Sehnende Erwartung

[130] Es lärmt der Markt – Geräusch erfüllt die Strassen,

Die Glocke klingt, die Thür geht auf und zu,

Und fremde Stimmen, fremde Schritte schallen

Dem lauschenden, getäuschten Ohr entgegen,

Das jedem Selbstbetruge freudig glaubt.


Doch ach umsonst! es regt sich frohes Leben,

Und Thätigkeit im tosenden Gedränge

Der lauten Stadt, die – wie ein wogend Meer

Den isolirten Felsen rings umspühlt –

Mich Einsame umgiebt. – Ach Deine Stimme

Vernehm' ich nicht – harmonisch würde dann[130]

Das wild verworrene Geräusch mich grüssen,

Das jetzt betäubend mir die Brust beklemmt.

Zerstreuung möcht' ich im Gewühle suchen,

Doch mitten unter Menschen fühl' ich mich allein

Mit Deinem Bilde, das in meiner Seele

Mild wie der Mond in ew'ger Klarheit strahlet.

Ja, immer stehst Du vor mir, rein und liebend,

Für mich der Inbegriff des höchsten Glücks.

Aus Deinem Lächeln nehm' ich meine Freude,

Aus Deinem Ernste saug' ich meinen Schmerz,

Begeistrung weht Dein Athem mir entgegen

Und neuen Muth erweckt in mir Dein Blick.


O weile nicht – der Trennung finstre Wolken


Umziehen bald den Horizont des Lebens

Und weite Ferne drängt sich zwischen uns.

So gönne mir die letzten, goldnen Strahlen,

Die meine dunkle Bahn mir noch erhellen.[131]

Denn schnell entflieht die Zeit – auf ihren Schwingen

Nimmt sie die Blüthen unsers Daseyns mit,

Und nur die Reue bleibt, die um versäumte Stunden

Den Trauerflor vergebner Wehmuth breitet.

O lass ihr keinen Augenblick verhüllen,

Den wir dem Schicksal abgewinnen dürfen,

Und eile sehnend, wie ich Dich erwarte,

Dem Herzen zu, das Dir entgegen schlägt.
[132]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 130-133.
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