XVII

[286] Zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, hörte er nach einer quaalvoll durchseufzten Stunde den Wagen der Gräfin zurückkommen.

Er trat ihr bis ins Vorzimmer entgegen, aber dort, wo er sie von ihren Leuten umgeben fand, durfte er sich keine andere Frage erlauben, als die, die sein forschender Blick an ihre schmerzlich ergriffenen Züge und an die Spuren der Thränen that, die er in ihren Augen bemerkte.[286]

Endlich waren sie allein, und nun warf sich die Gräfin erschöpft und weinend in den Sopha.

Es ergreift mit doppelter Gewalt, wenn man Menschen, die sonst stets die scherzhafte Seite des Daseyns auffassen, und nur dem Frohsinn und dem Lachen sich gewidmet haben, plötzlich von tiefer Betrübnis durchdrungen sieht. Wie um so heftiger erschütterte es jetzt Alexandern, die Gräfin so zu erblicken, da ihr Schmerz ihm auch ohne Worte das Todesurtheil der Geliebten zu verkünden schien.

Reden Sie, rief er mit dem Ungestüm der namenlosesten Seelenmarter, sprechen Sie das Entsetzliche nur aus! Erna – ich ahne es – ist verloren – sie ist todt.

Nein, versetzte die Gräfin, sich sammelnd, noch ist sie es nicht, aber bald, fürchte ich, wird die Vermuthung Ihrer Furcht wie eine prophetische Weissagung sich bestätigen. Ich habe sie sehr krank gefunden, und wie sie im Leben ein holdes Beispiel der Tugend war, so könnte man auch jetzt von ihr zu sterben lernen.

Sie erzählte ihm nun, daß Erna von einem schleichenden Fieber ergriffen, in einem Zustande der äußersten Ermattung sich befinde, der dem Arzte wenig Hoffnung, sie zu retten, gebe. Nur noch der Schatten ihrer ehemaligen Gestalt, sei sie auch in der Blässe des nahenden Todes[287] durch ihre sanfte Geduld, ihre fromme Ergebung noch immer eine der anmuthigsten, herzgewinnendsten Erscheinungen, die, nicht vom Farbenschmelz der äußeren Blüthe abhängig, den Stempel einer höheren Abkunft in den verklärten Zügen tragend, flüchtig über die Erde hinweg der besseren Heimath entgegen schweben. Linovsky behandele sie jetzt mit zarter Schonung. Sein düsterer Gram spreche deutlich die Sorge aus, sie zu verlieren, und Erna begegne seinem achtungsvollen Betragen mit aller Dankbarkeit eines liebenden, mit aller Milde eines versöhnten Gemüths. So freundlich sie aber auch ihren Besuch aufgenommen habe, so sei sie doch aufrichtig genug gewesen, ihr die Bitte auszusprechen, ihn nur äußerst selten zu wiederholen, da eine durch keines Fremden Dazwischentreten gestörte Einsamkeit die einzige Bedingung der Ruhe und Zufriedenheit ihres Gatten sei.

Dieser Nachsatz erhöhte Alexander's Schmerz, denn ach, galt dieser Wunsch schon der Freundin, wie um so viel weiter mußte er ihn von ihr verbannen, ihn, den in Linovsky's Augen eine so schwere Schuld belastete, der als der Störer seines häuslichen Glücks in so tiefem Schatten vor seiner Seele stand! Je leidender er sie wußte, je mächtiger fühlte er sich hingezogen zu dem Kreise, wo sie lebte und litt, und[288] der schauderhafte Gedanke der Möglichkeit, ja sogar der Wahrscheinlichkeit, um nicht Gewißheit zu sagen, sie für immer zu verlieren, kämpfte mit schmerzlicher Gewalt mit allen den Hindernissen, die sich dem kühnen Wagstück, sie noch einmal zu sehen, entgegen stellten.

Doch, sich den Vielen anzuschließen, die wenigstens durch Nachfragen nach ihrem Befinden eine blos conventionelle Theilnahme ausdrückten, konnte ihm selbst Linovsky's feindselige Gesinnung nicht wehren, und er war überzeugt, daß selbst der Groll seiner Eifersucht in diesen, ach seine Sehnsucht so drückenden Schranken, die er sich anwies, die Gesetze der Höflichkeit ehren müsse, die eine solche bescheidene Aeußerung des wärmsten Antheils wenigstens zu dulden ihn verpflichteten.

Jeden Morgen mußte daher der treue Benedikt hingehen, um im Namen seines Herrn die sorgsamste Kunde einzuziehen, wie sie die Nacht zugebracht habe, und ob noch kein Schimmer von Genesung die dunkeln Wolken seiner Furcht erhelle. Aber ach – jeden Morgen kam er wieder, ihm durch die Nachricht, daß die Kranke immer mehr dahin schwinde, den Pfeil des Schmerzes tiefer in die Brust zu stoßen![289]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 286-290.
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