43 [43] Brief an Maria Franck

17.1.1911


Liebste, Du kannst Dir kaum vorstellen, wie wunderbar schön der Winter in diesen Tagen hier ist, schleierloses Sonnenlicht und dabei den ganzen Tag Rauhreif; sehr kalt, aber von jener schönen, erfrischenden Kälte, die einen nur äußerlich, nicht innerlich frieren macht. Etwas ist dabei für mich merkwürdig: so wunderbar ich die Natur finde und mich unausgesetzt an ihr freue, zum malen, d.h. landschaftern reizt sie mich eigentlich nicht; sie ist zu stark rein weiß und blau. Geht man spazieren, so ›tritt‹ man auf Weiß oder hellstes Blau, was meinem Gefühl für Farbstil direkt ungereimt und lächerlich erscheint. Kannst Du das verstehen? Gegen Abend wird es chromatischer, statt blau weiß treten rosa und komplementär grünliche Töne auf, auch violett gegen farbige Abendluft. Ich habe zwei Sachen im Schnee in Arbeit: die Rehe unter schneebedeckten Ästen und den Russi im Schnee liegend. Ich komme mit beiden ganz gut weiter, sehr farbig. Das große Pferdebild ist immer das Schmerzenskind; ich bin jetzt damit in keinem schlechten Stadium, ungeheuer farbig, – aber fertig machen ist doch noch schwer. Helmuth sagt mir manches Feine. Er selbst ist nicht im besten Zuge. Was er macht, ist wohl interessant, aber nicht ›gut‹. Die Vereinigung verwirrt das unsichere Können, das er hatte, doch stark. Er sagt es selbst. Er ringt nach Form; aber seine Farbe wirft ihm jeden Versuch über den Haufen; es ist ganz sonderbar zu beobachten; er fragt mich viel und ich suche ihm zu helfen, wie ich es kann, aber es ist nicht leicht; er muß selber dahinter kommen, glaube ich, sowie ich selbst hinter die Farbe komme. Mir haben auch keine Ratschläge genützt, nicht einmal meine Pariser Reise. In Kunstdingen begreift man erst, wenn man dafür reif ist. Helmuth ist für die ›Form‹ einfach noch nicht reif. Ich glaube in diesem Gedankengang, daß für August seine Frühreife (sein schnelles ›Begreifen‹) eher eine Gefahr ist. Helmuth hat heute, aus Wut über eine mißlungene Sache, sich ans Holzhacken gemacht; ich hab nämlich ein Stör Buchenholz gekauft, das er nun energisch klein macht; er will für seinen ›Körper‹ etwas tun ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 43.
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