46.

Der Festtag erschien, und d'rum lasse

Ich heute den Plan in mir reifen,

Des Fastenmond's Werke zu opfern,

Und nach dem Pocale zu greifen.

Schon leb' ich durch mehrere Tage

Von Wein und von Bechern geschieden;

Doch brachte mir viele Beschämung

Der Umstand, dass ich sie gemieden.

Das Leben in einsamer Stille

Vermag ich nicht länger zu tragen,

Und sollte der Frömmler der Zelle

Den Fuss auch in Ketten mir schlagen.

Der Pred'ger der Stadt zwar ertheilet

Mir väterlich heilsame Lehren;

Ich aber bin Keiner von Jenen

Die Jemand noch könnte bekehren!

Wo weilt wer dem Thorstaub der Schenke

Die Seele zum Opfer gegeben?

Ich lege diess Haupt ihm zu Füssen

Und nehme vor ihm mir das Leben.

Wein trink' ich und hab' auf die Schulter

Der Gottesfurcht Teppich gehangen;

Doch weh, wenn das Volk je erführe

Ich sei nur in Lügen befangen.

»Hafis – sagt das Volk – o bedenke

Das was ein Betagter dir sagte!«

Nein; heut ist ein Wein mir, ein alter,

Viel lieber als hundert Betagte.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 323-325.
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