[12] Vorige. Die alte Steimann, Frau Hüfer, Peter Engel, Martin Reinhard, Peter Blinte, Johann Roder, Niclaus Storch, Marx Thomä und andere Bauern, Bürger und Wiedertäufer, Männer und Weiber, meist arme und elende Erscheinungen, kommen nach und nach, einzeln und in Trupps, herein und füllen zuletzt fast den Burghof.
DIE ALTE STEIMANN. So, da steht er; komm nur, fürcht' dich nicht, und wenn er auch so finster blickt wie Herodes.
FRAU HÜFER. Er kann uns ja unsere Bitte nicht verweigern. Er wäre ja kein Mensch.
DIETRICH zu seinen Frauen. Geht hinein! – Was wollen die alten Vetteln?
FRAU HÜFER. Gnade, Herr Graf, Gnade für meinen Tochtermann, meinen armen gefangenen Hans. Kennt ihr mich nicht? ich bin ja die alte Hüfer! Denkt ihr nicht mehr, Herr Graf, wie ihr einst im Grase schlafend von einer Otter gebissen wurdet, und meine Kunst euch damals heilte? Erbarmen für mein armes Kind, Herr Graf! Er hat in der Noth gehandelt, Gnade für den armen Hans Bittner!
ERICH. Das ist ja –
DIETRICH. Freches Weib – Gnade wagst du zu begehren für deinen Schwiegersohn, der sich unterfangen, dem meinen mit Gewalt zu begegnen und ihn an der Hand zu verwunden?
FRAU HÜFER. Erbarmen, er wollte nur die Ehre seiner Braut und seine eigene vertheidigen, als er sah, daß der junge Herr Graf das Herrenrecht gebrauchen wollte –
ERICH höhnisch lachend. Ehre! Eine Bauerndirne!
GERLIND an der Thür. Pfui über Euch, Graf Erich, das habt ihr gethan? Ich verachte euch.[13]
BLINTE der eine brennende Fackel in der Hand trägt. Mutter, fragt doch einmal den jungen Herrn Grafen, was er thun würde, wenn ihm an seinem Hochzeitstage Einer die Hauptschüssel vorkosten wollte.
DIETRICH. Kerl, soll ich dir die Zunge aus dem Schlund reißen? Du wagst eine gemeine Bauerndirne mit deines Grafen Tochter in einem Athem zu nennen?
FRAU HÜFER. Hat mein Schwiegersohn gefehlt, so hat er es durch die lange Haft in eurem Kerker schon längst gebüßt. Meine Tochter hat sich halb blind um ihn geweint. Gnade, gebt ihn frei!
BAUERN. Laßt ihn frei, laßt ihn frei!
DIETRICH zu Blinte. Du da – was trägst du eine Fackel am hellen Tage?
BLINTE torkelnd. Meine Freiheit zu suchen, Herr Graf, die mir verloren gegangen ist. Mein Vater war noch ein freier Bauer – so frei wie ihr, Herr Graf. Als er auf den Tod zu liegen kam, da ward ich mit Gewalt aus dem Sterbezimmer entfernt, daß er mich nicht sehe; und ein dicker Mönch nahm an seinem Bette Platz und wich nicht davon, um ihn für's Himmelreich vorzubereiten. Und wie er kalt war, zog der dicke Mönch ein Pergamentlein herfür, drauf stund, daß der Todte all sein Hab und Gut dem Kloster Homburg verschrieben. Der dicke Mönch steht jetzt da oben und grinst mich an. Und als ich zu euch kam, Herr Graf, und euch bat mich zu schützen in meinem Recht und Besitz, ließet ihr die Hunde auf mich los –
LIBORIUS. Albernes Geschwätz – der Kerl ist ja betrunken.
BLINTE. Ja, das bin ich, das weiß ich, des brauch' ich eure Bestätigung nicht. Freiheit verloren – Gut verloren – ein Knecht geworden, elend und arm – was soll ich thun, um meinen Schmerz zu vergessen als trinken?
DIETRICH. Und ihr Bastarde, was wollt ihr?[14]
ENGEL. Brot, Brot, Herr Graf, Brot! Wir verhungern. Nichts haben wir im vorigen Herbst für uns einsammeln können, Tag um Tag ließet ihr uns in der Erntezeit frohnden, daß unser geringes Hab und Gut auf den Feldern vertrocknete oder auswuchs. Da wir hätten einernten können, mußten wir für eure Frauen Schneckenhäuser zum Garnwickeln sammeln. Unsere Kinder wachsen auf wie das Vieh, unsere Weiber sehen uns den ganzen Tag nicht. Keiner von uns hat mehr Brot im Hause: wir verhungern, gebt uns Brot!
VIELE STIMMEN. Ja, wir verhungern, gebt uns Brot!
ERICH. Ich bewundere eure Geduld. Soll ich die Frechen mit der Klinge paarweis den Berg hinab an die Arbeit treiben?
RÜDIGER. Geht nach Hause, ihr Leute, an eure Arbeit, die ihr sündigerweise verlassen habt. Bringt eure Beschwerden nicht in so roher Form vor, sondern fein säuberlich, wie es Leibeignen gebührt, sie sollen untersucht, und wenn man sie für begründet erkennt, berücksichtigt werden.
BLINTE. Rispen statt Aehren! das kennt man!
THOMÄ. Alles was ihr mit uns behandelt, wendet ihr zu unserer Ungunst. Seit 30 Jahren ist der Geldeswerth stetig zurückgegangen, – wohl, die Steuern verlangt ihr nach dem neuen Werth, die Löhne aber zahlet ihr nach dem alten, wie er vor den Entdeckungen des indianischen Goldes gewesen. Wie sollen wir nicht Hungers sterben bei solcher Behandlung?
PROBST. Wenn ihr euch beschwert fühlt, lieben Leute, so ist das Kammergericht diejenige Instanz –
SANDER. Wollt ihr arme Hungernde noch verhöhnen? Ist das christlich? Ihr wißt besser als wir, daß die Gerechtigkeit in Deutschland nur für den Reichen zu finden ist. Richter und Advokaten! Woher[15] sollen wir armen Leute je die Gerichtskosten zusammenbringen? Und bis der Prozeß entschieden ist, sind nicht wir – nein, unsere Enkel verhungert.
LIBORIUS. Duldet, so werdet ihr eingehen in das ewige Leben. Leiden ist Christenpflicht. Auch unser Herr hat am Kreuz gelitten – verlangt ihr ein besseres Loos als er?
REINHARD. Wo steht geschrieben, daß er auch gehungert hat? Er hat nicht gehabt sein Haupt hinzulegen, aber stets satt zu essen. Hunger leiden ist schlimmer denn am Kreuze sterben. Schafft uns Brot!
ALLE. Brot! Brot!
LIBORIUS. Wie ihre Zahl von Secunde zu Secunde anschwillt! Seht nur, Herr Graf, schon faßt der Burghof kaum ihre Menge und immer neue Schaaren drängen nach. Und welch fürchterlicher Trotz in den Mienen, welch verzweifelte Entschlossenheit des Elends!
DIETRICH. Beruhigt euch – ein Griff nach meinem Schwert, und der nächste Augenblick sieht sie alle am Fuße des Berges.
STORCH halblaut zu einigen Bauern. O Gott, wäre nur der Münzer wieder bei uns, er wüßte unserer Noth ein Ende zu machen.
EINIGE BAUERN. Ja, wäre nur der Münzer bei uns!
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro