Plauderei

[344] Magenkatarrh, Darmkatarrh sind Verfalls-Erscheinungen einer sich allmählich zu höherer Entwicklung bringenden Organisation. Es gibt überhaupt viele Krankheiten, die »Verfalls-Erscheinungen« des Organismus sind, Lebens-Energien lähmend, ja allmählich untergrabend. Es sind keine direkten effektiven Krankheiten, es sind Lähmungen der Lebens-Energien. Die Maschinerie hat ihre bisherige Schwungkraft dadurch verloren. Man könnte es noch irgendwie reparieren, aber der Arzt nie, denn er hat keinerlei Interesse für fremde Lebensmaschinerien. »Werde sechzig, es ist auch genug, bist Du Methusalem?!?« Der Arzt sagt: »Luft-Veränderung.« Ganz richtig, aber es ist einer der vielen mysteriösen Gründe der Gesundung, es ist ein kleiner Teil des Gesundwerdens, das Ganze ist es bestimmt nicht. Der Patient klammert sich an »Luft-Veränderung«, notabene, wenn er das Geld dazu hat. Luft-Veränderung hat noch Niemandem geholfen, der in hundert unscheinbaren Kleinigkeiten ein sündiges Leben lebt! Das »reine Leben« ist nicht durch solche »billige-teure Stichworte« zu erkaufen! Da gehört eigene Kraft, eigene Erkenntnis dazu! Ein guter Arzt ist ein Arzt, der nicht gerade schä digt, während ein schlechter Arzt Dich direkt verpfuscht! Er hat einfach keine Zeit, sich Dir[344] minutiös zu widmen, er kommt, er geht. Du bist für ihn nicht interessant genug. Vielleicht dem Leibarzt. Aber Wer hat Einen?! Und Der hält das Meiste für Einbildungen eines Reichen! »Sie sollten von früh bis abends Holz hacken, eine nützliche Beschäftigung!« Er meint, die stockende Lebens-Maschine in Bewegung zu erhalten. Um Das allein handelt es sich eben. Aber durch Holzhacken?! Geist und Seele müssen ja ebenso beteiligt sein. »Der Mechanismus allein« hilft Dir in gar nichts. Nun gut, Dein Hunger wird größer, aber welcher Vorteil für Deine arme Lebensmaschine?!? Keiner! Stille den Hunger Deiner ewig begeisterungsfähigen Augen, Deiner süße Töne einschleichenden Ohren, Deiner bewegten Seele, Deines den Idealen vergeblich nachstrebenden Geistes! Aber der Hunger Deines Verdauungsapparates, wie armselig ist er. Eine Portion fetten Kartoffelschmarrn kann ihn stillen. Das sind keine Lebens-Probleme für den wirklich Kultivierten! Die Menschen sammeln, um die Zeit hinzubringen, Muscheln, Briefmarken, Münzen, alte Soldatenröcke usw. usw. Aber ihre Freude daran ist nur, daß die Anderen zerspringen vor Neid. Selbst sind sie eiskalt bei allen ihren faden, unnötigen Sammlungen. Der Besucher ist begeistert, denn er ist eben der Besucher, dazu ist der Trottel da! Eine fette Gansleber mit Aspik wäre ihm hundertmal lieber, aber, etsch, Die bekommt er nicht! »Kann ich Ihnen vielleicht mit Etwas aufwarten?!« »Ja, mit wertvollen Briefmarken!« Lüge des Lebens, Du »Schwächerin, Du Entwerterin«!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 344-345.
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