Museumskollegen

[7] In Rom lernten wir den jungen Dr. Hugo von Tschudi kennen, der dort Studien über die Quattrocentoplastik machte. Da mich dieses Thema lebhaft interessierte, und ich zudem die Florentiner Bildwerke der Zeit in Rom wieder durcharbeiten wollte, schloß ich mich seinen Gängen durch die Kirchen Roms fast täglich an. Sein Wissen, seine Gründlichkeit in der Forschung, sein Geschmack und sein ruhiges Wesen machten ihn mir gleich sympathisch, so daß ich ihm vorschlug, als Assistent bei der Gemäldegalerie einzutreten, da Dr. Scheibler, der diesen[7] Posten seit drei Jahren versah, um die zweite Auflage unseres Galeriekataloges mit durchzuarbeiten, nach Erledigung dieser Arbeit zurücktreten wolle. Tschudi nahm mit Freuden an, bat nur noch, eine längere Kur in Paris gegen sein Flechtenleiden, das in Wien bisher schlecht behandelt sei, vornehmen zu dürfen. Was ich damals allein an ihm auszusetzen fand, daß hinter seinem reservierten Wesen der weichliche, vor allem energischen Vorgehen zurückschreckende Charakterzug der vornehmen Deutschösterreicher zutage kommen würde, war sicher das, was ihm am wenigsten fehlte! Was ich dafür gehalten hatte, war eine gewisse Bequemlichkeit und Mangel an Sitzfleisch bei der Arbeit.

Im Herbst trat Tschudi sein Amt in Berlin an. Zu Ludwig Scheibler hatte ich in der kurzen Zeit, in der er mit mir zusammen arbeitete, kein näheres Verhältnis gewonnen. Ich war damals dienstlich viel außerhalb Berlins tätig und wissenschaftlich mit anstrengenden Arbeiten über holländische und altitalienische Kunst, dazu mit einer neuen Auflage des Cicerone vollauf beschäftigt. So kam es, daß ich von Scheiblers außerordentlichem Wissen in seinem »Fach«, der »Geschichte der deutschen und niederländischen Malerei zwischen den Jahren 1425 und 1550«, womit er selbst die Zeit seiner Studien streng und pedantisch umgrenzte, wenig Nutzen ziehen konnte. Einer reichen Aachener Kaufmannsfamilie angehörend, selbst aber wenig bemittelt, war er als Kaufmann erzogen, aber schließlich seiner Neigung zur Kunst und Musik gefolgt und hatte, schon in der Mitte der Zwanziger, noch sein Abiturium gemacht, um Kunstgeschichte zu studieren. Sein scheues, abgeschlossenes Wesen, die Einseitigkeit in seinem Wissen und seinen Interessen, seine hastige, undeutliche Sprache, schließlich eine unvorsichtige Heirat, bewirkten es, daß er einsam durch die Welt gegangen ist, mit niemand befreundet und nur von einigen wenigen gekannt und richtig erkannt. Als Galeriebeamter war er uns von keinem besonderen Wert; er machte seine Katalogarbeit fleißig und gewissenhaft, aber seine Kenntnisse in den älte ren nordischen Schulen[8] nützten uns wenig für die Vermehrung der Sammlung, da Scheibler zu wenig Geschmack und Qualitätssinn hatte und für galeriewürdig hielt, was ihn wissenschaftlich interessierte. Innerhalb dieser Einseitigkeit hat Scheibler allerdings viel mehr geleistet als heute anerkannt oder überhaupt noch bekannt ist. Seine Methode, die er schon aus Bescheidenheit nicht als solche bezeichnete, hatte etwas von der des Lermolieff, war aber weit vielseitiger und gewissenhafter und ohne jeden lehrhaften Charakter oder den sarkastischen Beigeschmack des Propheten Morelli. Scheibler studierte nur um der Sache willen, niemandem zum Leid und niemandem zur Freude. War doch sein Schriftdeutsch fast ebenso unleserlich wie seine Sprache undeutlich, dabei trocken und unklar. Ihm kam es ausschließlich darauf an, die Charakteristik eines Malers nach allen Richtungen durchzuarbeiten, ihn danach als Künstler und in seinem Verhältnis zu Vorgängern und Nachfolgern festzulegen und sein Oeuvre aufzustellen. »Omnia mea mecum porto«, konnte er von sich sagen: er war unzertrennlich von einer kleinen dicken Mappe, die genau geordnete Nachbildungen von möglichst allen Bildern enthielt, die in sein Gebiet fielen. Auf diesen Blättern hatte er in seiner engen Schrift stenographisch alles, was ihm bei jedem Bilde einfiel, aufnotiert. Und ihm fiel sehr viel ein. Nicht bloß bei der Anatomie, bei Ohren und Nasen und schmutzigen Nägeln hielt er sich auf. Auffassung und Komposition, Zeichnung, Farbengebung, Malweise, Holzart der Tafeln, die Inschriften darauf, selbst die Art der Risse der Farben u.a.m. studierte er. Damit und durch stetes Vergleichen mit verwandten Gemälden arbeitete er die Charakteristik seiner Künstler heraus. Scheibler hat durch seinen scharfen Blick und durch diese überaus gewissenhafte Art zur wissenschaftlichen Erforschung der älteren niederländischen und deutschen Malerei den Grund gelegt, auf dem heute Männer wie Max Friedlaender und Georges Hulin weiterarbeiten, ersterer als eigentlicher Schüler Scheiblers, mit dem er Anfang der neunziger Jahre in Köln einige Zeit zusammen arbeitete. Scheiblers eigentümlich unpersönliche und theoretisch-kalte[9] Art zeigte sich am deutlichsten, als er plötzlich erklärte, mit der Kunstgeschichte habe er abgeschlossen, er werde sich in Zukunft nur noch mit der Musik beschäftigen. Er machte wirklich Ernst, zog in ein kleines Haus nach Godesberg, verkaufte sogar sein kostbares Vademecum (die dicke Mappe von Photographien, von der er unzertrennlich war), und nach einiger Zeit antwortete er gar nicht mehr, wenn man ihn über Kunst interpellierte. Aber auch in der Musik blieb er kalter Theoretiker, er trieb sie nur auf einem stummen Klavier, auf dem er sich eine neue Theorie der Musik ausspinti sierte, deren Veröffentlichung musikalische Bekannte nur mit großer Mühe verhinderten.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 7-10.
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