XVI

[278] So im Innersten erregt, dem Schmerze Preis gegeben, ohne Kraft, selbst ohne Willen, ihn zu verbergen, fand sie Linovsky, als er, von Alexander's Entfernung überzeugt, die Thür wieder öffnete, um zu ihr zurückzukehren.

Sein heißes Blut hatte sich in der Einsamkeit abgekühlt, er war wieder zu sich gekommen, und hatte eingesehen, daß es Unrecht sei, Erna zu verdammen, da doch nur der kurze Maasstab vorgefaßter Meinung und die übereilten Irrthümer[278] seines Mistrauens ihn gegen sie erbittert hatten.

Ob er gleich den, Alexandern so freundlich gewährten Zutritt, durch nichts entschuldigen zu können glaubte, so sehnte sich doch sein Herz, die zu tief Gekränkte, durch den Ausbruch seines Unmuths bereits bitter Bestrafte wieder zu versöhnen, und er nahte ihr jetzt wirklich in dieser friedlichen Absicht, als der Anblick ihres stummen, unverschleierten Grams und ihrer Thränen ihn von Neuem zu einem Verdacht aufreizte, der ihn bis zur Wuth empörte.

Gilt diese Fluth, die Deinen Augen entströmt, Deinem Hausfreunde? fragte er still ergrimmt, oder meinst Du vielleicht durch das Bitterkleesalz der Thränen die Flecken hinwegwaschen zu können, die Dein Ruf, so wie wahrscheinlich Dein Bewußtseyn durch diesen Umgang erhalten hat?

Erna, durch den Ton, so wie durch den Sinn seiner Worte schmerzlich verwundet, fühlte ihre Stimmung schnell aus der weichsten Wehmuth in Erbitterung übergehen. Sie fand es indeß unter ihrer Würde, etwas auf den schneidenden Hohn zu erwiedern, der ihr Herz zerriß, und nur als er, da sie ihr Angesicht von ihm abwandte, von Neuem vor sie trat, sie wiederholt um Antwort auf seine Fragen zu mahnen, versetzte[279] sie, daß sie für solche Fragen keine habe, und daß er eher an seinen Zweifeln als an ihr habe zweifeln sollen. Als sie dies mit dumpf erloschener, beinahe lautloser Stimme gesagt hatte, sank sie ohnmächtig zu seinen Füßen nieder.

Indessen war Alexander zur Stadt zurückgekehrt. Bilder der hohen himmlischen Lust, die die Erinnerung in ihm erweckte, Erna in seinen Armen gehalten und sie an seine Brust gedrückt zu haben, wechselten mit der schrecklichen Vorstellung, sie nun nicht mehr zu sehen, ja, sie nicht einmal glücklich zu wissen, da der Hausaltar, den sie als Opferlamm schmückte, durch Härte und rohen Argwohn entwürdigt war. Für einen Augenblick wollte eine selige Hoffnung in ihm aufdämmern. War es doch nicht unmöglich, und in dem Staate, wo er lebte, sogar leicht, Bande wieder aufzulösen, die durch unglückliche Verhältnisse das Glück der Ehe strangulirten, statt es zu befestigen. Aber auch nur einen Augenblick dauerte die glückliche Verblendung des Wahns, der eine solche Möglichkeit ihm vorspiegelte. Denn ach, er kannte Erna, und wußte, sie würde eher den Tod der Märtyrerin an Linovsky's Seite, als getrennt von ihm, die Schmach der Bundbrüchigkeit und des befleckten Bewußtseyns wählen.

Mehrere Tage sperrte er sich – allem unzugänglich[280] – in seine Wohnung ein, und seine treuen Diener, die einzigen Wesen, welche Gelegenheit hatten, ihn zu beobachten, glaubten ihn oft an der Schwelle, die in das verworrene Gebiet des Wahnsinns hinüberführt, so ungleich war sein Betragen, bald eine excentrische Fröhlichkeit, bald die tiefste Schwermuth ausdrückend, wie eben die Gedanken und Gefühle in seinem Innern sich durchkreuzten.

Endlich beschloß er wieder auszugehen. Er sann auf Thätigkeit, die ihn zerstreuen, auf irgend einen Zweck, der ihn von dem Schauplatz des einst besessenen, nun so grausam gestörten Glückes entfernen könne. Denn er sah wohl ein, daß bei einem leicht möglichen Zusammentreffen mit Linovsky, trotz der Festigkeit, mit welcher er sich selbst gelobt hatte, Erna's Ruhe und ihren Willen zu ehren, eine Reibung zwischen ihnen entstehen müsse, die alsdann nur ein blutiger Kampf zu stillen im Stande seyn werde.

Aber noch hatte die dumpfe Gährung in der politischen Welt, welche Krieg drohte, kein entscheidendes Resultat hervorgebracht. In langsamen Zurüstungen und weit aussehenden Vorbereitungen zersplitterte sich der thatenlustige Geist der Zeit, und ungeduldig sah das Heer, so wie das Volk, dem endlichen Ausbruch baldiger Feindseligkeiten entgegen.[281]

Diese Erwartungen mit ganzer Seele theilend, und unstät bemüht, die Zeit bis zu ihrer Erfüllung so gut wie möglich zu tödten und zu kürzen, nahm sich Alexander eines Tages vor, zur Gräfin zu gehen.

Zwar hatte ihr Umgang eben keinen sonderlichen Reiz für ihn, da ihre Heiterkeit nicht kindlich spielend, wie er es an Frauen liebte, sondern oft stechend und durch Ironie verwundend war; aber die Hoffnung zog ihn mit magnetischer Kraft zu ihr hin, vielleicht bei ihr ein Wort von Erna zu hören. Denn es schien ihm, als sei er jetzt auf einem Punkt gekommen, wo er nun nicht länger Nachricht von ihr entbehren könne.

Er begegnete, als er sich zu ihr begeben wollte, unter dem Portal des Hauses Frau von Lahnberg mit ihrer Tochter, die eben von ihr kamen, und ihn mit vielen freundlich seyn sollenden Verzerrungen ihrer ohnehin nicht lieblichen Gesichtszüge becomplimentirten.

Durch Combinationen und Nachforschungen war er nach und nach dahinter gekommen, daß der bittere Verdrus, den ihm einst Mariane, seinen Erna geschenkten Rhododendron und die Daphne an der Brust, bereitete, nur durch ein Gewebe boshafter Lügen entstanden sei, wodurch ihre Misgunst den reichen und blühenden Bewerber[282] von Erna ab, und wo möglich auf sich zu lenken strebte, indem sie jene Blumen, so wie das Geheimnis ihrer Herkunft blos ihrer Zudringlichkeit, nicht Erna's Geringschätzung seiner Gabe verdankte.

Seitdem hatte er weder Mutter noch Tochter eines Wortes wieder gewürdigt, und mit kalter Höflichkeit ihre zuvorkommende Begrüßung erwiedernd, ging er auch jetzt stumm an ihnen vorüber.

Wie erstaunte er aber, als er die Gräfin in der lebhaftesten Gemüthsbewegung, und zugleich im Begriff, auszugehen fand.

Ah, sind Sie es? rief sie ihm entgegen, nun Gott sei Dank, so erhalte ich wohl früher als durch mich selbst Aufschluß über die räthselhaften Begebenheiten, die mich quälen, und an die ich nicht eher glauben kann, bis ich sie auf eine Art bestätigt höre, die mir keinen Zweifel mehr gestattet. Was macht Erna?

Das eben glaubt' ich von Ihnen zu erfahren, erwiederte Alexander, ich sah sie lange nicht.

Und auf welche Weise sahen Sie sie zuletzt? unterbrach ihn die Gräfin, ihre heftig gereizte Lebhaftigkeit nicht mehr im Zaume haltend. Man sagt, wie mir eben Lahnbergs erzählten, daß Linovsky sie kürzlich in einem tête à tête mit einem Liebhaber überrascht, und sogar entdeckt[283] habe, daß sein unschuldiger dreijähriger Knabe bereits als Postillon d'amour gebraucht worden sei – daß er, Mutter und Kind mishandelnd, auf Scheidung sinne, und öffentlich dem fluche, der, das heilige Recht der Freundschaft misbrauchend, ihm seinen Himmel stahl.

Wie vom Blitz getroffen, stand Alexander stumm und starr, bis er in namenlosem Schmerz erbebte. Denn nicht nur die Ruhe, auch den Ruf der angebeteten Frau verunglimpft zu sehen, die so engelrein vor seiner Seele stand, raubte ihm den letzten Rest des inneren Friedens, der sich auf den Glauben stützte, daß wenigstens der Schleier des tiefsten Geheimnisses, ihrem Zartgefühl so wohlthätig, den Mangel ihres häuslichen Glücks bedecke.

Man sagt! fuhr er stürmisch auf, dies heillose Wort ist die giftigste Natter des geselligen Lebens, der feige Hinterhalt der Verläumdung, die die eigenen Erfindungen unter dieser Aegide dreist verbreitet. Daß sehr Viele einem solchen: man sagt, blinden Glauben beimessen, wundert mich nicht. Aber wie konnten Sie, Gräfin, einem bloßen feindseligen Gerücht Ihr Ohr leihen, und an Ihrer Freundin zweifeln?

Ich zweifele nicht an ihrem Werth, versetzte die Gräfin, aber – ungern spreche ich es vor einem Herrn der Schöpfung aus, was ein feiner[284] Menschenkenner schon vor Jahrhunderten von der Mehrzahl meines Geschlechtes behauptete: Gebrechlichkeit, dein Nam' ist Weib! – Eine frühe Jugendliebe, die unter der Asche um so beharrlicher fortglimmt, da sie nicht in lichten Flammen auflodern durfte, eine misvergnügte Ehe, nur von der Vernunft, nicht vom Herzen geschlossen – grundlose, und darum eben doppelt ermüdende, doppelt beleidigende Eifersucht, die der Gemarterten jeden freien Aufblick ins Leben wehrt – alles dies kann wohl am Ende selbst einen Engel von seinen himmlischen Höhen auf eine glatte irrdische Bahn herabführen, auf der das Straucheln so leicht ist. Und so viel ist unbezweifelt wahr, daß man Erna sehr krank zur Stadt brachte – freilich unter dem Vorwand, dem Arzte näher zu seyn. Aber aus vielen einzelnen Umständen läßt sich doch mit Sicherheit auf ein Misverständnis, wo nicht auf eine gänzliche Entzweiung zwischen ihr und Linovsky schließen.

Diese Nachricht beraubte Alexandern seiner ganzen Fassung. Die Maske indifferenten Gleichmuths, hinter welcher er strebte, zu verbergen, was in seiner Seele vorging, entfiel ihm, und weder die Gluth seiner Neigung, noch seine Angst mehr verhehlend, beschwor er die Gräfin, nachdem er ihr den wahren Vorgang der Sache mitgetheilt[285] hatte, ihm hülfreich zu seyn, und ihm Kunde von Erna's wirklichem Zustande zu verschaffen.

Eigentlich sollt' ich mich zu nichts verpflichten, sagte sie, da ich Ihr Vertrauen nur dem Schrecken und der Ueberraschung verdanke. Ich will es jedoch so genau nicht nehmen, und da mich selbst darnach verlangt, mich von dem Befinden der armen Kreuzträgerin zu überzeugen, so erwarten Sie hier meine Zurückkunft, und lassen Sie mich jetzt sogleich meinen schon früher gehabten Vorsatz, sie zu besuchen, ausführen.

Sie eilte bei diesen Worten hinweg, und allen Martern der Ungewisheit Preis gegeben, blieb Alexander zurück.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 278-286.
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