104.

Gestern Morgens hat man Rettung

Vor der Trauer mir gebracht,

Lebenswasser mir gegeben

In dem Dunkel jener Nacht;

Mich dem eig'nen Ich entrissen

Durch des Wesens Strahlenschein

Und in heller Eigenschaften

Glase mir gereicht den Wein.

Ein gar segenreicher Morgen,

Ein Moment, reich an Gewinn,

War die Kraftnacht, wo man diesen

Neuen Freibrief mir verlieh'n.

Eine Stimme rief vom Himmel

Diese Freudenspost herab,

Als in jenem Schmerz und Leide

Man Geduld und Muth mir gab.

Künftig blick' ich in den Spiegel

Seines Schönheitslobes nur,

Denn vom Schimmer Seines Wesens

Zeigte man mir dort die Spur.

Ob man – bin ich froh und glücklich –

Sich darüber wundern soll?

Ich verdient' es, und man schenkte

Dieses mir als Glaubenszoll.

Aller Honig, aller Zucker,

Dessen nie mein Wort entbehrt,

Ward durch jene Zuckerstange

Mir als Dulderlohn beschert.

Dass ich endlich würde siegen,

Hab' ich an dem Tag geseh'n,

Wo man mir Geduld gegeben,

Feindeshohn zu widersteh'n.[573]

Nur Hafisens Muth' und Jenen,

Die da weckt der früh'ste Strahl,

Dank' ich's, dass man mich gerettet

Aus den Banden ird'scher Qual.

Als Hafis gefesselt wurde

Durch dein schönes Lockenhaar,

Sprach er: »Von der Trauer Banden

Ward ich frei für immerdar.«

Streue du des Dankes Zucker

Aus Erkenntlichkeit, Hafis,

Dass man mir ein Bild gegeben,

Das so reizend ist und süss.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 571-575.
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