Der Vesuv

[306] Sieht man die volkreiche Stadt Neapel, deren schöne Lage so viele Menschen einlud, sich da niederzulassen, und drängt man sich nun durch das Gewühl dieser Volksmenge auf den Straßen, so kommt einem unwillkürlich der Gedanke ein: Wo nehmen die vielen Menschen ihre Nahrung her, um sich das Leben zu erhalten? Geht man aber auf das Feld, so staunt man über die Fülle, denn in dem schönen Italien, wo die Natur so kräftig wirkt, nährende Früchte aller Art hervorzubringen, kommt man oft an Orte, wo der Überfluß an Gewächsen sich drängt und eins dem anderen es zuvorzutun strebt. Besonders um Neapel. Sieht man seine goldenen Weizenfelder und die mit eigener Frucht reich beladenen Bäume, an denen sich noch andere Gewächse hinaufschlängeln und sie mit ihrer Frucht belasten, so glaubt man, ein solcher Überfluß könne nicht verzehrt werden. Schlankes Bohnengeranke schmiegt sich schlängelnd an die derbe Weizenähre und kriecht hinauf zur Feige. Die senkt sich gespalten und träufelt ihren zuckrigen Saft aus. Die schwere, mit Bacchustrank gefüllte Traube kommt von der hohen Ulme, ihr Geranke nach sich ziehend, und küßt den Weizen.

Mit hoher Bewunderung habe ich mich auch stets an dem prächtigen Farbenspiele Neapels geweidet. Besonders wenn die Sonne die dichten Massen der Trauben beleuchtete und ich nun im Lichte stand und diese roten, gelblichroten und weißen Trauben betrachtete, welche gedrängt übereinander[307] lagen, einige im hellen Glanze, andere verloren sich im Schatten unter Blättern bis in das heilige Dunkel des Waldes. Dreht man sich aber um und sieht gegen die Sonne, so leuchtet sie durch den klaren Saft, der durch die flammenden Strahlen zum feurigen Geiste gekocht wird. In ihm funkelt der prächtige Rubin, Topas und Smaragd, und der daranhängende Tautropfen blitzt wie der reinste Diamant. Umflossen von hellglänzendem Lichte sind die nach vorn hängenden Trauben, bei den entfernteren mildern sich Glanz und Farben und bilden durch ihr Gemisch die angenehmste Harmonie. Auch die Blätter sind von hoher Schönheit. Die gelb gewordenen gleichen dem Topas, einige haben das reinste Purpurrot, andere sind buntgefleckt, gelbrot und grün. Diese leuchtende Farbe verliert sich gegen die Stämme, wo die Blätter dichter beisammen sind, allmählich vom Dunkelgrün bis in die schwarzen Schatten. In weiterer Ferne schmilzt alles zusammen und vermischt sich mit dem Tau und Nebel, der in der Luft schwebt. Hinein flammt die Sonne, und es zittern die Strahlen wie im Goldstaube und bilden die herrlichste Glorie!

Oft fühlte ich mich begeistert auf meinen Spaziergängen am Meere von dem prachtvollen Glanze der aufsteigenden Feuersäule des Vesuvs und der dunkelroten Lavaströme. Ich wurde dadurch zu vielen neuen Gedanken angeregt, wie auch zu sanften Gefühlen durch das milde Licht des Mondes und durch den vielfachen Widerschein im bläulichen Meere, wo eine goldene Sonne neben einer silbernen stand.

Viel Vergnügen habe ich auf dem Landhause der Principessa Ottajano di Medici genossen, welches am Vesuv hoch hinauf liegt, wo nichts als Lava ist. Sehr oft wurde ich freundschaftlich von der Besitzerin eingeladen, dort die reine Abendluft zu schöpfen und das Sonderbare der veralteten Lavaströme zu sehen. Man erstaunt über die schrecklichen Verwüstungen, und doch liegt diese liebliche[308] Villa, wo alles üppig grünt und blüht, mitten in den schwarzen metallenen Felsenmassen, die aus dem Berge quollen. Von dieser Höhe ist die Aussicht auf den Meerbusen von Neapel außerordentlich prachtvoll. Diese Villa ist auch der Prinzessin Lieblingsaufenthalt, wo sie sich vergnügt an den Geschäften der ländlichen Wirtschaft. Sie kam mir vor wie die kluge Penelope, die alles nach Vernunft ordnet, denn alles hier war in Tätigkeit um sie herum. Da sie an diesem abgesonderten Orte fern von dem Geräusche der Stadt war, wollte sie in einem Zimmer Gemälde mit ländlichen Szenen anbringen. Sie ließ deshalb einen Maler kommen, der hier auf dem Lande im Rufe stand, daß man alles von ihm haben könne, was man verlange. Kaum hatte er den Auftrag, so fing er an, die Wände einzuteilen in viele kleine Fächer, jedes ungefähr anderthalb Schuh groß für ein Gemälde; auf jedem Stücke stellte er eine andere Begebenheit aus dem gemeinen Leben dar. Man erstaunte über den erfinderischen und schöpferischen Geist dieses Landmalers. Es war ein Leben, ein Getreibe von beschäftigten Menschen und Tieren an der Wand, als hätte man die ganze Schöpfung vor sich. Ich selbst wurde dadurch in stille Betrachtung über das Regen, Streben, Wirken und Gegenstreben in der Schöpfung versetzt. Unter diesen Gemälden waren einige sehr launige – u.a. »Ein Weinkärrner im Streit mit einem Schäfer« –, welche ihm selbst auf einer seiner Wanderungen von einem Dorfe zum anderen begegnet waren.

Eines Tages war ich vom Grafen Rasumowsky und seiner Schwester zu einer Lustpartie auf den Vesuv eingeladen. Ich stellte mich am bestimmten Tage des Morgens bei ihnen ein. Sie sagten mir, daß wir von hier erst zu der Prinzessin Monaco gehen würden, die uns auf ein Frühstück nach Portici auf eine Villa gebeten hätte. Ich freute mich jedesmal, wenn ich diese schöne Prinzessin sah, die soviel Gefühl und Geschmack für die Kunst hatte. Sie kam oft zu[309] mir mit der Duchesse Fleury, ihrer Freundin, von der sie fast unzertrennlich war. In Gesellschaft und auf Festen traf man sie immer nebeneinander, Arm in Arm geschlungen, und sie bildeten eine schöne Gruppe, die eine war blond, die andere braun. Als wir auf der Villa ankamen, fanden wir schon eine ziemlich große Gesellschaft, bei dem Eremiten aber, wohin der erste Ritt ging, sollten wir noch mehrere finden. In dieser Versammlung zeichnete sich ein junger Engländer als ein schöner Mann aus. Sein Gesicht war dem Herkules auf einem antiken Steine ganz ähnlich, der mit dem Namen »Der junge Herkules« sich unter den Kameen von Strozzi auf dem Museum befand und zu den ausgezeichnetsten Köpfen dieser Art gezählt wird. Die Augen der Damen waren auf sein schönes Gesicht gerichtet, und auch mir war es Freude, dieses junge Herkules-Antlitz zu sehen.

Als das Frühstück vorüber war, wurden die Pferde, Maulesel und Esel vorgeführt, und jeder bestieg nun seinen Träger. Der Engländer hatte vortreffliche englische Pferde, worauf sich einige Damen setzten; eins der besten ritt die Prinzessin neben dem jungen Herkules, und es wurde gescherzt und gelacht. Die schönen englischen Pferde neben den Eseln und langohrigen Maultieren nahmen sich sonderbar aus. So in lustigem Gelächter kam unsere Kavalkade endlich bei dem Eremiten an. Wir sahen schon den anderen Teil der Gesellschaft uns erwarten und uns entgegenkommen. Nun wurde abgesessen, mit frohlockendem Jubel begrüßt und mit offenen Armen entgegengeeilt! Die aber standen stumm, niedergeschlagen und blaß, und mit traurigen Mienen winkten sie, leise zu sprechen. Verwundert über diese Kälte, erfuhren wir von ihnen, daß eben der Eremit in dem Augenblick des Verscheidens sei und daß der Priester ihm schon die Letzte Ölung gegeben habe. Dieses Unvermutete brachte große Bestürzung hervor, denn wir dachten bei dem Einsiedler erst recht fröhlich zu sein.[310]

Ernstes Nachdenken und Schwermut bemächtigte sich jedes Gemüts. Die Gesellschaft war geteilt, einige saßen vor der Tür, andere in der räumlichen Wohnstube. Ein jüngerer Eremit, der dem Sterbenden als Nachfolger bestimmt war, schlich hin und her, ihm noch die letzten Dienste zu leisten, und wo er lachen hörte, winkte er. Es verbreitete sich eine feierliche Stille. Die Prinzessin Monaco sagte: »Ich will ihn doch noch sehen, den Mann, der sich so von der Welt abgesondert hat«, und wir gingen alle in die Kammer, wo er sterbend auf seinem Bette lag, mit der ruhigen Miene eines Heiligen. Die Prinzessin Monaco setzte sich neben ihn; ihr Gemüt wurde ergriffen, und ein Strom von schönen Gedanken floß von ihrem Munde. Sie machte die Umstehenden aufmerksam auf die ruhige Miene, womit er die Welt verlasse, den Wechsel des unruhigen Lebens, mit der Zuversicht eines besseren. »Oh, seht seine Ruhe! Er stirbt nicht jetzt, er starb, als er Eremit wurde. Die Welt hat er schon längst verlassen, und er wartete einsam, bis ihm die Himmelspforten geöffnet würden, durch die er nun zur Herrlichkeit eintritt.« Er verschied, und der Priester drückte ihm die Augen zu. »Ach, wer weiß«, sagte die Prinzessin zu den Anwesenden, »ob wir ein so ruhiges Ende haben und wie unsere Umgebung in der Sterbestunde sein wird! Er hatte gewiß eine schöne Seele; wer weiß, was ihn bewog, in der Einsamkeit seinem Leiden in süßer Wehmut nachzulauschen! Dieser Mann floh die schöne Welt, und in seiner letzten Stunde umgab ihn eine schöne Welt!«

Die meisten unserer Gesellschaft hatten alle Lust verloren, den Vesuv noch weiter zu besteigen, und kehrten wieder nach ihren Häusern. Nur der Graf Rasumowsky und ich blieben bis in die Nacht, um in dem Dunkel den Effekt des Feuers zu sehen. Wir gingen, so nahe wir konnten, ohne Gefahr zu laufen, von den glühenden Steinen, die von Zeit zu Zeit aus der Öffnung geschleudert wurden, getroffen zu werden. Es war grausend und fürchterlich! Doch, sagte der[311] Graf, sei das alles nichts gegen das Donnern und Feuern, als Oszakow mit Sturm eingenommen worden, wobei er mit gegenwärtig gewesen war. So geht denn das Lärmen der Menschen noch über das der Natur!

Ehe die Prinzessin Monaco wieder nach Frankreich zurückkehrte, kam sie noch mit ihrer Freundin zu mir und sagte: »Ich kann Neapel nicht verlassen, ohne Ihre Zeichnungen nach griechischen Werken noch einmal zu betrachten.« Es war eine Freude, zu sehen, mit welcher Aufmerksamkeit sie alles beschaute, und ihre Meinungen und Gefühle darüber zu hören. Sie äußerte sich traurig, daß sie nicht alles kaufen könnte, was sie so sehr liebe, denn die Revolution habe ihre Einkünfte zum Teil geraubt. »Aber etwas muß ich doch haben«, sagte sie und suchte sich Stücke aus, die von ihrem guten Geschmacke zeugten.

Nach einiger Zeit – es war in der Schreckensperiode des Robespierre – las ich in der Zeitung, daß die Prinzessin Monaco ihren Hals unter das Beil hatte legen müssen, den Tag vorher, ehe der Wüterich umgebracht wurde, und sie habe noch vorher ihr schönes Haar abgeschnitten mit der Bitte, es ihrem Gemahl nach Deutschland zu schicken. Ich erschrak über das Unglück der liebenswürdigen Prinzessin, und das Bild stellte sich mir vor Augen, wie ich sie neben dem sterbenden Eremiten auf dem Bette sitzen sah. Ihr blondes Haar war ihr aus der Flechte gegangen und hing lang herunter, und die Worte, welche sie sagte, fielen mir ein: »Ach, unter uns sind wohl manche, die nicht ein so ruhiges Ende haben werden wie dieser, der die Gesellschaft floh und doch bei seinem Ende eine so schöne Umgebung hatte.« Arme, was für Henkersknechte umgaben dich!

Die Eruption des Vesuvs, welche im Jahre 1794 den Ort Torre del Greco mit Lava überschwemmte, kündigte sich wie gewöhnlich lange vorher mit gewaltigem Getöse und Donner im Innern des Berges an. Die Bewohner in der Umgegend gerieten in Angst, und selbst in Neapel war man[312] besorgt, indem man den Berg ungewöhnlich stark donnern hörte. Da aber dessenungeachtet kein Ausbruch erfolgte, so befürchtete man ein Erdbeben, weil die Erde schon Bewegung hatte spüren lassen. Am Abend vor dem Ausbruche saß ich eben mit meinem Schüler Luigi Hummel bei Tische, und mein Bedienter stand neben mir, mit dem ich sprach. Auf einmal fiel dieser um. Wir beide lachten über ihn, und da er aufstand, sagte er: »Wenn ich nie ein Erdbeben erfahren habe, so möchte ich sagen, daß jetzt eins sei.« Ich hatte nichts gespürt, weil ich mich eben auf dem zurückgelegten Stuhle wiegte. Wir glaubten noch immer, daß sein von Wein benebelter Kopf, welches nichts Ungewöhnliches bei ihm war, die Schuld seines Falles sei, aber auf einmal vernahmen wir ein Geschrei von der Straße und aus allen Fenstern: »Terremoto! Terremoto! O Dio! Santissima Maria! S. Gennaro aiuta!« Die ganze Nacht hindurch blieben die Menschen voller Furcht auf der Straße; ich aber, der nicht wußte, daß ein Erdbeben, wenn alles unter einem wegsinkt und das Oberste über einem zusammenstürzt, einer der schrecklichsten Unfälle ist, ging zu Bette. Dann und wann wurde ich freilich aus dem Schlafe geweckt, durch das Gemurmel auf der Straße. An das Donnern des Berges war ich gewöhnt, weil ich zuweilen in Portici in dem Flügel des königlichen Schlosses wohnte, welcher gegen den Vesuv stößt, und mich manche Nacht an dem fürchterlich schönen Schauspiele erfreute und dem Donner und Getöse zuhörte, wie gewaltig die glühende Steinmasse gegen die inneren Felsenwände geschleudert wurde. Am folgenden Abend besuchte ich meinen Freund Kniep in Chiaja. Als ich durch die Villa reale gegangen war, sah ich viele Menschen in verschiedenen Gruppen stehen, die alle nach dem Monde schauten, welcher von dem dicken schwarzen Rauch, der die Spitze des Berges einhüllte, oft verdunkelt wurde und in vielerlei Gestalten sich zeigte. Bald war er viereckig, bald dreieckig, bald oben, bald unten abgeschnitten. Die[313] Schiffer, welche diese wunderbaren Veränderungen des Mondes für eine sichere Vorbedeutung eines Erdbebens hielten, waren in ängstlicher Erwartung, was da kommen werde; ich sah selbst eine Weile mit Verwunderung zu. Aus der Öffnung des Berges stieg es von der gewaltigen Hitze wie eine schwarze Säule gerade in die Höhe und fiel zum Teil auch wieder schwer nieder, und das gab dem Monde die wechselnde Gestalt, wenn es von unten oder von der Seite kam. Es war aber nicht Rauch, sondern schwarze Sandmasse. Ich ging zu Kniep und brachte mit ihm einen angenehmen Abend zu. Als wir bei Tische saßen, entstand auf einmal ein fürchterliches Geschrei auf der Straße von Männern, Weibern und Kindern: »La montagna da fuoco di sotto!« Alle sprangen auf und liefen vom Tisch auf die Straße. Ich blieb sitzen, weil ich mich freute, daß der Berg nun Luft bekommen habe; da sie aber nicht wiederkehrten, ging ich ans Fenster. Indem stieg eine lichte Flamme am Fuße des Berges, die nicht größer als eine Fackel war, immer mächtiger und höher. Ich ging auf die Straße und sah das geängstigte Volk mit Lichtern, Heiligenbildern und Kreuzen aus den Häusern kommen. Die Hände gen Himmel gestreckt, lagen sie auf der Erde. Einige machten in der Geschwindigkeit kleine Altäre, stellten Lichter davor und warfen sich platt auf den Boden, alle Heiligen anrufend; einige trugen Betten und Hausgerät und wollten im Freien bleiben, weil sie fürchteten, unter dem Schutte der Häuser begraben zu werden. Andere schlugen Zelte auf und brachten die Kinder darunter. Ich wollte den geängstigten Leuten, die mit der Verzweiflung rangen, Mut einsprechen und sagte: »Gute Menschen, uns braucht nicht mehr bange zu sein vor einem Erdbeben, der Vesuv hat jetzt Luft und kann sich seiner glühenden Eingeweide entledigen. Vorher stand es zu befürchten, weil da seine ganze Höhlung mit Glutmassen angefüllt war, welche, durch das untere Feuer heraufgetrieben, den Ausgang des Kraters verstopften;[314] nun es aber nach und nach unten hervorquillt, bleibt die Erde ruhig.« Aber das Volk war so in Verwirrung und Fanatismus, daß es durch lauteres Schreien und Beten zu allen Heiligen die Gefahr abzuwenden hoffte. Ein Mädchen im Wahnsinn fuhr mich fürchterlich mit Schimpfen an: »Voi siete un eretico e non credete agli angeli ed ai Santi! Kniet nieder und betet! Erkennt Ihr nicht, daß Gott zürnt und unsere Sünden nur durch Demütigung und Flehen abgewendet werden können?!« Ich erschrak über den Aufruhr des im höchsten Grade fanatischen Volkes mehr als über den Vesuv und fand, daß es nicht Zeit sei, mit Vernunft das Volk zu beruhigen, und zog mich daher still aus dem Gedränge. Während der Zeit war die erste Fontäne größer und höher geworden; dann zeigte sich noch eine, dann die dritte, bis endlich sieben Feuersäulen gegen den Himmel stiegen und die ganze Gegend erleuchteten, als stände alles in Feuer. Mitunter durchfuhren Blitze den schwarzen Rauch in Zickzack. Das Donnern und Prasseln und Zischen war fürchterlich, das Sieden, als kochte es in tausend ehernen großen Kesseln. Man vernahm eigentlich nicht, woher der Lärm kam, der Laut war überall, es schallte von allen Seiten her. Ein fürchterlich-prächtiges Schauspiel mit Blitz und Donner begleitet! Über den sieben Feuerstrahlen, die gegen den Himmel rauschten, stand die höchste Feuersäule, welche aus dem Krater der Bergspitze kam! Die Stadt Neapel mit ihren großen schönen Gebäuden wurde von dem hellen Scheine beleuchtet, als wäre alles von Feuer.

Um diesen seltenen Anblick besser zu genießen, beschloß ich, hinaus auf das Meer zu fahren. Ich nahm eine Barke und drei Rudermänner, die mich gegen den Feuerberg bringen sollten. Freund Kniep und mein Schüler Hummel stiegen mit ein, und je weiter wir hinaus ins Meer kamen, desto schöner wurde die Ansicht der Stadt. Besonders da, wo man mit einem Blicke alles übersehen kann: das schöne,[315] große Neapel, welches wie ein Amphitheater mit seinen Gebäuden an den Anhöhen hinaufsteigt, mit dem königlichen Schlosse und den anderen Palästen, den hohen Kirchen und langen Klöstern, den großen öffentlichen Gebäuden, den Kastellen am Meer und auf den Bergen, besonders mit dem Kastell S. Elmo, mit Capo di Monte und der Kartause. Dort der schiffreiche Hafen mit den vielen hohen Masten, die alle im feurigen Golde glänzten, und die ganze seltsam beleuchtete Gegend. Ringsherum, wo man nur hinblickte, war für die Augen ein Schauspiel einziger Art! Der Wasserspiegel, auf welchem ich sonst in stiller Nacht bei silbernem Monde fuhr und mich des blauen Phosphorfeuers freute, welches um den Nachen leuchtete und von den Rudern träufelte, schien heute ein gelbes Flammenmeer. Indem kamen wir dem Berge immer näher und hörten und sahen das innere Toben und Kochen. Von der höchsten Spitze war ein Teil abgesprengt, daraus strömte die glühende Lava den Berg herunter. Wo sie durch die Weingärten floß, brannten die Bäume in lichtgelber Flamme, denn dieses Feuer ist von hellgelber Farbe gegen die rote Lava. Der Rauch ist verschieden, dunkelrot, schwefelartig und graugelb. Zwischen dem Donner und Krachen hörte man ein furchtbares Sieden. Wir waren dem Berge nun ziemlich nahe gekommen, und ich konnte mir die große Eruption vorstellen, bei welcher Plinius ums Leben kam. Ich hielt für ratsam, wieder umzukehren, denn wer konnte wissen, was für eine Erschütterung im Meere vorgehen oder welch ein Auswurf von Asche über uns kommen konnte. Kaum hatte ich das Wort »umkehren« ausgesprochen, so sagte auch schon ein Schiffer: »Darauf habe ich längst gewartet, denn ich wollte nicht der erste sein, der es sagte, sonst würdet Ihr geglaubt haben, ich fahre Euch nicht gern. Aber der Teufel kann seinen Spuk im Berge haben und öffnet ein Feuerloch unter dem Meere. Obgleich wir auf dem Wasser fahren, so sind wir doch auf[316] dem Fuße des Berges, und man riecht jedesmal, wenn man hier fährt, die Asphaltausdünstung. Wer kennt die Röhren, die für uns verborgen hier unten laufen!« Schnell wendeten sie das Boot und regten die Ruder mit Eile. Ich haschte noch begierig jeden Blick von dieser einzigen Beleuchtung auf. Als wir dem Lande näher kamen, fanden wir längs dem krummen Meeresufer Tausende von Menschen, die dem seltsamen Schauspiele zusahen. Wir gingen nun nach S. Lucia, welches dem Vesuv gerade gegenüber liegt. Hier war Gedränge von Volk, das aus der Stadt zusammengeströmt war. Viele Priester standen auf Erhöhungen und predigten zu der Menge. Hier sind auch die Vorsätze, an denen die Schiffer landen, und als wir uns denselben näherten, erfuhren wir, welches Unglück der Berg verursacht habe. Es waren viele Flüchtlinge mit Weibern und Kindern und ihrem Hausgeräte aus der Gegend hier angekommen, welche sagten, daß der Ort Torre del Greco nicht mehr wäre; die Lava sei darüber hingeflossen und habe ihn ganz bedeckt. Es war entsetzlich, das Jammergeschrei anzuhören. Gegen solch ein Unglück ist aller menschlicher Widerstand eitel! Die Lava reißt alles um oder fließt darüber hin; dieses Mal war ihr Strom höher als ein Haus. Der Kirchturm ragte nur oben noch etwas hervor, und man konnte in den Turm hineinsehen, wo die Glocken unten hingen.

Als ich nach einiger Zeit hinkam, sah ich noch die schreckliche Verwüstung. Am Ende standen noch einige Häuser, einige waren halb weggerissen. Man konnte in Stuben sehen, in denen der Tisch noch gedeckt stand, mit dem Essen in der Schüssel und auf den Tellern; Messer und Gabel lagen noch, wie sie aus den Händen gelegt waren, als man durch den Ausbruch verjagt wurde.

Wunderbar nahm sich Neapel am folgenden Tage aus. Als ich am Morgen aufstand und aus dem Fenster schaute, war Himmel und Erde aschgrau. Die Leute gingen mit Regenschirmen, denn es regnete Asche, die aus ganz feinem[317] grauem Sande bestand. Dann ging ich auf den Lastrico, denn man hat hier keine schrägen Dächer. Oben lag nun die Asche, als ob es geschneit hätte. Die Eidechsen waren darüber hergelaufen und hatten mit ihren Pfoten die zierlichsten Figuren eingedrückt, ähnlich einer Ingenieurzeichnung von einer Festung. Auch Fliegen und andere Insekten hatten solche Zeichnungen im Gehen nachgelassen.

Hierbei will ich noch eines Bildes aus dem Buche der Herzogin Amalia von Weimar erwähnen, welche meinen Geist auf Zeichnungen bedeutenden Inhalts leitete. Ich wollte das Sprichwort »Wahl hat Qual« durch eine Begebenheit aus dem wirklichen Leben recht anschaulich darstellen und wählte dazu einen Vorfall, der sich bei der Zerstörung von Torre del Greco zugetragen hatte. Links im Hintergrunde des Bildes der Vesuv, aus dem große Feuersäulen aufsteigen, während Asche und Rauch, von einzelnen Blitzen durchzuckt, die Gegend verfinstern und ein mächtiger Lavastrom sich immer näher herandrängt, aus welchem ein Sohn seinen alten Vater tragen will. Der Weg geht zwischen dem herankommenden Feuerstrome und dem Meere hin. Es ist unmöglich, hinüberzukommen, denn der Jüngling war schon viele Male erschöpft an Kräften niedergestürzt. Der Vater sieht, daß sich wenigstens der Sohn allein noch retten kann, und mit der strengsten Vaterwürde befiehlt er ihm, zu fliehen, ihn liegen zu lassen, weil er doch bald sterben müsse, sich selbst aber zu retten, um die Mutter und die Geschwister zu ernähren. Man denke sich den Kampf der Wahl! Der Sohn kann den Vater nicht verlassen, und doch treiben ihn dessen Bitten endlich fort, da die Lava schon nahe bei ihnen ist. Aber schrecklich ist seine Flucht! Noch immer unentschlossen und schwankend zwischen Fliehen und Bleiben, den einen Fuß vorgesetzt zur Flucht, aber Kopf und Oberteil des Körpers zurückgebogen zum Vater, die eine Hand zum Himmel gewandt, die andere dem Vater zum letzten Lebewohl, malt sich in seinem Gesichte Unentschlossenheit[318] und Verzweiflung. »Gehorche! Tue, was der Vater dir gebeut!« spricht der Alte. – »Du zogst mich beim Korallenfange aus dem Wasser«, erwidert der Jüngling, »und ich soll dich im Feuer liegen lassen?« – »Ich bin alt«, antwortet jener, »doch rette du dich; du mußt jetzt für deine Mutter und Geschwister Vater sein!«

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 306-319.
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