Franz Marc 10.08.1911

[64]  

Sindelsdorf, 10. Aug. 11


Mein lieber August Vonderfarbe,


gerade in Anbetracht Deiner etwas schwanken Gefühle vor der ›Vereinigung‹ möchte ich Dir einiges erzählen, – verwahre es aber in Deinem Busen. Ich musste letzthin nach München zu einer Vorstandssitzung – Erbslöh, Kanoldt, Dr. Wittenstein und ich – und hatte Gelegenheit, die ›Sommerarbeiten‹ Kanoldts zu sehen. Du[64] kannst Dir gar nicht denken, wie deprimiert ich nach Hause kam. Weniger an sich die mangelnde Güte, – dieser Tropensommer könnte sich ja auf seine Produktionskraft geschlagen haben, sondern die Gedankenrichtung; eine so lächerliche und gewöhnliche Nachäffung kubistischer Modeideen, dass man sich einfach blamiert, wenn man so etwas ausstellt. Von Erbslöh sah ich nichts, aber mir schwante nichts Gutes, als ich seine helle Begeisterung für die Kanoldtschen Sachen sah. (Ich sagte natürlich gar nichts.) Ich schreibe Dir dies alles, damit Du klar siehst, nicht aber, um Dir, mein Lieber, das Wegbleiben zu erleichtern. Im Gegenteil: Sieh doch zu, möglichst bald Dich zu uns zu schlagen, und zwar aus folgendem Grunde: Ich sehe, mit Kandinsky, klar voraus, dass die nächste Jury (im Spätherbst) eine schauderhafte Auseinandersetzung geben wird und jetzt oder das nächstemal dann eine Spaltung, respektive Austritt der einen oder anderen Partei; und die Frage wird sein, welche bleibt. Wir wollen die Vereinigung nicht aufgeben, sondern unfähige Mitglieder müssen eben raus. (Es ist meine feste Überzeugung, dass Kanoldt, Erbslöh, Kogan sich über kurz oder lang als unfähig erweisen werden.) Mit der Stimmenzahl steht es leider so:


Franz Marc 10.08.1911

Der wunde Punkt ist das von rechts nach links unten rollende Geld der Herren Erbslöh und Wittenstein. Natürlich spielt hier die Baronin die Rolle, nicht Jawlensky, aber der ist ein schwacher Mann! Lass Dich bitte nicht abschrecken von dieser Darstellung; sie ist ja so alltäglich und andrerseits längst nicht so fühlbar wie es nach meiner Zeichnung scheint. Es ist nur der Grundbass in den Jurytagen. Ich hab es nur so aufgezeichnet, damit Du siehst, was es hiesse, links noch einen August Macke zu haben mit seinem ehrlichen Bass und seinen noch ehrlicheren Bildern. Du musst nun bald ausstellen und wirst es so leicht und mit Aplomb können, als Mitglied, und angenehmer, unpersönlicher, als jetzt, als ›Bonner Herr‹.

Es ist ein himmelweiter Unterschied, allein oder als Mitglied, gewissermassen als Vertreter der Vereinigung, auszustellen. Ich bin sehr neugierig, was für einen Eindruck Munter von Deinen Sachen hatte. Sie ist ebenso klug als bescheiden; ich glaube, diese zwei Eigenschaften sind der Grundzug ihres stillen Wesens. Je näher ich Kandinsky komme, desto tiefer lerne ich ihn schätzen; ich hab jetzt einen grossen, wunderschönen Kandinsky bei uns hängen; ich kann mir's überhaupt nicht denken, was einen so unerschütterlichen und ernsten Prüfstein für alles, was man daneben[65] hält, abgibt als dieses Bild. Und dabei schlägt es gar nichts, nicht einmal z.B. Sachen meines Vaters, sondern es überzeugt. Wie wäre es schön, wenn Ihr kämt und es bei mir neben allem anderen sehen könntet. Und dieses Murnau! Wenn ich weiter schriebe, käme ich in's Schwärmen. Aber ich denke hier nur ernst; es gibt in diesen Dingen überhaupt nur Ernst.

Ab 26. August ist eine Ausstellung in Weimar von der Vereinigung (im grossherzoglichen Museum). Ich habe keine Ahnung, was die anderen hingeschickt haben; ich selbst habe zwei neue Sachen, die ich hinschicke. Das Malen wird mir jetzt durchaus nicht leicht, – sehr im Gegenteil. Aber ich glaub schon, dass ich vorankomme. Die lange Reise und last not least Bonn hat mir sehr gut getan. Euer Kissen glänzt und leuchtet in unserm Zimmer, und Besucher drehen die Kokusnuss nach allen Seiten.

Oktober geht meine Kollektion von Mannheim nach Köln in den Gereonsklub, von da November rheinmüde nach Hagen. Wenn Ihr dann irgendetwas (ganz gleich, was und wieviel Ihr wollt) daraus haben mögt, gehört es Euch.

Nun adio, seid umarmt vom Sindelsdörfler


Fz. Marc


NB. Heute gebrauchte Maria zum erstenmal ein Schimpfwort gegen mich:

»Du Prachtexemplar von Gar-nicht-ganz-lieb!!«

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 64-66.
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