Die öffentliche Meinung

[40] Meine damalige Stimmung, soweit sie durch die »öffentliche Meinung«, für die sich die Berliner Presse auszugeben[40] liebt, beeinflußt war, bringt die Einleitung zu diesem Kataloge sehr deutlich zum Ausdruck. Weil ich die Mittel und Mittelchen, »eine gute Presse« zu haben, verschmähe, ist sich die Zeitungskritik mir gegenüber durch meine ganze öffentliche Tätigkeit stets gleichgeblieben, und auch meine Empfindung ihr gegenüber hat sich nicht geändert. Ich lasse deshalb einen Teil meiner Ausführungen hier folgen.

»Ein öffentliches Amt bekleiden, das einigermaßen in Sicht des Publikums ist – und wie sucht dieses schon hineinzulugen und sich hineinzumischen! – gehört heutzutage nicht zu den beneidenswerten Aufgaben. Ist dieses Amt ein solches, das gewissermaßen zum Nutzen und Frommen des Publikums verwaltet wird, so daß die Tätigkeit des Beamten unter seinen Augen sich vollzieht, so ist die stete Kontrolle des Publikums selbstverständlich. Dies gilt wohl für keinen Ort in Deutschland so sehr wie für die Reichshauptstadt, für die preußische Residenzstadt Berlin, dessen Publikum, in Opposition gegen einen allwissenden und allgegenwärtigen Bureaukratismus großgezogen, seine Freude und seine Aufgabe öffentlichen Dingen gegenüber in rücksichtsloser Negierung von allem sieht, was ›von oben herab‹ geschieht. In der Kunst versteht sich das von selbst, denn davon weiß ja doch jeder Gebildete soweit Bescheid – die Musik allenfalls ausgenommen, zu der ja eine gewisse Anlage und Vorbildung gehört. Um zu beurteilen, was in den Kunstsammlungen geschieht, ob die Anschaffungen für die Nationalgalerie, die Gemäldegalerie, die Skulpturensammlungen zu billigen sind oder nicht, dazu hat doch jeder Geschmack genug und kennt andere Kunstsammlungen zur Genüge. Auf Grund dieser unanfechtbaren Legitimation geht der Berliner Künstler nicht in die Museen. Er überläßt das seinen Damen, die Zeit dazu haben, und überläßt jene Kontrolle der ›Vertreterin des Publikums‹, der Presse.

Vor zwei oder drei Jahrzehnten wurde das Kunstfeuilleton der Berliner Blätter in der Regel nur durch den einen oder anderen gescheiterten Künstler bedient, und was man über die Museen, was man namentlich über die Gemäldegalerie hörte, waren meist[41] Schmerzensschreie über ›falsche‹ Bilder, die gekauft, oder Entrüstungsschreie über Dutzende von Bildern, die total verputzt oder übermalt sein sollten. Seit fast zwanzig Jahren ist es mit der Leitung des Kunstfeuilletons allmählich anders geworden. Wenn auch heute noch fast alle Berliner Zeitungen das tägliche Feuilleton notdürftig und kritiklos zusammenstoppeln, so daß man über die wichtigsten Vorgänge oft nichts erfährt, während die fettesten Enten durch alle Zeitungen gehen, so leiten und leitern doch jetzt ›Kunstgelehrte‹, wohl gar solche, die auch eine Zeitlang an diesem oder jenem Museum probeweise beschäftigt waren, die Mehrzahl der Berliner Zeitungen. Ja, aus dem Kunstfeuilleton haben sich sogar einzelne dieser Herren zur Direktion der Sammlungen hinaufgearbeitet. Soweit diese letzteren nicht in Betracht kommen, werden die Museumsdirektoren von den gelehrten Feuilleton-Schreibern bald gerupft, bald geschnitten, bald mit jener Herablassung und weisen Beschränkung gelobt, die herabsetzender ist als Tadel.

Ein höheres Forum als diese Kunstkritiker gibt es in Berlin nicht; denn die ernsten Leute kümmern sich nicht um Kunst und glauben, sie hätten auch keine Zeit dafür; und die, welche es kraft ihrer Stellung müssen, verleiden und erschweren den Sammlungsvorständen ihren Beruf aus alter Berliner Gewohnheit oder aus Bureaukratismus nur zu häufig. Nur wer sich darum nicht kümmert, wer oben und unten nicht zu viel fragt und nach eigenem Wissen und Gewissen zu handeln sich bestrebt, kann unter allem Gekläff und trotz aller Gleichgültigkeit die ihm unterstellten Sammlungen wirklich fördern. Aber der Genuß an dieser dornenvollen und doch so beneideten Tätigkeit wird dadurch diesen Männern stark verleidet. ›Man muß Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein, um sich über Wasser zu halten‹, meint Goethe von den Leuten, die in Berlin leben müßten. Seitdem scheint mir das Leben in Berlin nicht leichter geworden zu sein, und wenn ich mir auch Goethes Rat gemerkt und befolgt zu haben glaube, so habe ich doch unter diesen Berliner Zuständen reichlich[42] zu leiden gehabt und leide noch heute darunter, da mir das nötige dicke Fell und jetzt die Gesundheit fehlen, um solche Widerwärtigkeiten mit dem richtigen Gleichmute hinzunehmen oder sie zu belachen. Mir war dafür das stets wirkende Gegenmittel rastlose Tätigkeit, die Arbeit zum Nutzen unserer Kunstsammlungen direkt und indirekt, das Heranziehen von Privatsammlern, die Tätigkeit für andere öffentliche Sammlungen, die Mitarbeit an der Förderung der Kenntnis der alten Kunst und die Verbreitung von Geschmack und Freude daran: diese mannigfaltige Beschäftigung und die Freude an dem Erfolge derselben haben mich für solchen kleinen und großen Ärger entschädigt. Zugleich haben unsere Berliner Museen gerade von dieser Zeit, die ich für Privatleute in dem redlichen Bemühen, ihnen Sammlungen von möglichst wertvollen und interessanten Kunstwerken möglichst billig zusammenzubringen, beschäftigt gewesen bin, den besten Nutzen gezogen, nicht nur durch die Erweckung eines allgemeinen Interesses für unsere Sammlungen in einem, wenn auch nur beschränkten Kreise, sondern vor allem für die tätige Beihilfe seitens der Kunstfreunde aus diesem Kreise bei der Vermehrung derselben.«

Für Karl von der Heydt, der um jene Zeit von Elberfeld nach Berlin übersiedelte, erwarb ich eine kleinere Zahl von Bildern erster holländischer Meister als Ausstattung der malerisch am Kanal gelegenen Villa seines Großonkels, des Finanzministers von der Heydt, die er übernahm und für sich einrichtete; später sind nur noch ein paar Bilder hinzugekommen. Andere Sammler liebten es, neben den Bildern als Schmuck an den Wänden, für die Tische und Schränke Dekorationen in Werken der Kleinkunst und des Kunstgewerbes zu besitzen, so namentlich Valentin Weisbach, Richard von Kaufmann und Karl von Hollitscher, der einige Zeit vorher von Wien nach Berlin übergesiedelt war. Gerade solche Gegenstände der Kleinkunst konnte ich damals noch zu außerordentlich billigen Preisen, namentlich in Italien, erwerben: Bronzestatuetten, Stucchi, italienische Möbel, vorderasiatische Teppiche und[43] Stoffe waren noch ganz billig zu haben. Auch sonst gelang mir mancher Gelegenheitskauf zu erstaunlich niedrigen Preisen. So erinnere ich mich, daß ich in Wien eine von Baron Nathaniel Rothschild wegen einer leichten Verletzung ausgeschiedene Marmorstatuette von Falconet um etwa 1300 M. für Valentin Weisbach erwarb, die der Sohn 1909 auf unserer Rokoko-Ausstellung mit 100000 M. versichern wollte. Ganz billig waren damals Bilder des Trecento und zum Teil auch aus dem Quattrocento, ebenso wie primitive deutsche und niederländische Bilder, wenn sie nicht von allerersten Malern herrührten. Gemälde von Lippo Memmi, Francesco di Vanuccio, Giorgio Schiavone, von Lucas van Leyden, G. David, Jac. Cornelisz, von Strigel, Breu, Cranach u.a., wie ich sie in diesen Jahren namentlich für Richard v. Kaufmann erwarb, haben regelmäßig nur einige hundert Mark gekostet. Diese billigen Preise und die außerordentliche Steigerung des Wertes der Kunstwerke waren kein kleiner Antrieb, um die Berliner Kunstfreunde immer mehr zum Sammeln aufzumuntern und dabei die Qualität ihrer Kunstwerke zu verbessern.

Das gemeinsame Sammeln brachte mich mit den meisten dieser Kunstfreunde auch in nähere persönliche Beziehung, so mit dem alten Herrn Gustav Güterbock, mit James Simon, mit Adolf Thiem, mit Oskar Huldschinsky, Willi v. Dirksen, der Familie v. Kaufmann u.a.m. Andere Sammler lernte ich unterwegs kennen und machte gemeinsam mit ihnen kleiniere oder größere Reisen. So war ich wiederholt in Paris, wo ich Heinrich von Tucher um 1880 kennengelernt hatte, dessen Gast ich mehrfach in Paris und später bei Besuchen in Rom und namentlich in Wien gewesen bin. Gemeinsam haben wir dann für die reiche und geschmackvolle Einrichtung seiner Räume mit Renaissancekunstwerken, Gobelins und alten persischen Teppichen gesorgt, von denen er eine hervorragende Sammlung zusammengebracht hat.

Durch Baron von Holstein war ich, wie schon erwähnt, um 1885 mit Graf Dönhoff-Friedrichstein bekannt geworden, der seitdem ein reges werktätiges Interesse an der Entwicklung[44] unserer Museen genommen und mir persönlich wie ein Freund zur Seite gestanden hat. Er begleitete mich auf einer meiner Reisen nach London und Paris.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 40-45.
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