Der Tod meines Vaters

[343] Mein Vater, Du größter reinster, ja fast pathologischer Idealist, Du bist mit 84 Jahren in Deinem geliebten roten Samt-Lehnstuhl entschlummert, die geliebte unentbehrliche »Trabukko« zwischen Deinen zitternden Fingern! Alles was nachher kam in der Verwüstung der irrsinnigen Welt, hast Du weder geahnt noch erlebt. Wie eh und je hast Du die »Revue des deux mondes« gelesen und »Taine« war Dein Lieblingsschriftsteller und »Fouillé«. Keiner Deiner Besucher belästigte Dich je mit Einzelheiten der grausam-dummen Weltgeschichte. Dein Lehnstuhl war in Ordnung, basta! Man hielt Dich im allgemeinen für herzlos, aber Du hattest viele Jahre lang Dein Herz den duftenden Bergalmen des Vor-Schneeberges und den Tänzen der Birkhühner vor Morgengrauen geschenkt. Was kümmerte Dich je das wüste Treiben der Menschheit, da Du vor Sonnenaufgang das mächtige Rauschen des Auerhahnes liebevollst vernahmst?! Dein Tod hat Dir Vieles erspart, wir aber, weniger geschickt und rechtzeitig abtretend, müssen auf Zeiten warten, die nicht kommen werden! Eine »verfahrene Welt« zu regenerieren, dazu gehören Welten-Kräfte, nein, Welt-Gehirne! Aufgezwirbelte, schöne Schnurrbärte geben ein »martialisches Aussehen«, Stirnlocken in fahlem Antlitz sind auch nicht schlecht,[343] und schwarzgefärbte Spitzbärte könnten fast eine friedliche Welt aus den Angeln heben! Aber es genügt nicht, es genügt nicht – – –. Nein, es genügt nicht!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 343-344.
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