Die leidigen Gipsabgüße

[150] Gleichzeitig hatte ich Gelegenheit, mich auch in der Aufstellung der plastischen Kunstwerke, Originale wie Abgüsse, zu üben, und zwar unter recht schwierigen Verhältnissen, da der Plastik christlicher Epoche nur ein paar sehr bescheidene Winkel in den ursprünglich der Antike zugedachten Räumen zugewiesen waren. Die Formen trafen allmählich aus Florenz, Siena, Rom und Venedig ein und wurden, da sie zum Teil sehr liederlich ausgeführt waren, in unserer Formerei hergerichtet und ausgegossen. In einem Saal des ersten Stocks vom Neuen Museum, in dem schon vorher eine kleine Zahl von Abgüssen der Renaissance, namentlich die Mediceer-Grabmäler von Michelangelo, aufgestellt waren, wurde durch Scherwände weiterer Platz geschaffen. Auch verstand sich die Antikenabteilung zu dem Opfer, den unglücklichen Raum davor, der zum Übergang nach dem alten Museum führte und bis dahin einige Abgüsse spätrömischer Grabsteine beherbergt hatte, für[150] die Renaissanceabteilung herzugeben. Hier wurden in boxartigen Remisen die beiden Reiter von Donatello und Verrocchio, die Sieneser Kanzel, die Kanzel aus Santa Croce u.a. eingestellt; und aus dem anstoßenden kleinen, schiefwinkligen Magazin hinter der Ghi berti-Tür mußte ich einen Ehrenraum herstellen für die Kleinplastik in Originalen, die uns aus der Kunstkammer zugefallen waren. Dieser etwa 20 qm große Raum wurde die Geburtsstätte des Deutschen Museums, wie der kleine dunkle Saal im Erdgeschoß die Kinderstube für die Sammlungen der italienischen Plastik und der altchristlichen Kunst bildete.

Im Herbst 1877 war Alexander Conze als Direktor der Antikensammlung an Boettichers Stelle getreten. Dadurch wurde ich in meinen Bestrebungen für die plastische Abteilung endlich gefördert, statt wie früher stets behindert. Conze erreichte zunächst, daß eine Kalamität, die seit Jahren den Etat bedrückt hatte, beseitigt wurde: die Gipsformerei erhielt ihren eigenen Etat und das Defizit, das sich bis dahin zum Schaden der plastischen Abteilung regelmäßig ergeben hatte, wurde aus der Welt geschafft. Schließlich fiel auch die weitere Schwierigkeit weg, die daraus entstanden war, daß Originale und Gipse aus demselben recht knappen Fonds angeschafft werden mußten, und daß so die einen durch die anderen beeinträchtigt wurden; nicht nur in den Mitteln, sondern ebensosehr im Raum. Conzes Interesse galt, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der Vermehrung der Originale. Gleich sein erster Schritt war die Verwirklichung von Carl Humanns Plänen der Ausgrabung von Pergamon. Auch bei mir hatte das Interesse an der Schaffung einer Sammlung von Originalskulpturen das für die Sammlung der Abgüsse längst in den Hintergrund gedrängt; vor allem aus prinzipiellen Erwägungen, die mich damals in scharfen Widerstreit gegen Hermann Grimm brachten. Ihm läge nichts an der Erwerbung von Originalen – so ließ er sich unter vier Augen und öffentlich vernehmen; denn wirkliche Meisterwerke der Italiener könnten wir doch nicht bekommen, von der Kunst der Niederländer, von Werken der Kleinplastik halte er überhaupt[151] sehr wenig. Nachbildungen aller Art zu schaffen, sei die einzige Aufgabe für unsere Museen. Ich pflegte ihm dann zu erwidern, daß selbst ein bloßes Fragment von einem schönen Original für unsere Museen wichtiger sei als der Abguß des herrlichsten Denkmals oder die Kopie eines berühmten Gemäldes.

Aber noch ganz besondere Gründe hatten mir die Sorge für die Abformungsarbeiten in Italien zuwider gemacht. Diese gingen gar nicht mehr von der Stelle. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten boten sich, die Former lieferten, außer in Florenz und Rom, nur schlechte Arbeit, und die Überwachung durch die Brüder Cauer beschränkte sich, abgesehen von ihrem Standquartier Rom, auf eine flüchtige, halbjährige Revision, wenn sie von Rom nach Deutschland oder wieder zurück gingen. Dafür verbrauchten sie aber an Gehalt und Diäten schließlich fast die Hälfte der gan zen Summe, die für die Abformungsarbeiten in Italien bewilligt worden war. Für das, was nicht geschah, wie für die schlechte Arbeit wollte man mich in Berlin verantwortlich machen. In der Kasse des Ministeriums, in der damals eine merkwürdige Unordnung zu herrschen schien, forderte man von mir die Rechnungsablage über die Formereien, die doch Cauers Sache war, und verlangte nach Jahren von mir noch Rückzahlung von Reisespesen – kurz, alles geschah, um mir diese Arbeit gründlich zu verleiden. Die Remuneration, die mir von vornherein dafür in Aussicht gestellt worden war, bekam ich nach fünf oder sechs Jahren in Höhe von 800 Mark, soviel ich mich erinnere.

Aus allen diesen und ähnlichen Gründen war es der Wunsch von Conze wie von mir, die Gipssammlung aus den Museen auszuscheiden, da aber der vortragende Rat Dr. Schoene für den Ausbau dieser Sammlung ganz besonders interessiert war, so wurde der Bau eines eigenen Gipsmuseums in Aussicht genommen. Wichtigere Aufgaben, die alle Mittel in Anspruch nahmen, verhinderten jahrzehntelang, einem solchen Plan auch nur näher zu treten, aber Schoene hat ihn nie aus den Augen, verloren und ihm schließlich eine so eigenartige Form gegeben,[152] daß die Schwierigkeiten der Durchführung dieses Planes mit ein Grund seines Rücktritts wurden. Die Unterbrin gung der Abgüsse in den ungeeignetsten, engsten Räumen und die Kontrolle über die Abformungen in Italien verschaffte mir alles andere als Genuß und Befriedigung.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 150-153.
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