Petersburger Aufenthalt

[51] Mit dieser sehr erfreulichen Aussicht reiste ich dann mit Zahn über Danzig, das wir beide noch nicht kannten, und über Marienburg nach Petersburg – eine Reise, auf der man damals von Marienburg aus zwei Nächte unterwegs war.

Die Petersburger Sammlungen habe ich in aller Muße durcharbeiten können und habe sie außerordentlich genossen, vor allem die Galerie der Eremitage. Steht sie doch, obgleich nach verschiedenen Richtungen unvollständig, durch die Fülle von hervorragenden Meisterwerken auf gleicher Höhe mit den ersten Galerien Europas. An Werken der vlämischen und holländischen Meister, zumal an Meisterwerken Rembrandts kommt ihr keine andere gleich. Da meine Studien mich damals mit[51] diesen Schulen am besten vertraut gemacht hatten, so hatte ich gerade von dieser Abteilung den größten Nutzen und Genuß. Die Sammlungen Leuchtenberg, Stroganow, Orloff, Youssupoff, die Galerie der Akademie und eine Anzahl kleinerer Gemäldesammlungen in den Schlössern und bei Privaten, deren Stärke gleichfalls in den Bildern der niederländischen Schulen liegt, vervollständigten meine Kenntnisse nach der gleichen Richtung, während mir in den Schätzen der griechischen Kleinkunst aus Kertsch, die ich mit dem Direktor Stephani und Dr. Treu wiederholt eingehend besehen durfte, ein mir fast neues Gebiet in reichster Fülle und wunderbarster Qualität erschlossen wurde.

Durch unsere Empfehlungen waren wir überall aufs freundlichste aufgenommen, alles wurde uns zugänglich gemacht. Bei dem Hofbuchhändler Böttger, beim Staatsrat Peter von Semenow war ich anfangs in der Stadt, später in ihren Datschen draußen ein stets wohlgelittener Gast, und mit ihnen unternahm ich Ausflüge bis nach den Imatrafällen. Die Großfürstin Helene lud mich nach Peterhof und machte mir die dortige Sammlung zugänglich, und die Großfürstin Marie zeigte mir ihre Schätze im Leuchtenberg-Palais, die ich vorher schon mit ihrem jüngsten Sohne besichtigt hatte. Damals hatten die Russen gerade unter General von Kaufmann Turkestan und Merw erobert, was lebhaftes Interesse für die Kultur dieser Länder erregte. Unter Raddes Leitung war eine Ausstellung persisch-turkmenischer Kunst in Moskau veranstaltet, die mir die Großfürstin Helene als sehr sehenswert bezeichnete. Als ich ihr sagte, daß ich sowieso einen Ausflug nach Moskau machen wolle, forderte sie mich auf, dies in ihrer Begleitung zu tun. Leider erkrankte die hohe Frau bald darauf, und diese Krankheit führte schließlich zum Tode; ich habe infolgedessen weder Raddes Ausstellung noch Moskau kennengelernt. Von den islamischen Schätzen Samarkands bekam ich eine Probe im Palais Leuchtenberg zu Gesicht. Die Großfürstin führte mich in einen großen, öden Saal, dessen Fußboden ganz mit Fliesen belegt war. »Hier[52] können Sie einmal sehen«, sagte sie mir beim Eintreten in den Raum, »welche Barbaren unsere russischen Generale sind. Da schickt mir General von Kaufmann aus Tamerlans Grabmoschee diese 72 Proben aller verschiedenen Ornamente in dem glasierten Ziegelschmuck des Raumes und glaubt mir eine Freude zu machen, wenn er dabei den herrlichen Raum ganz zerstört!« Mit diesen Worten stieß die hohe Dame, die ebenso geistreich wie launisch und erregbar war, mit dem Fuß gegen eine der Fliesen und schleuderte sie in die andere Ecke des Saales. Daß man maßgebenden Ortes später besseres Verständnis für die Kunst Samarkands hatte, geht daraus hervor, daß – wie ich hier einschalte – mehr als dreißig Jahre später die russische Regierung mich um die Hergabe der Weihinschrift über dem Eingang zu dieser Moschee bat, die ich gelegentlich in Konstantinopel erworben hatte. Im Interesse der Restauration des herrlichen Baues ist unsere Museumsverwaltung gern darauf eingegangen.

Die wertvollste Bekanntschaft, die ich bei diesem Aufenthalt in Petersburg machte, war die des hervorragenden russischen Geographen und Statistikers Peter von Semenow, der für die friedliche Eroberung und Kultivierung des Turkmenenlandes und der übrigen neuen Gebiete in Asien die gleichen Verdienste hatte wie der Eroberer Kaufmann. Außerdem besaß er, der als Sekretär bei der Aufhebung der Leibeigenschaft Alexanders II. rechte Hand war, feineres Verständnis für Kunst. Dies führte uns zusammen und hat mich mit dem trefflichen Mann stets in besten Beziehungen erhalten. Semenow, der sich, gleich mir, besonders für die holländische Schule interessierte, hatte seit kurzem angefangen, von der günstigen Gelegenheit Gebrauch zu machen, die sich dem Sammler in Rußland dank der im 18. Jahrhundert dort in reicher Zahl eingeführten, aber damals meist vernachlässigten Kunstwerke bot. Seine durch die ganz ungewöhnliche Vollständigkeit der Meister, namentlich der kleineren Maler, kunsthistorisch sehr interessante Galerie von mehr als 700 Gemälden der niederländischen Schule ist[53] 1910 durch Graf Tolstoi für die Kaiserliche Eremitage angekauft worden. Mit Semenow zusammen habe ich damals allerlei Händler und kleine Privatsammler abgesucht, bei denen er seine Erwerbungen machte. Er überließ mir dafür das interessante unfertige Gemälde der Eroberung von Tunis von Rubens für unsere Galerie, das beim Portier der Eremitage (sic!) für etwa 650 Rubel nebst einem prächtigen Jan Steen (jetzt in der Semenowschen Abteilung der Eremitage) zum Verkauf ausstand.

Kaum an einem anderen fremden Orte, dessen Sprache ich nicht einmal verstand, habe ich mich so wohl gefühlt, bin ich von aller Welt so verzogen und umworben gewesen wie damals in den sechs Wochen meines Aufenthaltes in Petersburg. Waren es die warmen Empfehlungen von Herrn von Liphart, Professor Conze und anderen, die den kränklichen, schüchternen, jungen Braunschweigischen Auditor a.U., der zu Hause als ein verlorener Bummler betrachtet wurde, hier wie den ersten Kunstkenner, wie einen perfekten Hof- und Gesellschaftsmann behandeln ließen? Jede Sammlung, jedes Palais öffnete sich mir, selbst während der Abwesenheit der Besitzer. Und waren sie in Petersburg, so ließen sie es sich nicht nehmen, mir selbst ihre Galerie zu zeigen. Der alte Graf Stroganow, der Vater meines verehrten Gönners, des bekannten Sammlers Gregor Stroganow, der 1813 schon als Generaladjutant Kaiser Alexanders I. mit in Paris eingezogen war, hatte aus einer Empfehlung des Direktors der Eremitage verstanden, ich sei der Direktor der Braunschweigischen Galerie und ließ sich nicht davon abbringen. Er erzählte mir, daß er den alten Direktor gekannt habe, der 1813 in Paris gewesen sei, um von dort die geraubten Bilder nach Braunschweig zurückzuholen. In seinem Hause konnte ich ein- und ausgehen und die herrlichen Bilder in aller Muße stu dieren. Ähnlich im Palais Leuchtenberg dank der Einführung des jüngsten Herzogs, des Zöglings von K.E. von Liphart, der 1878 den Heldentod gegen die Türken starb.

Seine Mutter, die Großfürstin Marie, war in Italien, Paris und London wie in Deutschland mit den meisten größeren[54] Kunstforschern zusammengekommen und erzählte in pikanter Weise von ihren Begegnungen mit ihnen. Besonders mit Waagen, wohl weil sie mich als seinen Nachfolger ansah. Waagen, der sich volle drei Monate in Petersburg zur Anfertigung des Kataloges aufgehalten habe, hätte den ganzen Hof amüsiert; ihr Bruder, der Kaiser, habe ihn alle paar Abende bei sich gehabt. Als sie sich ihm gegenüber gelegentlich über sein plötzlich erwachtes Kunstinteresse lustig gemacht habe, habe er ihr geantwortet, das sei wohl weniger der Grund, aber Waagen erzähle zu schöne Geschichten. »Nie habe er so unanständige Witze gehört – und er könne doch einen tüchtigen Puff vertragen –; und dazu das faunische Gesicht des Alten!« Auch in England, das dem Berliner Galeriedirektor zur zweiten Heimat geworden war, erzählte man sich noch viel von seinem kaustischen Humor und seinem außerordentlichen Gedächtnis. Waagen hat sich in seinen Aufzeichnungen wohl etwas zu sehr darauf verlassen, aber seine »Treasures of art in Great Britain« sind nach mehr als einem halben Jahrhundert doch noch immer die Basis für das Studium der englischen Sammlungen. Niemand hat sie so gründlich gekannt wie er. Mag auch sein Blick nicht selten etwas oberflächlich gewesen sein, so besaß er doch so umfassende Kenntnisse wie kein zweiter Kunstforscher seiner Zeit. Eines freilich war ihm nicht verliehen: Geschmack und Qualitätssinn, und dieser Fehler ist leider der Grund, weshalb sich die Berliner Galerie mit Sammlungen wie die National Gallery in London nicht messen kann und niemals wird messen können. Waagen war Direktor zu einer Zeit, in der eine Reihe der größten Bildersammlungen verkauft worden sind, die besten Bilder oft zu lächerlich billigen Preisen. Er hat Italien zu günstigster Zeit behufs Bilderankäufen besucht. An den meisten großen Versteigerungen hat er sich beteiligt, aber statt ein oder zwei der Hauptwerke zu kaufen, schreckte er vor den Preisen zurück und verwendete lieber das ihm bewilligte Geld für ein halbes Dutzend oder ein Dutzend zweifelhafter oder geringer Bilder. Ähnlich war das Resultat seiner Reise nach Italien 1841/42. So verscherzte er sich allmählich das Vertrauen[55] in Berlin, namentlich bei Friedrich Wilhelm IV. Größere Mittel wurden ihm in der späteren Zeit nicht mehr zur Verfügung gestellt; er begnügte sich, Namen zu kaufen, nicht Kunstwerke, und wenn ihm ein Jacob Ruisdael zu teuer erschien, so kaufte er das Bild eines Schülers, eines R. de Vries oder Decker, und auch dann meist nicht einmal gute Bilder dieser Maler. Von allen Erwerbungen Waagens, seit er selbständig (ohne Rumohr) für die Galerie kaufte – etwa seit 1840 –, ist heute kaum mehr als der zehnte Teil noch in der Galerie ausgestellt. Auch scheint Waagen, so oft er in England war und so günstige Gelegenheit er zu den besten und billigsten Erwerbungen dort hatte, kaum auf den Gedanken gekommen zu sein, diese Gelegenheiten für seine Berliner Galerie auszunutzen. –

Es war Ende Juni geworden, als ich von Petersburg abreiste und mit dem Dampfer die malerische Fahrt durch die Schären über Helsingfors und Åbo nach Stockholm antrat. Auch hier und später in Kopenhagen begünstigte mich das schönste Wetter, so daß ich die herrliche Natur doppelt genießen konnte. In Stockholm war mir, neben der Galerie mit ihrer kleinen Zahl tüchtiger holländischer und vlämischer Bilder und den ausgezeichneten Gemälden der französischen Meister des 18. Jahrhunderts, namentlich das Studium der trefflichen Sammlung alter Handzeichnungen von Wert. In Kopenhagen konnte ich neben der für die Landschaftsmaler der holländischen Schule interessanten Kgl. Galerie auch die Moltkesche Sammlung besichtigten. Doch erfuhr ich aus Briefen, die ich hier vorfand, daß ich in Berlin zum 7. Juli zurückerwartet wurde und konnte mich deshalb nur zwei Tage aufhalten.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 51-56.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon