Die Klosterjungfrau

[90] Nur wenig rasche, schnell gewagte Schritte,

Und knarrend öffnet sich die Pforte hier;

Es ist geschehn – in seine düstre Mitte

Fasst mich der Vorhof, wehe, wehe mir!


Vom frohen Leben ewig, ach, geschieden,

Umfängt der Jugend schauerliches Grab

Mich grausend nun, und Freude, Glück und Frieden

Sinkt abgestorben und verblüht hinab.


Die Schlösser rasseln – dieses Himmels Bläue

Von düstern Linden schwermuthsvoll beschränkt,

Erregt der Hoffnung Hochgefühl aufs neue

Das sich so gern in bange Busen senkt.
[90]

Hinweg, hinweg! ach über jene Schwelle,

Die bebend nun mein matter Fuss betritt,

Da fluthet der Verzweiflung dunkle Welle,

Und nimmt der Hoffnung letzten Schimmer mit.


Ich bin hinüber, und mit dumpfem Klange

Verschliesst sich hinter mir das Gitterthor,

Und in dem hochgewölbten, finstern Gange

Schwebt ahnend mir die trübe Zukunft vor.


Wo ist die Zelle, dass ich einsam weine?

Sey mir gegrüsst, Du trauriges Asyl!

Ach, in der Andacht seeligem Vereine

Mit stiller Wehmuth, lindre mein Gefühl!


Eng' ist Dein Raum – der Sonne warmer Schimmer

Erheitert nie die graue Dämmerung

Die in Dir waltet, ach und nimmer, nimmer

Strahlt mir des Mondes Licht Beruhigung.
[91]

Das schmale Fenster, das mit Eisenstäben,

Gefängnissgleich, verschanzt nach Norden schaut,

Umschleiern wilde, unfruchtbare Reben,

Wohl oft von heissen Thränen schon bethaut.


Da werd' ich still der Lüfte Kühlung trinken,

Des Tages holdes, mir getrübtes Licht,

Und sinnend weilen, wenn der Sterne Blinken

Sich golden in das Blau des Himmels flicht.


Denn von dem harten Lager scheucht der Kummer,

Der unsichtbar in diesen Mauern thront,

Der Menschheit höchsten Zauber, ach den Schlummer,

Der nicht auf rothgeweinten Augen wohnt.


Dein hehres Bild, Du Hochgebenedeite,

Entflammt zur Andacht den umwölkten Sinn.

Die Jungfrau, die sich Deinem Dienste weihte,

Sinkt betend und ergeben vor Dir hin.
[92]

O lösche Du mit Deiner Blicke Strahlen,

Mit Deines Lächelns stiller Heiligkeit,

In meinem Geist der Erde Lust und Qualen,

Wenn sich die Neigung mit der Pflicht entzweit.


Lass mich den Himmel rein und offen schauen,

Den du bewohnst mit Deiner Engelschaar,

Und sende mir das kindliche Vertrauen,

Die fromme Duldung, die Dir eigen war.


Doch lässt sich nicht die heisse Sehnsucht tödten,

Die jetzt noch schmerzlich nach der Welt mich zieht,

So kehr' in Todesblässe mein Erröthen,

Und heiss' dem Leben, dass es zu Dir flieht.


Das Grab ist ja die erste dunkle Stufe

Der Himmelsleiter, die uns aufwärts bringt.

O öffne es, Du Heilige, und rufe

Dein Kind zu Dir, das nach Erlösung ringt.
[93]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 90-94.
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