XIV

[43] Was sie noch mehr als alle vorhergegangenen Umstände zu dieser Erwartung berechtigte, war ein Vorfall, der traurige Folgen hätte haben können, der aber jetzt nach Erna's Ansichten nur dazu diente, ihr auf eine etwas rauhe Art den Himmel ihrer Zukunft früher zu öffnen.

Alexander, der das ihm anvertraute Amt als Lehrmeister ernst und gewissenhaft verwaltete, fand es nothwendig, daß seine Schülerin sich an mehr als ein Pferd gewöhne, um sicherer in allen den Eigenthümlichkeiten der Reitkunst zu werden.

Nicht ohne ein inneres, weissagendes Vorgefühl der Gefahr vertauschte daher Erna eines Tages ihr liebes frommes Roß mit seinem schnaubenden Araber, der aber trotz der Fülle des Muthes und Uebermuthes, die aus ihm wieherte, trefflich[43] zugeritten war, und keine Unarten hatte, die die mindeste Besorgnis für seine zarte Reiterin erregen konnte. Wohlgemuth trabten beide über die frischen Wiesen dahin, dem kühlen Walde zu, der mit seinen dämmernden Schatten ihnen so einladend winkte. Dort ließen sie die Thiere langsam gehn, und im traulichen Wechselgespräch schwand Erna's leise Furcht, so wie ihre Achtsamkeit auf sich selbst, und auf die Zügel.

Längst hatte gewiß der schlaue Araber gemerkt, daß es nicht Alexanders gewohnte feste, und bändigende Hand sei, die ihn lenke. Daher erlaubte er sich manchen kleinen Seitensprung, den sein Gebieter ihm nicht verstattet hätte, und schüttelte oft brausend die Mähne, den Kopf bald tief zur Erde senkend, bald weit ihn zurück werfend, und die fein gespitzten Ohren schalkhaft bewegend, als spotte er der sanften Gewalt, die Erna mädchenhaft über ihn übte.

Alexander, aufmerksam auf die unziemlichen Freiheiten, die er sich nahm, dictirte der allzu nachsichtigen Reiterin eine Strafe für ihn, so wie eine strengere Beschränkung seiner Willkühr. Aber der Schlag, den sie auf sein Geheiß mit der Peitsche ihm gab, glich einer leisen, liebkosenden Berührung und schreckte den Muthigen nicht. Demungeachtet wurde sie nicht bange. Ihr war, als könne an des Freundes Seite kein Unglück sie erreichen,[44] und lächlend blickte sie öfterer in sein schimmerndes Auge, als auf den Weg, der durch das von Moos halb versteckte Wurzelgeflecht der Bäume, und ein stets Berg auf, Berg ab eine verdoppelte Achtsamkeit gebot. Da erklang tief aus dem dunkelgrünen Hintergrund des Waldes die schwermuthsvolle Liebesklage einer Nachtigall, und eine zweite, ihnen näher, antwortete in süßen, lang gedehnten Accorden den verschwebenden Tönen aus der Ferne, und flöthete so lieblich, so herzergreifend, daß sie beide unwillkührlich die Rosse anhielten, ihr zuzuhören.

Ungeduldig scharrte der Araber, der sich nach raschem Gallop sehnte, die Erde auf, und stampfte den Boden – Alexander und Erna, in die seelenvollen Melodieen Philomelens vertieft, bemerkten es nicht. Plötzlich fiel dicht neben ihnen ein Schuß, und ein Reh – nicht durch ihn getroffen, aber verscheucht, sprang aus dem Gebüsch, fast die Pferde berührend, seitwärts an ihnen vorüber und riß durch die jähe Gewalt des Schreckens den scheu gewordenen, schon vorher durch Ungeduld gereizten Araber vorwärts.

Im vollen Lauf sprengte er, durch einen eng verwachsenen Nebenweg sich drängend, die waldige Anhöhe hinab, oft sich bäumend, oft hintenausschlagend, bis Erna, die sich vergebens im Sattel zu halten strebte, durch einen Schlag an den Kopf[45] von einem tief herab gebeugten Ast mit der Besinnung das Gleichgewicht verlor, und im Bügel hängen bleibend, von dem rasenden Thier geschleift, wie eine Beute des Todes auf dem von ihrem Blut benetzten Pfade dem ihr athemlos nacheilenden Alexander aus den Augen schwand.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 43-46.
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