IX

[28] Obgleich die Fortschritte, die Alexander so sichtbar in Erna's Neigung machte, ihm manchen Stoff zur ergötzlichen Selbstunterhaltung gab, so drückte ihn, den an schimmernde Zerstreuungen Gewohnten, doch die Einförmigkeit des halb ländlichen[28] Lebens in dieser kleinen Stadt viel zu sehr, als daß er nicht hätte streben sollen, es so viel er vermochte, mit Abwechselungen zu durchweben.

Es war ihm längst langweilig gewesen, in einer bequemen Kutsche – die einzige Bewegung, die Frau von Willfried vertragen konnte – ihr und seiner Tante gegenüber, und an Erna's Seite im abgemessenen Tact, den der Arzt vorgeschrieben, durch die schöne Gegend zu rollen, und diese schläfrige Parthie durch die Benennung einer Spazierfahrt zu ehren.

Er schlug daher Erna vor, ihr Unterricht im Reiten zu geben, und obgleich ihre Furchtsamkeit vor der ungeheuern Idee zurückbebte, mit zarter Hand ein so muthiges Thier bändigen und regieren zu sollen, und Mutter sowohl als Tante meinte, sie werde ihre oft geäußerte Bangigkeit vor Pferden nicht überwinden können, so willigte sie doch sogleich freundlich ein, als sie vernommen hatte, daß es ihm viel Vergnügen machen werde, ihr Lehrmeister in dieser fröhlichen Kunst zu seyn.

Schnell wurde nach seiner Angabe ein Reitkleid verfertigt, und während der Tage, die darüber hingingen, war er bemüht, ein kleines, lammfrommes Roß noch gemächlicher für sie zuzureiten.

Als Erna nun zum erstenmal in dem geschmackvollen Amazonenkleide erschien, das er nach seinen Erinnerungen aus der Residenz angeordnet hatte,[29] wurde er durch die Anmuth mit der sie sich darstellte, überrascht. Er konnte sich nicht abläugnen, daß der größte Theil der Unscheinbarkeit, mit der sie gewöhnlich auftrat, eine Folge ihres matronenhaften, vernachläßigten Anzugs war. Der weibliche Körper muß ein schönes Oval bilden, wenn er wohlgefällig ins Auge fallen soll, und an diesem Oval dürfen ein paar zierliche Füßchen als der Schluß desselben eben so wenig fehlen, wie der Kopf selbst am andern Pole dieser Sphäroide.

Nun war aber Erna gewöhnlich so verhüllt, daß es zu den seltenen Erscheinungen gehörte, wenn hie und da die schnell wieder vom dichten Faltenwurf verdeckte Spitze ihres Schuhs sichtbar wurde, und er hatte schon öfters im Stillen die boshafte Vormuthung gehegt, daß die Natur sie in diesem Punkt stiefmütterlich behandelt haben müsse, weil er nicht begreifen konnte, daß Sittsamkeit in einem weiblichen Gemüth die Oberhand über Eitelkeit und Sucht zu glänzen behaupten könne.

Wie verwundert wurde er daher, als er bei'm ersten Blick der erröthenden Erna den Verdacht in Gedanken abbitten mußte, daß sie, wie so viele ihres Geschlechts, ohne die mindesten Kosten auf – großem Fuß lebe.

Niemals hatte er so zart geformte, so gleichsam in leiser Anmuth schwebend auftretende Füßchen gesehen, wie die ihrigen. Sie schien in den[30] zierlich geschnürten Stiefeln kaum den Boden zu berühren. Das sammtne Barret, von hohen Federn umschwankt, gab dem allzubescheidenen, zu sehr an Verschüchterung gränzenden Ausdruck ihrer Züge etwas Kühnes, das ihr wohl stand, und das eng sich anschmiegende Kleid, dessen lebhafte Farbe günstig auf das bleiche Gesicht wirkte, verrieth eine Körperform, der nur noch etwas mehr Fülle fehlte, um vollkommen zu sein.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 28-31.
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