54.

Der Mann in meinem Auge blicket

Nur dir in's holde Angesicht,

So wie mein Herz, in wüster Irre,

Nur dein gedenkt und von dir spricht.

Ein Pilgerkleid trägt meine Thräne

Und kreist um deinen heil'gen Schrein,

Ist gleich vom Blut des wunden Herzens

Es keinen Augenblick ganz rein.

Streut der Verarmte, der dich liebet

Sein Herzgeld hin, leicht an Gewicht,

So schilt ihn nicht, denn bare Münze,

Wie sie cursirt, besitzt er nicht.

An jene höchste der Zipressen

Reicht jedes Mannes Hand zuletzt,

Der an die Lust dich zu besitzen

Nicht ein nur nied'res Streben setzt.

Von 'Îsa, der zum Leben wecket,

Sprech' ich vor dir kein Wörtchen mehr,

Weil im Beseelen deine Lippe

Ja weit erfahr'ner ist als er.

Da sich im Feuer deiner Liebe

Kein Ach mir aus dem Busen stahl,

Wie kannst du sagen, ich ertrüge

Nicht mit Geduld des Herzens Maal?

Im Käfich, wie ein scheuer Vogel,

Vollbringe seinen Lebenslauf

Der Sänger auf dem Sidrabaume,

Fliegt, dein begehrend, er nicht auf.

Am ersten Tag' schon, wo ich schaute

Dein Lockenhaar, musst' ich gesteh'n,

Von der Verwirrung dieser Kette

Sei wohl kein Ende abzuseh'n.

Die Lust nach deinen Banden fühlet

Wohl nicht Hafisens Herz allein:

Wem mag die Lust nach deinen Banden

Nicht im Gemüthe heimisch sein?

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 183-185.
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