86.

Ein Fallstrick für den falschen Glauben,

Wie für den wahren, ist dein Haar

Und stellt sich als ein zartes Pröbchen

Aus Gottes Künstlerwerkstatt dar.

Die Schönheit selbst staunt deine Reize

Gleich einem Wunder an; allein

Was man von deinem Blick erzählet,

Sind gar erst off'ne Zauberei'n.

Die Wunder, die einst 'Îsa wirkte,

Entkräftet deiner Lippen Paar,

Und einem starken Seile gleichet,

Was man erzählt von deinem Haar.

Gezollt sei jenem schwarzen Auge

Des Beifalls hundertfacher Zoll.

Denn Zauberei erschafft's und lehret,

Wie man Verliebte morden soll.

Es ist der Liebe Sternenkunde

Die wunderbarste Wissenschaft,

Da sie zum siebenten der Himmel

Die siebente der Erden schafft.

O sage nicht, die Seele rettend

Stieg der Verläumder in das Grab:

Er legt erst den geehrten Schreibern

Die Rechnung seiner Thaten ab.

Wie kann ich wohl die Seele retten

Vor Seines Auges Schelmerei?

Ich weiss ja, dass mit einem Bogen

Er lauernd im Verstecke sei.

Hafis, vor Seiner Lockenschlinge

Sei immerdar auf deiner Hut!

Er hat dir schon das Herz geraubet

Und strebt nun nach des Glaubens Gut.

Es trank Hafis von jenem Weine,

Der aus dem Glas der Liebe winkt:

Und hier nur ist der Grund zu finden,

Warum er immer zecht und trinkt.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 267-269.
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