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[45] In Italien traf ich damals fast jedes Jahr den Fürsten Johannes Liechtenstein, der mich beim Sammeln vielfach in Rat nahm. Der Fürst, der sich um jene Zeit (da er im Frieden von Nikolsburg vergessen war) noch im Kriegszustande mit Preußen befand, war einer der eigentümlichsten Männer, die ich kennengelernt habe. Durch ein sehr unangenehmes, widerwärtiges Verdauungsübel, an dem er von Kindesbeinen an litt und das er erst in höherem Alter fast ganz verlor, mied er die Menschen und sah nur einige wenige seiner Beamten. Aber er war von einer Herzensgüte, von einem Wohltätigkeitssinn, der keine Grenzen kannte. Dabei standen ihm ganz außerordentliche Mittel zur Verfügung (soll doch sein Einkommen jährlich zwischen fünf bis zehn Millionen Kronen betragen haben.) Für seine Untergebenen, für die zahlreichen Ortschaften auf seinen Gütern hat er in großartigster Weise gesorgt. Wie er alle seine Burgen und Schlösser ausbaute und prächtig instand setzte, so hat er zahllose Schulen und Kirchen auf seinen Herrschaften bauen lassen.
Wer seine Gutherzigkeit und Schüchternheit auszubeuten verstand, konnte alles von ihm erreichen. Wenn jemand von ihm sein Fürstentum erbeten hätte, so würde er es nicht direkt abgeschlagen haben, wenn er auch hinterher hätte schreiben lassen, daß er sich wohl verhört habe; Petent schiene ein etwas sonderbares Verlangen an ihn gestellt zu haben. Vielseitig gebildet, hatte er für Kunst großes Interesse, jedoch mehr allgemeine Begeisterung als feineres Verständnis. Gleich nachdem er zur Regierung gekommen war, begann er sein Interesse für seine Galerie zu betätigen. Er kaufte für damals sehr hohe Preise verschiedene Bilder, darunter leider auch eine elende Fälschung nach Hobbema. Dann merzte er eine Reihe der geringsten Bilder der Sammlung aus, ließ sie in Paris versteigern und[45] überwies verschiedene seiner Erwerbungen der Galerie der Akademie. Was er auch tat und was er unterließ, er wurde regelmäßig in den Wiener Zeitungen in der widerwärtigsten Weise angegriffen und seine besten Erwerbungen wurden elend verrissen, so daß er sogar eine Zeitlang seine Galerie dem Publikum verschloß.
Als ich mich 1889 während der Weltausstellung in Paris befand, traf ich den Fürsten dort zufällig in einem der Säle der retrospektiven Kunstausstellung. Auf seinen Wunsch führte ich ihn in den nächsten Tagen zu den Kunstfreunden, deren Sammlungen ihn besonders interessierten: zu G. Dreyfus, E. Foulc, Edouard André u.a., und als ich nach London weiterfuhr, bat er, mich begleiten zu dürfen, um mit mir dort die Privatsammlungen zu besuchen. Hier war der Fürst unermüdlich und unersättlich, so daß er selbst mich – und ich galt im Auskosten der Kunstgenüsse als der unermüdlichste – oft schachmatt machte, zumal er darüber das Frühstücken zu vergessen pflegte, bis ich energisch darauf drang. Große Angst hatte er, daß wir einen seiner Bekannten treffen könnten, oder daß die österreichische Botschaft von seiner Anwesenheit Nachricht bekommen könnte. Wir aßen deshalb regelmäßig in einem der großen Restaurants nahe bei Piccadilly Circus, meist im Grill Room des Criterion, wo er sich in den kleinen Kojen sicher und wohl fühlte. Wie unglaublich schüchtern der Fürst namentlich Damen gegenüber war, mußte ich bei einem Besuche der Sammlung Benson erfahren. Ich hatte stets, wenn ich den Besuch des Fürsten ankündigte, gebeten, die Sammlung womöglich allein sehen zu dürfen, jedenfalls ohne daß die Dame des Hauses sich zeigen möge. Lady Benson, die damals eine der beliebtesten Damen bei Hofe war, war über die Zumutung empört und erschien plötzlich, während wir mit ihrem Gatten dessen gewählte Sammlung altitalienischer Bilder besahen. Der Fürst geriet ganz außer sich; um die kleine Lady nicht zu sehen, drehte der reichlich sechs Fuß lange Mann sich förmlich im Kreise herum und wischte sich dabei mit zwei riesigen farbigen Seidentüchern die Angstperlen[46] von der Stirn und aus dem Nacken, bis schließlich Mr. Ben son seine Gattin aus dem Zimmer geleitete. Der Fürst war hinterher ganz zerschlagen über dies Abenteuer; infolge seines Leidens sei er ganz unfähig, mit Damen zu verkehren, selbst von seinen sechs Schwestern habe er seit Jahren nur eine gesehen. Um seine Ungeschicklichkeit der Dame gegenüber wieder gutzumachen, sandte er ihr später von Wien aus ein kleines Renaissancebijou. Aber damit hatte er neues Pech: das Kistchen wurde verwechselt; es ging mit dem Entschuldigungsschreiben an einen Zigarrenhändler in Bremen, während eine Probekiste Zigarren mit dem Ersuchen, in Zukunft solche zudringlichen Sendungen zu unterlassen, an Mrs. Benson geschickt wurde. Dadurch, daß Mr. Benson mir diese neue »ganz unverständliche Grobheit« des Fürsten klagte, kam die Verwechslung zutage, und konnte schließlich noch wieder gutgemacht werden.
Während des Aufenthaltes in Paris hatte sich der mir von den Ausschußsitzungen des Germanischen Museums befreundete Adalbert von Lanna brieflich an mich gewandt, den Fürsten doch zur Stiftung einer großen Bronzefigur von Wurzelbauer an das Prager Rudolfinum zu bereden, da Mittel zum Ankauf dieser (von mir empfohlenen) durch die Schweden bei der Plünderung Prags von einem Brunnen im Palais Waldstein geraubten Figur nicht vorhanden seien. Der Fürst, der auch in Böhmen großen Besitz hat, habe für die Prager Sammlungen noch nie etwas getan. Als ich den Fürsten tags darauf zur Ausstellung abholte, brachte ich Lannas Wunsch bei ihm möglichst eindringlich vor, klagte, daß dieser bei seinen Bemühungen um die Museen Prags beim Böhmischen Adel so geringe Unterstützung fände, und daß er gerade bei einem für Prag so wichtigen Stück im Stich gelassen würde. Daraufhin blieb der Fürst, ganz gegen seine Gewohnheit, völlig stumm. Ich glaubte die Sache verloren, aber am folgenden Tage redete er mich sofort darauf an. »Sie haben mich gestern eigentlich schwer gekränkt«, so etwa sagte er, »denn auch ich kann zu den Böhmischen Großgrundbesitzern[47] gerechnet werden« (dem Fürsten gehören verschiedene Quadratmeilen Grundbesitz in Böhmen), »aber leider ist es wahr, daß ich noch nichts für die Prager Sammlungen getan habe. Was soll denn die Statue kosten?« Ich nannte ihm den Preis von 10000 Mark, worauf er mich bat, die Statue gleich telegraphisch anzukaufen und dem Rudolfinum als Geschenk zu überweisen, aber ohne den Namen des Schenkers zu nennen. Natürlich wußte ganz Prag am gleichen Tage, wer der anonyme Schenker war. Durch dieses Geschenk wurde das Interesse des Fürsten für das ihm bis dahin völlig unbekannte Prager Museum geweckt. Noch im gleichen Jahr stattete er dem Rudolfinum einen Besuch ab, ließ aber, um ja nicht erkannt zu werden, seinen Fiaker hinter der Ecke des Baues stehen. Unglücklicherweise war das Museum an dem Tage geschlossen, worauf der breitschultrige Portier den Fürsten, der in seiner überbescheidenen Art, mit dem zerknitterten Schlapphut in der Hand, um Erlaubnis zum Eintritt bat, großschnauzig aufmerksam machte. Der Fürst ging verlegen die Treppe wieder herab, als ihm Baron Lanna begegnete. Obgleich dieser ihn nie gesehen hatte, erkannte er ihn doch nach Beschreibungen an der sehr auffallenden Gestalt und Haltung, stellte sich ihm vor und nahm ihn mit ins Museum. Aus Dankbarkeit stiftete der Fürst dem Rudolfinum verschiedene ausgezeichnete Bilder, darunter einen der schönsten Frans Hals und zwei sehr gute Terborch.