Die Achtjährige

[225] Es war eine ganz kleine Delikatessen-Handlung, wo ich meinen herrlichen Frühlings-Primsen (10 Deka zwar 3 Kronen [Kriegszeiten]) kaufte, aber ich wußte es als Diätetiker, daß es an Nahrungswert jedes Fleisch übertreffe und besonders an Leichtest-Verdaulichkeit. Da war die bildhübsche achtjährige Tochter Hermine. Als ich nach acht Tagen hinkam wegen »Frühlings-Primsen«, sagte die Frau: »Die Hermine ist nicht mehr, Masern, Lungenentzündung.«

Dann sagte sie: »Der Frühlings-Primsen scheint Ihnen zu schmecken?!?«

Ich erwiderte: »Er ist der ideale, verhältnismäßig billige Ersatz für Alles, was man eben jetzt nicht mehr bekommt!«

»Ja, aber schmeckt er Ihnen denn?!?«

»Nein. Aber weshalb sollte er mir in diesen schweren komplizierten Zeiten auch noch schmecken?!?«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 225.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]