Kultur

[330] Nie, nie, nie hörte man sie lachen, von Kichern oder verhaltener Heiterkeit schon gar nie die Rede natürlich. War es angenehm und richtig, was man ihr sagte oder schrieb – – – gut! War es unangenehm und unrichtig – – – schlecht! Aber zum Lachen, zum Lächeln, zum Kichern niemals der allergeringste Grund. Viele hielten es für eine Pose, ja, es war die Pose der wohlerzogenen Menschenwürde, die fast Allen eben mangelt. Deshalb verstanden sie so Wenige oder wollten wenigstens nichts mit ihr zu schaffen haben, man langweilte sich und fühlte sich blamiert, diese natürlichen Korrektheiten vertrug man noch nicht 1918. Das blieb einer späteren Zeit vorbehalten, die ohne Grimassieren dahinleben würde können. Aber jetzt hieß es noch leider schlecht oder falsch Komödie spielen mit seinen Nebenmenschen, um ihnen dadurch die Verlegenheit ihrer Minderwertigkeiten zu ersparen! Hübsch, häßlich nämlich, im Rang bleiben, den der Andere in jeder Beziehung einnimmt, damit er sein Zerrbild nicht erblicken könne! Ihr adeliger Ernst beleidigte die Kichernden, die irgend Etwas bewußt oder unbewußt zu verbergen hatten! Niemand gestattete ihr, ununterbrochen sie, ganz sie selbst zu – – –. Obzwar es das Allernatürlichste[330] von der Welt gewesen wäre. Und Bequemste. Man verlangte eine ununterbrochene Komödie des Nicht-man-selbst-sein-dürfens! Weshalb?! Fraget die Menge! Fraget ihre liebevollen Folterknechte!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 330-331.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]