Christi Leyden

[64] Wer schonet einen Wurm? muß nicht ein ieder Stein/

Muß nicht ein ieder Fuß desselben Mörder seyn/

Indem er hin und her auff schwartzer Erde kreucht/

Und seinem Feinde sich durch blosse Flucht entzeucht.

So eben geht es dir/ o Jesu Gottes Sohn/

Dein himmelischer Sitz/ dein hoher Ehren-Thron

Ist itzund Erd und Staub. Des glatten Leibes Zier

Mit Narben angefüllt/ verwandelt sich bey dir

In heßliche Gestalt/ o überhäuffte Pein!

Es dringen sich ins Haubt die scharffen Dornen ein/

Es schneiden Haut und Fleisch die Riemen schwer von Bley/

Es schneiden Marck und Bein/ die Läster-Wort entzwey/

So die erboßte Schaar der Juden speyet aus.

Pilatus führet dich vors hohe Richter-Hauß/

Wo das gehäuffte Volck in langer Reihe steht/

Er weiset/ wie das Blutt aus allen Adern geht/

Wie durch das strenge Band die Glieder seyn umschränckt/

Und dein zufleischter Leib kaum an einander henckt.

Hier solt ein Diamant und Felsen-harter Stein/

Wie von der Hitze Schnee und Eyß zuschmoltzen seyn/

Und dein erwähltes Volck sieht hocherfreuet an/

Was Tag und Sonne nicht ohn Schrecken sehen kan/

Indem nun über dich der Eyfer-volle Sturm[64]

Des blinden Volckes geht/ indem du als ein Wurm

Zutretten und zuknirscht in eignem Blutte schwimmst/

An Schmertzen immer zu- und ab an Kräfften nimmst.

Wächst mit den Plagen auch die heilige Geduld/

Die der ergrimmten Schaar vergiebet alle Schuld/

Und ohne Zucken sich zu tode martern läst.

O mehr als wohl gethan! denn also wird zur Pest

Dem Tode dieser Tod. Du süsser Jesu siegst/

Besiegt von Noth und Tod/ du starker Jesu kriegst

Gefangen deinen Feind/ der dich gefangen hält/

Und führest im Triumph Tod/ Teufel/ Hölle/ Welt.

Das Sieges-Mahl hastu dir selber auffgesteckt/

Als du das müde Paar der Armen ausgestreckt/

Genagelt an das Holtz. Laß unsre Ehre seyn/

O Jesu/ deine Schmach: Von Sünden wasch uns rein

Dein rosin-farbnes Blutt/ der theure edle Safft/

Von Wunden mach uns heil/ Herr/ deiner Wunden Krafft.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 2, S. 64-65.
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