Acetum

[11] Acetum.

Acetum, frantzösisch Vinaigre, Weineßig, oder Eßig, ist eine saure Feuchtigkeit, die jederman bekannt genug. Dieselbige wird aus dem Weine durch eine abermahlige fermentation bereitet, indem sein tartarus, der Weinstein dadurch aufgelöset, und dünn gemachet wird. Diese Auflösung geschiehet gantz natürlicher Weise; dann, wann der Wein beginnet alt zu werden, so werden die subtilsten schwefelichten Theilgen zum Theil zerstreuet; dargegen schleichet sich der Weinstein ein in deren Stelle, und figiret und verwickelt die übrigen geistigen Theilgen des Weins, daß sie nicht mehr das ihrige verrichten können.

Damit aber der Wein geschwinder sauer werden möge, so leget man das Faß, darinn er ist, an einen warmen Ort: findet sich nun Weinstein an desselben[11] Seiten, so zergehet er und vermischt sich mit dem Wein. Wobey zu mercken; wann der Wein sauer wird, so wird seiner nicht weniger, vielmehr wird er vermehret, weil eben nicht zu verspüren, daß viel davon verflieget, sondern daß der Weinstein dünne worden. Ist kein Weinstein in dem Fasse Wein, der sauer werden soll, so muß man Wein-Hefen drein schütten, und es von Zeit zu Zeit umrütteln: dann die Mutter oder Hefe des Weinsteins ist ein Weinstein, dessen saltzige Theilgen sich unfehlbar in dem Wein auflösen werden.

Ein klar und reiner abgezogner Wein, von dem die Mutter samt dem Weinstein abgenoen worden, wird doch auch manchmahl sauer, wann er eine Zeitlang an der Luft gelegen, absonderlich im Sommer. Dann, obschon dieser Wein auch noch so hell und lauter ist, doch hat er allezeit gar viel tartarische Saltztheilgen annoch bey sich, die sich dann dergestalt ausbreiten und verdünnern, daß sie endlich die Oberhand über die flüchtig- und geistigen Theilgen erhalten. Jedoch hat der auf diese Weise bereitete Weineßig bey weitem keine solche Kraft, als wie derjenige, in dem viel von dem Weinstein und den Hefen ist zergangen und aufgelöset worden.

Es ist nicht nöthig, den Ursprung des Weineßigs anderswo als in dem tartaro zu suchen: dann der Weinstein ist das eintzige Stück, welches das saure Saltz des Weins in sich enthält. So lange als der Wein bey seiner Kraft verbleibet, so zertheilet der darinne sich befindende Schwefelgeist den groben tartarum, der sonsten an des Fasses Boden und die Seiten sich anleget, und hält dasjenige, was davon aufgelöset ist, vermittelst seiner zackigten Theilgen, dergestalt gebunden, daß von demselbigen nur eine gar geringe Empfindung, oder ein liebliches Kützeln den Nerven des Geschmacks wird mitgetheilet. Alleine, wann der Wein abstehet und schwach wird, entweder weil sein Spiritus verflogen, oder, er hat zum andernmahl fermentiret und gegohren; das mag nun herkommen, wo es will; so machen sich die tartarischen oder saltzigten Theilgen los, werden dünner, zertheilen sich, und herrschen, so zu reden, über den Schwefel-Geist, der sie gleichsam gefangen und wie eingesperrt gehalten hat. Wann dann das saure Saltz, welches aus eitel zart- und kleinen Spitzlein bestehet, nur einmahl seine Freyheit hat erlanget, so hebt es alsbald an zu würcken, das sticht so ziemlich scharff, wann man es in den Mund und auf die Zunge nimmt.

Die Eßigmacher legen indianischen Pfeffer in ihren Eßig, damit er desto stärcker werde.

Es giebet zweyerley Weineßig: rothen, der von rothen Wein bereitet wird; und weissen, der von weissen oder blancken Wein wird zugerichtet. Einige nennen auch den destillirten Weineßig weissen Weineßig.

Der Weingeist, eigentlich zu reden, ist ein gereinigter Verjus oder unreiffer Traubensaft. Dann der Saft von allerhand noch grünen Trauben bekommt, nach mancherley Ausarbeitung, so wohl natürlicher, als künstlicher, seine Säure wieder: und wird gar dienlich seyn, daß ich dasselbige hier nach der Reihe her erzehle.

Wann die Traube noch gantz grüne ist, so ist sie herbe und anziehend, oder strenge, dieweil ihr saures[12] Saltz in ein und andere irdische Theilgen, die durch der Sonnen Hitze nicht genugsam sind gekochet worden, annoch verwickelt ist.

Hat dann die Traube mehr und mehr gewachsen, und ist dicker worden, so wird ihr Saft nicht mehr so herbe und anziehend seyn: und dieses heist alsdann der Verjus. Es ist damahls darbey eine gar geringe fermentation vorgangen, dadurch die Fäslein in der Frucht sind etwas dünn und zärter worden; dahero sind die sauern Theilgen nicht so sehr mehr in denen irdischen verwickelt: und aus eben dieser Ursache stechen sie mehr auf der Zunge, wie vorhin.

Ist nun die Traube reiff und zeitig, so wird sie süsse, da sie zuvor sauer war, weil durch die fermentation die ölichten particulgen, die vorher nicht zu spüren waren, ob sie schon in der Frucht bereits vorhanden, sich anjetzo mehr und mehr ausbreiten, die sauern Theilgen verwickeln, und verhindern, daß dieselbigen die Nerven in der Zunge nicht weiter so, als wie zuvorher, stechen mögen. Jedannoch sind dieselben sauern Theilgen, ob sie gleich noch so sehr verwickelt sind, gut und verhelffen zum Geschmack; dann, wann sie nicht vorhanden wären, würden die ölichten Theilgen gar zu geschwinde über die Zunge hinweg wischen, und keinen sonderlichen Schmack nicht machen. Daß also das saure allerdings gar nöthig ist, damit das Oel davon durchdringender gemachet werde, und der süsse Geschmack daraus entstehe. Dann es kan dieser Geschmack nie nicht zu wege gebracht werden, ohne durch solche Dinge, die zugleich saltzigt sind und sauer, anbey aber auch ölicht oder schwefelicht.

Es könten noch mehr Grade der fermentation in der Traube betrachtet und angeführet werden, welche sich begeben, wann die Traube zeitiger und zeitiger, daher auch süsser wird; dann das Oel verwickelt alsdann die sauern Theilgen immer mehr und mehr.

Der Saft der Traube fermentiret dannoch nicht genug, so lange als er in den Beeren stickt, daß Wein draus werden könne. Alleine, wann durchs pressen die Fäserlein der Frucht zerrissen, und die Ordnung ihrer Theilgen ist gebrochen worden, sodann geschiehet eine gewaltsame fermentation, dadurch das Oel verdünnert und rareficiret wird, und das saure Saltz überkommt einige Freyheit wieder, daß es so lieblich auf der Zunge kützeln kan, gleichwie am Weine zu verspüren.

Endlich kommt noch die letzte fermentation dazu, dieselbige figiret und zerstöret einiger massen den Schwefelgeist im Weine, und setzet die sauern Theilgen wiederum in völlige Freyheit, wie an dem Weineßig zu sehen. In solchem Stande bleiben diese sauren Theilgen eine gute Zeit, bis daß, nachdem sie von den geistigen und schwefeligten Theilgen, die sie gleichsam gebunden halten, sind lange genug und unaufhörlich bewegt worden, sie in die Luft verfliegen: daher der stärckeste Weineßig mit der Zeit gantz unschmackhaftig wird, oder verliehret wenigstens schier alle seinen Geschmack.

Der Weineßig hat viel saures Saltz bey sich, welches durch eine gnugsame Menge Schwefelgeist halbflüchtig ist gemachet; desgleichen etwas Oel und Erde, vor allen aber Feuchtigkeit genug.

Er hält an; widerstehet der bösen Luft: erfrischet indem er die allzuheftige Bewegung der humorum hemmet: und dienet wider die Bräune und Blutstürtzungen.

[13] Wann man einen Löffel voll Weineßig unter 12. biß 15. Löffel Wassers schüttet, so wird ein Tranck daraus, Posca, Oxycratum, frantzösisch, Oxycrat, teutsch, Laur, genannt: den gebrauchet man auch zu Clystiren, Gurgelwasser und Bähungen.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 11-14.
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