59.

In uns'rem Kreis ward gestern Abends

Erzählt von deiner Locken Pracht;

Man sprach von deines Haares Kette

Bis tief hinein in's Herz der Nacht.

Das Herz, das blutet, weil zum Ziele

Dein Wimpernpfeil es sich erkor,

Sehnt sich nach deiner Brauen Bogen

Mit gleicher Gluth wie je zuvor.

Vergelt' es Gott dem Morgenwinde,

Der Kunde mir gebracht von dir,

Denn ein Bewohner deines Gaues

Traf nie zusammen noch mit mir.

Das Unheil, das die Liebe stiftet,

War auf der Erde unbekannt,

Bis durch den Zauber deines Blickes

Der Aufruhr in der Welt entstand.

Ich, der Verwirrte, war noch immer

Entgangen jeglicher Gefahr;

Da ward zum Netz mir auf dem Wege

Dein inderfarb'nes Lockenhaar.

O löse deines Kleides Bande!

Dann löst in Lust sich auch mein Herz:

Denn nur von deiner Seite wurde

Mir Lösung stets von jedem Schmerz.

Bei deiner Treue sei beschworen!

Geh' an das Grabmal des Hafis,

Der deine Züge wünscht zu schauen,

Auch wenn er schon die Welt verliess.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 451-453.
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