XII. Rückreise.

[219] Zeitlich begab ich mich am 24. September, der bei stürmischem, naßkaltem und höchst unfreundlichem Wetter uns keine Annehmlichkeiten für den Anfang der Reise verkündete, zur festgesetzten Stunde in die Wohnung meiner Reisegesellschaft. Hier war alles noch mit Aufpacken beschäftigt. Es war ein Laufen und Durcheinanderrennen von Männern, Frauen und Kindern. Ein jedes trug sein Möglichstes dazu bei, die beiden Wagen recht zu belasten. Meine Geduld mußte eine harte Probe bestehen, bis sich endlich der schwerfällige Zug langsam in Bewegung setzte. Ich prophezeite diesen guten Leuten, daß sie in dieser Jahreszeit, bei den schlechten grundlosen Wegen, auf diese Weise nicht weit kommen und sich bald in die Nothwendigkeit versetzt sehen werden, entweder umzukehren oder die Hälfte ihres Gepäckes auf die Straße zu werfen. Das wollte ihnen freilich nicht recht gefallen. Die ganze Expedition schien mir überhaupt unter den obwaltenden Verhältnissen zu Unbehilfliches zu haben, als daß ich ihr einen glücklichen Erfolg zutrauen konnte.

Als wir endlich durch die mehr als zur Hälfte verbrannten und verwüsteten Straßen dieser ungeheuren Stadt langsam dahinzogen, beschäftigten sehr ernste Gedanken meine lebhafte Phantasie; ich hatte zwar reiflich überlegt, was ich jetzt unternahm, aber wenn der Augenblick der Entscheidung da ist, pocht[219] doch so manches Gefühl an unser Herz, das früher geschwiegen hat. Ich ließ so wackere Freunde und viele Bekannte hier zurück, hatte durch so lange Zeit Freude und Leid, Noth und Mangel und alle Beschwerden des Krieges mit ihnen getheilt. Das aber bindet die Menschen viel fester zusammen, als das Glück, durch das der Mensch leicht zur Selbstsucht sich verführen läßt. Bis jetzt gehörte ich einer großen Gesellschaft an; von dieser bekam ich Schutz und soweit möglich Nahrung und Hilfe in der Noth. Fast jeder Soldat der italienischen Garden kannte mich, weil sie mich den ganzen Feldzug immer im Gefolge des Prinzen Eugen und so oft in ihren Lagern, auf den Schlachtfeldern, kurz überall zeichnen gesehen. Von dem Augenblicke an, wo ich Moskau verließ, stand ich ganz auf mich allein beschränkt in einem unermeßlich großen, mir ganz fremden Lande. Ein ungeheurer Raum trennte mich von meinem Vaterlande; unzählige Hindernisse und Gefahren, welche mir in den Weg treten konnten, machten es sehr ungewiß, ob ich auch das erwünschte Ziel erreichen würde. Bisher aber hatte ich in meinem ganzen Leben keine Ursache gehabt, an meinem Glücke zu verzweifeln, und so sagte ich zu mir: »In Gottes Namen! Was da kommen will, das komme; ich will das Beste hoffen und auf das Schlimmste mich gefaßt halten!« Unter solchen Gedanken verließ ich, wenn auch tief bewegt, doch festen Muthes Moskau.

An der äußersten Barrière der Stadt erhielten wir schon die ersten warnenden und abschreckenden Berichte: versprengte württembergische Soldaten, die den Kosaken mit Noth entronnen, sangen uns ein klägliches Lied und warnten, weiter zu gehen, aber so fatal auch ihr Bericht klang, der Ton der schwäbischen Sprache berührte mein Ohr doch angenehm. Ich erfuhr von ihnen, daß sie die Equipagen des Kronprinzen von Württemberg begleitet hätten. Diese wären zwar für den Augenblick glücklich durch, aber Gott wisse, auf wie lange! Ich grüßte sie freundlich als Landsleute und zog weiter. Kaum waren wir eine Viertelstunde gefahren, so hielt mein Diener an, stieg vom Bocke, öffnete den Kutschenschlag und warf mir einen entsetzlich[220] schmutzigen Sack, den er von der Straße aus dem Kothe aufgehoben, vor die Füße. Ich zankte ihn aus, daß er mir einen solchen Schmutz in den Wagen mache. »O Herr,« sagte er mit einer pfiffigen Miene, »dafür werden Sie mir noch Dank wissen; es ist Salz und wir haben keines bei uns.« Dieser in der That wichtige Artikel wäre unbeachtet an der Straße liegen geblieben, doch ging ein vorderes Rad des Wagens darüber. Dadurch entdeckte der Kutscher dessen Inhalt, weil der Sack aufgedrückt wurde. Es verstrich auch kein Tag, wo ich nicht der Worte meines Burschen gedachte. Nur in ähnlichen Verhältnissen lernt man den wahren Werth der dem Menschen wichtigen Dinge schätzen.

Nach etwa einer kleinen halben Stunde fanden wir an der Straße einen französischen Chasseur zu Pferde mit dem Karabiner in der Hand als Wachtposten aufgestellt. Er bedeutete, daß wir uns bei dem in einem naheliegenden Gehölze weilenden General melden müßten. Dort brannte ein Feuer und etwas weiter zurück befand sich ein Cavalleriepiquet. Der General saß unter einem schlechten Bretterdache, ein armseliges Tischchen mit Schreibzeug und einigen Papieren vor sich und sah eben nicht aus, als ob er sich in der rosigsten Laune befände. Er schaute mich an und fragte trocken: »Wo wollen Sie hin?« Nachdem ich ihm die nöthige Auskunft ertheilt, sagte er mit derselben trockenen Miene: »Wollen Sie von den Russen gefangen werden?« Ich antwortete, daß ich gerade keine besondere Lust dazu fühle. »Nun,« antwortete er, »ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie nicht durchkommen können: die Heerstraße ist allenthalben vom Feinde beunruhigt; täglich laufen die beklagenswerthesten Berichte hierüber ein.« Ich entgegnete: »Haben Sie, mein General, entschiedene Befehle, Niemand mehr passiren zu lassen?« – »Nein, aber ich erwarte sie stündlich.« – »Wenn dem so ist,« sagte ich in bescheidenem Tone, »so bitte ich Sie, die Gefälligkeit zu haben, mir meine Marschroute zu visiren. Sie sehen, ich habe von meinem Gebieter die Erlaubniß, mich nach Bayern zurückzubegeben und will wenigstens den Versuch wagen, ob es möglich sei, durchzukommen.« Der General schaute[221] mich groß an, unterzeichnete meine Papiere und gab sie mir mit den Worten: »Bon voyage!« Dabei warf er mir einen Blick zu, der mir vorkam, als wollte er sagen: »Du Narr!«

Einer der Männer aus meiner Reisegesellschaft, der sich zugleich mit mir zu dem Generale begeben, um seine Legitimation vorzulegen, hatte die ganze Unterredung mit angehört. Diese Leute hatten sich noch nicht von dem Schrecken erholt, den ihnen die Unterredung mit den Württembergern eingeflößt hatte, und nun nach dem, was sie gehört, war keine Rede mehr von Weiterreisen. Er eilte zu dem Wagen zurück. Hier gab es eine interessante Scene. Es herrschte allgemeines Entsetzen über die Hartnäckigkeit, mit der ich auf meinem Entschlusse beharrte. Alle Beredsamkeit wurde aufgeboten, mich zur Rückkehr zu bewegen. Die Frauen weinten und eine Zofe warf sich auf der kothigen Straße vor mir auf die Kniee nieder und bat flehentlich, umzukehren und mein junges Leben zu berücksichtigen. Das wäre mir beinahe zu Herzen gegangen, aber es war nicht Zeit für sentimentale Regungen, ich blieb fest. Der Chasseur, unter dessen Augen diese Scene vor sich ging, sah diesem Auftritte verwundert zu und schmunzelte in seinen Bart. Endlich hatte ich mich losgerissen. Meine Gesellschaft steuerte wieder Moskau zu und ich zog unter Sturm und Regen auf der Straße der Schrecken meines Weges. Kaum hatten jene den Rückweg eingeschlagen, so wollten meine Pferde nicht weiter und versuchten, umzuwenden, bäumten und widersetzten sich, so daß wir unsere Noth hatten, vorwärts zu kommen. Der sehr heftige Sturm schlug uns gerade entgegen, was den Pferden sehr zuwider schien – zudem waren sie gewöhnt, stets in Gesellschaft zu gehen. Es hatte so das Aussehen, als ob die Pferde sogar mein Vorhaben mißbilligten. Ein abergläubischer Mensch hätte leicht in Versuchung kommen können, es als schlimme Vorbedeutung zu betrachten; in meinem Innern aber schien mir eine Stimme zuzurufen: »Mit Muth und Beharrlichkeit wirst du dein Ziel erreichen! Vertraue dem schützenden Engel, der bisher über dir gewacht hat!«

Der scheinbare Leichtsinn, mit dem ich unter den obwaltenden Umständen das vorgesteckte Ziel verfolgte, dürfte für[222] manchen, der diese Erzählung liest, etwas Befremdendes haben, aber es war nicht so unbesonnen, als es aussah. Die Gerüchte über die Unsicherheit der Straße im Rücken der Armee erwiesen sich als allerdings nicht so unbegründet, aber ich lebte in der Ueberzeugung, daß sehr viele Uebertreibung mit unterlaufe, wenn ich bedachte, wie es sich im gewöhnlichen Leben selbst mit Gerüchten verhält, wie unsicher und entstellt sie werden, wenn sie einen weiten Weg von Mund zu Mund machen. Hier aber kam dazu, daß schon seit geraumer Zeit das bloße Wort »Kosak!« für die Franzosen als ein wahres Schreckenswort galt. Bei ruhiger Prüfung war ich deßhalb schon berechtigt, an der Wahrheit eines großen Theiles jener Schreckensnachrichten zu zweifeln. Ich richtete darum keinen Blick mehr rückwärts und zog muthig und ergeben in mein Schicksal dahin.

Es ging nur mühsam vorwärts, der Weg war schlecht, das Wetter abscheulich und mit den Pferden, die nicht ziehen wollten, hatten wir fortwährend uns herumzubalgen. Die Warnungen vor Gefahren mehrten sich indessen stündlich; die Straße war nicht ganz frei von französischen Soldaten, von vereinzelten Leuten, armen Marodeurs, die ihre Corps verloren hatten und herumirrten, ohne recht zu wissen, wohin? Unter anderm begegneten wir einem Grenadier der italienischen Garde mit ganz verbrannter Nase. Sein Bart hatte Feuer gefangen und die Nase war zunächst das Opfer. Der arme Mensch sprach uns in schlechtem Französisch an und fühlte sich unendlich beglückt, als ich ihm in seiner Muttersprache antwortete. Er wurde sehr gesprächig und ermangelte nicht, uns mit schauerlichen Geschichten reichlich zu versorgen. Ich gab ihm ein Glas Schnaps und eilte weiter.

Unter großen Mühseligkeiten verging so der erste Tag unserer Rückreise, ohne besonders frohe Aussichten für die Zukunft. Vor Einbruch der Nacht bekamen wir auch noch in Wirklichkeit die Kosaken zu Gesichte. Links von der Straße zeigten sie sich in der Ferne auf einem sanft ansteigenden Hügel in nicht geringer Anzahl an dem Saum eines Waldes und in der ihnen eigenen Unruhe. Wir hielten einen Augenblick,[223] entschlossen uns aber, vorwärts zu gehen und wo möglich rechts von der Straße abzulenken, um jenen aus dem Gesichte zu kommen. In einem etwas abgelegenen kleinen Thal machten wir Halt, um die Nacht zuzubringen und abzuwarten, welche Aussichten uns der folgende Morgen eröffne. Der bisher so lästige Sturm legte sich, prachtvoll stieg der Vollmond herauf und warf einen Hoffnungsstrahl in meine Seele. Ich wurde zu allen Zeiten von Naturschönheiten, besonders durch den gestirnten Himmel, leicht veranlaßt, die Plackereien des Alltagslebens zu vergessen. So ging es mir auch an diesem Abend. Auf einem Wiesengrunde, durch den ein kleiner Bach floß, welcher uns und den Pferden das nöthige Trinkwasser bot, und unter dem Sternenzelte schlief ich nach kurzem Rückblicke auf die heutigen Ereignisse sanft und ruhig ein. Feuer hatten wir aus Furcht vor Entdeckung keines angezündet und begnügten uns mit kalter Küche. Pelze und Mäntel schützten gegen den Nachtfrost.

Ebenso sehr als der Anblick des aufgehenden Vollmondes mir innere Ruhe gebracht, erfreute mich am Morgen ein prachtvoller Sonnenaufgang. Es dauerte jedoch nicht lange, so überzog sich der Horizont wieder mit finstern Wolken, der Sturm raste aufs neue und peitschte uns kalten Regen in das Gesicht, was einen widerlichen Contrast bildete zu der heitern Mondnacht, die uns in so wohlthätiger Stille eines erquickenden Schlafes genießen ließ.

Wir suchten von unserem Lagerplatze aus wieder die große Straße auf und zogen nicht lange auf dieser fort, als wir neuerdings von umherschweifenden, theilweise leichtverwundeten Soldaten Nachrichten bekamen, die geeignet waren, uns gegründete Besorgnisse für unsere Weiterfahrt einzuflößen. Sie hatten sich mit den Kosaken gerauft und durchgeschlagen, weil sie noch Munition besaßen. Gegen Mittag erscholl vor uns Kanonendonner, der aber nicht sehr lange anhielt. Es schien, daß eine größere französische Truppenabtheilung in der Nähe mit dem Feinde kämpfte. Indessen ging das alles seitwärts von der Straße vor sich zu unserer Linken. Der Kanonenrauch stieg hinter Waldungen empor, so daß wir nichts näher unterscheiden[224] konnten. Nur so viel wußten wir, daß wir uns in etwas bedenklicher Lage befanden. Uebrigens wurde nach Verlauf einer Stunde alles stille, die Straße frei vom Feinde und wir zogen ruhig weiter, ohne auf besondere Hindernisse zu stoßen. Für den Nachmittag erwartete uns ein Abenteuer ganz besonderer Art.

Wir gelangten an eine Vertiefung der Straße, in der ein wahrscheinlich für ein Spital bestimmter Fourgon stecken geblieben war; er war verlassen, die Pferde ausgespannt und weit und breit kein Mensch zu sehen. Verschiedene Gegenstände, darunter eine Kiste, die mindestens einen Centner guten schwarzen Thee enthielt, lagen zerstreut auf der kothigen Straße herum. Die Kiste war aufgesprengt und man sah, daß schon andere vor uns einen Theil des Inhaltes weggenommen hatten. Auch wir verproviantirten uns hier reichlich mit Thee, der uns sehr zu statten kam, denn später wurde er ausschließlich unser erwärmendes Getränk in den kalten Nächten. Bald darauf blieben wir mit unserem eigenen Wagen stecken, die Straße ging steil bergan und war ganz grundlos, so daß die Räder zu tief einschnitten und alle Anstrengungen, unser Fuhrwerk flott zu machen, erfolglos blieben. In dieser peinlichen Lage kam ein Dragoneroffizier der kaiserlichen Garde mit zwei Mann gegen uns hergeritten, hielt still und sah uns mit höhnischer Miene zu, wie wir uns abmühten, unser Fuhrwerk in Gang zu bringen. Endlich ritt er heran und fragte nach woher und wohin und bemerkte, nachdem ich ihm die nöthige Auskunft ertheilt: »Wenn Sie von Moskau kommen, so werden Sie wohl hübsch Proviant und andere schöne Sachen bei sich führen.« Auf meine Entgegnung, daß ich nur den allernöthigsten Bedarf für die Reise bei mir hätte, fragte er, mit lüsternen Augen den Inhalt des Wagens musternd: »Haben Sie Wein?« – »Nein.« – »Aber guten Schnaps müssen Sie haben?« – »Ja.« – »Nun, wenn Sie meinen Leuten einen guten Trunk geben, will ich Ihnen helfen, Ihr Fuhrwerk wieder in Gang zu bringen, aber Sie könnten nichts Besseres thun, als den Wagen stehen zu lassen, denn weit werden Sie ihn doch nicht bringen!« Ich[225] nahm eine große Flasche Schnaps, gab sie den Dragonern, welche es sich tüchtig schmecken ließen und dann auf einen Wink des Offiziers demselben die Flasche reichten. Auch dieser trank, behielt aber die Flasche und ritt mit den Worten: »Das bringe ich meinem Capitain!« langsam weiter. Die Dragoner, zwei große, starke Männer, halfen uns wirklich den Wagen wieder in Gang bringen, und wir fuhren langsam weiter, kamen aber nicht weit, als das ledige Pferd eines der Dragoner an unserem Wagen vorbeilief. Mein Kutscher, keck und aufmerksam wie die meisten Polen, rief mit sehr lauter Stimme in französischer Sprache: »Herr, schießen Sie hinaus, dahinten sind Räuber!« Mit zwei Pistolen in der Hand sprang ich aus dem Wagen und fand einen Dragoner, der sich abmühte, einen rückwärts aufgepackten Brodsack herunterzubringen, aber er hatte sich zwischen das Packbrett und den Wagenkasten gesperrt, wodurch eine unregelmäßige Bewegung entstand. Diese und sein lediges Pferd hatten den Dieb verrathen. Der Dragoner, in welchem das Ehrgefühl noch nicht abgestorben war, ließ augenblicklich von seinem Vorhaben ab und entschuldigte sich damit, daß er sagte, sein Lieutenant habe ihm befohlen, so zu handeln. Ich bemerkte, daß ein anderer Sack mit Brod auf der Straße lag, ich wollte ihn aufheben, aber der Dragoner bat, ihm diesen zu lassen; es sei sein eigenes Brod, welches sein Pferd verloren habe. Es verhielt sich auch so! Diese Leute hatten Brod und doch wollten sie mir das meinige rauben; so wären wir auf vierzehn Tage ohne Brod gewesen.

Etwas später stieß ich noch auf eine kleine Abtheilung Infanterie und erfuhr, daß ein Zusammenstoß mit den Russen stattgefunden und daß die meisten ihrer Leute gefangen worden seien. Ein Offizier schien sichtbar von Furcht ergriffen; er machte eine klägliche Schilderung und bot alles auf, mich von der Unmöglichkeit des Weiterkommens zu überzeugen. Ich erwiderte, es setze der Rückweg nach Moskau mich denselben Gefahren aus, als das Vorwärtsgehen. So wurde ich zwei Tage lang mit ununterbrochenen Warnungen und kläglichen Berichten geplagt und aufgehalten, aber ich ließ mich durch nichts irre[226] machen, verfolgte meinen Weg und wurde diesen Abend durch nichts weiter belästigt. Mit Einbruch der Nacht gelangten wir in ein verlassenes und verwüstetes Dorf. Es war schon dunkel, als wir an einer noch ziemlich erhaltenen Scheuer hielten. Mein Kutscher sah sich nun um ein Unterkommen für die Pferde um und kam mit großer Freude, mir zu sagen, daß wir heute besonders glücklich seien; er hatte eine geräumige Lokalität für uns und die Pferde und auch Stroh gefunden, was etwas sehr Seltenes war, allein in dem Augenblicke, als er mit den Pferden eintreten wollte, scheuten diese und schnaubten, von sichtbarer Furcht ergriffen. Bei dem ersten Schritte vorwärts stolperte mein Diener und trat auf Leichen. Der ganze Raum war mit Todten angefüllt, die über einander gehäuft lagen. So hatte der Instinkt der Thiere diesen Uebelstand eher bemerkt, als der Mensch.

Dieser traurige Anblick bot sich uns noch öfter auf der Reise dar. Wenn wir an ein Haus kamen, das ein Dach hatte, so fanden wir in ihm regelmäßig Leichen, mitunter auch Lebende, die dem Verscheiden unter den jammervollsten Zuständen nahe waren; in der Regel nicht Verwundete, sondern Nachzügler, die im größten Elende ohne Nahrung, erbärmlich gekleidet umherirrten und in das erste beste Haus hineinkrochen, um da in Ruhe zu sterben. Einige derselben erlagen sichtbar dem Hungertod. Sie hatten nur noch die bloße Haut über das Gerippe gezogen und schienen gar nicht in Verwesung überzugehen.

Das Dach jenes Hauses hatte einen ziemlich großen Vorsprung; unter diesen stellten wir unsere Pferde; mein alter Reisegenosse und der Kutscher machten sich dort ebenfalls Platz, so gut es ging, ich blieb im Wagen. Feuer machten wir auch heute nicht an, da unsere Lage noch immer die möglichste Vorsicht erheischte, hier um so größere, als wir uns an der großen Straße befanden. So endete der zweite Tag der Reise.

War es schon den Tag hindurch abscheulich gewesen, so wurde es in der Nacht gräßlich; es stürmte, regnete und schneite unaufhörlich, Menschen und Pferde befanden sich, meine Wenigkeit ausgenommen, in einem kläglichen Zustande, sie waren[227] buchstäblich unter die Traufe gerathen. Die Pferde blieben die ganze Nacht sehr unruhig und das schönste wurde von den andern, die sich an der Wand möglichst zu schützen suchten, in das Wetter hinausgedrückt und hatte dessen wüthendsten Andrang auszuhalten. So sorglos als wir die verwichene Nacht trotz den uns drohenden Gefahren geschlafen hatten, so peinlich verfloß diese. Sie schien ewig zu dauern!

Es ist übrigens fast unbegreiflich, was der menschliche Körper auszuhalten vermag. Der alte sechzigjährige Thierarzt war bis auf die Haut naß, alles, Thier und Menschen, zitterte am Morgen vor Frost, und dennoch hatte es auf die Gesundheit der Menschen keinen weitern nachtheiligen Einfluß; dagegen kostete mich diese Nacht mein bestes Pferd. Dieses mußten wir nach einigen Stunden an der Straße liegen lassen; es bekam Kolik, stürzte zusammen und der Thierarzt benahm mir jede Hoffnung, es weiterzubringen. Es verursachte mir großes Leid, dieses Thier auf solche Weise zu verlieren. Es war der Schimmel, den ich bei Borodino am 6. September hinter mir stehen hatte, als ich das Schlachtfeld zeichnete und die Kugel mir an den Ohren vorbeisauste. Dieses Pferd zeichnete sich neben andern Vorzügen durch eine besonders schöne Mähne, die bis über die Schulter herabfiel und einen ebenso schönen reichbehaarten Schweif aus. Diese wollte ich abschneiden und mitnehmen, aber der Thierarzt, der sich nicht aufhalten mochte, verweigerte hartnäckig, mir ein Instrument für diesen Zweck zu geben. Mit wehmüthigem Blicke nahm ich Abschied von dem guten Thiere, das mir so viele Dienste geleistet, so viele Strapazen ausgehalten, und langsam zogen wir mit zwei Pferden weiter.

Auf dem dritten Tagmarsche kamen uns keine beunruhigenden Gerüchte zu Ohren, und es schien, daß wir die erste Gefahr, in russische Gefangenschaft zu gerathen, hinter uns hatten. Alles, was ich durch die verschiedenen Nachrichten und eigene Beobachtung mir zusammenstellte, brachte mich zu der Ansicht, daß es nicht in dem Plane der Russen liege, die Hauptstraße besetzt zu halten, wohl aber schienen sie ein aufmerksames Auge[228] darauf zu richten, der Armee jede Gelegenheit abzuschneiden, sich Lebensmittel zu verschaffen. Auf der Hauptstraße aber und in deren nächster Nähe war nicht so viel zu finden, um einen Hund ordentlich zu ernähren: Alles verwüstet, verbrannt, zerstört und der Weg mit Leichen und mit Cadavern von Hausthieren, Hunden und Katzen und mit allem bedeckt, das an Vernichtung, an Hunger und Elend erinnert. Nicht so war es in der Umgebung, dort gab es noch vieles zu finden. Die große Menge der Nachzügler, welche sich im Lande herumtrieben, zwang der Hunger, sich von der Straße zu entfernen, sobald sie aber das thaten, fielen die Unglücklichen in die Hände der Kosaken. Indeß gelang es ausnahmsweise doch einigen dieser umherschweifenden Haufen, Orte zu erreichen, wo noch etwas zu holen war. Heute kam mir das zu gute. Wir begegneten einigen Soldaten, welche etwa acht bis zehn Schafe vor sich hertrieben und einige Hühner am Tornister angeschnallt trugen. Ich wollte ihnen ein Schaf abkaufen, aber mit Geld war nichts zu machen; jedoch als ich ihnen Brod und Salz anbot, gingen sie bereitwillig auf einen Tausch ein, und ich erhielt für einen einzigen Laib Brod und einige Hände voll Salz einen ganz schönen Hammel. Das Geld hatte ja in solcher Lage keinen Werth; man tauschte und kümmerte sich wenig darum, ob das, was man bot, auch den Werth von dem hatte, was man dafür erhielt. Das augenblickliche Bedürfniß allein bestimmte den Preis, und so erhielten oft die unbedeutendsten Dinge einen enormen Werth. Unbeirrt zogen wir weiter und kamen Abends an ein kleines Gehölze, wo wir von der Hauptstraße ablenkten und bivouakirten, da Wasser in der Nähe war. Wir zündeten Feuer an und schlachteten unsern Hammel. Ganz kunstgerecht wurde er hergerichtet und eine hübsche Keule gebraten. Auch Suppe konnten wir heute genießen. Diese warme Küche und das Feuer that uns ungemein wohl, da wir drei Tage diese Vorzüge schmerzlich entbehrt hatten. In meinem Tagebuch heißt es: »Dritter Tag. Die größte Gefahr vorüber, glückliche Handelschaft, gutes Bivouak, vortreffliches Nachtessen, schönes, aber stürmisches Wetter!« – Solche Tage[229] nannte man damals glücklich! Wer noch nie in solcher Lage sich befunden, dem muß es sonderbar vorkommen, daß man einen solchen Zustand einen glücklichen nennen kann. Und doch war es so. Traulich saßen wir um das Feuer, das munter brannte und betrachteten mit lüsternen Blicken die Hammelskeule, wie sie sich nach und nach immer schöner bräunte; wir trockneten indessen am Feuer unsere Kleider und Stiefel, die eigentlich seit Moskau nicht mehr trocken geworden waren. Vorrichtungen zur Tafel nahmen nicht viele Zeit in Anspruch; Tischtuch, Teller und Gläser gab es nicht, unser ganzes Küchengeschirr bestand in einer kupfernen Casserole, aus dieser wurde gemeinsam die Suppe mit hölzernen Löffeln gegessen. Mein Tischzeug und was ich an Silber bei mir führte, war mir schon längst gestohlen worden. Auf einem Brettchen wurde das Fleisch transchirt und gegessen; so tafelte man jeden Tag und war vergnügt, wenn man nur etwas zu verzehren hatte. Wir fühlten uns so behaglich, daß wir erst spät an das Schlafen dachten, wickelten uns in unsere Mäntel, legten uns auf die liebe Mutter Erde und schliefen, bis der Morgen graute.

Schon am vierten Tage unserer Reise begann die Noth mit dem Futter für die Pferde. Der wenige Haber, den wir in Moskau mit Mühe uns verschafft hatten, war aufgezehrt, ebenso das Heu. Unsere armen Pferde mußten sich mit dem schlechten Gras, das sie mit den Füßen aus dem Boden scharrten, und der Rinde der jungen Bäume begnügen. Sie fraßen auch das alte Stroh von den Dächern, das wir aber nur selten antrafen. Daß bei solchem Futter ihre Kräfte immer mehr abnahmen und wir nur langsam vorwärts kamen, ist leicht denkbar. Zum Glücke begegneten uns Soldaten, die ein Pferd an der Hand führten: ein russisches Thier von starken Knochen und gutem Körperbau. Da das Thier ohne Sattel und Zaum bloß an einem Strick um den Hals geführt wurde, fragte ich, was sie denn mit dem Pferd machten und wo sie es her hätten. Sie antworteten, dasselbe an der Straße gefunden zu haben. Ich fragte weiter, womit sie es zu ernähren gedächten. Da glotzte einer den andern an und sie meinten, das wüßten sie[230] eigentlich selbst nicht. »Gebt es mir,« sagte ich, »euch kann es doch nichts nützen und Fourage findet ihr nirgends.« Wir wurden handelseinig, und ich erstand es für zwei Louisd'or. So kam mir ein glücklicher Zufall zu Hilfe und gab mir einigen Ersatz für mein verlorenes Pferd. Das Thier wurde augenblicklich eingespannt und ließ sich recht gut an.

Bei anhaltend schlechter Witterung, Regen, Wind und grundlosen Straßen kamen wir des Abends ohne weitere Hindernisse nach Moshaisk. Dieser arme Ort, den wohl früher niemand besonders beachtete, hatte durch diesen Krieg eine historische Bedeutung bekommen. Er war in ein großes Lazareth verwandelt und bot ein Bild des Jammers und Elendes. Ueberall sah man kranke, elende, verstümmelte Menschen, die sich geisterhaft herumschleppten. Wie mag es erst im Innern der armseligen Holzhütten ausgesehen haben! In dem Winkel eines halbzerstörten Hauses fanden wir ein erbärmliches Quartier. Hier erfuhr ich, daß Major von Zweibrücken noch lebe, aber ohne alle Hoffnung, wieder zu genesen, ich wollte ihn besuchen, konnte aber seine Wohnung nicht erfragen. Am folgenden Morgen den 28. konnten wir Moshaisk verlassen. Es wurden Versuche gemacht, so manches zu besorgen, was wir bedurften, unsere Bemühungen hatten aber geringen Erfolg. Etwas ganz weniges an Lebensmitteln und auf ein paar Tage Fourage für meine Pferde war alles, was wir durch besondere Begünstigung erreichen konnten, obwohl mich die Marschroute berechtigte, Verpflegung und Futter für vier Pferde zu beanspruchen. Ich athmete leichter, als ich diese Stätte des Jammers hinter mir hatte.

Nach einigen Stunden kamen wir über das Schlachtfeld bei Borodino. Hier traten mir nochmals die Schrecken des 5. und 7. September lebhaft vor die Augen. Ich hätte mich gerne einen Tag aufgehalten, um manchen wichtigen Punkt zu zeichnen, wozu mir an jenem Tag die Zeit gemangelt hatte, aber in Verhältnissen, in denen man nicht weiß, wovon man am nächsten Tage leben muß, verzögert man ohne dringende Gründe nicht gerne die Fortsetzung der Reise.[231]

Dennoch ließ ich meinen Wagen einige Zeit halten und machte einen Gang über einen mir merkwürdigen Theil des Schlachtfeldes, sah aber dort des Gräßlichen und Ekelerregenden so viel, fand die Luft so verpestet, daß ich bald wieder umkehrte. Die meisten Leichen von Menschen und Pferden waren unbeerdigt liegen geblieben, und es würde ein grauenerregendes Bild, wenn ich eine getreue Schilderung des Zustandes geben sollte, in dem ich diese Jammerstätte achtzehn Tage nach der Schlacht fand. Das Tiefergreifendste, was mir ausstieß, waren sieben Menschen, die, auf einen Knäuel zusammengekrochen, zunächst einem todten Pferde lagen. Fünf hatten ihr jammervolles Loos überstanden, der Tod hatte ihre Martern geendet, aber zwei derselben waren noch nicht aufgelöst, konnten noch sprechen und Lebenszeichen von sich geben. Mitnehmen konnte ich sie nicht, ebenso wenig ihnen Hilfe verschaffen, und ich gestehe, daß mich einen Augenblick der Gedanke überfiel, ihnen den Tod zu geben und sie aus ihrem Elende zu befreien. Mit Entsetzen floh ich vor dieser gräßlichen Erscheinung und sagte schwer aufathmend bei mir selbst: »Ja, der Krieg ist das Grauenhafteste!« Jene Unglücklichen waren Russen, welche auf dem vaterländischen Boden achtzehn Tage in solchem Jammer hilflos liegen geblieben.

Häufig wurde ich gefragt, wenn ich dieses Ereigniß erzählte, wovon diese Menschen sich so lange ernährt hatten. Hierüber bin ich nicht im Stande, Auskunft zu geben, da ich ihre Sprache nicht verstand und sie überhaupt nicht mehr fähig waren, vieles zu reden; ich habe aber gegründete Ursache, zu glauben, daß sie von dem Cadaver des Pferdes, an das sie herangekrochen, ihr Leben gefristet.

Das Schlachtfeld von Borodino ist in seiner Formation sehr düster; jetzt aber erschien es als abschreckende Wüste. Stundenweit begegnete mir niemand, es schien, daß kein menschliches Wesen hier weilen mochte; jeder trachtete, möglichst schnell vorüber zu kommen. Das melancholische Wetter erhöhte noch den traurigen Eindruck, den hier alles auf uns machte. Mein Thierarzt war glücklich, als ich wieder zurückkam; er hatte keine[232] Lust, eine solche Wanderung über das Schlachtfeld anzutreten und saß inzwischen in peinlicher Ungeduld im Wagen.

Tiefer Ernst hatte sich meiner bemächtigt und stumm zogen wir auf der verödeten Straße fort, die noch überall die Spuren des Kampfes zeigte. Später kamen wir in die Nähe eines Klosters, welches die Hoffnung erregte, dort ein Quartier zu finden, aber wir trafen ein Lazareth, das uns nur neue, recht traurige Bilder vor Augen führte und uns von dort verscheuchte. Abends bot ein großer Schuppen uns und den Pferden ein erträgliches Nachtquartier. Wir bereiteten Thee ohne Zucker und Milch, weil uns beides fehlte, und verzehrten die letzten Reste des Hammels. Die grauenvollen Dinge aber, die ich an diesem Tage gesehen, erfüllten im Traum noch meine Phantasie mit schrecklichen Bildern. Der nächste Morgen brachte uns wieder ein gräßliches Unwetter; unter Sturm, Regen und Schneegestöber schleppten wir uns den 29. auf der kothigen Straße mühsam weiter. Es war der sechste Tag unserer ununterbrochenen Reise. Unsere Pferde fingen an, bei ärmlicher Fütterung und schlechten Straßen große Mattigkeit zu zeigen. Der häufige aus Westen entgegenkommende Wind belästigte uns ganz besonders. Es war überhaupt eine eigenthümliche Erscheinung, daß es bei Tage stürmte und tobte, während die Nächte meistens bisher schön gewesen.

Nachmittags bekamen wir eine Reisegesellschaft: jüdische Kaufleute aus Glogau in Schlesien. Unternehmend wie die meisten Israeliten waren sie der Armee bis Moskau nachgezogen, um Geschäfte zu machen, und schienen nicht unbefriedigt zurückzukehren. Sie sahen gut aus und waren guter Dinge, drei noch ziemlich junge Männer, die sich sehr weltläufig zu benehmen wußten; sie gehörten dem Anzuge und Aussehen nach nicht zu jener Klasse, welcher man auf den ersten Blick den Juden ansieht. Sie hatten sich, wenn auch unvollkommen, in den Ton der gebildeten Klassen hineinstudirt. Ihr Fuhrwerk bestand aus einem mit Segeltuch überspannten, von vier guten Pferden gezogenen Wagen. Es schien ihnen sehr erwünscht, sich an mich anschließen zu können; ich für meinen Theil fand[233] kein besonderes Vergnügen daran. Ich fuhr aus Grundsatz gerne allein, um kein Aufsehen zu erregen, aber ich konnte es ihnen nicht verwehren.

Die Erwartung, in der ansehnlichen Stadt Wjasma ein erträgliches Quartier zu finden, täuschte uns abermals; es war so schlecht, daß wir den Morgen kaum erwarten konnten, diese Stadt im Rücken zu sehen, vor der wir einen Monat früher bei reizendem Herbstwetter voll der schönsten Hoffnungen auf einen baldigen glücklichen Erfolg gestanden hatten.

Bei besserer Witterung setzten wir unsere Reise fort und wurden mit unsern neuen Reisegenossen näher bekannt. Sie schienen einen Werth darauf zu setzen, mit einem Offizier aus dem Gefolge des Vicekönigs zu reisen und bewiesen mir einen gewissen Respekt. Auch wollte mir bedünken, daß ihnen meine Entschiedenheit, mit der ich alles unternahm, selbst mehr Muth und Hoffnung auf eine glückliche Fortsetzung der Reise einflößte. Sie hatten sich mit Zucker und Kaffee vorgesehen und erboten sich, gegen billige Entschädigung mir davon etwas abzulassen.

Gegen Mittag machten wir in einem Dorfe einen glücklichen Fund an Fourage, das war eine große Freude; man fütterte die armen Pferde, die sich recht gütlich thaten und nahm noch einigen Vorrath mit. Abends erblickten wir auf einer kleinen Anhöhe ein einsames Dörfchen und steuerten darauf zu. Die Pferde wurden wenigstens vor Wind und Wetter geschützt untergebracht und ein ganz erträgliches Abendessen bereitet. Hier fanden wir wieder mehrere arme französische Soldaten, die krank und hilflos umherirrten und in den ärmlichen Hütten Schutz suchten. Zwei derselben schlichen sich wie Gespenster an unser Feuer heran und baten, sich ein wenig wärmen zu dürfen; sie hatten ein jämmerliches Aussehen und erregten mein Mitleid im höchsten Grade; ich ließ ihnen etwas warme Suppe reichen, nach der sie mit zitternden Händen griffen und die sie gierig verzehrten. Darauf legten sie sich zusammengekauert unter meinen Wagen und schienen zu schlafen; ich wollte sie nicht stören und ließ sie liegen; am nächsten Morgen aber fanden wir den einen todt, den andern am Verscheiden.[234]

Am folgenden Tage, den 1. Oktober, tauchten wieder Gerüchte auf, daß die Straße von den Kosaken beunruhigt werde. Das jagte meinen israelitischen Reisegenossen große Angst ein; sie fingen an, gewaltig rasch zu fahren, was mich um meiner Pferde willen, die mit meinem viel schwereren Wagen größere Anstrengungen zu machen hatten, sehr genirte. Da kam mir wieder ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Ich traf einen Trupp französischer Soldaten, die drei Pferde an einem Wagen hatten, kaufte nach vielem Hin- und Hermarkten für einen mäßigen Preis ein ganz braves Pferd, das sogleich eingespannt wurde. Nun fuhren wir mit vier Pferden weiter, kamen besser voran und erreichten gegen Abend die Stadt Semlewo. Hier sah es wirklich bedenklich aus. Die Eingänge waren mit Pallisaden und allerhand Schutzwehren verrammelt, und wir hatten Mühe, eingelassen zu werden. Die kleine Besatzung hegte große Besorgnisse vor einem Ueberfall und wunderte sich, als sie hörte, wir kämen von Moskau. Auch hier fand man ein erbärmliches Unterkommen; in den Städten waren wir fast immer am schlimmsten daran. Im Freien, selbst bei ungünstiger Witterung, hatten wir doch wenigstens frische Luft, aber in den Städten war es, als ob die Luft verpestet sei. Da wir zeitig in Semlewo ankamen, ging ich noch auf die Kommandantschaft und fand dort recht artige Leute. Es interessirte sie sehr, durch mich so vieles über die Zustände in Moskau und unsere Erlebnisse auf der Rückreife erfahren zu können. »Ich bin wirklich sehr verwundert,« sagte der Kommandant, »daß Sie so glücklich bis hieher gekommen sind, bedaure aber, Ihnen sagen zu müssen, daß es Ihnen nicht gelingen wird, ebenso glücklich Smolensk zu erreichen, wir hören, daß die Kosaken schon bis auf zwölf Stunden von Smolensk alles beunruhigen und haben sie auch hier fortwährend auf dem Halse. Es müssen ganze Militärkommandos ausgesandt werden, um uns Lebensmittel und Fourage zu verschaffen, denn es fehlt uns hier an allem und unsere Lage ist eine miserable.« – »Das sind schlimme Nachrichten,« erwiderte ich, »aber was wollen Sie hier mit mir machen? Sie sagen selbst, daß Sie[235] Mangel an allem haben, wollen Sie noch ein paar Gäste mehr hier festhalten? Ich bin weit entfernt, Zweifel in die Wahrheit dessen zu setzen, was Sie mir so gefällig waren, mitzutheilen, aber seit ich Moskau verlassen, höre ich immer dieselbe Sprache, und Sie werden mir zugestehen, daß dieselbe Gefahr, welche vor mir liegt, auch hinter mir ist. Niemand weiß, was Napoleon weiter beschließen wird, und auf Ungewißheit hier zu sitzen, dazu kann ich mich nicht entschließen. Ich bin fest gesonnen, morgen meine Reise nach Smolensk fortzusetzen.« Es waren drei bei Borodino leicht verwundete französische Offiziere hier, aber so weit hergestellt, daß sie reisen konnten. Sie saßen schon Tage lang unentschlossen in Semlewo. Mit gespannter Aufmerksamkeit hörten sie unserer Unterredung zu, benahmen sich sodann mit mir und faßten den Entschluß, die Reise zu versuchen. Bei ziemlich kaltem Nebel verließen wir frühzeitig Semlewo und stießen bald auf einen Chasseur à cheval, der als Wachtposten an der Straße hielt. Er sah finster und sehr erfroren aus und brummte uns mit tiefer Baßstimme zu: »In einer Viertelstunde treffen Sie die Kosaken!« machte aber keine Miene, uns von dem Weitergehen abzuhalten. Meine neue Reisegesellschaft gerieth durch dieses Wort in sichtbare Angst. Die Offiziere meinten, bei solchem Nebel weiter zu gehen, sei zu gewagt, man sollte wenigstens warten, bis dieser sich verziehe, es könnte sich ja ereignen, daß man an die Kosaken gerathe, ohne sie vorher zu bemerken. Ich erwiderte, daß wir uns von diesem Wagestück nicht so leicht abschrecken lassen dürfen. Der Nebel verberge zudem ja auch uns vor den Kosaken, diese werden nicht gerade die Straße besetzt halten, wenigstens hätte ich bis daher Gelegenheit gehabt, zu bemerken, daß dies nicht in ihrer Absicht liege. Uebrigens sei ich weit entfernt, die Herren zu bereden, vorwärts zu gehen, und wolle mich vor jeder Verantwortlichkeit verwahren; sie möchten nach eigener Einsicht handeln, ich für meine Person werde vorwärts gehen. Das that ich und langsam wie Schnecken zogen die Offiziere in einiger Entfernung hinter uns her.

Wir waren noch nicht sehr weit gekommen, als unsere[236] Lage allen Ernstes eine sehr mißliche zu werden anfing. Von einem Seitenwege kam ein Offizier zu Fuß uns entgegen, der sich beeilte, die Hauptstraße zu erreichen und mit uns zusammenzutreffen. Ich ließ deßhalb etwas langsamer fahren. Als er uns eingeholt, grüßte er freundlich in französischer Sprache und bat uns, anzuhalten. Es war ein großer, starker, sehr wohlgestalteter Mann, in Haltung, Sprache und seinem ganzen Wesen lag etwas Achtunggebietendes. Nach den gewöhnlichen Fragen: »Woher? Wohin?« begann er Folgendes zu erzählen: »Ich bin der Obrist eines polnischen Infanterieregiments, das auf dem Marsche hieher begriffen ist. Gestern Abend verließ ich die Hauptstraße, um auf einem mir bekannten Edelhofe zu übernachten. Dort fand ich auch das gewünschte Unterkommen und trug kein Bedenken, nach langen, beschwerlichen Märschen mich der Ruhe zu überlassen, da ich eine starke Eskorte bei mir hatte. In der Nacht aber wurden wir durch Flintenschüsse alarmirt; die Kosaken hatten uns mit Uebermacht überfallen, meine Leute wurden nach tapferer Gegenwehr gefangen, meine Pferde und alles, was ich hatte, geraubt. Ich selbst entkam im Dunkel der Nacht, und so, wie Sie mich vor Ihnen sehen, besitze ich nichts mehr als meinen Degen. Sie werden meinem Regiment begegnen, dieses werden die Kosaken ungehindert ziehen lassen, sie vermeiden es immer, mit größeren Infanteriemassen zusammenzustoßen. Das Regiment ist brav und würde sich bis auf den letzten Mann schlagen. Sagen Sie seinen Offizieren, was mir begegnet ist, das Regiment solle seinen Marsch beschleunigen, ich erwarte es in Semlewo. Haben Sie den Muth, Ihre Reise fortzusetzen, so wünsche ich, daß Sie glücklicher seien als ich!« So trennten wir uns. Diese Erzählung bot in der That Stoff zu ernsten Betrachtungen und eröffnete uns keine frohen Aussichten auf den heutigen Tag. Nach Verlauf einer Stunde trafen wir auch dieses Regiment, welches zu unserer Verwunderung noch in gutem Zustande und ziemlich zahlreich war. Es nahm die ganze Breite der Straße ein; zu beiden Seiten war es mit einer starken Tirailleurkette umgeben. Die Offiziere waren sehr frappirt über meinen[237] Rapport und erzählten ihrerseits, daß die Kosaken zwar nicht gewagt, das Regiment anzugreifen, aber alles, was an Train und Equipagen hinterher kam, sei verloren und in ihre Hände gefallen. Die Bedeckung hätte sich zur Wehre gesetzt, einige Leute seien gefallen, die übrigen verwundet und gefangen worden, ebenso seien alle Pferde, die hinter dem Regiment hergezogen, eine Beute der Kosaken geworden. Diese hätten zudem ihre Stellung so in einem Walde genommen, daß ihnen mit Infanterie gar nicht beizukommen war. Jenen drei Offizieren, die von Semlewo bis hieher sich gewagt hatten, wurde es nun zu viel. Einer derselben wandte sich an mich mit den Worten: »Nun, junger Mann, was sagen Sie jetzt?« – »Es sieht sehr gefährlich aus, aber ich kehre nicht um,« war meine Antwort. »Allez,« sagte er mit sichtbarem Zorne, »Sie sind ein Narr.« Sie hatten ein kleines russisches Fuhrwerk mit drei Pferden bespannt bei sich. Mit diesem waren sie ins Gedränge zwischen die Infanterie gekommen und konnten deßhalb nicht gleich umkehren, stiegen ab, spannten die Pferde aus, schwangen sich hinauf und jagten, was die Pferde laufen konnten, Semlewo zu.

Später dachte ich oft daran, ob diese drei Herren auch so glücklich waren wie ich, ihr Vaterland wieder zu sehen. Ich möchte es bezweifeln. An Muth und Entschlossenheit schienen sie keinen Ueberfluß zu haben.

Nachdem das Regiment vorübergezogen, setzten wir langsam und vorsichtig unsere Reise fort und kamen nach anderthalb Stunden an die Stelle, wo der Ueberfall der Kosaken stattgefunden. Zwei Todte lagen noch in ihrem Blute, auch verkündeten dort rauchende Trümmer von verbrannten Munitionswagen und verschiedenen Gegenständen deutlich, daß man sich vor kurzem raufte. Daß uns bei diesem Anblicke unheimlich zu Muthe wurde, kann ich nicht läugnen; aber sehr angenehm war uns, daß die Kosaken aus unserem Gesichtskreise verschwunden waren und wir sie auch den ganzen Tag nicht zu sehen bekamen. Sinnend und von ganz eigenen Gefühlen ergriffen, setzte ich getrost die Wanderung fort; ein guter Schutzgeist[238] wachte über mir und begleitete mich auf meinem Wege! Immer gelangte ich an so gefährliche Stellen, wenn die Gefahr vorüber war; ein paar Stunden früher oder später hätten vielleicht die ganze Scene geändert. Ohne weiter belästigt zu werden, zogen wir ruhig dahin und kamen gegen Abend in die Nähe eines großen Stadels, der seitwärts an der Straße stand. Ich wäre vorübergefahren, hätte nicht ein gewaltiger Lärm darin meine Aufmerksamkeit erregt. Ich ließ halten, horchte und bemerkte, daß es hier Streit gab. Bald trafen auch wohlbekannte Töne an mein Ohr. Sie waren so stark, daß man sie eine Viertelstunde weit hätte vernehmen können. Ich erkannte deutlich den schwäbischen Accent, stieg aus und trat in den Stadel. Hier fand ich die Equipagen des Kronprinzen von Württemberg. Einige Soldaten von der leichten Cavallerie, welche sie begleiteten, waren uneins geworden und prügelten sich durch. Durch mein Erscheinen legte sich nach und nach das Gewitter. Auch meine Juden schrien mit und halfen nach Kräften, den Lärm zu steigern. Diese waren gestern, durch böse Gerüchte geängstigt, eine gute Strecke über Semlewo hinausgeeilt und so mit den Württembergern zusammengetroffen.

In diesem Stadel machte ich eine gute Bekanntschaft an einem königlichen Bereiter, der den Zug begleitete. Es war ein gebildeter Mann, in dessen Umgang ich später manche Stunde zubrachte. Bei diesem Transporte, mit welchem ich nun weiter reiste, befanden sich noch einige schöne Reitpferde, mehrere Equipagen und Wagen und einige reitende Jäger sammt der übrigen Dienerschaft. So angenehm mir nun auch diese größere Gesellschaft war, denn unsere Juden hatten sich auch angeschlossen, so flößte es mir doch bisweilen Bedenken ein, denn die Erfahrung hatte mich auf dieser Reise belehrt, daß fast immer größere Transporte von Kosaken überfallen wurden und ich glaubte weniger bemerkt zu werden, wenn ich ganz allein meines Weges weiter zog.

Am zehnten Tage unserer Reise heiterte sich der Himmel auf, die Luft wurde mild und wir hatten mit wenig Ausnahmen durch den ganzen Oktober das schönste Herbstwetter.[239] Es kamen sogar Tage, an denen man den Ueberrock entbehrlich fand und an den Pelz gar nicht dachte. Ungehindert erreichten wir Abends ein kleines Dorf und fanden ein gutes Unterkommen. Ebenso verstrich der folgende Tag; ohne besondere Abenteuer wanderten wir in größerer Gesellschaft unserer Wege. Bei so schönem Wetter dachten wir gar nicht daran, eine Ortschaft aufzusuchen. An dem ersten geeigneten Platze machten wir Halt, schlugen unser Bivouak auf und saßen bei Essen und Trinken unter lebhaftem Gespräche in bestem Humor bis Mitternacht um das Feuer herum.

Am zwölften Tag der Reise traf mich ein großer Uebelstand; die Kraft der Pferde ließ bedeutend nach, auch mein Kutscher wurde schwierig. Wir hatten große Noth, weiter zu kommen und verloren so unsere Gesellschaft, der wir nicht folgen konnten. Die Nacht brachten wir in einem Walde zu. Tags darauf trafen wir wieder zufällig mit den Württembergern zusammen und verlebten einen angenehmen Abend auf einem Schlosse, das in einer lieblichen Gegend lag und uns bei schönem Sonnenuntergange mit einem herrlichen Anblicke erfreute. In solchen Augenblicken vergißt man gerne das überstandene Ungemach und schöpft neuen Muth.

Den vierzehnten Tag hatten wir mit unzähligen Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Unsere Pferde waren so entkräftet, daß sie fast nicht mehr weiter konnten. Das Geschirr riß überall und zum Ueberflusse verfehlten wir noch die rechte Straße, verloren unsere Gesellschaft und erreichten nur mit Mühe Abends die Stadt Smolensk.

Hier hatten wir die größte Gefahr und die größten Beschwerden hinter uns, aber große Mühseligkeiten warteten noch auf uns. Mit welchen Anstrengungen hatten wir in vierzehn Tagen einen Weg von 130 Stunden zurückgelegt! Welcher Raum trennte uns noch von dem geliebten Vaterlande!

Uebrigens konnte bis Smolensk weder das Ungestüm der Witterung, noch irgend eine Beschwerde meine Gesundheit erschüttern; kräftig und vollkommen gesund kam ich dort an, Muth und Entschlossenheit hatten mich nicht einen Augenblick verlassen.[240]

Während eines zweitägigen Aufenthaltes daselbst ließ ich mein Pferdegeschirr, so gut es ging, zusammenflicken, versah mich mit Fourage und etwas Nahrungsmitteln (viel war aber nicht zu finden). Pferden und Menschen bekam die kurze Ruhe sehr gut.

Smolensk war ziemlich belebt von französischen Soldaten, aber es schienen mir meistens Marodeurs und Leute aus den Spitälern, eine ansehnliche Garnison war nicht da, ich fand mich darum auch nicht veranlaßt, einen längeren Aufenthalt zu nehmen.

Mit ausgeruhten und gut gefütterten Pferden ging es nun am 10. Oktober bei prächtigem Wetter wieder recht ordentlich vorwärts; ich hatte die Straße gegen Minsk eingeschlagen und beabsichtigte, von dort über Grodno und Warschau zu gehen. Das wäre der nächste Weg gewesen, aber in Minsk stieß ich auf neue Hindernisse.

Auf den zwei ersten Tagmärschen von Smolensk nach Minsk ging es uns recht gut. Am ersten Tage bekamen wir ordentliches Quartier in einem hübschen Dorfe, am zweiten jedoch ein sehr schlechtes. Das aber achtet man nicht, wenn man daran gewöhnt ist, sich schon glücklich zu fühlen, ein Obdach zu finden, das uns einigermaßen Schutz vor Wind und Wetter bietet. Am 13. Oktober trafen wir auf unserem Marsche zwei Klöster bald nach einander. Das erste war ein Herrenkloster, das von außen sehr einladend aussah, wir suchten deßhalb dort Unterkommen zu finden, allein gleich beim Eingange trat uns ein Geistlicher entgegen, der Protest einlegte. In seiner ganzen Erscheinung lag Würde, so daß wir uns abweisen ließen. Etwas später kamen wir bei einem Frauenkloster an. Hier wurde uns kein Hinderniß in den Weg gelegt, in den Hof einzutreten, der mit einer Mauer umgeben war, aber kein Thor mehr hatte. Das Hauptgebäude war verschlossen und wir machten keine Bemühungen, die Klosterfrauen zu beunruhigen, sondern nahmen von einer Art Oekonomiegebäude, das im Hofe stand, Besitz. Diesem konnte man aber nur zu gut ansehen, daß wir nicht die ersten ungebetenen Gäste waren, welche darin[241] gehaust hatten. Es sah verwüstet und schmutzig aus und hatte weder Fenster noch Thüren.

Hier begegnete uns in der Nacht ein sonderbares, fast komisches Abenteuer, obwohl es auf den ersten Anschein ernst genug aussah.

Da sich kein Stall vorfand, ließ ich die Pferde in einer Stube unterbringen, an der nicht viel zu verderben war. An diese stieß ein kleineres Gemach, in dem eine schlechte Bettstätte ohne Bett stand. Hier etablirten sich der Thierarzt und der Kutscher, die sich des kleinen Vorraths von Heu, den wir noch hatten, als Kopfkissen bedienten. Ich selbst schlief im Wagen, weil es mir im Gebäude zu schmutzig und die Nacht sehr schön und mild war. Plötzlich wurde ich durch ein gewaltiges Angstgeschrei und Pferdegepolter aufgeweckt. Ich konnte nichts Anderes denken, als daß meine Leute mißhandelt oder gar ermordet würden. Mit dem Säbel in der Hand sprang ich aus dem Wagen und entdeckte bei dem blassen Schein eines Lichtes, das aus einem Fenster des Klosters kam, daß eines meiner Pferde den Kutscher an den Haaren auf dem Boden herumzerrte. Dieses hatte das Heu gewittert, auf dem er mit dem Kopfe gelegen, und versucht, es unter demselben wegzufressen. Dabei hatte es sich mit den Zähnen so in dessen Haare verwickelt, daß es nicht mehr loskommen konnte, ein Auftritt, der sehr erklärlich ist, wenn man weiß, daß dieser Bursche ein sehr dichtes, lockiges Haar hatte, das sich bei dem Leben, das wir führten, auch keiner besonderen Pflege rühmen konnte. Mein Thierarzt eilte ihm wohl zu Hilfe, da aber das Pferd immer rückwärts ging und in der Angst zerrte und zerrte, auch die übrigen Pferde unruhig umhertrippelten, so konnte er allein nicht mehr fertig werden. Wir beide zusammen hatten Mühe, den Kutscher loszubringen. Auf solche Weise wurde unsere Nachtruhe, von der wir uns in der Klostereinsamkeit so gute Erwartungen gemacht, recht unangenehm unterbrochen. Der Kutscher selbst kam außer einigen Huftritten ohne erheblichen Schaden mit dem Schrecken davon. So ein Polack kann viel aushalten!

Der 14. Oktober war einer unserer ominösen Tage; wir[242] verfehlten am frühen Morgen die Straße, kamen ganz von der rechten Richtung ab, wurden umgeworfen, jedoch ohne Schaden zu nehmen, und kamen gegen Mittag an eine kleine Ortschaft, wo wir Futter in Hülle und Fülle fanden. Wir glaubten nur zugreifen zu dürfen, und unsere Pferde ließen es sich vortrefflich schmecken. Aber bald wurden wir arg enttäuscht. Es erschien ein Haufe Bauern mit dem Gutsherrn an der Spitze, die sehr brutal thaten und vor Begierde brannten, uns durchzuprügeln. Der Gutsherr stellte mich zur Rede, warum ich die Hauptstraße verlassen habe, dort wären Magazine. Hier aber sei keine Militärstraße u. dgl. m. Es galt, zu einer Finte unsere Zuflucht zu nehmen. Ich that noch brutaler als die Bauern, schrie, sie würden wohl heute noch mehr hergeben müssen; ich hätte die Hauptstraße verlassen, weil in den Magazinen nicht Vorräthe genug wären, da ich einen Train von 60 Pferden bei mir hätte, die nachfolgten. Ich sei voraus geritten, um mich ein wenig umzusehen und Quartier zu bestellen. Dieß und der zuversichtliche Ton, in dem ich sprach, wirkte. Man verlegte sich auf das Unterhandeln; der Gutsherr versicherte mich, daß wir mit leichter Mühe vor Abends einen großen Edelhof erreichen könnten, wo ein weit besseres Unterkommen zu finden sei, als hier, und malte mir die Situation recht reizend aus. Anfangs spielte ich den Zweifler, nahm eine große, aus vier Blättern bestehende Karte von Rußland aus dem Wagen, breitete sie auf dem Boden aus und suchte nun lange darauf herum, zog überhaupt die Verhandlung möglichst in die Länge, damit meine Pferde sich an dem guten Futter recht gütlich thun konnten. Durch dieses sichere Benehmen kam es zuletzt so weit, daß man mir Geld anbot, wenn ich dafür sorgen wollte, daß meine Leute weiter ziehen. Das wies ich mit Indignation zurück, schrieb auf einen Zettel einige italienische Zeilen mit dem Bemerken, das könne man einem Sergeanten geben, wenn meine Leute kämen; es wären lauter Italiener, welchen sie sich sehr schwer verständlich machen könnten, da hätten diese aber die Weisung, weiterzuziehen. So kamen wir aus dieser Verlegenheit und zogen mit unsern sattgefütterten[243] Pferden möglichst rasch von dannen und erreichten wirklich noch am Abende zu guter Stunde den uns bezeichneten Edelhof.

Herr und Frau gehörten der gebildeten Klasse an. Ich trat höflich ein, bedauerte, durch ein Versehen die Hauptstraße verfehlt zu haben und bat um Erlaubniß, bis zum nächsten Morgen ihre Gastfreundschaft ansprechen zu dürfen. Man hieß mich willkommen und behandelte mich auch wie einen nicht unwillkommenen Gast. Wir fanden recht gute Verpflegung. Ohne besondere Störung setzten wir am folgenden Tage unfern Weg weiter fort und erreichten am Abende ein hübsches Dorf, das abseits von der Straße lag. Mein Kutscher machte mich aufmerksam, daß es hier nicht ganz geheuer sei. Es schlichen sich allerlei Leute um den Wagen herum, die ihn aufmerksam musterten, auch hätte er einige verdächtige Reden gehört; ich möchte auf meiner Hut sein und lieber noch Jemand zu mir in den Wagen nehmen. Ich meinte dagegen, es werde nicht gerade so gefährlich sein, ermorden würden sie mich wohl nicht, und das Ausrauben denke ich schon zu verhüten. Zur Vorsicht aber legte ich doch meine zwei scharf geladenen Pistolen neben mich auf den Wagensitz. Mein Bursche hatte recht gesehen, in der Nacht verspürte ich Unruhe am Wagenkasten und ein Gemurmel von Stimmen. Ich rührte mich nicht, nahm aber meine Pistolen zur Hand und spannte beide, was man außen gut hören konnte. Auf das hin wurde alles ruhig; dann aber versuchte Jemand mit der Hand durch die vorgezogenen Ledervorhänge hereinzudringen. Diesem versetzte ich mit dem Laufe einer Pistole einen so derben Schlag, daß er seine Hand rasch zurückzog, Gleich darnach hörte ich Tritte von mehreren Leuten, die sich eilig entfernten. Und ich wurde nicht weiter belästigt.

Am folgenden Morgen fanden wir einen armen Juden, der uns für geringes Geld mehrere Stunden weit begleitete und auf die Militärstraße führte, die ich meiner Marschroute gemäß einschlagen mußte.

Den ganzen Weg von Moskau bis hieher hatte ich Gelegenheit zu bemerken, daß es immer mit Gefahr verbunden[244] war, wenn man sich von der Militärstraße entfernte. Zwei Tage hindurch, seit wir von der Hauptstraße abgekommen, begegnete uns nicht ein einziger Soldat der französischen Armee, und wir hätten füglich können todtgeschlagen werden, ohne daß ein Hahn nach uns krähte. Jetzt bewahrheitete sich auch, was jener Gutsherr sagte, daß nämlich auf der Hauptstraße Magazine errichtet wären. Wir faßten Fourage und nun kam die Reihe, sich besser zu ernähren, auch an die armen Pferde, nur Schade, daß sie durch die großen Anstrengungen bis hieher schon beinahe zu Grunde gerichtet waren.

Ohne weitere besondere Ereignisse schleppten wir uns noch sechs Tage lang mühsam fort, bis wir endlich am 22. Oktober auf drei Stunden Entfernung von Minsk anlangten.

So waren nun unter unzähligen Mühseligkeiten und Gefahren volle vier Wochen verstrichen, um diesen Weg von 200 Stunden zurückzulegen. Wie bei einem solchen Marsche alles herunterkömmt, was der Mensch mit und an sich hat, ist leicht denkbar. Wahrhaft bejammernswerth war der Zustand unserer Pferde, es verursachte mir Herzweh, sie anzusehen. Die armen Thiere waren so heruntergekommen, daß sie sich kaum mühsam fortschleppen konnten; auf dem letzten Marsche nach Minsk brauchten wir einen vollen Tag, um eine Strecke zurückzulegen, die ein ordentlicher Fußgänger in drei Stunden leicht zu gehen vermag.

Eine herrliche Mondnacht folgte dem stürmischen Tag, an dem wir Moskau verließen. Den Gefahren jenes Tages glücklich entronnen, suchten wir uns damals ein stilles, heimliches Lagerplätzchen, in dem wir uns gleich Dieben, die das Auge der Menschen scheuen müssen, verborgen hielten, ohne es zu wagen, ein Feuer anzuzünden. In einer ebenso schönen Vollmondnacht, bei heiterstem Sternenhimmel bezogen wir vier Wochen später unser letztes Nachtquartier unter freiem Himmel, nur unter ganz andern Verhältnissen.

Wir langten nach Sonnenuntergang bei einem kleinen Gehölze an, in dessen Nähe auf einem hübschen Platze seitwärts der Straße ein munteres Feuer brannte, an welchem ich verschiedene[245] Kochgeschirre bemerkte. Mehrere Menschen thaten sehr rührig, lustig, und schienen guter Dinge, so daß ich aufmerksam wurde und sagte: »Ich muß doch sehen, wer diese Leute sind, es scheint dort recht heiter zuzugehen.« Mit diesen Worten stieg ich aus und ging auf das Feuer zu. Wie erstaunt war ich, als ich, näher gekommen, meine frühere israelitische Reisegesellschaft wiederfand. Diese Leute waren nicht minder überrascht und begrüßten mich mit einem wahren Jubel, als sie mich erkannten. »Nun, das soll ein froher Abend werden, hieß es, an den wir uns alle gerne erinnern.« Einer derselben holte ein hübsches Kaffeegeschirr von ihrem Wagen, und vor allem wurde Kaffee gemacht, weil jene wußten, daß ich diesen gerne trinke. Zu dem Essen fügten auch wir von unsern Vorräten hinzu, später wurde auch noch Grogg bereitet. Eine große Heiterkeit ergoß sich über uns alle und machte den Abend zu einem wahren Feste. Man saß bis tief in die Nacht fröhlich beisammen.

Es ist immer ein angenehmes Gefühl, wenn man in so widriger Lage Menschen begegnet, die uns Anhänglichkeit bezeigen. Diese erwiesen mir jene Kaufleute, so oft ich ihnen begegnete, ohne daß ich dabei eine eigennützige Absicht bemerkte. Es mag ihnen wohlgethan haben, daß ich sie nie etwas von den Vorurtheilen fühlen ließ, die man im allgemeinen in der Gesellschaft gegen die Juden hegt. Dies kam mir gar nicht schwer an; ich habe jederzeit im Menschen nur den Menschen gesehen, ohne Rücksicht auf Religion, Vaterland, Stand, und habe mich auch immer leicht angeschlossen, sobald ich Herz und Gefühl bei Jemandem wahrnahm. Hiebei bin ich stets gut gefahren.

Tags nach diesem zufälligen Zusammentreffen mit den Juden, die mich dringend baten, ihnen das Versprechen zu geben, in Glogau, wenn ich dorthin kommen sollte, bei ihnen zu wohnen, langte ich wohlbehalten in der ansehnlichen Stadt Minsk an, es war am Abend des 23. Oktober.

Hier verweilte ich einige Tage, Einiges zu ordnen und meine Pferde (um einen wahren Spottpreis) zu verkaufen. Denn[246] daß ich mit den armen Thieren nicht mehr weiter käme, darüber war kein Zweifel; Vorspann konnte ich auch nicht erhalten und so blieb mir keine andere Wahl, als vorerst bis Wilna Postpferde zu nehmen.

Den Tag nach meiner Ankunft begab ich mich zu dem Gouverneur, der mich freundlich aufnahm und sich lange mit mir unterhielt. Meine Papiere gab er einem Offizier des Bureau, um sie zu unterzeichnen und den nöthigen Erlaubnißschein auszustellen, damit ich Postpferde bekommen konnte. Als ich mich nach Hause zurückbegeben hatte, besah ich zufällig meinen Paß und bemerkte, daß ich angewiesen war, über Wilna und Königsberg zu gehen und daß jede Poststation genannt war, die ich zu passiren hatte. In der Marschroute war es ebenso. Augenblicklich verfügte ich mich zu dem Gouverneur und bemerkte, es scheine hier ein Irrthum vorzuliegen; ich hätte den Wunsch ausgedrückt, daß ich den weit näheren Weg über Grodno und Warschau nehmen dürfte. Er blickte mich ernst an und sagte mit Nachdruck: »Es ist kein Irrthum, sondern mit Vorbedacht geschehen. Sie können jene Route nicht nehmen! Gehen Sie den Weg, den ich Ihnen vorzeichnen ließ. Reisen Sie glücklich!« Der Mann sah dabei so ernst aus, daß ich wohl sah, hier gelte keine Einwendung. Im Heimgehen dachte ich aber bei mir selbst: »Sonderbare Laune von diesem Manne, was muß er denn dabei für eine Absicht haben, mich einen solchen Umweg machen zu lassen?« fügte mich aber in das Unvermeidliche und schickte mich zur Abreise an.

Das Räthsel, warum man mir in Minsk diesen Weg vorgeschrieben, klärte sich bald auf. Einige Tage, nachdem ich Minsk verlassen, war schon der Vortrab der russischen Armee, die unter Anführung von Tschitschakoff aus der Türkei kam, in der Nähe von Minsk erschienen, und in der zweiten Nacht meiner Reise nach Wilna nahmen die Posthalter schon Anstand, mir Pferde zu verabfolgen, weil das Gerücht allenthalben ging, daß die Gegend von den Kosaken beunruhigt sei. Hätte ich die Straße nach Grodno eingeschlagen, so wäre ich ihnen schnurgerade in die Hände gelaufen.[247]

In der zweiten Nacht, bevor ich Wilna erreichte, begegnete mir das wunderlichste und zugleich erfreulichste Abenteuer der ganzen Reise. Wir waren noch zwei Stationen von Wilna entfernt, als ich bei dem Posthause ankam, um die Pferde zu wechseln. Vor demselben stand ein bepackter Reisewagen, der im Dunkel der Nacht meine Aufmerksamkeit auf sich zog, da er mir in seinen Umrissen bekannt schien. Jedoch dachte ich nicht weiter darüber nach und trat, bis frische Pferde angespannt waren, in das Zimmer, um meinen Namen vorschriftsgemäß in das Postbuch einzutragen.

Auf langen Bänken, die an der Wand herum standen, lagen zwei Offiziere, mit großen, blauen Mänteln bedeckt, und schliefen. Ich kümmerte mich wenig darum, wollte auch nicht unbescheiden sein und sie naher betrachten, fragte aber, wer sie wären. Ich erhielt zur Antwort, es sei ein französischer General und ein Cuirassieroffizier, sie wären vor einer Stunde angekommen. Damit gab ich mich zufrieden und stieg in meinen Wagen. Ich schlief bald ein und träumte von meinem theuren de Saive, als ich durch ein sehr lautes Rufen außerhalb des Wagens geweckt wurde. Ich traute meinen Ohren nicht und glaubte noch zu träumen, bis ich immer lauter und vernehmlicher rufen hörte: Mr. Adam! Mr. Adam!

Ich schlug die Ledervorhänge des Wagens zurück und erblickte den Kammerdiener meines Freundes de Saive. Dieser meldete mir, daß sein Herr bald nach meiner Abfahrt erwacht sei und seinen Namen unter den meinigen in das Postbuch eingezeichnet habe. Ihm habe er befohlen, sich augenblicklich ein Courierpferd satteln zu lassen und so schnell und lange zu reiten, bis er mich eingeholt. Er fügte bei, de Saive sei außer sich vor Freude gewesen über dieses wunderbare Zusammentreffen. Er werde bald nachfolgen und hoffe, wenn nicht auf der Straße, so doch sicher auf der nächsten Post mich zu treffen.

Wer ein so inniges, zartes Verhältniß, wie es zwischen mir und diesem edlen Menschen bestand, zu begreifen im Stande ist, wer die Gefühle des Dankes, die mich an ihn fesselten, die[248] bedeutenden Momente meines Lebens, in denen er mir theilnehmend und schützend zur Seite gestanden, zu würdigen versteht, nur der kann sich eine schwache Vorstellung von der Freude machen, die mich belebte, als ich durch jene Botschaft mitten in der Nacht auf fremder Erde erweckt wurde.

War es der mir bekannte Wagen, mit dem ich selbst so oft gefahren, waren es die beiden Schlafenden, die mir doch auffielen, oder war es Sympathie, daß ich eben von de Saive träumte? Ich weiß es nicht zu sagen, aber wunderlich genug war das Zusammentreffen mit allen Nebenumständen.

Ich ließ von dem Augenblicke an im Schritte fahren. Wir kamen aber erst auf der nächsten Post zusammen. Die Freude des unerwarteten Wiedersehens läßt sich nicht beschreiben. Von da fuhren wir zusammen nach Wilna. Hier verlebte ich die drei glücklichsten Tage meiner Reise, sie verstrichen nur allzuschnell. Wie vieles hatten wir uns zu erzählen! Wie manche Erinnerung an vergangene, frohe Stunden tauchten in diesen Ruhetagen wieder auf! Aber auch mancher trübe Blick in die Zukunft und auf das Schicksal der Armee warf einen finstern Schatten in unsere gegenseitigen Mittheilungen.

De Saive war von dem Prinzen Eugen in Geschäften nach Wilna gesandt, und hatte noch dort zu verbleiben, als ich meine Reise nach drei Tagen fortsetzte.1

Wilna ist eine sehr ansehnliche Stadt, und es herrschte dort das lebendigste Treiben, ein großer Zusammenfluß von Truppen aller Art. Für Geld konnte man sich alle erdenklichen Bedürfnisse verschaffen. Ich verbesserte einiges an meiner Kleidung und kaufte mir einen neuen Hut, in dem alten konnte ich mich vor keinem Menschen mehr zeigen.[249]

Die Fortsetzung der Reise mit Extrapost schien mir für den weiten Weg, den ich noch vor mir hatte, zu theuer. Ich befürchtete, mit meiner Baarschaft nicht auszureichen, und schloß daher mit einem Juden einen Vertrag, uns für den Preis von 40 Thalern nach Königsberg zu fahren. Diese Leute treiben dort alle Gewerbe und besonders auch die Lohnkutscherei; er hatte fünf Pferde nebeneinander gespannt, und wir kamen wacker vorwärts. Uebrigens war dieser Jude ein Kerl voller Ränke und Schwänke, wie die meisten Leute dieser Art; man hätte glauben können, er sei bei einem italienischen Vetturino in die Lehre gegangen. Zum Glück hatte ich gelernt, mit solchen Leuten zu verkehren, und ein paarmal gab es selbst, da es nicht anders ging, Prügel, dann kamen wir wieder recht gut mit einander aus; es handelte sich dabei um pekuniäre Dinge und Prellereien.

Meinen polnischen Diener hatte ich in Wilna zurückgelassen; er fand auch bald einen andern Herrn, mit dem er nach Paris kam; drei Jahre später besuchte er mich in München.

Am 28. Oktober verließen wir Wilna, erreichten zu Kowno den Niemen und fuhren an dem rechten Ufer dieses Grenzflusses fort bis Tilsit. Hier verließen wir Rußland. Nie werde ich das angenehme Gefühl vergessen, das ich empfand, als ich den russischen Grenzsäulen Lebewohl sagte.

Ueber diese Tour von Wilna bis Tilsit läßt sich wenig Bemerkenswerthes sagen, obwohl wir von Wilna bis Tilsit acht Tage unterwegs waren. Wir fanden meistens schlechtes Quartier und schlechte Straßen, nur das Wetter war noch sehr schön. Auf dieser Route traf ich zu meiner Freude wieder mit den Equipagen des Kronprinzen von Württemberg zusammen.

Am 5. November kamen wir in Tilsit an. Mit dem ersten Tritte auf das linke Ufer des Niemen begrüßten wir die deutsche Heimath mit einer Freude und einem Jubel, welche nur der begreift, welcher lange unter fremden Völkern gelebt hat. Das sind nur Renegaten, die sich unter fremden Nationen gar so sehr behaglich fühlen.[250]

Der Zufall wollte, daß mir gleich beim Eintritt in die erste deutsche Stadt der Kontrast mit dem jenseitigen Ufer des Niemen recht grell in die Augen fiel. Ich wurde bei einer Familie einquartiert, die der gebildeten Klasse angehörte. Sie bestand aus einer Wittwe mit drei Töchtern, die an Schönheit, jugendlicher Frische und Anmuth der Sitten miteinander wetteiferten. Die Mutter selbst stand in noch nicht sehr vorgerückten Jahren und hatte in Sprache und Ausdruck etwas Mildes und Anziehendes. Es war ein unbeschreiblicher Gegensatz zu dem Leben, den Wohnungen und Familienverhältnissen, welche ich am russischen Ufer der Memel gefunden. Man empfing mich mit Höflichkeit, lud mich ein, im Familienzimmer Platz zu nehmen und mich zu erwärmen, bis mein Zimmer geheizt sei, und bot mir Kaffee an. Anfangs war man freilich etwas frostig, da meine Uniform und die französischen Adler auf meinen Knöpfen und Aufschlägen für diese Damen nichts Anziehendes hatten. Trotzdem erwiesen sie sich theilnehmend und wurden bald zutraulich, als sie fanden, daß unter meinem französischen Rocke ein deutsches Herz schlage. Sie erwiesen mir alle Aufmerksamkeit, verpflegten mich sehr gut und bedauerten, daß ich nur auf einen Tag einquartiert sei, sie würden mich gerne länger behalten, damit ich mich von den überstandenen Strapazen ein wenig erholen könnte, allein dazu wäre nothwendig, daß ich die besondere Bewilligung einhole, welche ich durch den artigen Kommandanten bereitwilligst erhielt. Drei angenehme Tage verlebte ich daselbst, welche in geistiger Hinsicht den wohlthätigsten Einfluß auf mich übten. Dagegen mußte ich mich nach dem langen, wilden Nomadenleben erst allmälig wieder daran gewöhnen, in einem ordentlichen Bette zu schlafen und gut verpflegt zu werden. Ich war so sehr abgehärtet und an frische Luft und rauhe Witterung gewöhnt, daß ich nach meiner Zurückkunft in München den größten Theil des strengen Winters von 1812 auf 1813 in einem ungeheizten Zimmer arbeitete.

Bevor ich Tilsit verließ, vertauschte ich meinen bequemen Reisewagen mit einem leichteren und bekam 25 Louisd'ors Aufgeld,[251] die mir sehr zu Statten kamen. Ich hatte auch sehr wohl daran gethan, mir einen leichten Wagen zu verschaffen, denn der Boden dieser Ostseegegend ist so weich und morastig, daß die Wege wahrhaft grundlos waren, und noch immer gab es keinen Frost, obwohl die Jahreszeit schon so vorgerückt war und wir uns im November befanden.

Ueber die Reise nach Königsberg ist wenig zu sagen. Wir erreichten diese interessante Stadt am Abend des 6. November. Hier fand ich aber nicht die liebevolle Aufnahme, wie in Tilsit. Wir wurden in dem Hause eines angesehenen Beamten einquartiert, in dem alles auf Wohlstand deutete. Eine Magd führte uns durch den Hof in ein Hinterhaus, wo uns ein Zimmerchen mit einem Bette angewiesen wurde. Als ich nach einem zweiten Zimmer und Bett fragte, erhielt ich zur Antwort, das Bett wäre für uns beide, für mich und den Thierarzt. Ich verlangte darauf den Herrn des Hauses zusprechen, wurde aber zu der Frau geführt, mit dem Bedeuten, der Herr sei abwesend. Welch eine Erscheinung! Eine lange, hagere Gestalt mit gelbem, bleichen Gesicht und Zügen, aus denen Geiz und Mißgunst sprachen, stand vor mir. Sie war sehr verwundert, daß ich ein zweites Bett verlangte und bemerkte, in jenem Bette, das uns angewiesen worden, hätten auch zwei Pagen des Kaisers geschlafen, als Napoleon hier gewesen. Ich erwiderte, daß ich recht gut wüßte, wie es in einem Hauptquartiere Napoleons zuginge, da kämen dergleichen Dinge wegen Mangels an Raum gar oft vor, jetzt aber sei Napoleon nicht hier und in Königsberg wäre Raum genug, um einen Offizier des Vicekönigs anständig unterzubringen. Es sollte mir leid thun, wenn ich veranlaßt würde, Schritte zu machen, die sonst nicht in meiner Art wären. Ich bliebe acht Tage hier, um mich zu equipiren; wenn ich artig behandelt würde, so würde sie einen bescheidenen, artigen Mann an mir finden, im Gegentheil könnte ich auch unartig sein, wenn es noth thue. Auf diese Unterredung hin wurde mir ein anderes, besser eingerichtetes Zimmer aufgeschlossen, während mein Reisegefährte das erste Zimmer behielt. Die Frau bekam[252] ich nicht mehr zu Gesichte, ich trug auch kein Verlangen darnach.

Hier in Königsberg fühlte man allenthalben die in politischer Hinsicht herrschende schwüle Stimmung. Bei jedem Anlasse drückte sich die unfreundlichste Gesinnung gegen alles aus, was zur französischen Armee gehörte. Auch die Franzosen, welche sonst gewöhnt waren, in Deutschland sehr freundlich behandelt zu werden, waren eben nicht sehr bemüht, die französische Artigkeit an den Tag zu legen. Bei jeder Gelegenheit kam die große Geringschätzung zum Vorscheine, die man seit dem Jahre 1806 gegen das ganze preußische Volk hegte, und so fand der gegenseitige Haß täglich neue Nahrung. Noch war man von der mißlichen Lage, in der sich Napoleon und seine Armee befand, hier nicht völlig unterrichtet. Wie mag jene erbitterte Stimmung zugenommen haben, nachdem die Nachricht von dem unglücklichen Rückzuge kund wurde. Ich für meinen Theil fand es deßhalb angezeigt, mit meinen Erzählungen in Königsberg vorsichtig zu sein.

Meine Börse litt auch unter dem Widerwillen, den man gegen die französischen Uniformen hatte. Da ich mir einige nothwendige Kleider machen ließ, übernahm mich der Schneider also, daß ich, gering geschätzt, alles doppelt bezahlen mußte.

Uebrigens kam mir mein Glücksstern auch in Königsberg wieder entgegen. Ich bedurfte einer neuen Marschroute und begab mich deßhalb auf das Bureau des Oberkriegskommissärs. Kaum eingetreten, blickte ein schöner, junger Mann von seinem Pulte auf, erhob sich und kam mir freundlich entgegen. Es war ein liebenswürdiger Franzose, den ich 1809 in Wien kennen gelernt hatte. Er interessirte sich damals lebhaft für mich und wir waren in Schönbrunn viel beisammen. Er verschaffte mir jetzt auf meiner Marschroute Ansprüche auf Vorspann, die ich auch, mit Ausnahme von Sachsen, überall ohne Anstand bekam. Dadurch wurde mir die Weiterreise sehr erleichtert und ohne diese Begünstigung hätte ich mit meinem Reisegeld nicht ausgereicht.

Am 16. November verließ ich Königsberg, nachdem ich hier[253] den ersten Schnee gesehen und meine Frau von meiner baldigen Ankunft in München benachrichtigt hatte.

Von Königsberg war mir der Weg über Elbing, Marienburg, Marienwerder, Graudenz, Culm, Bromberg vorgezeichnet. Die Reise bot von nun an nicht viel Bemerkenswerthes. Zwar brachte jeder Tag noch seine kleinen Beschwerden und fast jedes Quartier Eigenthümlichkeiten mit sich, die Stoff zu besondern Beobachtungen über die Menschen und ihre Lebensweise, ihre Sitten, Gebräuche und Wohnungen bieten. Ein Hackländer würde mit seiner Schilderungsgabe und Darstellungsweise immerhin Stoff genug gefunden haben, ein paar Bände auszufüllen; da aber diese Blätter nichts anders, als eine einfache, schlichte Erzählung der Erlebnisse auf meiner Rückreise sein sollen und keinen Anspruch auf eine literarische Durchbildung machen, so kann Vieles unberührt bleiben was am Ende doch gewöhnlich ist, sich häufig wiederholt und dadurch nur meine Erzählung schleppend machen würde.

Die Straßen befanden sich in den meisten Gegenden, die wir durchreisten, besonders in Westpreußen, Polen und Sachsen in elendem Zustande wodurch das Weiterkommen sehr erschwert und die Reise entsetzlich langweilig wurde. Auch schlug die Witterung um und wurde sehr unfreundlich und naßkalt. In unsern Tagen, wo durch Eisenbahnen und alle möglichen Transportmittel das Reisen so erleichtert ist, kann man sich schwer einen Begriff machen, wie man von Moskau nach München, ohne sich besonders zu verweilen, drei Monate brauchen konnte, obwohl hiebei 80–100 Meilen noch mit Extrapost zurückgelegt wurden.

Am 18. November verlebte ich in Elbing bei einer sehr gebildeten Familie einen jener Tage, die unter solchen Verhältnissen schöne Erinnerungen zurücklassen. Der Besitzer des Hauses besaß eine hübsche Bibliothek, in der sich Wielands Werke in einer Prachtausgabe befanden. Ich erfrischte mich sehr an diesem anmuthigen Dichter.

In der Festung Graudenz, wo wir am 23. spät eintrafen, wollte ich Niemand mehr belästigen, sondern befahl dem Kutscher,[254] mich in ein gutes Gasthaus zu führen, wurde aber in unfreundlichster Weise in drei Gasthöfen abgewiesen und erhielt endlich durch die bereitwillige Vermittelung der Kommandantschaft für mein Geld Quartier und gute Verpflegung. Nachdem ich ein sehr gutes Abendessen zu mir genommen, führte mich der Wirth nach dem im Hause befindlichen Casino, wo ich zahlreiche Gesellschaft fand, in der die Offiziere die Mehrzahl bildeten und tonangebend waren, wie das in allen Festungen zu jener militärischen Zeit der Fall war. Aller Augen, alle politischen Meinungen, Hoffnungen und Wünsche sind auf den Soldaten gerichtet, darum fühlt er sich auch mehr als zu jeder andern Zeit.

Anfangs wurde ich in dieser Gesellschaft ein wenig schief angesehen, bald aber trieb die Neugierde einige Offiziere, sich mit mir in ein Gespräch einzulassen, das große Aufmerksamkeit erregte. Es dauerte gar nicht lange so sah ich mich von einem zahlreichen Kreise von Offizieren umgeben, die auf alle andere Unterhaltung verzichteten und mit gespanntem Interesse auf meine Mittheilungen über die Ereignisse in Moskau, die Schlacht bei Borodino und den Zustand, in welchem ich die Armee verlassen, lauschten. Meine Mittheilungen erregten um so größere Eindrücke, als ich mit der mir angewöhnten Wahrheitsliebe und Einfachheit erzählte, was ich gesehen und erlebt. Man nahm mich in die Mitte, behandelte mich als Kameraden und wurde zutraulich. Ich mußte mit den Offizieren zechen, und Niemand scheute sich, seine wahren Gesinnungen kundzugeben. Hier hatte ich Gelegenheit, einen tiefen Blick in die preußischen Zustände zu thun. Die Offiziere brannten vor Begierde, die Schmach, welche seit 1806 auf der Armee lastete, abzuwaschen, und Niemand schien zu zweifeln, daß diese Zeit nicht mehr gar ferne sei.

Die Niederlage bei Jena ist geschichtlich und wenig darüber mehr zu sagen, als daß die größte Schuld auf die fällt, welche in ihrem Dünkel es wagten, mit einem so überlegenen Gegner wie Napoleon sich in einen so ungleichen Kampf einzulassen, anstatt Hand in Hand mit Oesterreich jenem Koloß an Deutschlands[255] Grenzen entgegenzutreten. Der preußischen Armee fehlte es nicht an braven und tapferen Offizieren und Soldaten. Diese unterlagen dem Genie eines überlegenen Gegners, und eine solche Niederlage erträgt der Soldat in dem Gefühle seine Pflicht gethan zu haben. Seine Ehre ist dadurch nicht befleckt; er hat den Wechselfällen des Kriegsglückes und einem unvergleichlichen Gegner weichen müssen. Aber der Uebermuth der Franzosen, die Geringschätzung der preußischen Armee, die Verachtung, die sie gegen das ganze Volk an den Tag legten, war im höchsten Grade unpolitisch. Das mußte Erbitterung wachrufen und das verletzte Ehrgefühl des Soldaten auf das äußerste reizen.

Die ganze Nacht bis gegen Morgen saß ich unter den Offizieren bei einer Bowle Punsch; sie konnten sich nur schwer von mir trennen. Am Morgen verließ ich Graudenz mit einer Art Ueberzeugung, daß Napoleon verloren sei, wenn ihn das Mißgeschick traf, bis nach Preußen sich zurückziehen zu müssen. Gleich nach meiner Ankunft in München hatte ich den Muth, diese Ansicht in Gegenwart eines geachteten bayerischen Generals und eines königlichen Prinzen auszusprechen, wurde aber bald gewarnt, mit solchen Prophezeiungen etwas vorsichtiger zu sein.

In Bromberg war keine Brücke über die Weichsel und der Eisgang so stark, daß ich nur durch große Versprechungen es erreichen konnte, noch denselben Abend unter Lebensgefahr auf einer Fähre übergeschifft zu werden. Am nächsten Morgen wäre es nicht mehr möglich gewesen und wir hätten einen großen Umweg über Thorn machen müssen.

In Preußisch-Polen bekam ich Anwandlungen von kaltem Fieber, das sich aber nach einem Tage Aufenthalt glücklich wieder verlor. In diesem Landstriche zwischen Weichsel und Oder ist die Unreinlichkeit nach allen Richtungen hin in höchstem Grade zu Hause.

Am 2. Dezember kamen wir nach Glogau und – wunderlich genug! – kaum waren wir in die Stadt eingefahren als uns einer von unserer israelitischen Reisegesellschaft begegnete. Wir[256] konnten auf keine Weise loskommen und mußten die frühere Einladung annehmen und bei ihnen wohnen, fanden auch eine sehr gute Aufnahme, verweilten drei Tage daselbst und wurden dem ganzen weiten Familienkreise vorgestellt. Auch der Hochzeit eines dieser Leute wohnten wir bei.

Von da steuerten wir ungesäumt Dresden zu. In Sorau an der sächsischen Grenze wurde uns die allenthalben mit Bereitwilligkeit geleistete Vorspann verweigert. Wir sahen uns genöthigt, durch ganz Sachsen Extrapost zu nehmen, was, abgesehen von den Kosten, ein elendes Reisen war, denn die Straßen und das Postwesen befanden sich damals in Sachsen in einem jämmerlichen Zustande. Am 8. Dezember kamen wir nach Dresden, verweilten dort nur ein paar Tage und eilten dann Bayern zu. Jetzt hatte sich auch der Winter mit großen Schneemassen und strenger Kälte eingestellt. Einige Posten von Dresden geriethen wir in einen zugeschneiten Hohlweg, in dem die Pferde so tief einsanken, daß nur noch Hals und Kopf zu sehen war. Wir mußten herausgeschaufelt werden, was viele Zeit und große Anstrengung kostete.

Nie werde ich das freudige Gefühl vergessen, als wir die bayerische Grenze erreichten und die ersten blau-weißen Wegsäulen zu Gesicht bekamen. Ich glaubte die Erde küssen zu müssen und beauftragte die Wirthsleute auf der ersten bayerischen Post, dem Postillon, der mich dahin brachte, auf meine Kosten Speise und Trank zu verabreichen.

In Hof, wo ich übernachtete, gab man mir, ohne daß ich es verlangte, wieder Vorspann, weil man aus meiner Marschroute sah, daß ich selbe überall erhalten, nur nicht in Sachsen.

Am 18. kamen wir nach Nürnberg, wo ich meinen Freunden, die durch meine glückliche Rückkehr unendlich freudig überrascht waren, drei Tage schenkte und fuhr dann mit Extrapost bei einer Kälte von 22 Graden in einer Tour, Tag und Nacht, bis München, wo ich am 22. Dezember Morgens eintraf.

Das erste lebende Wesen, das mir in meinem Hause begegnete, war mein Pudel, den ich auf der Heimreise zu Thorn[257] verloren hatte; er stand eben auf der Treppe und protestirte gewaltig gegen meinen Eintritt. Ich war nämlich in einen großen Pelz gehüllt, was mich ihm für einige Augenblicke unkenntlich machte, um so lustiger war die Erkennungsscene.

Die Freude des Wiedersehens mit meiner Frau nach einer solchen Trennung zu schildern, wäre eine vergebliche Mühe. Wer sich in seinem Leben von einem Weibe so innig geliebt sah, wie ich es war, kann sich selbst eine Vorstellung davon machen; für Andere sind es nur leere Phrasen.

1

Die beiden Freunde begegneten sich von da an nie mehr, standen aber fortwährend in regstem Briefwechsel. De Saive ließ sich in Belgien, seiner Heimath, als Landwirth nieder und erlebte, umgeben von edlen Kindern, ein hohes Alter in Glück und Ehre; zuletzt meldeten sich die überstandenen Strapazen: er wurde schwer leidend und erblindete fast gänzlich. Der Kunst und seiner Kirche hing er mit voller Jugendkraft bis zu seiner Todesstunde an.

Quelle:
Adam, Albrecht: Aus dem Leben eines Schlachtenmalers. Stuttgart 1886, S. 219-259.
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