Lapis serpentis

[613] Lapis serpentis.

Lapis serpentis, frantzösisch, Pierre de serpent, und auf teutsch, Schlangenstein, ist ein platter, gantz runder Stein, der so breit ist als wie ein Liard in Franckreich; iedoch bisweilen auch oval, dick in der Mitten und am Rande dünn, zart und von Farbe schwartz. Viel Historici mercken an, daß dieser Stein sich in dem Kopfe einer Schlangenart befinde, welche die Portugiesen Cobra de capelos, die Frantzosen aber Serpent au chaperon, zu nennen pflegen: im teutschen heisset sie die Brillenschlange: denn sie hat auf ihrem Kopfe gleichsam wie eine Haube oder Mütze: und auf derselbigen eine Figur wie eine Brille: sie hält sich auf der Küste von Melinde in America auf. Allein, die heutigen Scribenten wollen lieber glauben, daß dieser Stein ein Gemenge sey von allerhand wider den Gift dienlichen Materien; solches werde von den Indianern zubereitet, und daraus dergleichen Küchlein zugerichtet, wie wir zu sehen kriegen. Dem sey iedannoch wie ihm wolle, der Stein wird in gar vielen Landen hoch geacht.

Er dienet wider den Biß von giftigen Thieren, wird auf den Schaden gelegt, und soll, wie sie vorgeben, alles Gift, das darein mag gerathen seyn, heraus und an sich ziehen.

Doch ist noch zu mercken, wann dieser Stein soll seine rechte Wirckung sehen lassen, daß aus der Wunde einige Tropfen Blut fliessen müssen: im Fall nun selbe nach dem Bisse nicht geblutet, müsse der angebissene Ort, mit einer Lanzette oder andern Instrumente nur leicht geritzet werden, damit das Blut nachgehe; hernachmahls wird der Stein darauf gelegt, der hängt sich alsobald dran an, welches allen Vermuthen nach der Leim, den er vom Blute überkommen hat, zu wege bringen muß; weil auch der Stein alkalisch ist und absorbirend, so muß ihn freylich[613] die scharffe Säure des Gifts durchgehen und anhengen. Sie sagen auch, der über grosse Schmertzen, den der Patiente in der Wunde empfindet, der werde nach und nach gemindert, und höre endlich gäntzlich auf. Auf der Wunde wird er so lang gelassen, bis daß er von sich selbst abfällt. Dieses muß nun wol geschehen, wann das Geblüte trocken worden ist, und ferner keinen Leim mehr giebet, ingleichen, wann der Stein sich hat voll Säure in der Wunde gezogen, und ist schwer geworden. Sodann wird er mit Milch gewaschen, in die er, ihrer Sage nach, den Gift ablegen soll, darauf rein abgetrocknet, und wieder auf die Wunde aufgelegt, da hängt er sich nicht mehr so leichtlich, als wie zuvorhero an, vermuthlich, weil er nicht mehr so viel Leim gefunden, weil er nicht mehr so alkalisch ist, und auch nicht mehr soviel vom sauren findet, das ihn anhengen kan. Den Stein legen sie abermahls in Milch, wann er ist abgefallen, und verfahren dergestalt damit, bis daß er nicht mehr an der Wunde kleben bleibt: das halten sie alsdann für ein gewisses Zeichen, daß alles Gift heraus gezogen sey, und folglich auch der Patient genesen.

Dieses Steines übergrosse Kraft und gantz verwundersame Tugend, haben zwey unter den berühmtesten Physicis, der P. Kircher, und der Ritter Boyle ausgebreitet. Beyde versichern, daß sie die Proben mit ihren Augen angesehen: iedannoch wunderts mich, daß man ihn nicht auch bey dem Bisse eines tollen Hundes hat versuchet, um zu erfahren, ob es dann dabey gleichfalls so glücklich, als wie bey dem Bisse andrer giftiger Thiere abgegangen wäre.

Eben dieser Stein wird auch innerlich gebraucht: sie nehmen einen, der zerbröckelt ist, oder der noch nie zu solcher Arbeit hat gedienet, giessen Wasser drauf, und lassens eine Weile stehen, hernach nehmen sie dasselbe ein, das soll dem Gifte gleichfalls widerstehen.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 613-614.
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