Italienischer Sommer

Italienischer Sommer

[72] Als es den Zimbern und Teutonen zu Hause auf Rügen und in Pommern zu langweilig wurde und die Wanderlust sie packte, machten sie sich auf nach dem Süden, wo nach den Aussagen ihrer Ältesten ihnen ein schöneres Land winkte. Sie walzten ihre Horden mit Sack und Pack immer weiter von der Heimat fort, setzten über große Flüsse und überstiegen manches Gebirge, bis sie endlich in ein wundervolles heißes Land gerieten, an dessen Rand ein großes Wasser ihnen den Weg versperrte. Das zwang sie, haltzumachen, und schmunzelnd sprachen sie zueinander: »Hier bleiben wir, hier rasten wir!« Mit Schrecken aber sahen die Eingeborenen auf das Gesindel, das da über Nacht ihre Gefilde überfallen hatte. Und der Schrecken wurde noch größer, als sie wahrnahmen, daß sie sich anschickten, bei ihnen zu rasten.

Gleich täppischen Riesenkindern verbrachten die Fremdlinge die Zeit mit ungeschlachten Spielen. Auf ihren Schilden sausten sie auf jäh abfallenden Rutschbahnen vom Berg zum blauen Meer hinab und zogen dann wieder keuchend und kurzatmig ihre Schilde zur Höhe. Sie waren friedfertig, solange man sie in Ruhe ließ. Nur wenn sich ein gelbes Eingeborenengesicht gar zu vorlaut in ihre Angelegenheiten mischte, wurde es wie lästiges Ungeziefer zerdrückt.

Noch lange hätten sie diesem süßen Nichtstun gehuldigt, wenn nicht Marius, der knorrige Römer, mit rauher Hand dazwischengefahren wäre und mit seinen geschulten Truppen die strohblonden Fremdlinge mit Stumpf und Stiel ausgerottet hätte. Der eine oder der andere freilich mag hinkend und mit blutigem Kopf wieder den Weg nach der Heimat zurückgefunden haben. Da floß ihm denn der Mund über von den Heldentaten bei den kleinen dunkelbraunen Männern und noch mehr bei ihren Frauen. Seine Landsleute hörten voll Begierde zu und machten einen Kriegssprung, wenn sie das wunderherrliche Hand preisen hörten. Unglaublich klang es, wenn er erzählte, daß bei uns der rauhe Winter Wald und Wiesen unterm Schnee erstarren ließ, während dort zur selben Zeit die warme Sonne Blumen hervorlockte und derartig warm auf die Leiber schien, daß man am liebsten die Pelze auszog und ganz nackt im blumigen Rasen sich wälzte. Dieser eine Versprengte hat sicherlich mit seinen beredten Schilderungen seinen Landsleuten und uns, ihren Nachkommen, die Liebe zum Süden in das Blut geimpft. –

Die unbezwingliche Sehnsucht nach dem Wunderlande steigt immer wieder in uns auf, und jeder Reiselustige tut nach dem Rat des weisen Jago Geld in seinen Beutel. Denn wie unsere Vorfahren Hab und Gut mitnehmen mußten, so ist auch uns modernen Zimbern ein erkleckliches Sümmchen notwendig für die Rosten des Luxuszuges und der Hotelrechnungen und wohl auch für die kleinen Seitensprünge in Monte Carlo. Heute saust der Luxuszug vom Anhalter Bahnhof nach Straßburg, den Rhein hinauf und die Rhone hinunter, an Avignon vorbei bis Marseille, wo ebenso wie vor zweitausend Jahren den wanderungslustigen Altvordern das Mittelländische Meer den weiteren Weg gen Süden versperrt. Darum nimmt der Zug auch als einsichtiges Wesen den Weg längs des Ufers durch Tunnels hindurch. Cannes, Nizza, Monte Carlo und Mentone fliegen vorbei. Dann überschreitet der Zug die italienische[73] Zollgrenze in Ventimiglia. Der Name dieses Ortes, dem man am liebsten zwanzig Meilen aus dem Weg ginge, ist durch die Strenge seiner Zöllner verrufen. Ich glaube fast, daß die Italiener hier ihre Rache nehmen für all die Schandtaten der Zimbern und Teutonen, Ist man aber der italienischen Zollgrenze einigermaßen heil entronnen, so weitet sich die italienische Riviera mit Bordighera und San Remo, und schließlich mündet unser Zug in Genua. Inzwischen hat man sich an die Teuerung in dem gelobten Lande gewöhnt, und man gönnt sich sorglos das teuerste, aber auch das schönste Hotel. Ein ungeheurer Kasten spannt sich über ein ganzes Häuserviertel von Genua, mit prachtvoller Aussicht auf den Hafen. Das ist eines meiner Bilder, die ich leider noch nicht gemalt habe. Jedesmal kehre ich in dem Hotel ein, wenn ich in der Nahe von Genua bin, immer in der Hoffnung, daß ich doch noch zu meinem Hafenbild komme. Ein kühner Traum zeigt mir schon das Sümmchen, das mir das Bild bringen muß, und der abgemagerte Geldbeutel stößt mir dann kein Bangen mehr ein.

Aber alles überragt doch an Schönheit des Landes, an Reichtum und Festesstimmung: Monte Carlo. Das Schloß des Fürsten von Monaco überragt burgartig wie ein altes Kastell auf schroffen, ins Meer fallenden Felsen die amphitheatralisch an Höhen emporsteigende Stadt mit ihren gelben Häusern. Unten auf dem Grunde liegt wie ein blauer Farbklex der kreisrunde Hafen. Fast immer schaukeln dort unten Privatjachten reicher Amerikaner und Nabobs, die hier dem Glücke die Hand bieten wollen. Am heitersten ist es aber auf dem weiten Platz zwischen dem Hôtel de Paris und dem Café de Paris. Da gibt es Musik und Menschengewimmel wie bei einem großen Volksfest. Dazwischen preisen orientalische Teppichhändler ihre Teppiche an, indem sie von der Schulter bis zum Boden die Stoffe mit all ihren Farben und Mustern ausbreiten. Diese Figuren sind für mich besonders malerisch. Meinen Freund, den Teppichhändler Keschir Omar aus Tunis, habe ich bereits lebensgroß porträtiert. Seine Station war Mentone, aber er kam mit rührender Pünktlichkeit nach Beaulieu, wo ich mich aufhielt, und stand mir mit aufopferndem Fleiß Modell.

Die Sehnsucht für einen bildenden Künstler ist aber doch die ewige Roma. Wie viele tausend Mal ist diese Stadt gepriesen und bejubelt worden! Dieser Reichtum an Springbrunnen auf herrlichen Plätzen und längs der Via Appia, die antiken Denkmäler der Campagna und im Bauch der Erde unter uns die Katakomben des San Calisto. Ein Architekt muß hier so recht in seinem Fahrwasser sein. Für mich, den Maler, jedoch sind am bedeutungsvollsten zwei Menschen Roms, die an Genie und Gewicht alle Cäsaren überragen und sämtliche Konsuln der römischen Republik: Michelangelo und sein Mäzen, der Papst Julius II. Die Decke der Sixtinischen Kapelle ist für ewige Zeiten das einzige Wunderwerk der ewigen Stadt, und die Villa Julius rühmt jenen gewaltigen und kunstsinnigen Papst.

Doch wie seltsam mischt sich hier Vergangenheit und Gegenwart! Eines Abends, als der Wind die Hitze des Tages kühlte, wollte ich für den Abend einige Näschereien für meine erkrankte Frau besorgen. Ich wanderte durch den Monte Pincio zur Spanischen Treppe, stieg zum Spanischen Platz herunter und dachte in der Nahe einiges zu finden. Ich wagte mich in einen Delikateßladen hinein. Man erhielt hier alles: Schinken, Salami, aber auch Thüringer Landleberwurst und Blutwurst. Mein Erstaunen wurde groß, als der Ladeninhaber im reinsten Sächsisch nach meinen weiteren Wünschen fragte. Aber noch mehr wuchs meine Verwunderung, als ich in dem Hinteren Raum des Habens an[74] Marmortischen mit braunem Bier Gestalten bemerkte, die ich schon in deutschen Provinzen gesehen haben mußte. Die Gestalten waren groß, Brillen saßen vor den quellenden blauen Augen, lange Wadenstrümpfe umschlossen die umfangreichen Unterschenkel. Alle saßen träumerisch da und tranken und kauten herzhaft mit dicken Backen, so daß der dünne rötlich- blonde Bart sich sträubte.

War es Traum oder Wirklichkeit? Hatte sich ein Trupp Zimbern und Teutonen durch die Heere des Marius durchgeschlagen und sich samt dem Marketender hier im Herzen Roms niedergelassen? Jetzt sah ich auch eine Schar zu ihnen gehöriger germanischer Frauen und Jungfrauen, deren Heldenmut vor Aquae Sextiae genugsam gepriesen worden ist. Sogar ein Barde schien sich unter ihnen zu befinden: ein gewaltiger Herr mit langem weißen Bart; seine nähere Umgebung nannte ihn »Herr Professor!«

Als ich aus dem Laden heraustrat, löste sich das Rätsel, denn auf einem Schild, das zwischen Schinken, Wurst und Bierfässern aufgestellt war, stand »Deutsche Frühstücksstube«. Das Bild war so anheimelnd, daß ich nicht übel Lust hatte, mich auch bei dieser Kompagnie anwerben zu lassen.

Aber Rom durfte uns nicht länger halten. Unser Ziel war ein kleines Seebad bei Spezia. Es liegt in einem Winkel italienischer Erde, der durch manchen ruhmvollen Namen der deutschen Literatur geheiligt ist. Dort sind die Bäder von Lucca, wo Heine den Hühneraugenoperateur Hyacinth bei Gumpelino Kammerdienste verrichten ließ und seinen Widersacher Graf Platen vernichtete. Dies ist der Boden, auf dem Lessings »Emilia Galotti« spielt. Der leichtsinnige Prinz hat Beziehungen zu dem kleinen Fürstentum Massa-Carrara.

Dem Meer entlang ziehen sich die Marmorberge Carraras. Hier hat Michelangelo einen wohl auch für jene Zeit recht schlechten Weg zum Meere angelegt, um den Marmor nach Florenz oder an die Tiber-Mün dung zu transportieren. Von deutschen Malern ist die Szenerie vielfach gemalt: die mächtigen Ochsen mit den zweirädrigen Karren, beladen mit Marmor, und im Hintergrunde das in schönen Linien aufsteigende Gebirge mit seinen weißen Marmoradern. Der Überfluß an Marmor ist in dieser Gegend erstaunlich. In den ärmlichsten Dörfern muß der Marmor das Holz ersetzen: Fensterbretter, Fensterrahmen, Fußboden, Türfassung, Balkone usw. sind damit bekleidet.

Die italienischen Seebäder werden hauptsächlich von Italienern besucht. Hin und wieder verirrt sich einmal ein Fremder dorthin, der etwa von ortskundigen Verwandten dazu überredet wird. Es gibt z.B. in diesem kleinen Seebad eine große Anzahl von Berühmtheiten, die hier schöne Villen erworben haben. Der berühmte Bildhauer Hildebrand hat dort seine Villa, ebenso Gabriele d' Annunzio. Die Duse hält sich oft hier auf, auch der Tenor Caruso und der Komponist Leoncavallo; und die Schriftstellerin Alice Berend hat hier ihre vielgelesenen Berliner Romane geschrieben.

Wie erquickend natürlich ist der Verkehr am Strande! Da ist nichts vom modernen Badeortleben. Aus den Hütten, die jede Familie sich als Ankleideraum errichten muß, geht es hinab zum Strande. Stundenlang wandert man am Wasser auf und ab und geht, wenn das Wasser lockt, wo man sich gerade befindet, ins Meer hinein. Keine Musik ist zu hören, kein Lärm und Gedudel, aber am Horizont zeigen sich viele Segel- oder Kriegsschiffe, die zum Kriegshafen[75] Spezia eilen, und hin und wieder taucht vor den Hütten ein Händler auf, der Korallenschmuck oder Schildpattkämme feilbietet.

Es ist ein friedliches Leben, die ganze schöne Gottesnatur kann man nach Herzenslust bewundern – nichts ist einem verschlossen, und überall trinkt das Auge vom goldenen Überfluß der Welt.


  • Abbildung Seite 76
    Abbildung Seite 76

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 72-76.
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