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[31] Mit wohlgefälligem Lächeln verweilten Mutter und Tante auf der so vortheilhaft veränderten Gestalt, und nachdem Frau von Willfried Alexandern aufs dringendste empfohlen hatte, doch ja ihr geliebtes Kind sorgsam vor allen Schaden zu hüten, und es als ein heiliges, seiner Vorsicht anvertrautes Pfand zu betrachten, begann der praktische Unterricht.

Doch schon im allerersten Anfang zeigte sich eine Schwierigkeit. An die Galanterie der großen Welt gewöhnt, die er sich gleichsam wie seine andere Natur angeeignet hatte, hielt Alexander, wie er bei den Schönen der Residenz gewohnt war, seine Hand hin, damit Erna sie als Schemel betrachten, und von ihr sich in den Sattel schwingen möchte.[31]

Das blöde Kind weigerte sich aber standhaft, dies zu thun, und zwar mit einer Festigkeit, die sehr von ihrer gewöhnlichen still resignirten Nachgiebigkeit abwich. Vergebens versicherte er ihr, daß das so Sitte, und für sie das Bequemste sei. Ihr ohnehin beklommener Zustand wurde durch sein Zureden nur noch peinlicher, aber dennoch errang er diesmal nicht den Sieg über ihren festen Willen, und bewegt stand er am Ende ab von seinem Begehren, als Erna mit Thränen in den Augen sagte: »Wie könnt' ich jemals mich entschliessen, auf die Hand zu treten, als sei sie fühlloser Stein, die sich so gütig für mein Vergnügen bemüht.« Gerührt über den wohlwollenden Sinn ihrer Weigerung, dem vielleicht auch – ihr selbst unbewußt – ein dunkles Gefühl von mädchenhafter Scheu mit zum Grunde lag, drang er nicht mehr in sie, sondern umfaßte ehrerbietig ihre schlanke Gestalt, sie aufs Roß zu heben.

Es am Zügel führend, und ihr nun die Regeln aus einander setzend, durch welche es sich am sichersten leiten und beherrschen lasse, fühlte Erna ihre Bangigkeit allgemach verschwinden. Mit Freudestrahlenden Augen, über alle bleiche Angst nun erhaben, schaute sie auf ihren Lehrer herab, und dann wieder rings um sich her, kindlich froh und stolz, die Welt gleichsam zu ihren Füßen erblickend. Zum erstenmal in ihrem Leben drang das Bewußtseyn[32] eigner Kraft, die sie bisher nur im Dulden und Tragen geübt hatte, in ihr Gemüth, und es schien ihr in dem heitern Traum ihrer Macht, als entwickele sich jede Bewegung des muntern Thieres, welches sie trug, aus ihrer Willkühr, die es regierte. Sie hörte wenig von dem, was Alexander sagte – sie sah nur die liebliche Bewegung seiner blühenden Lippen – nur den Glanz der fröhlichen Augen, die – wie eine selig in ihr dämmernde Ahnung ihr sagte – die Planeten waren bestimmt ihrer künftigen Lebensbahn zu leuchten.

Wirklich wäre es schwer gewesen, so vieler männlicher Schönheit und Anmuth, wie in Alexandern sich vereinigte, den Preis der Vollendung abzustreiten, den selbst ein unpartheiisches Urtheil, wie nicht vielmehr ein von dem Zauber der ersten Liebe befangenes Herz ihm zugestehen mußte. Er war, wie Aeschylos so charakteristisch von einem seiner Helden sagt: ein Jünglingsmann. Alle einschmeichlenden Reize der Jugend, verbunden mit der Würde und Sicherheit des Mannes schmückten mit strahlendem Nimbus sein Wesen, und flößten auch denen, die um die Entweihung seines inneren Lebens wußten, das lebhafteste Interesse für seine der Natur und der Weltbildung so glücklich gelungene Aussenseite ein.

Daß Erna's Blick, der die Untiefen des menschlichen Herzens zu durchschauen, noch nicht geübt[33] war, da, wo glatter Schimmer ihr entgegen trat, den Spiegel hehrer Seelenreinheit, und wo schlaue Verstellung sich Täuschungen erlaubte, die Lauterkeit eines unverdorbenen, ihrer Achtung würdigen Gemüths wahrnahm, lag in der Unerfahrenheit ihrer Unschuld, die noch nicht durch Menschenkenntnis getrübt, von sich selbst auf andere schloß. Im tiefsten Herzen vernahm sie den Ruf der ersten Liebe. Alles was bisher ihr Leben beschäftigt und ausgefüllt hatte, erblich vor der allmächtigen Flamme, die in ihr aufzulodern begann – ihre ganze Vergangenheit schwand in Dämmerung wie ein Traum, aus dem sie nur eben erst zur Wirklichkeit erwacht schien – dunkle, aber selige Hoffnungen regten sich in ihrem Busen, und es zogen Anklänge des Gefühls durch ihr süß erschüttertes Wesen, als gingen sie von einer Sphärenmusik aus, die aus dem Heiligsten der Himmel niederwallte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 31-34.
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