107.

Über meine Augenspiele

Wundern Schwachgesicht'ge sich,

Ganz bin ich, wie ich geschienen:

Doch sie wähnen anders mich.

Weise Männer sind die Punkte

In des Lebens Zirkelkreis:

Doch es schwindelt sie darinnen,

Wie gar gut die Liebe weiss.

O des Trug's, mit Liebe prahlend

Zu beschuldigen den Freund!

Weil, wer solche Liebe spielet,

Nur der Trennung werth erscheint!

An die Eigner süsser Lippen

Knüpfte Gott der Herr mein Loos;

Dieses Volk ist der Gebieter,

Und wir sind die Diener bloss.

Wer's von deinem schwarzen Auge

Hat gelernt, nur der allein

Kann für eingezogen gelten

Und zugleich auch trunken sein.

Nicht nur meine Augen blicken

Auf Sein holdes Wangenpaar,

Dreh'n doch um denselben Spiegel

Mond und Sonne sich sogar.

Wäre erst den Schenkenjungen

Meine Sinnesart bekannt,

Nähmen sie die Ssofi-Kutte

Nicht mehr an als Unterpfand.

Arm bin ich und Wein und Sängern

Leidenschaftlich zugethan;

Wehe, nimmt die woll'ne Kutte

Man als Unterpfand nicht an![581]

Trägt der Wind einst deine Düfte

In der Geister Wonnehain,

Müssen ihres Lebens Perle

Seele und Verstand dir weih'n.

Blinden Fledermäusen ziemet

Der Genuss der Sonne nicht:

Denn es blendet dieser Spiegel

Selbst das schärfste Augenlicht.

Fasst Hafisens wüstes Treiben

Auch kein Frömmler; immerhin!

Muss der Diw doch vor dem Volke,

Das den Koran betet, flieh'n.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 579-583.
Lizenz:
Kategorien: