XVI

[50] Doch dies Geständnis wirkte wie beruhigendes Oel auf ein stürmendes Meer, indem es seine heiß erwachte Sinnlichkeit in die kalten Gränzen der Vorsicht und der Besinnung zurück scheuchte.

Der Ernst, mit dem dies Kind seine Annäherungen als eine über das ganze Leben entscheidende, die ganze Zukunft im engsten Bunde umfassende Liebe betrachtete, war ihm lächerlich. Wäre ein sentimental platonisches Verhältnis nicht in seinen Augen das langweiligste unter der Sonne gewesen, er würde es eine Weile fortgesetzt haben, um zur[50] belustigenden Bereicherung seiner Menschenkenntnis immer neue Erfahrungen zu sammeln, wie die unentweihte Unschuld der ersten Jugend sich benimmt, wenn der Liebe magische Gewalt sie mit ihren Netzen umfängt.

Aber da es ihm nicht in den Sinn kam, durch eine ernstliche Verbindung seinen freien Nacken zu fesseln, so hielt die Furcht, in das Gewebe seiner eigenen Kunstgriffe verstrickt, und dann zu unangenehmen Erörterungen gezwungen zu werden, denen der feine Weltton gern ausweicht, ihn neben dem wenig belohnenden des damit verbundenen Zeitverlustes zurück – und sie zu verführen – nein, er war doch nicht verdorben genug, um nicht von diesem Gedanken mit Unwillen sich abzuwenden. Denn ob er bei seinen Ansprüchen an Politur der Form und äußeren Benehmen gleich fand daß das in geselliger Feinheit so unerfahrene Landmädchen sich besser in ihren Hühnerhof, und unter die Bewohner ihres Dorfs, als in die in tausendfache Facellen geschliffene Residenz schicke, so mußte er doch die schleierlose Wahrheit ihres Charakters achten, und die reine Güte ihres Herzens verehren.

Er konnte sich nicht abläugnen, daß es Unrecht sei, bei seinem festen Entschluß, sie nicht zu heirathen, ihr im tiefen Frieden der Kindheit so ruhig schlummerndes Herz geweckt, und gewaltsam[51] in den berauschenden Kreis flammender Jugendwünsche entrückt zu haben, ohne ihren muthwillig erregten Hoffnungen, ihren auf sein Betragen sich stützenden Erwartungen etwas anders als den Schmerz unbefriedigter Sehnsucht zu hinterlassen.

Zwar schmeichelte es seiner Eitelkeit, sich zu denken, daß sie ihm nachtrauern, daß sie sein Bild als ihr beständiges Ideal lebenslang im Innern sich bewahren werde – doch that ihm zu gleicher Zeit die verlorene Ruhe ihres Gemüths leid, die ein Opfer ihrer Unerfahrenheit und seiner Koketterie geworden war, und er nahm sich vor, nicht länger ein so grausames Spiel mit Empfindungen zu treiben, die er nicht zu erwiedern geneigt war, sondern den günstigen Totaleindruck, den er auf sie gemacht, in so fern zu zerstören, als er seinen Charakter betraf.

Mochte sie immer seiner persönlichen Liebenswürdigkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen – seine Eigenliebe gestattete ihm ohnedem nicht, diese in ein nachtheiliges Licht zu stellen. Auch war es hinlänglich für die fromme Einfalt ihrer Sitten und die strengen Begriffe, welche Lehren und Beispiele ihr eingeprägt hatten, ihr den Leichtsinn seiner Grundsätze und die Frivolität seiner Denkungsart zu zeigen, um jeden Wunsch seines Besitzes zu verlöschen, ohne daß er nöthig hatte, unzart und schonungslos sich zurück zu ziehen.[52]

Diesen Vorsatz in der Seele, störte er zuerst ihre goldenen Illusionen durch die Erinnerung an die Angst ihrer Mutter, wenn nämlich, wie sich vermuthen lasse, der Araber den Weg nach Hause gefunden habe, und ohne seine Reiterin ihr ein Bote der schmerzlichsten Sorge, ein Verkündiger des Unglückes geworden sei.

Erna erschrack, daß sie dem Zauber ihrer Gefühle hingegeben, nicht von selbst an die Erfüllung einer so heiligen Pflicht gedacht hatte, als die Beruhigung ihrer Mutter ihr war. Doch, daß er sie daran mahnte, dünkte ihr ein neuer Beweis seines gediegenen inneren Werths, seiner unaussprechlichen Tiefe und Zartheit der Empfindung und gern erblickte sie auch von dieser Seite ihn über sich stehend, zutrauen- und verehrungsvoll den Blick zu der sittlichen Höhe erhebend, in der er ihr erschien.

Sie hatten kaum, Arm in Arm, und von den Vorsichtsmaasregeln sprechend, mit welchen sie das Vorgefallene der kränklich schwachen Mutter mittheilen wollten, den Saum des Waldes berührt, der ins Freie führte, als die ängstlich ausgesandte Dienerschaft der Frau von Willfried, die sie suchte, ihnen bestätigte, daß Alexanders Vermuthung eingetroffen, und das zurückgekehrte Pferd der Verräther ihres Unfalles geworden war.

Mit verdoppelter Eil strebten sie das Haus zu[53] erreichen, und erst als Erna gesund und wohlbehalten am Bett der in Krämpfen liegenden Mutter knieete, linderte sich das unsägliche Weh, unter dem sie gelitten – ein Strom von Thränen, der zugleich das heißeste Dankgebet zu Gott war, benetzte das geliebte, ihr wiedergeschenkte Kind und erleichterte ihre durch Centnerschwere beklommene Brust, und der herbei gerufene Arzt that das Seinige, den Folgen ihrer nahmenlosen Angst entgegen zu arbeiten.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 50-54.
Lizenz:
Kategorien: