Moschus

Gazella, ubi Moschus.
Gazella, ubi Moschus.

[744] Moschus.

Moschus.

Capreolus moschi.

Moschius.

Gazella Indica.

Dorcas moschi.

frantzösisch, Gazelle.

teutsch, Bisamthier, Muscusthier.

Dieses Thier soll, der Sage nach, die Farbe und die Gestalt einer Hirschkuh haben. Sein Haar ist so lang als der kleine Finger eines Kindes, gekräuselt, trocken und bricht gar leicht. Es fället in den Königreichen Boutan, Tunquin, und an vielen Orten mehr in Asien. Es hält sich im Gebüsche und[744] in Wäldern auf, woselbst es auch gejaget wird. Wann es getödtet worden, so wird ihm die Blase weggeschnitten, die es unter seinem Bauche hat, und das geronnene Geblüte davon abgesondert, das sie in der Sonne trocknen lassen. Daraus wird eine Materie wie Moos, die ist leichte und schier eitel Pulver, dunckelröthlicht von Farbe, und überkommt einen starcken, ziemlich unannehmlichen Geruch. Die wird alsdann in die Blase gethan und versendet, und ist der Moschus oder Bisam, den wir zu gebrauchen pflegen.

In dem Königreiche Boutan findet sich insonderheit eine unbeschreibliche Menge dieser Thiere, die den Bisam geben. Gemeiniglich werden sie in dem Vorjahre, oder zu Anfang des Sommers gefangen; dann, weil sie den Winter hindurch, des Schnees wegen, der in diesen Landen bis auf acht und zehen Schuhe hoch zu fallen pfleget, grossen Hunger leiden müssen, so kommen sie Nahrung zu suchen. Es ist damahls ihr gantz Geblüte in einer starcken Guhr und heftigen Hitze, und der Moschus, der daraus sich sondert, dermassen starck und geistig, daß keiner seinen Geruch vertragen würde können, wofern er nicht beym trocknen eine Zeitlang an die Luft gestellet würde.

Man bekommt von einem ieden dieser Thiere nicht eben gar viel Bisam: dann, sie haben nur eine einige Blase, welche aufs höheste nur so viel Blut kan geben, als zu drey Quintlein trocknen Muscus gnug ist. Wie man saget, so soll aus dieser Blase, so lange das Thier in der Brunst gehet, ein Geschwüre werden, welches ihm viel Ungelegenheit und starckes jucken verursachet, daher es diesen Ort gegen die Steine und Stämme der Bäume so starck reibet, daß es aufspringen muß: wann nun der Eyter heraus läufft, giehret oder fermentiret und an der Sonne trocken worden, so werde er zu Bisam.

Bey dieser Geschichte mag wol nichts unmöglichs unter lauffen: iedannoch kan man nicht zugeben, wie doch schier alle, so alte als neue Naturkündiger gethan haben, daß aller Muscus, der uns zugeführet wird, von diesem Geschwüre entstehe. Dann es hat kein Ansehen, daß sie dieser Thiere Spur, in Höltzern und Wäldern, solten verfolgen, um den Eyter zu versammlen, den sie bald an solchen Orten, dahin man schwerlich kommen kan, oder in den Koth, oder in den Sand verschüttet hätten. Würden wir demnach keinen andern als solchen Muscus bekommen, so dürffte er viel seltsamer und rarer, und auch weit theurer seyn, als er nicht ist. Uberdiß würde das vertrocknete Geschwüre eine gantz andre Farbe haben, als wie der Bisam hat, und weißlichtgrau aussehen.

Wer den Muscus in Blasen kauffen will, muß den erwehlen, der recht trocken ist, da die Blase sehr dünne ist, und wenig Haare hat. Dann ie mehr Haare und Haut dabey, ie weniger ist von der Waare drinne. Das Haar muß auch braun sehen; und dieses ist des Muscus aus Tunquin, als welcher für den besten gehalten wird, sein Zeichen. Der Muscus aus Bengalen ist in solchen Blasen, die mit weissem Haar besetzet sind.

Wann der Muscus aus der Blase ist genommen worden, so muß er in einer bleyernen Büchse verwahret werden, damit dieses kühle Metall verwehre,[745] daß er nicht zu trocken werden könne, noch zuviel von seinen flüchtigsten Theilgen verliehren möge. Man soll auch den erwehlen, der ziemlich trocken ist, eine röthlichte Farbe hat, einen angenehmen Geruch und bittern Geschmack. Er ist fast lauter Schwefel, oder Oel und flüchtig Saltz; führet gar wenig Erde bey sich. Er hat einen verdrießlichen, unangenehmen Geruch, wann man auf einmahl eine grosse Menge zu riechen bekommt: hingegen riechet er gar lieblich und gantz wol, wann man nur einige wenige Gran mit einer andern Materie hat vermischet. Dieser Unterschied rühret daher, daß so ein Hauffen von den Theilgen davon auszudünsten pflegen, wann seiner eine grosse Menge bey einander ist, welche die Nerven des Geruchs drücken, und denenselbigen beschwerlich fallen: hingegen, wann seiner nur eine geringe Menge ist, so sind die wenigen flüchtigen Theilgen, die sich davon erheben, nicht so gar mächtig, sondern kützeln allein dieselben Nerven angenehme. Der Muscus war vor diesem bey den Parfumirern und Zuckerbeckern weit mehr gebräuchlich, als ietzo: dann ietziger Zeit hat man recht eine Furcht davor, weil er, absonderlich bey Frauensleuten, die Dünste rege machet.

Er stärcket das Hertze und das Hirn, ersetzet die verlohrnen Kräfte, widerstehet dem Gifte, zertreibet die groben Feuchtigkeiten und macht sie dünne: er machet guten Samen, und treibet die Winde. Auf einmahl wird ein halber Gran, bis auf vier gantze eingegeben. Er dienet zur Taubheit, wann er mit etwas wenigen Baumwolle ins Ohr gestossen wird. Er wird auch in die Gebährmutter gestecket, die Dünste zu dämpfen.

Wann der Bisam den Geruch verliehret, wie unterweilen zu geschehen pflegt, so darff man ihn nur in die Brille eines Privetes hengen, davon wird er wiederum gut werden, und seinen Geruch aufs neue überkommen. Welches andeutet, daß des Bisams sein Grundstück ein excrementum oder Auswurff ist, oder aber, daß er mit dem Miste und Unflat vieler Thiere zu vergleichen ist und würcklich das Gehirn von einem kleinen Schweine oder Ferckel, riecht als wie Muscus, da es sich doch vom Unflat und dergleichen andern riechenden Dingen ernähret. Der Tauben und noch mehr andrer Vögel Mist, reucht eben auch also.

Moschus quasi Muscus, Moos, dieweil der Bisam mit dem Moos so eine Gleichheit hat: oder es muß dieses Wort von dem arabischen Mosch oder Musch herkommen, welches gleich so viel bedeutet.

Dorcas, δορχἀς, kommt von δέρχω, video, ich sehe: welcher Name dem Muscusthiere deswegen ist gegeben worden, dieweil es ein gar scharff Gesichte hat.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 744-746.
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