Der Gesunde

[328] Und wenn er Abends sein armes reiches Geld verspielt, es kümmert ihn nicht, er spürt es nicht. Er ist mysteriös immun gegen die Alltag-Tragödien dieses gefährlichen Alltag-Lebens. Nichts zerstört ihn sogleich wie Uns. Er besitzt eine schauerliche krankhafte Lebens-Zähigkeit. Zertritt ihm den Schädel, den er eigentlich nicht hat, und er spürt es gar nicht. Seine Gesundheit ist ein Verbrechen an seinem Menschentume. Alles gleitet an ihm direkt unmenschlich ab. Er lebt eigentlich ein lebloses steinernes Dasein.

Über alle Dinge gleitet er hinweg, an denen alle Anderen naturgemäß zugrunde gehen oder wenigstens Tag und Nacht lang leiden und sich direkt langsam unmerklich innerlichst aufzehren. Der »Gesunde« spürt das Alles leider nicht, er gleitet über Alles hinweg, was die zarteren unbedingt langsam vernichtet. Er ist dem Leben in jeder Beziehung gewachsen, pfui! Er kämpft mit den schamlosen Gemeinheiten der Alltäglichkeit und besiegt sie spielend glatt! Es gibt für diesen »Hund des Daseins« keine Schwierigkeit, seine Brutalität besiegt alle Gemeinheiten, und sein eigenes, »Zugrundegehen« spürt er Gott sei Dank viel zu spät! Also gar nicht. Der Gesunde ahnt es nicht, was der »nicht Gesunde« Alles erleidet! Er hat eine »harte Haut«, an der er unbedingt schließlich irgendwie zugrunde geht, es muß sich rächen! Leider vorläufig nur an den Anderen.

Der Gesunde lebt sein blödes nichtssagendes kräftiges, Allem widerstrebendes Leben, statt zartmenschlich schwächlich irgendwie einmal nachzugeben![329]

Der Gesunde ist krank, weil er den unerbittlichen Gesetzen der Natur in Allem und Jedem entgegenzukämpfen wünscht, obzwar er es genau fühlt, daß es unmöglich ist! Also ist er ein gesunder Kranker! Aus brutaler, fast boshafter Kraft. Oder aus Beschränktheit, auch eine schreckliche Krankheit des Gesunden.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 328-330.
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