108.

Engel klopften – gestern sah ich's

An das Thor der Schenke an,

Kneteten den Lehm von Adam,

Warfen ihn in Becher dann.

Die im Keuschheitsheiligthume

Wohnen in der Geister Reih'n,

Gaben mir, dem Staubbewohner,

Den berauschend süssen Wein.

Gar zu schwer erschien dem Himmel

Das ihm anvertraute Pfand:

Desshalb ward mir Liebestollem

Dieses Loos hier zuerkannt.

Dank sei Gott, dass wir im Frieden

Wieder leben, ich und Er:

Tanzend trinken drum die Huris

Den Pocal des Dankes leer.

Sollen hundert Garben Wahnes

Nicht beirren meine Bahn,

Wenn bei'm klugen Vater Adam

Dies ein einz'ges Korn gethan?

Wirf den zwei und siebzig Secten

Nimmer ihr Gezänke vor:

Weil sie nicht die Wahrheit schauten

Pochten sie an's Mährchenthor.

Das nicht ist das wahre Feuer,

Dessen Gluth auf Kerzen lacht;

Das nur ist's, wodurch des Falters

Garbe hell man angefacht.

Aller stillen Klausner Herzen

Füllt der Liebe Punkt mit Blut,

Gleich dem Maal, das auf der Wange

Eines Seelenfreundes ruht.

Wie Hafis enthüllte Keiner

Der Gedanken Angesicht,

Seit den Bräuten holder Rede

Man die schönen Locken flicht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 583-585.
Lizenz:
Kategorien: