10.

Ein erfahr'ner Mann voll Scharfsinn

Sagte gestern heimlich mir:

»Nimmer kann des Wirth's Geheimniss

Länger man verbergen dir.«

Sprach: »Erleicht're dir die Sachen,

Denn, wie sich's von selbst versteht,

Macht die Welt nur dem Beschwerde,

Der das Schwere suchen geht.«

Gab mir dann ein Glas, so funkelnd,

Dass Sŏhrē im Himmelshaus

Sich zum Tanz erhob. Dann sprach er,

Zither spielend: »Trinke d'raus!«

Horch, o Sohn, auf meine Lehre:

Gräme dich um Ird'sches nie;

»Diese Worte gleichen Perlen:

Kannst du es, so fasse sie!

Selbst mit einem blut'gen Herzen

Lächle, gleich dem Glas, dein Mund;

Stöhne nicht, gleich einer Harfe,

Schlägt man dich auch noch so wund!

Bis du nicht bekannt geworden,

Hörst du nichts von diesem Klang:

Denn das Ohr der Ungeweihten

Ist kein Ort für Engelssang.

In dem Heiligthum der Liebe

Trägt man nur die Wahrheit vor:

Denn dort müssen alle Glieder

Nichts als Auge sein und Ohr.

Auf dem Teppich weiser Männer

Steht dir Selbstlob übel an:

Sprich entweder als ein Kenner,

Oder schweige, kluger Mann!«

Schenke, gib mir Wein! Erfahren

Hat Hafisens Trunkenheit

Der Ăssāf des mächt'gen Helden,

Der voll Nachsicht gern verzeiht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 109-111.
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