57.

Eine Lichtgestalt wie deine

Ward dem Monde nicht beschert

Und vor dir hat eine Rose

Keines Halmes nied'ren Werth.

Deiner Augenbrauen Winkel

Wählt' ich mir zum Seelenhaus:

Einen schöner'n Winkel suchet

Selbst ein Kaiser sich nicht aus.

Wird wohl je auf deine Wange

Wirken meines Herzens Rauch?

Wie du weisst, erträgt ein Spiegel

Nimmer eines Seufzers Hauch.

Deines Haares Übergriffe

Treffen wohl nicht mich allein:

Denn, wem brannte dieser Schwarze

Maale in die Brust nicht ein?

Jenes Auge schwarzen Herzens

– Und ein solches hast ja du –

Wirft – ich sah es – den Bekannten

Keinen Blick des Trostes zu.

Du, o Schenkenjünger, reiche

Mir ein vollgefülltes Glas,

Auf das Wohlsein eines Scheïches,

Der ein Kloster nie besass.

Trinke Blut und dulde schweigend,

Kann's doch jenes zarte Herz

Nicht ertragen, dass ein Armer

Klage in zu lautem Schmerz.

Sieh die Frechheit der Narzisse,

Die vor dir zu blühen wagt:

Ihrem aufgeriss'nen Auge

Ist die Sittsamkeit versagt.[447]

Mit dem Blut des Herzens wasche

Sich den Ärmel Jedermann,

Der den Weg zu dieser Schwelle

Nimmermehr betreten kann.

Wenn Hafis dich angebetet,

Geh' mit ihm nicht in's Gericht:

Wer zum Ketzer wird aus Liebe,

O mein Götze, sündigt nicht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 445-449.
Lizenz:
Kategorien: