99.

Es will des Morgenwindes Hauch

Nur Moschusduft verstreuen;

Es will die Welt, die alte, sich

Nun abermals erneuen.

Es will der Erg'wan dem Jasmin

Den Onixbecher spenden

Und die Narzisse ihren Blick

Nach Anemonen wenden.

Die Tyrannei des Trennungsgram's,

Die lang den Sprosser quälte,

Will dringen unter Wehgeschrei

Bis zu der Rose Zelte.

Lass ungeschmäht aus der Moschee

Mich nach der Schenke ziehen:

Die Predigt währt ja gar zu lang,

Auch will die Zeit entfliehen.

O Herz, wenn du die heut'ge Lust

Auf morgen übertragen,

Wer will des Lebens Capital

Dir zu verbürgen wagen?

Lass dir im Monate Schăbān

Den Becher nicht entwinden,

Denn diese Sonne will dem Blick

Für einen Mond entschwinden.

Die Rose ist ein theures Gut:

Benütze ihr Verweilen:

Sie kam auf diesem Weg' und will

Auf jenem bald enteilen.

O Sänger, hier im trauten Kreis

Lass tönen deine Lieder!

Sagst du noch lang: »So war es einst,

Und so will's werden wieder?«

Hafis ist deinetwegen nur

In's Land des Sein's gekommen;

Bald will er weiter zieh'n: d'rum komm

Und – Abschied schnell genommen!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 559-561.
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