wenig erstaunt über mein erstes Künstlerabenteuer und meine errungene Beute.[7]
So lockend und ermunternd dieses wunderliche Ereigniß auch für mich war, so machte ich doch keinen weiteren Versuch, mir auf diesem Wege ein Taschengeld zu verdienen; ich hatte ja ohnehin schon seit mehreren Jahren nur den Sonntag zu meiner freien Verfügung; auf ihn freute ich mich die ganze Woche hindurch, und bis er herankam, hatte ich so Vieles, so Vielerlei im Kopfe, daß ich nicht wußte, wo anfangen; ein solcher Tag ging immer nur allzuschnell dahin. Auf diese Weise lernte ich übrigens frühe die Zeit eintheilen und ihren Werth schätzen, eine Eigenschaft, welcher nicht alle Menschen genug Wichtigkeit beilegen; mir ist sie durch das ganze Leben zu gut gekommen und bis in das Alter eigen geblieben.
Bald ergab sich die Gelegenheit, mir von Zeit zu Zeit etwas Geld mit Pinsel und Farbe zu verdienen: ich fing an, kleine Portraite in Miniatur auf Papier und Elfenbein zu malen. Anfangs ging es freilich ziemlich schlecht, besonders mit der Technik, aber die Portraite waren doch ganz erträglich ähnlich, und so fanden sich bald Leute, welche von mir gemalt sein wollten; besonders in wohlhabenden Bürgershäusern ging es mir gut: ich wurde gewöhnlich zum Kaffee geladen, man bewunderte meine Kleckserei und ließ sich conterfeien. Bei Liebenden konnte man sich damals mit dieser Art Malerei sehr einschmeicheln; das Bildniß wurde zwischen zwei geschliffenen Gläsern in ein Goldrähmchen gefaßt und auf der Brust getragen, offen oder geheim, wie es eben die Umstände erlaubten.
Eine ganz besondere Liebe zu Pferden war mir von frühester Jugend an eigen; ich suchte überall Gelegenheit, mich im Pferdezeichnen zu üben und fand diese bald in dem nahe bei Nördlingen gelegenen Wallerstein. Es war dort ein Lehrer der jungen geistvollen Prinzen von Oettingen-Wallerstein, nur unter dem Namen Pater Ambros3 bekannt, ein guter,[8] heiterer, gemüthreicher Mann; er unterrichtete die Prinzen in den Wissenschaften, hatte selbst viel Talent für Mechanik und verfertigte zuweilen Spielsachen, wobei er mein Talent für Modelliren von Figuren und Thieren aus Papiermaché bisweilen zu Hilfe nahm; er war mir ungemein zugethan und hatte große Freude an meinen Arbeiten. Dieser Pater Ambros sollte mir nun die Gelegenheit verschaffen, in dem dortigen, gut bestellten Marstalle Pferde zeichnen zu dürfen. Zu diesem Zwecke bat ich ihn, mich mit dem dortigen Oberststallmeister, Baron von Falkenstein, bekannt zu machen. Anfangs wollte er nicht recht hören, er konnte mich damals gerade selbst gut brauchen; endlich aber ließ er sich doch erbitten und sagte: »Ich sehe schon, ich muß Ihnen zu Willen handeln, damit Sie mir auch etwas zu Gefallen thun,« und führte mich zu Falkenstein. Von diesem erhielt ich die gewünschte Erlaubniß und sogar später auch Beschäftigung und Aufmunterung. Nun war ich ganz in meinem Elemente. Die Pferde wurden mir herausgeführt und Stunden lang gehalten, ich malte sie in Aquarell und studirte hiebei mit Leidenschaft das Pferdeportrait. Die Bilder, welche ich machte, erregten Aufmerksamkeit; man fand, obwohl sie noch unvollkommen waren, Talent in ihnen; die Fürstin (der Fürst lebte nicht mehr) wurde aufmerksam gemacht und ich erhielt den Auftrag, etwa ein Dutzend der schönsten Pferde zu zeichnen. Ferner machte ich ein großes Aquarell von den vier hübschen Prinzen4 in einer Gruppe zu Pferd.[9]
Unter diesen Verhältnissen verstrich meine Jugend bis 1804 unter rastlosem, mühevollem Streben, mich in der Kunst emporzuarbeiten. Viele Zeit ging dabei verloren, weil ich zu Vielerlei zugleich trieb, ich hatte eben weder Lehrer noch Wegweiser und mußte daher mühsam meinen Weg selbst suchen.
Mein Vater beharrte noch immer darauf, daß ich bei der Conditorei verbleiben solle, und ich hatte zu viel Pietät, mich seinem Willen gewaltsam zu widersetzen. Mittlerweile kam mir aber der Zufall zu Hilfe.
Nördlingen fiel in Folge der Umwälzungen, welche im deutschen Reiche vorgingen, 1802 an die Krone Bayern und erhielt damit die Conscription. Mein Vater, für den es nichts Schrecklicheres gab als den Gedanken, daß ich Soldat werden müßte, dachte deßhalb daran, mich in die Fremde zu schicken. Es wurde ein passender Platz in Nürnberg ausgemittelt. Das Geld, welches ich mir in Wallerstein erworben, sollte als Reisegeld und zu einer Equipirung dienen. Noch sehe ich den fürstlichen Diener vor mir, welcher mit einem kleinen Säckchen Kronenthaler in das Zimmer trat. Wie reich fühlte ich mich, welche freudigen Hoffnungen lebten in mir auf! Es drängte mich gewaltig hinaus in die Welt; meine Vaterstadt war mir schon seit lange zu enge geworden. Aber ich hatte noch einen harten Strauß zu bestehen, ehe ich an das Ziel meiner sehnlichsten Wünsche gelangen konnte.
Die Anstrengungen und Aufregungen in letzter Zeit waren zu groß; die Natur erlag, ein heftiges Nervenfieber überfiel mich und brachte mich an den Rand des Grabes. Lange lag ich darnieder, länger brauchte ich, bis ich mich erholte. Indessen kam mit dem November die schlechte Jahreszeit, und[10] alles rieth mir ab, zu reisen. Ich ließ mich aber durch nichts irre machen, packte meine Habseligkeiten zusammen und verließ das elterliche Haus zu Anfang des Novembers bei dem schlechtesten Wetter und unter den ungünstigsten Verhältnissen. Theils durch die lange Krankheit, theils durch die mißliche Lage, in welcher sich meine Eltern selbst befanden, war mein Reichthum bis auf drei Kronenthaler zusammengeschmolzen. In der Nacht vor meiner Abreise theilte ich mit meiner Mutter, gab ihr einen derselben und ging mit zwei Kronenthalern in der Tasche in die Welt hinaus.
Dies ist das ganze Vermögen, das ich von Hause mitnahm; damit beginnt alles, was ich erstrebt, erreicht, erworben habe. Ein anderes werthvolleres Vermögen jedoch konnte ich mein eigen nennen: ich hatte arbeiten und meine Bedürfnisse beschränken, den Werth der Zeit und des Geldes kennen gelernt und, was noch mehr ist, ich nahm den Segen der Eltern mit in die Welt. Zudem hatte ich nun meine Freiheit und dünkte mich reich genug.
Ich verließ das elterliche Haus mit dem festen Vorsatze, bald die Stütze der Familie zu werden, und nach wenigen Jahren war ich auch in der Lage, die guten Vorsätze, welche ich gefaßt, verwirklichen zu können.
Das ehrwürdige, alte Nürnberg sollte ich nun sehen! Wie freute ich mich bei dem Gedanken, in eine ganz neue, weitere Welt zu kommen, wie lebhaft interessirte mich alles, was ich dort sah!
Die Thore mit den großen, ernsten Thürmen, so fest, als wären sie für eine Ewigkeit gebaut, die schönen gothischen Kirchen und Häuser mit den hohen Giebeln und Erkern, die schöne, breite Straße vom Spittler-Thore herein, durch welche ich in Nürnberg eintrat, all das versetzte mich in eine ganz feierliche Stimmung.
Mit einigem Herzklopfen betrat ich das Haus meines[11] künftigen Prinzipals; es wurde nicht schwächer, als ich die Ehre hatte, mich ihm vorzustellen. Sehr groß von Gestalt, derb und breitschulterig, starkknochig, erinnerte er mehr an den Hausknecht eines Gasthofes als an einen Mann, dessen Beruf es war, mit Süßigkeiten und Näschereien umzugehen; indessen war er nicht so gefährlich als er aussah, wir kamen gut mit einander aus. Fein war er in der That nicht, doch hatte er auch, ohne viele Feinheit zu besitzen, bald gefunden, wozu ich zu brauchen sei; er befreite mich vom Tortenrühren und vom Backofen und beschäftigte mich mit solchen Arbeiten, welche eine gewisse Geschicklichkeit erfordern und ein wenig in das Kunstfach einschlagen: wie Tafelaufsätze und dergleichen. Dieser Artikel hatte bisher in seinem Geschäfte ziemlich brach gelegen und blühte nun durch mich ganz neu auf, was mich in einigen Respekt setzte.
Einen angenehmen Eindruck machte auf mich die Prinzipalin, eine recht lebendige Frau, deren volle Gunst ich mir in kurzer Zeit erwarb, ohne mich eben sehr darum bemüht zu haben.
Es war nichts weniger als meine Absicht, unter diesen Verhältnissen lange auszuhalten, obwohl es mir im ganzen nicht schlecht ging. Ich hatte das elterliche Haus schon mit dem Vorsatze verlassen, bei der ersten Gelegenheit umzusatteln, nur wollte ich mich erst ein wenig umsehen, wie das anzufangen sei, um mich nicht zwischen zwei Stühle zu setzen.
Gleich zu Anfang meines Aufenthaltes in Nürnberg wurde ich in einer höchst achtbaren Familie eingeführt, in die des Direktors der dortigen Zeichenschule, Christoph Zwinger,5 eines höchst ehrenwerthen Mannes von gutem, altem Schrot und Korn, dem ich unendlich viel verdanke. Er hatte einen Sohn mit Namen Gustav,6 der einige Jahre älter als ich und Künstler[12] war. Mit diesem wurde ich rasch auf das Innigste befreundet. Ich galt wie ein Sohn des Hauses in dieser Familie und brachte alle meine freien Stunden in dieser meiner zweiten Heimath zu. Der alte Herr hatte große Freude an meinem Fleiße und Eifer in der Kunst und stützte mich darin, wo er konnte. Die Akademie, wo diese friedliche Familie wohnte, war in einem ehemaligen Kloster, zu St. Katharina genannt. Durch ein gothisches Pförtchen kam man in einen Garten und dann erst in das Gebäude, welches noch sehr an das Kloster erinnerte. Immer war es mir so wohl um das Herz, wenn ich in dieses Haus trat; hier war so ganz das, was ich wünschte und suchte. Fern von allem Geräusche konnte ich hier über das, was ich vorhatte, nachdenken, guten Rath annehmen und ernstlich studiren, soweit meine freie Zeit es erlaubte.
Hier zeichnete ich nach guten Handzeichnungen, nach Plastik und später auf der Akademie nach dem Akte. Bei Zwinger erhielt ich auch den ersten Unterricht in der technischen Behandlung der Oelfarben und der Oelmalerei überhaupt, in der ich mich wohl schon früher, aber ohne alle Anleitung und Sachkenntniß versucht hatte.7
Unter diesen Verhältnissen verstrichen fünf Monate und das Frühjahr kam herbei; ich hatte meinem Prinzipale den Dienst gekündigt mit dem Bemerken, mich ganz der Malerei zu widmen; er machte ein sonderbares Gesicht dazu, hatte aber wohl lange schon gemerkt, wo ich hinaus wollte.
Ich miethete ein kleines Zimmerchen und vertraute auf mein gutes Glück und das, was ich gelernt hatte. Mit der Portraitmalerei war hier nicht viel zu machen, auch war es mir mehr um ernste Studien zu thun als blos zu malen, um[13] ein armseliges Stückchen Geld zu verdienen; ich sann daher auf einen andern Erwerb.
Im Formschneiden hatte ich mir schon zu Hause viele Geschicklichkeit erworben, ich benützte daher die Nächte und schnitt Model in Birnbaumholz von allerlei Gegenständen, wie sie der Conditor braucht; auch schnitzte ich aus Lindenholz Figuren und Thiere, ganze Jagden und dergleichen, malte sie sauber und verkaufte sie an das große Spielwaaren-Magazin Bestelmayer. Alles das geschah Nachts, so daß ich selten vor Mitternacht zu Bette ging. Auf diese Weise verdiente ich das Wenige, was ich zu meinem Lebensunterhalte bedurfte und hatte den Tag für ernstere Studien frei. Ich malte einige Portraitchen in Oel, um mich hierin zu üben, machte mich auch mit der Radirnadel und mit dem Aetzen mit Scheidewasser bekannt, eine Beschäftigung, die mir besonderes Vergnügen bereitete. Ich radirte mehrere Blättchen, von denen ich einige an den Kunst- und Buchhändler Campe8 verkaufte. Inzwischen zeichnete ich auch mit großer Liebe Landschaften nach der Natur.
Durch ein ganz unerwartetes Ereigniß wurde ich plötzlich aus dem bisherigen Asyle im Katharinenkloster und meinem stillen Kunsttreiben daselbst für einige Zeit herausgerissen.
An einem sehr schönen Herbstmorgen nahm ich meine Mappe unter den Arm und ging hinaus in das Freie, um nach der Natur zu zeichnen, kehrte aber bald wieder zurück, da ich keinen passenden Gegenstand fand; es war mir, als sollte ich nun einmal heute nicht Landschaften zeichnen.
Als ich gegen 10 Uhr Vormittags an der Stadtmauer ankam, welch' wunderliche Scene stellte sich mir hier dar! Die altersgrauen, schweren Stadtthore waren fest verschlossen, auf der Brücke standen viele Menschen beisammen, welche in die Stadt wollten, und mitten darunter der Postkarren, der die Briefpost brachte. Der Postillon lag dicht am Thore, mit dem[14] Gesichte auf der Erde, schaute bei einer Spalte hinein und rief unaufhörlich: »So laßt doch das Felleisen hinein, macht auf, das Felleisen ist da, ich muß hinein.« Umsonst, das Thor war und blieb verschlossen.
Ich machte mich schnell daran, diese komische Scene zu zeichnen, mich unterhielt der ganze Auftritt; die Umstehenden aber starrten einander verlegen an, Einer fragte den Andern, was das zu bedeuten habe, keiner wußte einen auch nur scheinbaren Grund anzugeben. Nachdem ich mit meiner Zeichnung fertig war, ging ich weiter und nahm meinen Weg um die Stadt herum, um zu sehen, wie es mit den übrigen Thoren beschaffen sei. Alle waren verschlossen. Bei dem Spittlerthor aber klärte sich das Räthsel auf.
Eine Abtheilung der bayerischen Armee war aus dem Fränkischen vor Nürnbergs Mauern angekommen und wollte in die Stadt einziehen; allein diese damals noch freie löbliche Reichsstadt suchte, fest an ihren alten Rechten und Gebräuchen haltend, ihre Neutralität zu behaupten und verweigerte hartnäckig den Eintritt in ihre Mauern.
Dieses bayerische Corps bestand aus Infanterie, Cavallerie und Artillerie. Es hatte die Bestimmung, nach Bayern zurückzugehen, um sich mit der französischen Armee zu vereinigen, denn Bayern hatte sich inzwischen mit Napoleon zum Krieg gegen Oesterreich verbündet, was jedoch damals noch unbekannt war.
Ein Theil der Cavallerie hielt dicht vor dem Thore und war abgesessen; auch der commandirende General mit seinem Stabe kam von Fürth her dort an; da gab es viel zu sehen, was mich höchlich interessirte. Es waren die ersten bayerischen Truppen, welche ich in Masse sah. Sie machten mir einen sehr günstigen Eindruck, waren gut und zweckmäßig uniformirt, hatten eine schöne militärische Haltung, sahen wohl genährt aus und waren lustig und guter Dinge. So sehr ich sonst gewohnt war, gleich mit dem Papiere bei der Hand zu sein, um zu zeichnen, konnte ich hier vor lauter Reiz der Neuheit nichts machen; ich trieb mich den ganzen Nachmittag unermüdlich herum, während[15] mit der Stadt über den Einlaß der Truppen fortwährend hin und her parlamentirt wurde. Endlich nahte der Abend heran und dem Commandirenden riß die Geduld; er ließ auf den Wall einige Geschütze aufführen und drohte, das Thor einzuschießen, wenn nicht geöffnet würde. Ich hielt mich dicht neben den Kanonen, das Herz pochte mir vor Begierde, es bald krachen zu hören. Es sollte aber nicht so weit kommen; um noch einmal Vorstellungen zu machen, erschienen in der alterthümlichen schwarzen Kleidung drei Magistratspersonen vor dem Generale, der sie ruhig anhörte, seine Taschenuhr herauszog und sagte: »Ich gebe Ihnen noch zehn Minuten Bedenkzeit; lassen Sie diese Frist verstreichen, so brauche ich Gewalt.« Die Herren entfernten sich und wenige Minuten darauf knarrten die alten Thorflügel und theilten sich schwerfällig auseinander. Die Truppen zogen friedlich ein, ich mit ihnen, denn ich mußte überall dabei sein, meine Neugierde war unersättlich. Der Abend brach herein, bis alle Truppen eingezogen waren. Die Infanterie und Artillerie lagerte auf den Straßen und freien Plätzen; besser gesorgt war für die Cavallerie. Es liegt in der Stadt ein schöner großer Platz an den Ufern der Pegnitz, die Schütt genannt. Große, ehrwürdige Linden breiteten ihre Aeste weit über denselben aus. Der sehr reinliche Boden besteht theils aus Sand, theils aus Gras; ganz für ein schönes Cavallerie-Lager gemacht. Hier bivouakirten die Chevauxlegers und hieher richtete ich vor allem meine Schritte.
Eine Cavallerie, welche ein Lager bezieht, gewährt immer einen interessanten und malerischen Anblick. Der Infanterist stellt, wenn er vom Marsche ermüdet auf dem Lagerplatze ankommt, sein Gewehr in Pyramiden bei Seite und fällt, falls er recht ermüdet ist, oft da nieder, wo er gerade steht, seinen Tornister als Kopfkissen benutzend. Ganz anders verhält es sich mit der Cavallerie. Auf diese harrt immer noch ein Stück Arbeit, wenn sie an Ort und Stelle angekommen ist. Schon die Lagerstätte ist nicht gleichgültig; man bedarf eines passenden Platzes, um die Pferde in Reihen gut stellen zu können; auch[16] soll womöglich Wasser in der Nähe sein. Ist man am Platze und abgesessen, so werden Pfähle geschlagen und durch einen langen Strick mit einander verbunden, um die Pferde anzubinden; es wird abgezäumt und abgesattelt, die Pferde mit wollenen Decken bedeckt, Sattel und Zaum ordentlich zurecht gelegt, ebenso Waffen und Helme, um sie leicht und schnell wieder bei der Hand zu haben, wenn man ihrer bedarf. Ist der Mann recht brav, so putzt er noch sein Pferd ein wenig; dann wird zur Fütterung geblasen und nach dem Habersacke gegriffen, nachdem die Pferde lange schon nach rechts und links sehnsüchtig schauen. Unartige Pferde gibt es auch hie und da, selbst bei der besten Zucht. Sie beißen nach dem Nachbarn, besonders aus Futterneid; dieser erwidert mit Schlagen, es gibt Lärm, und so herrscht reges Leben, das dann endet, wenn alle Pferde gefüttert und getränkt sind. Jetzt erst kann die Mannschaft an sich selbst denken. All das aber geschieht mit Munterkeit, wenn der Marsch nicht außergewöhnlich lange und anstrengend war. Der Cavallerist hat ja nichts während des Marsches zu tragen, er wird vielmehr getragen, während den Infanteristen sein schweres Gepäck oft beinahe zu Boden drückt, wenn der Marsch lange dauert.
Ich sah in späteren Jahren so vielfältig und oft unter den verschiedenartigsten Verhältnissen, bei Regen, Sturm, Hitze und Kälte, bei Tag und Nacht das Beziehen eines Cavallerielagers und immer interessirte es mich; damals aber gewahrte ich es zum erstenmale und zwar von seiner allerschönsten Seite. Der Platz war so günstig, als man ihn nur wünschen konnte, das Wetter herrlich, Mann und Roß von keinem langen Marsche ermüdet, die Leute mit Speise und Trank wohl verpflegt, so daß es zuletzt wahrhaft lustig herging. Um das Ganze vollkommen reizend zu machen, spendete der Vollmond magische Lichtblicke zwischen den dichtbelaubten, alten Linden hindurch auf einzelne Gruppen. Sein blaues Licht bildete einen wundervollen Contrast mit der gelbrothen Beleuchtung der Lagerfeuer, um welche die Soldaten versammelt waren und ihre Suppe kochten; oft war das Laub der Bäume oben vom[17] Monde, unten vom Feuer beleuchtet. Es reihte sich Bild an Bild, ich war bis zur Begeisterung entzückt von allem, was ich hier sah. Gerne hätte ich recht vieles gezeichnet, aber ach! wie arm fühlte ich mich in solchen Augenblicken. Die Zeit rennt so schnell dahin! Die Gegenstände, die wir festhalten möchten, fliehen mit ihr wie Traumbilder vorüber, und am Ende müssen wir uns mit einigen armseligen, unvollkommenen Bleistiftstrichen begnügen, welche um so weniger befriedigen, je mehr wir von dem Gegenstande, welchen wir festhalten wollen, begeistert sind.
Nachdem ich mich recht im ganzen Lager umgesehen, näherte ich mich einem Feuer, das ziemlich hell brannte und von einem zahlreichen Kreise von Soldaten umlagert war, welche aus voller Kehle muntere Lieder sangen. Ein hoher Stabsoffizier, ein Mann von etwa 50 Jahren mit einem interessanten militärischen Kopfe, ruhte am Boden unter einem Baume, in einem grünen Pelzrocke, eine Mütze auf dem Haupte. Ueber den Füßen lag ein grauer, schön drapirter Mantel. Er war mit der Tabakspfeife im Munde eingeschlafen. Zunächst bei ihm stand ein schöner, großer Mann, ein Rittmeister in voller Uniform, den Helm auf dem Kopfe, die Feldbinde sehr breit über den Oberrock gebunden. Er hatte die linke Hand auf den Säbel gestützt und einen Fuß auf ein großes Scheit Holz gestemmt, welches im Feuer lag. Der Stabstrompeter mit seinem Instrumente unter dem Arme saß ebenfalls auf einigen großen Stücken Holz, den Rücken an ein großes Bierfaß gelehnt, aus welchem der Gerstensaft reichlich quoll; er sang tapfer mit und schlug den Takt mit Hand und Fuß dazu. Ein alter Wachtmeister machte den Mundschenk, der Rundtrunk ging fleißig herum, jüngere Soldaten lagen schön gruppirt am Boden: es war ein vollendet schönes Bild und in seiner ganzen Wirkung prächtig anzusehen. Ich blieb bei diesem Anblick wie gefesselt stehen, nahm Papier und Bleistift zur Hand und zeichnete noch, als die Geisterstunde schon lange vorüber war.
Allmählig wurde es still und immer stiller, bis man zuletzt nur noch das Auf- und Abgehen der Wachtposten und ausnahmsweise das komische Geschrei irgend eines Pferdes hörte,[18] welches einen unverträglichen Nachbarn hatte. Alles schlummerte. Endlich legte auch ich mich unter einen Baum nieder und ruhte einige Stunden. Nach Hause zu gehen und das Bett zu suchen, fiel mir gar nicht ein; ich mußte auch das Aufbrechen des Lagers sehen. Die Aufregung, in der ich mich befand, ließ mich lange nicht schlafen und bei dem ersten Trompetenstoße war ich wieder auf den Beinen; ich wollte alles hören und sehen, was hier vorging, bis aufgesessen wurde und die Truppe sich zum Abmarsche in Bewegung setzte.
Ich begleitete sie bis an das Thor und sah ihr sehnsüchtig nach. Hätte ich ein Pferd gehabt, ich wäre am liebsten selbst mit fortgezogen. Ich war damals wieder ganz Soldat!
Es verstrichen nur wenige Tage, so folgte auf diese heiteren Lagerscenen ein Ereigniß der traurigsten Art.
Napoleon war mit seinem sieggewohnten Heere in Schwaben vorgedrungen, die Festung Ulm in seine Hände gefallen. Die Besatzung streckte das Gewehr. Von den Truppen, welche dort gelegen, kam ein namhafter Theil, von der französischen Reiterei verfolgt, zu Anfang Oktober in wilder Flucht an Nürnberg vorüber.
Wer je einen, in regellose Flucht ausartenden Rückzug gesehen, weiß, daß es eine garstige Sache ist. Dieser aber war entsetzlich anzuschauen: die Straßen von anhaltendem Regenwetter erweicht und fast grundlos; die Truppen in zerrissenen Schuhen, oft selbst ohne solche, von unten bis oben mit Koth bespritzt, bis zum Zusammensinken ermattet, schleppten sich, alles durch einander, Infanterie, Cavallerie, Artillerie und Fuhrwesen, mühsam auf der schlechten Straße fort. Offiziere und Soldaten aller Waffen liefen in Unordnung durch einander, jeder wo und so gut er konnte. Hie und da sprengte ein Offizier, der noch ein brauchbares Pferd besaß, mitten durch und bespritzte alles mit Koth. Was sich an die Kanonen anhängen konnte, hing sich an oder saß darauf, wodurch das Fortbringen derselben bei den ohnehin schon ermatteten Pferden noch mehr erschwert wurde. Es war ein Bild des Jammer, das zu dem kurz zuvor gesehenen Durchmarsche der wohlgeordneten[19] bayerischen Truppen einen entsetzlichen Contrast bildete.
Als eine sehr auffallende Erscheinung marschirte ein Häuflein französischer Gefangener zwischen den Oesterreichern. War es, daß sie nichts zu tragen hatten, denn ihre Bürde hatte man ihnen leicht gemacht, oder war es die nicht unwahrscheinliche Erwartung, daß sie bald aus der Gefangenschaft befreit werden: sie trugen den Kopf höher, sahen nichts weniger als gebeugt aus und marschirten mit ziemlich kräftigen Schritten einher.
Natürlicher Weise strömten aus Nürnbergs Mauern viele Menschen hinaus, um dieses traurige Schauspiel mit anzusehen, und dies um so mehr, als es Sonntag war. Hiebei gab sich viel Wohlthätigkeitssinn kund. Wer es nur immer thun konnte, reichte den armen Vorüberziehenden Brod und Labung; ich sah eine wohlgekleidete Dame am Boden knieen und einem Soldaten seine wunden Füße mit leinenen Tüchern verbinden. Ueberhaupt boten sich so viele interessante, höchst malerische Gruppen, daß ein Künstler hier allein für seine halbe Lebenszeit den Stoff zu Bildern hätte finden können.
Der Grund dieser ängstlichen Flucht erklärte sich bald dadurch, daß die französische Cavallerie den Oesterreichern auf der Ferse folgte; mag es sein, daß ihr die lange Verfolgung selbst sehr lästig wurde und sie zum Zorne reizte, – sie behandelte die Gefangenen sehr übel, oft unmenschlich. Mit Schaudern sah ich, wie ein französischer Dragoner einem armen Oesterreicher, welcher sich am Wege für einige Kreuzer Pflaumen kaufen wollte, von rückwärts einen scharfen Hieb über den Kopf versetzte, so daß dieser blutend in den Korb der Frau fiel, welche am Wege saß, ihre Waare zu verkaufen.
Gegen Abend kamen größere Abtheilungen französischer Cavallerie; auch diese sah eben nicht aus, als wenn sie von der Parade käme. Sie war ziemlich verwildert; aus allem konnte man auf den langen beschwerlichen Marsch schließen, welchen sie zurückgelegt hatte, was zum Theil ihren Unmuth, welchen sie an den armen Gefangenen ausließ, erklärlich macht, keineswegs aber rechtfertigt.[20]
Um das gewaltige Schauspiel dieses Tages zu vervollständigen, erschien bei einbrechender Dämmerung noch das preußische Infanterieregiment Tauenzin vor Nürnberg, das aus dem Ansbachischen nach Preußen marschirte, wo man sich schon für den unglücklichen Feldzug des Jahres 1806 rüstete. Dieses Regiment zog mitten durch die Franzosen, so daß zuletzt Franzosen, Oesterreicher, Preußen bunt durcheinander wimmelten.
Die Preußen sahen übrigens allen Andern gegenüber sehr gut aus; es waren schöne große Leute, sehr hübsch uniformirt und hatten eine gute, wenn auch etwas steife Haltung, welche stark an den Gamaschendienst erinnerte. Zu den Franzosen bildeten sie einen recht wunderlichen Contrast.
Am nächsten Tage, einem feuchtkalten Herbstmorgen, wechselte die Scene. Leichte französische Infanterie und einige Cavallerie lagerte vor der Stadt. Diese Truppe, meist kleine, aber ungemein bewegliche Leute, war in ihrer Kleidung gerade nicht sehr zum Bivouakiren auf einer feuchten Wiese während einer kalten Oktobernacht eingerichtet. Sie sah auch ziemlich erfroren und ausgehungert aus. Trotzdem aber herrschte in diesem Lager das rührigste Leben. Die Juden aus dem nahe gelegenen Fürth kamen herbei, um allerlei Geschäftchen zu machen. Die Franzosen hatten nämlich bei Verfolgung der Oesterreicher ziemliche Beute erjagt, und das Kleinste achtet der Jude nicht gering, wenn ein Gewinn in Aussicht steht. Auch mehrere erbeutete ungarische Pferde wurden verhandelt. Hier gab es nun wieder ganz eigene, neue Bilder für mich zu sehen. Nachmittags steigerte sich die Scene.
Murat kam mit großen Cavalleriemassen nach Nürnberg. Jetzt aber war von Aufrechthaltung der Neutralität keine Rede mehr. Die Thore standen offen und in festgeschlossenen Colonnen, die ganze Breite der Straße ausfüllend, zogen die Franzosen ein. Ein Piquet mit den Karabinern oder Pistolen in der Hand, mit gespanntem Hahn immer den Zug eröffnend, machte einen gewaltigen, moralischen Eindruck. Man fühlte die Unüberwindlichkeit dieser Truppen, wenn man sie in ernster, martialischer Haltung stumm einherziehen sah. In der That waren[21] sie auch lange genug unüberwindlich; es mußten die Elemente der menschlichen Kraft zu Hilfe kommen, um sie zu vernichten.
Diese Durchmärsche dauerten nur wenige Tage, der Kriegsschauplatz rückte immer ferner gegen Oesterreich, und in kurzer Zeit war in dem altehrwürdigen industriösen Nürnberg alles wieder in dem gewohnten Geleise.
Ich hatte jetzt vieles zu verarbeiten. Der Kopf war ganz voll von dem, was ich in dieser kurzen Zeit gesehen, allein meine Kraft zu schwach; was ich machte, ließ mich unbefriedigt, es blieb weit hinter den Bildern zurück, welche meine lebhafte Einbildungskraft sich schuf.
Unter anderem versuchte ich, die oben erwähnte Sängergruppe bayerischer Chevauxlegers, welche ich im Lager auf der Schütt gezeichnet hatte, zu malen und in Wirkung zu setzen; aber ich fand in der Beleuchtung des Feuers von unten große Schwierigkeiten. Endlich entschloß ich mich, die ganze Gruppe in Thon zu modelliren, setzte sie auf ein Brett mit einem runden Loche, in welches ich eine Lampe stellte, und machte nach diesem Modelle eine recht saubere Sepiazeichnung, die ich noch besitze.9 Mit demselben Eifer, Ernst und unbeschreiblicher Liebe, womit ich diese Arbeit vollendete, behandelte ich überhaupt alles.
Den Winter und das ganze Frühjahr 1806 blieb ich noch in meinen ärmlichen, aber mir dennoch sehr behaglichen Verhältnissen in Nürnberg unter rastlosem Streben, in der Kunst vorwärts zu kommen, verdiente mir in den Nebenstunden, besonders des Abends, das Wenige, was ich zu meinem Unterhalte brauchte, und legte sogar etwas Geld zurück, um mein Glück weiter versuchen zu können. Auch meinen Eltern konnte ich zu Weihnachten eine kleine Freude bereiten, indem ich aus Tragant allerlei künstliche Conditorwaaren verfertigte, die als Zierden für den Christbaum dienen sollten. Ich schickte ihnen von dieser Waare, da dieselbe in Nördlingen sehr beliebt ist,[22] ein ganzes Kistchen voll, die sie sehr gut verkauften. In Nördlingen hat man nicht den düstern Tannenbaum für die Christbescherung, sondern man setzt schon Monate lang vorher den jungen Stamm von einem Kirsch- oder Weichselbaume in einer Zimmerecke in einen großen Topf. Gewöhnlich stehen diese Bäume bis Weihnachten in voller Blüthe und dehnen sich weit an der Zimmerdecke hin aus, was man als eine große Zierde betrachtet und was auch in der That zur Feier des Christfestes sehr viel beiträgt. Eine Familie wetteifert hierin mit der andern, und die, welche den schönst blühenden Baum hat, ist sehr stolz darauf.
Während meines Aufenthaltes in Nürnberg war mein Vater in Beziehung auf meinen Beruf auf andere Gesinnungen gekommen und begann, an meiner künstlerischen Entwickelung Wohlgefallen zu finden. Im Mai 1806 entschloß ich mich zu einer Reise nach Nördlingen, um meine Eltern nach anderthalb Jahren zu besuchen.
Nürnberg mit seinen altreichsstädtischen Sitten und Gebräuchen, von denen sich noch manches bis auf den heutigen Tag erhielt, war mir lieb geworden. Ich hatte dort warme Freunde gewonnen, von denen mir die Trennung schwer fiel, besonders von der Familie Zwinger. Es war mir, als schiede auf ich auf lange Zeit, obwohl ich hoffte, wiederkehren zu können.
An einem herrlichen Maitage trat ich meine Wanderschaft zu Fuße an, einige Stunden von meinem Freunde Gustav Zwinger begleitet. In Nördlingen traf ich wieder ein französisches Hauptquartier und eine nicht unbedeutende Concentrirung von Truppen in der Umgegend. Es gab deßhalb für mich vieles zu sehen, so auch einige ernste Executionen mit Pulver und Blei, denn die Franzosen hielten strenge Mannszucht.
Ein unerwartetes Ereigniß, welches auf meine weitere Laufbahn nicht ohne Einfluß blieb, nahm mich in Anspruch und bot mir erwünschten Stoff zu neuer Beschäftigung.
Das Fürstenthum Oettingen-Wallerstein, welches um Nördlingen herum ein ausgedehntes Gebiet und besonders große Waldungen hatte, hegte in diesen ein ausgezeichnet schönes[23] Hochwild. Wie nun die Franzosen immer geschickt waren, alles ausfindig zu machen, was sie auf französischen Boden verpflanzen konnten, so wurde dem Fürsten im Namen des großen Kaisers der Wunsch ausgedrückt (soll wohl heißen der Befehl,) eine beträchtliche Anzahl Hirsche lebendig einzufangen, um sie in Kästen nach Paris zu führen. Bei diesem Einfangen war ein großes Jagdpersonal betheiligt, zu Pferd und zu Fuß, mit vielen Wagen, welche das Jagdzeug und sonstige Bedürfnisse führten, sammt Treibern u.s.w., im ganzen eine malerische Wirthschaft, wobei alle Tage etwas Neues zu sehen war. Ich zog mit den Jägern mehrere Wochen in den schönen Waldungen herum, befand mich ganz heimisch unter ihnen und zeichnete vieles. Von allen Seiten wurde ich angegangen, meine Jagdscenen zu vervielfältigen. Ich hatte mir nämlich schon damals eine besondere Geschicklichkeit im Zeichnen kleiner Figuren erworben, so daß man in Figuren von kaum anderthalb Zoll Größe Portraitähnlichkeit fand, was natürlicher Weise bei diesen Leuten den Wunsch rege machte, sich vervielfältigt zu sehen. Die Lithographie kannte man damals noch nicht; ich machte mich daher, sobald das Einfangen zu Ende ging, daran, sechs Platten von den interessantesten Momenten dieses Jagdwesens in Kupfer zu radiren, was ich mit vieler Liebe und nicht ohne Erfolg that; denn diese Blätter gehören zu dem Besten, was ich mit der Radirnadel machte; sie haben etwas Scharfes und Originelles in der Auffassung.10
Während meines Aufenthaltes in Nördlingen radirte ich übrigens noch andere kleine Blätter.11 Mit diesen Arbeiten war ich beschäftigt, bis der Spätherbst hereinbrach.[24]
Bevor ich meine Vaterstadt zum zweiten Male verließ, sammelte ich Subscriptionen auf das soeben erwähnte Unternehmen, welches mir einigen Erfolg versprach. Ich nahm sodann meine Platten unter den Arm und wanderte zu Anfang November bei einem ganz abscheulichen Wetter zu Fuße nach Augsburg, um sie dort drucken zu lassen. Mein Vater meinte freilich, es wäre gar nicht nothwendig, daß ich mich selbst nach Augsburg bemühe; man könne sie getrost dorthin senden. Er hatte auch nicht ganz Unrecht, aber mir war es um einen schicklichen Vorwand zu thun, von Nördlingen wieder los zu kommen; denn daß hier meines Bleibens nicht sein könne, hatte ich längst gefühlt.
An Beschwerden und Entbehrungen gewöhnt, nahm ich mir diese eben nicht sehr angenehme Fußreise, bei welcher ich auch meinen Bündel etwas schwerer gemacht hatte, nicht besonders zu Herzen; ich kam zwar sehr ermüdet, aber wohlbehalten in Augsburg an. Damit begann ein neuer Abschnitt meines Künstlerlebens: einige glückliche Jahre meiner Jugend, an welche ich mich stets mit Freuden erinnere.
Es war früher in Nördlingen ein Rektor an der lateinischen Schule mit Namen Beyschlag,12 mit dessen Familie ich als Kind heranwuchs; der älteste Sohn, Christoph Friedrich, war ganz gleichen Alters mit mir. Der Vater wurde später als Stadtbibliothekar und Rektor des Gymnasiums bei St. Anna nach Augsburg berufen, wo er eine höchst geachtete Stellung einnahm. Vor allem richtete ich meine Schritte nach seinem Hause. Ich fand eine liebevolle Aufnahme. Beyschlag bot mir sogar bei sich Wohnung an, was ich mit Dank annahm, denn[25] ich war ja in Augsburg völlig Fremdling und durch jenes Anerbieten für das Erste geborgen.
Gewohnt, nicht lange müßig zu sein, malte ich, nachdem ich das Geschäft mit dem Drucke meiner Platten eingeleitet hatte, das Portrait meines lieben Wirthes, des Rektors, in einer ziemlich vollendeten Aquarellzeichnung. Es wurde sprechend ähnlich, da mich hiebei Pietät und Verehrung gegen diesen Ehrenmann leitete.
Beyschlag zeigte dasselbe in einer Gesellschaft vor, welche sich um einen Pfarrer schaarte, der für einen Kunstkenner galt. Als dieser das Portrait erblickte, rief er laut aus: »Herr, das hat ein Meister gemacht!« Von da an war mein Ruf als Portraitmaler in Augsburg gegründet, und ich bekam Aufträge über Aufträge; man nahm den Ausspruch des Pfarrers als Orakel. Ob er wirklich ein großer Kunstkenner war, will ich nicht untersuchen. Er schätzte Chodowiecky's Radirungen, welche er sammelte, und besaß sonst noch einige Kunstsachen. Nachdem man erfahren, daß dieses so betitelte Meisterwerk von einem ganz jungen Künstler sei, welcher ohne besondere Anleitung und auch ohne alle Subsistenzmittel von Hause die Kunst gepflegt, stieg meine unbedeutende Leistung im Werthe, und man machte es sich zur Aufgabe, mich zu heben und zu ermuntern, wo man konnte.
Die gewöhnliche Portraitmalerei, welche sich auf den bloßen Kopf beschränkt, langweilte mich bald; ich verlegte mich ernstlich auf die Oelmalerei und machte Familienbilder in Gruppen mit ganzen Figuren von neun bis zwölf Zoll Größe, gewöhnlich mit Beiwerk von Lokalitäten, Geräthschaften und dergleichen. Diese Bilder gefielen sehr, weil die Figuren in Gestalt und Charakterisirung immer sehr ähnlich waren; und jetzt noch nach mehr als fünfzig Jahren finden sich hie und da in Familien solche Portraits, welche um der Aehnlichkeit willen in Ehren gehalten werden, so schlecht sie auch gemalt waren.
Ich hatte immer das Glück, wohin ich kam, Leute zu finden, welche mir um meines Fleißes und meines rastlosen Strebens willen mit Wohlwollen und Liebe entgegenkamen, da ich schweigsam,[26] bescheiden und anspruchslos im Umgange war, gerne mich älteren und erfahrenern Leuten näherte, denn ich fühlte, daß ich von diesen lernen konnte. Hiedurch erwarb ich mir oft die Gunst sehr bedeutender Männer.
Im Beyschlag'schen Hause kam ein Kreis gebildeter Männer und artiger junger Leute zusammen, so daß ich gar keine Veranlassung fand, meine Unterhaltung außerhalb des Hauses zu suchen. Auch die städtische Bibliothek zu St. Anna stand mir offen und bot Gelegenheit, mit guten Werken alter und neuer Zeit vertraut zu werden. Soweit meine Zeit es erlaubte, las ich mit Leidenschaft, und ich darf sagen, ich habe in Augsburg jede Stunde wohl ausgenützt. Die Erinnerungen an die Familie Beyschlag werden bis an das Ende meiner Tage dankbare Gefühle erhalten. Der Zufall führte mich in München mit dem älteren Sohne, dem nachmaligen Baurath,13 wieder zusammen, und ein zartes, freundschaftliches Band umschließt noch immer die Familien.
Inzwischen fiel mir von meiner Spekulation der sechs Platten, welche ich radirt hatte, ein kleiner Gewinn zu, dieser und einiges Andere, welches ich erwarb, setzten mich in den Stand, zum erstenmale in meinem Leben hundert Gulden zurückzulegen, eine Summe, durch welche ich mich sehr reich dünkte.
In den ersten Wintertagen 1807 kehrten die bayerischen Truppen aus dem vorjährigen Feldzuge siegreich wieder heim und hielten in Augsburg einen feierlichen Einzug, an welchem die Einwohnerschaft lebhaften Antheil nahm. Vor dem Jakoberthor war eine große Triumphpforte errichtet, die Abends nebst mehreren Straßen beleuchtet wurde. Besonders brillant war dabei die Illumination des Hauses, welches General-Lieutenant Wrede bewohnte; kurz, alles hatte ein festliches Aussehen und begeisterte mich.
Es garnisonirte damals und noch bis zu dieser Stunde[27] in Augsburg das Regiment König-Chevauxlegers, für welches ich eine besondere Sympathie fühlte. Vortrefflich beritten, malerisch uniformirt und von Muth und ächt militärischem Geiste beseelt, war es für mich eine Lust, sie anzusehen. Sie trugen ein Collet von ziemlich frischem Grün mit scharlachrothem Aufschlag, weiße Beinkleider mit Stiefeln bis unter das Knie, auf dem Helm einen hohen Busch von weißem Roßhaar; das Pferd- und Sattelzeug war bis über die Croupe des Thieres mit einer scharlachrothen Schabracke bedeckt, welche, auf ungarische Art geschnitten, zierlich in einen Spitz auslief. Diese Uniformirung, welche einen im ganzen wie im einzelnen erstaunlich munteren Anblick gewährte, behielten sie bis zum russischen Feldzuge (1812). Was man auch später daran änderte, schöner wurde sie nie mehr. Ueberhaupt war für meinen Geschmack diese Truppe das Ideal aller leichten Cavallerie. Dieses Regiment hatte auch eine wahre Elite von Offizieren. Unter ihnen befanden sich Graf Anton von Rechberg, zwei Prinzen von Oettingen (von denen der jüngere, Karl, bei Hanau fiel), zwei Brüder Zandt, der damals noch junge, aber schon als tapferer Held bekannte und allbeliebte Baron Karl von Zweibrücken, Bieber, Spraul und viele andere verdienstvolle Offiziere, welche später eine bedeutende Stellung einnahmen.
Meine Vorliebe für das Militär fand durch den Umgang mit diesen Offizieren, deren Gunst ich mir gewann, neuen Aufschwung. Besonders erfreute ich mich des Schutzes des genannten Barons von Zweibrücken und seines älteren Bruders Christian (damals Hauptmann im Generalstabe). Sie gaben mir gute Pferde zum Reiten und ich zog fleißig auf den Exercirplätzen und bei den Manövern mit ihnen herum und machte Studien.
Später malte ich im Auftrage der Barone Zweibrücken ihre Portraits zu Pferde, wie der jüngere Bruder Karl an der Spitze seines Regimentes dem älteren auf dem Marsche begegnet. Dies war mein erstes militärisches Bild, überhaupt mein erstes Bild in dem Sinne, welchen man angenommener Weise diesem Worte beilegt. Auch die beiden Prinzen von Oettingen malte[28] ich zusammen auf ein Bild in einer Lagerscene. Diesen folgten noch mehrere militärische Portraits mit Pferden, und so lebte ich mich nach und nach in das Militärwesen so sehr hinein, daß ich allen Ernstes im Frühjahre 1807 gesonnen war, als Soldat in das Regiment einzutreten. Karl von Zweibrücken aber, dem ich mein Vorhaben zuerst mittheilte, wendete alle Beredtsamkeit an, mich davon abzubringen. Es gelang ihm, da er mir eine weit schnellere und glänzendere Carriere in Aussicht stellte. Fünf Jahre später, am 7. September 1812, erinnerte er mich auf dem Schlachtfelde an der Moskwa, wenige Stunden vor seiner tödtlichen Verwundung, an jenen Augenblick auf seinem Zimmer in Augsburg und freute sich, daß er es gewesen, der mich der Kunst erhalten. Hier sah ich den Edlen zum letztenmale, er starb, zu frühe für seine militärische Laufbahn, nach wenigen Wochen in dem Städtchen Moshaisk an seinen Wunden.
1 | Ein jüngerer Bruder unseres Künstlers, Heinrich Adam (geboren 1787, welcher als Landschafter und Radirer sich hervorthat, insbesondere aber Kupferstecher im topographischen Bureau Treffliches leistete und am 15. Februar 1862 zu München starb) berichtet, daß Albrecht oft bis Mitternacht, ja in der Weihnachtszeit bis in den Morgen, als Conditorlehrling zu arbeiten hatte. Um so größere Achtung erregt es, wenn er seine wenigen Freistunden mit Zeichnen zubrachte. Die beiden Brüder copirten damals nach Preißler, Ridinger, Frey u.A., und waren so erfüllt von der Kunst, daß sie oft halbe Nächte darüber plauderten. Viele Hilfe und Aufmunterung ließ den jungen Adams der Bürgermeister Doppelmayer von Nördlingen zukommen, der ihnen seine ziemlich bedeutende Sammlung von Kupferstichen, Copien und Skizzen zur Einsicht und Benützung stellte. |
2 | Lebküchner, Lebzeltner und Wachszieher vgl. Schmeller, Bayer. Wörterbuch 1872, I. 1409, II. 1119. |
3 | Pater Ambrosius Frei, ehemaliger Capitular des Kloster Weingarten, wurde im Oktober 1803 als Lehrer der Physik und Mathematik für den Erbprinzen Ludwig und seine Geschwister gewonnen (Mittheilung des Herrn Baron Löffelholz von Kolberg, Director der Fürstl. Oettingen-Wallerstein'schen Sammlung zu Wallerstein). |
4 | Diese vier Prinzen, die Söhne des Fürsten Ernst Kraft von Oettingen-Wallerstein (geb. 1748, gest. 6. Oktober 1802) aus seiner zweiten Ehe mit der Prinzeß Wilhelmine Friederike von Württemberg (gest. 9. August 1817), sind: a) Ludwig Kraft Ernst, geb. 31. Januar 1791, nachmals 1831–1838 königl. bayerischer Minister, gest. 22. Juni 1870 zu Luzern. b) Friedrich Kraft Heinrich, geb. 1793, früher in württembergischem, dann in österreichischem Militärdienste, den er 1823 verließ, um nach Resignation des älteren Bruders die Verwaltung des Mediatfürstenthums zu übernehmen, gest. 5. November 1842. c) Franz Ludwig, geb. 1795, wurde als königl. bayer. Chevauxlegers-Major in der Schlacht von Hanau schwer verwundet und starb Tags darauf am 31. Oktober 1813. d) Karl Anselm, geb. 1796, gest. 4. März 1871. – Das von Adam gemalte Reiterbild mit den vier Prinzen (im Hintergrunde das Schloß Hohenaltheim), eine treffliche Jugendarbeit unseres Künstlers, befindet sich nach gütiger Mittheilung des Herrn Baron Löffelholz noch in den berühmten Sammlungen zu Wallerstein. Ebenso sind die in der Selbstbiographie erwähnten Aquarelle, »welche eine Reihe von Pferden und Reitknechten – beides lauter getreue Portraite – aus dem fürstlichen Marstalle darstellen, alle des Meisters würdige Bilder«, daselbst sorgfältig erhalten. |
5 | Christoph Joh. Zwinger, geb. zu Nürnberg 1744, gest. das. 1809. Vgl. Nagler, Lexicon 1852, XXII. 359. |
6 | Gustav Philipp Zwinger, geb. 3. Januar 1779, gest. 15. Januar 1819. Vgl. Nagler, Lexicon 1842, XXII. 360; Nagler, Monogrammisten 1863, III. 87 (Nummer 282). Andresen, Maler-Radirer 1870. IV. 292–299. Seubert 1879, III. 641. |
7 | Von diesem ersten Versuch berichtet Heinrich Adam: »Da einmal in Nördlingen eine kleine Gemäldesammlung verauctionirt wurde, bekamen mir Gelegenheit, viele Oelgemälde zu sehen und dadurch die Lust im Oelmalen Versuche zu machen. Wir wußten uns einige dieser Gemälde zu verschaffen, und da ging es an ein Pinseln, daß es eine Lust war. Nun standen wir auf der Höhe unserer Herrlichkeit: die Künstler waren fertig.« |
8 | Eine Anzahl Bilderbogen, welche Adam für den Verlag von Fr. Campe radirte und die dann colorirt wurden, erwähnt Jul. Meyer, Künstler-Lexicon, Leipzig 1872, I. 66. |
9 | Davon auch eine Radirung. Vgl. Jul. Meyer Nr. 21. Cavallerie-Lager. Mit dem Namen. Qu. 4. |
10 | Diese Radirungen verzeichnet Julius Meyer: Künstler-Lexicon. Leipzig 1872, I. 67, Nr. 26: Der Auszug zur Jagd, mit vielen Figuren. Leicht radirt. Gr. Qu. Fol. Nr. 27–34: Die Folge des Hirschfanges, 8 Bl. mit Hirschjagden. Albrecht Adam fec. Aug. V. Kl. Qu. Fol. Nr. 35. Zwei Hirschjagden auf einem Bl. Qu. Fol. |
11 | Vgl. ebendas. Nr. 1–6: Militär- und Reiterscenen, 6 Bl. in Umrissen leicht schattirt. Nr. 7–10: Soldaten zu Fuß und zu Pferd, im Freien und bei Gebäuden. 1806. Qu. 8. Nr. 11: Ein Bl. mit vier Motiven: Pferde am Brunnen, Ackernder Bauer etc. 1806. Gr. Qu. |
12 | Daniel Eberhard Beyschlag, geb. 1759 zu Nördlingen, starb 1835 zu Augsburg als Hofrath, Rektor und Bibliothekar des Gymnasiums daselbst. Vgl. die Biographie und das Verzeichniß seiner Schriften in Nr. 13. Bayerische Annalen vom 24. März 1835. |
13 | Christoph Friedrich von Beschlag, Oberbaurath, geb. 22. Januar 1787, gest. 28. April 1858. Vgl. Nekrolog in Nr. 131 Abendblatt zur Neuen Münchener Zeitung vom 4. Juni 1858. |
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