Arbeit an der Galerie

[148] Noch drei lange Jahre vergingen, bis Graf Usedom endlich zum Rücktritt aus seinem Amte gezwungen wurde, aber sie wurden mir sehr gekürzt durch die neuen sachlich denkenden und tätigen Kollegen und dadurch, daß verschiedene wichtige Erwerbungen reiften, die ich seit Jahren vorbereitet hatte und deren Ausführung durch lange Urlaubsreisen des Generaldirektors, der seither sein Amt mehr »in partibus« verwaltete, seltener als früher hintertrieben wurden. Auch gewann ich innerhalb der beiden großen Abteilungen weit mehr Freiheit, da Boetticher unbestimmten Urlaub erhalten hatte, bis schließlich Conze an seine Stelle trat, und da Meyer infolge seiner Kränklichkeit monatelang abwesend war und auch sonst selten und nur kurz in die Galerie kam. Meyer hatte zudem mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten besonderes Pech. Sein »Künstlerlexikon« litt immer von neuem Schiffbruch, so oft er es auch mit frischen Kräften – unterstützt von Dr. Lücke, später von Dr. von Tschudi – wieder auf die Beine zu bringen suchte. Ebenso schlimm erging es ihm mit seinem nun schon seit Jahren geplanten Galeriekatalog, in dem er jedes einzelne Bild geschichtlich und ästhetisch erschöpfend behandeln, von jedem Künstler ein Lebensbild und eine kurze Charakteristik, und über jede Schule eine Übersicht geben wollte. Diesem Idealkatalog zuliebe, der gleichzeitig ein Abriß der Geschichte der Malerei sein sollte, verhinderte Meyer durch volle fünf Jahre, daß auch nur ein Verzeichnis angefertigt wurde, obgleich uns dieses seit 25 Jahren fehlte. Als er dann schließlich Anfang des Jahres 1878 das Manuskript über einen ganz[148] kurzen Abschnitt, der aber schon einen halben Band gefüllt hätte, einigen Bekannten vorlegte, erklärten diese die Veröffentlichung für unmöglich. Hermann Grimm bezeichnete ihn sogar als »albernes Geschwätz«. Mir wurde die angenehme Aufgabe, meinem vorgesetzten Direktor davon Mitteilung zu machen. Dies hatte nach einigen Wochen verzweifelter Stimmung bei Meyer die gute Folge, daß er die Ausgabe des »definitiven Kataloges« hinausschob und in die sofortige Anfertigung eines »provisorischen Verzeichnisses« einwilligte. Da ich die Beschreibungen der Bilder fast fertig hatte, und die Bestimmungen und biographischen Notizen schon bei Anbringung der Schilder gemacht waren, konnte es noch im Herbst desselben Jahres zur Ausgabe kommen. Dieses sogen. »kurze Verzeichnis« war mehr als 500 Oktavseiten stark! Mit dem »definitiven Katalog« hat Meyer nie Ernst gemacht, wenn er auch immer noch von diesem seinem Lieblingsplan redete.

Meyers Sorge, daß die Kritik uns wegen des Kata logs angreifen würde, sollte sich als berechtigt erweisen. Sie kam diesmal nicht von der Berliner Presse, die uns zwar nach wie vor in gehässigster Weise, aber nur über die nichtigsten Dinge, Vorwürfe machte, sondern von ganz anderer Seite, richtete sich auch nicht gegen Meyer, sondern gegen mich persönlich und zwar gerade wegen der Bestimmung der italienischen Meister, die Meyers Arbeit war. Diese Anfeindungen gingen von einer Partei aus, deren Haß und Verfolgung ich zeitlebens habe ertragen müssen. Sie waren der Ausfluß des tiefgehenden Gegensatzes zwischen Cavalcaselle und Morelli, der sich über Italien hinaus auf die Jünger der Kunstgeschichte ausdehnte. Doch darüber zu seiner Zeit.

In den Jahren 1877 und 1878 war ich sehr an die Galerie gefesselt, da Meyer sowohl die Anfertigung der Schilder und des Katalogs wie die Umbauten und die dadurch notwendigen häufigen Umstellungen und Magazinierungen, nebenher auch noch die bei der Verwilderung der Aufseher leider sehr notwendige Aufsicht in den Sammlungen schon wegen seiner Kränklichkeit ganz mir überlassen mußte. Für mich hatten[149] namentlich die vielen Veränderungen in der Galerie den Nutzen, daß ich mir über die beste Art der Bilderaufstellung nach Schulen, Meistern, Motiven, Färbung, Ton, Größe usw. klar wurde und über die Bedingungen, sie durch Licht, Hintergrund und Umgebung zu möglichst günstiger Wirkung zu bringen, die mannigfachsten Versuche machen und Erfahrungen sammeln konnte. Hilfe und Rat wurde mir auch dabei leider nicht zuteil. Unser damaliger Museumsarchitekt, ein braver Mann, der ein glänzendes Examen gemacht hatte, war von einer Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit, daß nichts von der Stelle kam. Und die technische Baudeputation setzte den Umbauten solche Schwierigkeiten entgegen, daß z.B. unser Plan über die Veränderung der Kabinette nicht weniger als fünfmal von ihr zurückgewiesen wurde, um schließlich fast unverändert angenommen zu werden. Bei der Aufstellung der Bilder war ich stets gegenwärtig und legte selbst mit Hand an, namentlich nachdem der einzige, dafür hervorragend begabte Diener auf gräßliche, mysteriöse Weise umgekommen war.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 148-150.
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