10.

Gestern war's, als aus dem Tempel

Unser Greis in's Wirthshaus trat;

Ordensbrüder! was beschliessen

Wir, nach einer solchen That?

Und wie wenden zu der Ka'ba

Wir uns hin, der Jünger Schaar,

Wenn zum Weinhaus sich der Meister

Hält gewendet immerdar?

Nun so lasst denn gleichen Schrittes

Uns auch in die Schenke geh'n,

Denn so muss es, durch des Schicksals

Ewigen Beschluss, gescheh'n.

Wüsste Weisheit, wie sich selig

Fühlt das Herz in Seinem Haar,

Des Verstandes würden Weise,

Meiner Kette wegen, baar.

Kaum dass sich die Ruh' im Netze

Meines Herzensvogels fing,

Als du deine Locken löstests

Und die Beute mir entging.

Einen Koransvers der Anmuth

Macht' dein Huldgesicht mir klar:

Desshalb trifft nur Huld und Anmuth

Man in meinem Commentar.

Ist des Nachts nicht einzuwirken

Auf dein Felsenherz im Stand'

Meiner Seufzer Feuerregen

Und des Busens nächt'ger Brand?

Als der Wind dein Haar berührte,

Schien die Welt mir schwarz zu sein;

Keinen and'ren Vortheil brachte

Deines Haares Lust mir ein.

Meiner Seufzer Pfeil durchdringet

– Schweig', Hafis – des Himmels Schloss:

Sei der eig'nen Seele gnädig

Und vermeide mein Geschoss!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 27-29.
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